Zwei
Auszüge der Symbolik des Buches
Die
Höhle
Für die Frühmenschen sind Höhlen die einzige Behausung gewesen,
die ihnen Schutz geboten hat vor Wind und Wetter und vor gefährlichen
Tieren. Im Krieg und bei anderen Gefahren haben sie Menschen als
Versteck und Zufluchtsort gedient. Grenouille Entschluss die nächste
Zeit seines Lebens in einer Höhle zu verbringen hat eine ähnliche
Bedeutung. Er sucht allerdings nicht Schutz vor Wind und Wetter oder
Tieren, sondern vor den Menschen. Eine Höhle aufzusuchen, ist nicht
sein Ziel gewesen, mehr ist es gewesen, so weit wie möglich von den
Menschen entfernt zu sein und in totaler Abgeschlossenheit zu leben.
Menschen meiden ihn schon sein Leben lang und er hat ihnen nie
besondere Aufmerksamkeit zugewiesen, doch auf dem Weg hinaus aus
Paris, erkennt er die Schönheit der von Menschen unberührte Natur
und er folgt seinem Geruchssinn, um so gut wie möglich keinem
Menschen zu begegnen. Zwar ungern begibt er sich anfangs noch in ihre
Nähe, um seine Nahrungsvorräte aufzufüllen, doch wenn er den Berg
erklommen hat, auf den schon seit Jahren niemand mehr gewesen ist,
erkennt er, dass dies das Ziel seiner Reise gewesen ist und
beschließt hier zu bleiben.
„Und er flüchtete weiter, immer
sensibler reagierend auf den immer seltener werdenden Geruch des
Menschlichen. So führte ihn seine Nase in immer abgelegenere
Gegenden des Landes, entfernte ihn immer weiter von den Menschen und
trieb ihn immer heftiger dem Magnetpol der größtmöglichen
Einsamkeit entgegen.“ (S. 152, Z. 2f.)
Die Isolation einer Höhle kann mit der Isolation Grenouilles
gegenüber seinen Mitmenschen verglichen werden. Er ist in sich
gekehrt, hat weder Freunde, noch Familie. Seine größte
Leidenschaft, die Gerüche, die ihn umgeben, teilt er mit niemanden
und er erzählt auch niemanden von seinen Plänen. Er hat einen
großen Teil seines Lebens bei Baldini verbracht und ihm einige
notwendige Fertigkeiten eines Parfümeurs zu verdanken, jedoch zögert
er nicht zu gehen und fühlt auch keine negativen Emotionen dabei.
Der Umgang mit Menschen hat bis zu dem Beginn seiner Reise nicht mehr
als eine Notwendigkeit dargestellt, welche er nun zurücklassen kann,
um sich komplett seiner selbst zu widmen.
„Er wollte seines Innern sich
entäußern, nichts anderes, seines Innern, das er für wunderbarer
hielt als alles, was die äußre Welt zu bieten hatte.“ (S. 140, Z.
7f.)
In dieser Höhle verwirklicht sich dieses Begehren. Er wagt sich nur
noch in die äußre Welt um die grundlegendsten Bedürfnisse des
Überlebens zu befriedigen.
Sein Lebensstil beschränkt sich auf das Notwendigste, er schreitet
zurück auf die primitive Lebensweise der Urzeit. Er vertraut nur auf
seinen Geruchssinn. Gewöhnliche menschliche Sitten werden ihm fremd.
Seine Kleidung wechselt er nicht mehr und seine Ernährung besteht
aus kleinen Säugetieren, sowie Vögel und Insekten. Trotz dieses
primitiven Lebens fühlt er sich den Menschen überlegen. In der
Gedankenwelt, in der er lebt, ist er nicht einmal einer von ihnen,
sondern vergleichbar mit einem Gott.
Die Höhle kann ebenfalls ein Symbol für die Stetigkeit sein. Sie
überdauert Jahrhunderte ohne Veränderungen, wie eine Konstante in
der sich kontinuierlich verändernden Umwelt. Jene Umwelt beeinflusst
durch die Jahreszeiten die Vegetation eines Territoriums, die
Temperatur, sowie die Helligkeit. In der Höhle jedoch bleibt es
stets kühl, feucht und leblos. Die Welt der Gerüche ist für
Grenouille einer dieser Konstanten. Seine Lebensumstände ändern
sich ständig. In seiner Kindheit wandert er von Amme zu Amme und
schließlich von Madame Gaillard zur Gerberei, von dort aus wiederum
zur Parfümerie bis zur Höhle und auch danach bleibt die Veränderung
ein stetiger Wegbegleiter. Sein Geruchssinn ist im jedoch in all
diesen Lebensphasen am wichtigsten. Mit diesem findet er sich selbst
in der Gesellschaft zurecht, denn er erkennt die Absicht seiner
Mitmenschen durch ihren Geruch.
„Mit dem ersten Blick, den er auf
Monsieur Grimal geworfen – nein, mit dem ersten witternden Atemzug,
den er von Grimals Geruchaura eingesogen hatte, wußte Grenouille,
daß dieser Mann imstande war, ihn bei der geringsten Unbotmäßigkeit
zu Tode zu prügeln.“ (S. 40, Z. 25f.)
In religiösen Schriften ist die Höhle oftmals ein Symbol der
Wiedergeburt, was auch mit Grenouille in Verbindung gebracht werden
kann. In der vollkommenen Einsamkeit dieser Höhle erkennt er sich
selbst und fühlt sich wohler, als je zuvor in seinem Leben, bis ihm
eines Tages die Selbsterkenntnis kommt, dass er keinen Eigengeruch
besitzt. Mit dieser Erkenntnis bricht sein Weltbild zusammen und er
verlässt die Höhle mit einem neuen Ziel, einer neuen
Lebenseinstellung und einer neuen Selbstwahrnehmung. Wie eine
Auferstehung beginnt für Grenouille damit ein neuer komplett
differenter Lebensabschnitt und er wagt sich auf ein Neues unter die
Menschen.
„Der Nebel war sein eigener Geruch.
Sein, Grenouilles, Eigengeruch war der Nebel. Und nun war das
Entsetzliche, daß Grenouille, obwohl er wußte, daß dieser Geruch
sein Geruch war, ihn nicht riechen konnte.“ (S. 171, Z. 1f.)
„Dann drehte er sich um und ging,
zunächst gebückt, und als die Höhle des Stollens es zuließ, in
aufrechter Haltung, hinaus ins Freie. Draußern zog er seine Lumpen
an (die Schuhe waren ihm schon vor Jahren vermodert), legte sich die
Pferdedecke über die Schultern und verließ noch in derselben Nacht
den Plomb du Cantal in südlicher Richtung.“ (S. 176, Z. 12f.)
Das
Wasser
Das Wasser wird als Symbol des Glücks in der Handlung des Romans
mehrmals aufgegriffen. Am wohl eindringlichsten ist diese Eigenschaft
bei Baldini zu erkennen. Er bereut es seine Parfümerie auf der
westlichen Seite des Flusses erbaut zu haben, denn nun sieht er das
wegströmende Wasser. Mit dem wegrinnenden Wasser überkommt ihn das
Gefühl des entrinnenden Glücks. Er sieht sich selbst ohne jeglichen
Reichtum und Freude. Es treibt ihn so weit, dass er sich häufig auf
die Brücke stellt und für lange Zeit einfach nur das Wasser
beobachtet, wie es auf ihn zufließt, denn es kommt ihm so vor, als
wären seine Möglichkeiten noch offen. In seinem Fließen zeigt sich
Wasser lebendig, ist in immerwährender Bewegung.
„Und dann stellte er sich an die
östliche Brüstung und schaute flußaufwärts, um wenigstens ein Mal
alles auf sich zuströmen zu sehen; und für einige Augenblicke
schwelgte er in der Vorstellung, die Tendenz seines Lebens habe sich
umgekehrt, die Geschäfte florierten, die Familie gediehe, die Frauen
flögen ihm zu und seine Existenz, statt zu zerrinnen, mehre und
mehre sich.“ (S. 77, Z. 10f.)
In Düfte, die Grenouille als angenehm empfindet, verliert er sich
und kann bei ihnen stundenlang verweilen. Wenn er sich in einem
dieser Düfte verliert, wird es oftmals in der Form von „trinken“
dargestellt und folglich indirekt mit Wasser verglichen
„Er trank diesen Duft, er ertrank
darin, imprägnierte sich damit bis in die letzte Pore“ (S. 32, Z.
20f.)
Grenouille macht vor seiner Zeit bei Baldini keinen Unterschied
zwischen guten und schlechten Gerüchen. Jeder Geruch ist für ihn
gleich viel wert, mit dem Ziel jeden Geruch dieser Welt einzufangen,
denn er kann nie einen vergessen. Der Geruch des Ozeans ist der
erste, in jenem Zeitrahmen genannt auch der einzige, mit dem er
positive Assoziationen zieht.
„Der Geruch des Meeres gefiel ihm so
gut, daß er sich wünschte, ihn einmal rein und unvermischt und in
solchen Mengen zu bekommen, daß er sich dran besaufen könnte.“
(S. 46, Z. 22f.)
Der Fakt, dass er diesen Ozean nie erreichen oder auch nur sehen
wird, kann damit gedeutet werden, dass er am Ende an all seinem
Erfolg kein Glück findet. Er ist ehrgeizig und erreicht seine Ziele,
doch wenn er sie erreicht hat, sind sie ihm nicht genug. So
beispielsweise, als er nachdem er das perfekte Parfum entwickelt hat,
sich nicht lange daran erfreut und es stattdessen zu seinem Suizid
genutzt hat. Er ist perfektionistisch, es ist daher anzunehmen, dass
die Unerreichbarkeit des Meeres ein Symbol für sein unerreichbares
Glück ist, da er bis zu Ende nie seine Ziele erreicht.
„Aber dahin sollte es nie kommen,
denn Grenouille, der an der Place de Greve am Ufer stand und mehrmals
einen kleinen Fetzen Meerwind, den er in die Nase bekommen hatte,
aus- und einatmete, sollte das Meer, das eigentliche Meer, den großen
Ozean, der im Westen lag, in seinem Leben niemals sehen und sich nie
mit diesem Geruch vermischen dürfen.“ (S. 47, Z. 2f.)