Thema
6:
ZUR
DIFFERENZIERUNG DES ÄQUIVALENZBEGRIFFS IN DER ÜW
Der
Äqivalenzbegriff wurde für die Übersetzungstheorie aus der
Mathematik und der formalen Logik entlehnt. Mit diesem Begriff werden
zwei korrespondierende Größen, Größen gleichen Wertes, gemeint.
Zwischen ihnen besteht das Verhältnis der Reversivität (a=b, b=a).
Ausschlaggebend für die Übernahme des Begriffs waren die ersten
Versuche im Bereich der maschinellen Übersetzung, wo es um die
Umkehrbarkeit von Texten aus einer Sprache in eine andere ging (die
Idealvorstellung von damals war: ein AT wird in eine ZS übersetzt,
aus diesem ZT sollte man wieder zum AT gelangen können:
Ich
übersetze aus dem Deutschen ins Bulgarische. →
Аз превеждам от немски на български.→
Ich übersetze aus dem Deutschen ins Bulgarische.).
In
der Übersetzungstheorie wird dieser Begriff verwendet, um die
Entsprechungs-beziehungen zwischen Original und Translat zu messen.
Die Äquivalenz wurde vielfach als Übersetzungsideal verstanden, bei
dem die möglichst genaue Entsprechung des ZT zum AT erstrebenswert
war.
Jedoch
erweist sich dieser Begriff als sehr problematisch, denn eine
Umkehrung Translat → Original ist in der Regel unmöglich (s.
Beispiel oben:
Аз превеждам от немски на български.→
Ich übersetze aus dem Deutschen ins Bulgarische.
Möglich ist aber auch: Ich
dolmetsche aus dem Deutschen ins Bulgarische.; bei
anspruchsvolleren Texten gibt es weitere, schwerwiegendere
Komplikationen)
Deshalb
hat die Äquivalenztheorie viele Gegner, wobei aber auch im Lager der
Anhänger viele und verschiedene Interpretationen möglich sind.
1. Verschiedene
Auffassungen des Äquivalenzbegriffs
Die
Äquivalenzproblematik war lange Zeit ein Brennpunkt der Diskussionen
im Rahmen der Übersetzungstheorie. Die Auseinandersetzungen
verliefen nicht nur auf praktischer, sondern auch auf
abstrakt-theoretischer Basis. Es wird weiter unten auf einige der
wichtigsten Versuche eingegangen, die Äquivalenz zu definieren.
Eugen
Nida
Bei
der Definition der Äquivalenz arbeitet der amerikanische Linguist E.
Nida mit 3 Größen, die die Übersetzung beeinflussen: Sender,
Mitteilung (message) und Empfänger.
Seine Äquivalenz-Auffassung ist daher nicht primär linguistisch,
sondern kommunikativ determiniert.
Die
Untersuchungen an den Bibelübersetzungen (diese Untersuchungen
erfolgten im Auftrag der Amerikanischen Bibel-Gesellschaft) haben
deutlich gezeigt, dass Übersetzer unterschiedliche Verfahren
eingesetzt haben, wenn es darum ging, die Botschaften des Textes
verständlich in die andere Kultur zu übertragen. Aufgrund dieser
Beobachtungen hat er folgende zwei Arten von Äquivalenz
unterschieden:
formale
Äquivalenz:
sie besteht in der möglichst genauen Wiedergabe von Form und Inhalt
des AT in der ZS, bei ihr bestehen gleiche Beziehungen auf der Form-
und auf der Inhaltsebene:
Bsp.
Die
ganze Welt hilft den Opfern in Haiti. – Целият
свят помага на жертвите в Хаити.
(Всички
страни оказват помощ на пострадалите
в Хаити).
Toй
е редактор
във вестника.-
Er
ist Redakteur
bei der Zeitung.
Той
е редакторът
на този текст.
– Er ist der Lektor
des Textes.
Той
е редакторът
на тази поредица.
– Er ist der Herausgeber
der Reihe.
Die
Wahl der Entsprechung erfolgt auf der Basis des Kontextes.
dynamische
Äquivalenz
(heute vielfach mit der funktionalen Äquivalenz identifizierbar)
Zwischen
AT und Translat besteht keine Abbildrelation (eine Umkehrung ist also
unmöglich). Das kommt daher, dass an die Übersetzung bestimmte
Anforderungen gestellt werden: Es sollen die Normen der ZS
eingehalten werden, die Übersetzung soll natürlich wirken und
verständlich sein (möglichst nicht als Übersetzung erkennbar
sein). Um diesen Anforderungen entgegenzukommen, werden
Transformationen, Veränderungen oder auch kleine Verluste durch die
Übersetzer in Kauf genommen:
Am
ZT werden Transformationen vorgenommen, um die Verständlichkeit
des Textes (der Botschaft, der message) beim neuen Adressatenkreis
zu sichern.
Bsp.
In
der Bibelübersetzung für die Eskimos hat der Übersetzer zur
damaligen Zeit gesehen, dass die Eskimos die Schlangenszene nicht
verstehen würden (in ihrer Umgebung fehlen Äpfel und Schlangen),
deshalb hat er diese Szene durch andere Figuren (Fische, Eisbären)
ersetzt.
Bei
der dynamischen Äquivalenz wird ein teilweiser Verlust der
Information in Kauf genommen, der nicht relevant ist.
Bsp.:
Hinweise
bei Medikamenten in Packungsbeilagen: Bitte
die nicht verbrauchten Medikamente vor dem Abfalldatum in die
Apotheke zurückbringen. Dieser
Text dürfte in der bulgarischen Fassung wegfallen, weil hier andere
Bedingungen gelten und der Hinweis irreführend für die Adressaten
ist. Trotzdem wären beide Texte äquivalent, weil sie den
Erwartungen der Adressaten entsprechen.
Sie
haben am Nachmittag Kaffee getrunken.
(dieser Satz kann in jede Sprache übertragen werden, vermittelt aber
nicht die gleichen Vorstellungen und Assoziationen, weil die
Trinkgewohnheiten und Zubereitungsverfahren von Kultur zu Kultur
variieren. Wichtig ist jedoch, dass der Kern der Information
unabhängig von kulturellen Divergenzen verstehbar ist)
Fazit:
Die dynamische Äquivalenz versucht, die Übersetzung ganzheitlich zu
betrachten und sich nicht auf Einzelwörter oder Textsegmente zu
konzentrieren.
Katharina
Reiß
Sie
unternimmt eine Auflockerung des Äquivalenzbegriffes. Äquivalenz
soll nach der Relation Mittel
: Zweck
definiert werden, sie ist prozess-, handlungsorientiert (der
Übersetzer darf Veränderungen vornehmen, wenn der Zweck der
Übersetzung dies verlangt). Reiß schlägt deshalb einen neuen
Begriff vor: die Adäquatheit,
womit sie die Angemessenheit der vorgenommenen übersetzerischen
Entscheidungen bezeichnen möchte.
Es
ist also durchaus legitim, wenn zu ein und demselben Originaltext
mehrere und verschiedene Übersetzungen geschaffen werden. Sie sind
adäquat, wenn sie funktionsgetreu sind und wenn der Übersetzer dem
Sender/Auftraggeber gegenüber loyal ist.
Bsp.
Textsorte
„Gebrauchsanweisung“
Man
darf Defizite beseitigen (z.B. bei nicht korrekter Reihenfolge der
Schritte; bei irreführenden oder kulturspezifischen nonverbalen
Mitteln)
Man
darf irrelevante Textteile weglassen
Man
darf Präzisierungen einbringen (z.B. Hinweise auf
Garantiebedingungen, Wartung, technische Systeme)
Textsorte
„Werbung“
Man
darf den Text bearbeiten im Einklang mit geltenden Textkonventionen
Man
darf (und soll) Kulturspezifika beachten
Man
darf (und soll) den Appell an die Kulturspezifik anpassen
Otto
Kade
geht
von einem engen Äquivalenzbegriff aus: Äquivalenz wird als
Lexikonverhältnis aufgefasst. Die Entsprechungsbeziehungen werden
auf der Ebene des Lexems und des Syntagmas gesucht. Er kommt zu
folgenden Relationen:
1:
1 Entsprechung
Diese
Entsprechungsbeziehung kommt selten vor, meist bei Eigennamen und
Termini
Bulgarien
– България
Absatz -
пласмент
Mähren
- Моравия
Angebot und Nachfrage –
търсене и предлагане
Viele:1
Entsprechung (Neutralisation): die AS sieht die Welt differenzierter
und hat verschiedene Bezeichnungen geschaffen, die ZS fasst dagegen
die Unterschiede in einem Lexem zusammen:
Tasse,
Glas, Becher
– чаша
чичо,
вуйчо, свако – Onkel
1:viele
Entsprechungen (Diversifikation):
die
ZS differenziert im einheitlichen Bild der AS, einer allgemeinen as
Bezeichnung entsprechen mehrere differenzierende zs Bezeichnungen:
AS:
Schwiegereltern
– родителите
на съпруга
/ на
съпругата
ZS:
свекър
и свекърва
тъст
и тъща
Teil
- Entsprechungen: die zs lexikalische Einheit enthält zusätzliche
Informationen im Vergleich zur as Einheit
mehr
Bedeutungen: Fuchs
–
1.
лисица
2.
(прен.) хитър човек, лисица
3.
червен кон
unterschiedliche
stilistische Markierungen
януари
– der
Januar, der Jänner (österr.)
1:
0 Entsprechung: für die as Einheit fehlt eine zs Bezeichnung. Das
kann vorkommen bei:
Realienbezeichnungen:
die
Eisheiligen; der Maibaum
einzelne
Lexeme:
Zumutung; ursächlich
Die
Leipziger Schule
Sie
ist kommunikativ orientiert und geht auf die Übersetzungssituation
und die Adressaten ein. Grundlegend für die Theorie sind die
Begriffe kommunikativer
Wert
und kommunikativer
Sinn.
Der
kommunikative Wert (kW) stellt die Summe der Bewusstseinsinhalte dar,
die aufgrund der Verstehensvoraussetzungen durch den Text bei den
Adressaten aktiviert werden. Der kW hat folgende Struktur:
Grammatische
Bedeutung invariante Komponente (bei allen
Lexikalische
Bedeutung Adressaten konstant), basiert auf
Stilistische
Bedeutung Weltwissen, Alltagswissen etc.
variable
Komponente (individuell,
variiert bei den
Sprechern)
Auf
dieser Basis wird der durchschnittliche
kommunikative Wert
(dkW) definiert: er besteht aus einer sprachlichen (intralingualen)
Komponente und aus einer außersprachlichen (extralingualen)
invarianten Komponente.
Bsp.:
DerAlte
hat einen Hund genommen, um nicht einsam zu sein.
Der
dkW dieser Mitteilung konstituiert sich aus folgenden Elementen:
sprachliche
Bedeutung: wird durch den Adressaten dechiffriert aufgrund der
Kenntnis der deutschen Sprache.
außersprachliche
invariante Komponente: der Hund wird von allen Menschen in unserem
Kulturkreis als Freund des Menschen aufgefasst. Das sichert das
gleiche Verstehen bei allen Adressaten, ungeachtet der variablen
Komponenen (etwa: ein konkretes Individuum hasst Hunde, stellt sich
einen Schäferhund vor etc.)
Die
Vertreter der Leipziger Schule gehen von folgenden drei Ebenen der
Äquivalenz aus:
maximale
Äquivalenz:
sie liegt dann vor, wenn der AT und ZT nur dann Unterschiede
aufweisen, wenn sich solche Unterschiede aus Unterschieden der
Struktur und der Bedeutungen der AS und der ZS ergeben.
Unsere
Lehrerin ist zurückgekommen. – Учителката
ни/Госпожата
се е върнала.
Diese
Sätze werden als maximal äquivalent aufgefasst. Die Unterschiede
zwischen ihnen beziehen sich auf folgende Ebenen:
Strukturunterschiede:
Im Bg. wird das grammatische Geschlecht der Substantive in der
Verbform markiert.
Im
Bg. gibt es eine Kurzform des Possessivpronomens.
Bedeutungsunterschied/Ususunterschied:
Im Bg. wird die Bezeichnung госпожа
auf Lehrerin
bezogen.
kommunikative
Äquivalenz:
sie liegt dann vor:
wenn
maximale Äquivalenz und gleicher kW bei den as und zs Adressaten
vorliegen;
Die
Studenten protestieren gegen die Einführung von Studiengebühren. –
Студентите
протестират срещу въвеждането на
студентски такси.
wenn
keine maximale Äquivalenz, aber gleicher kW bei den as und zs
Adressaten vorliegt
На
3.3. валя сняг. – Am
3. März, dem Nationalfeiertag Bulgariens, hat es geschneit.
kommunikative
Heterovalenz:liegt
dann vor,
wenn
maximale Äquivalenz vorliegt, aber kein identischer kW für die
beiden Adressatenkreise nachweisbar ist
Гледа
ли снощи Слави? - *Hast
du gestern Slavi gesehen?
wenn
keine maximale Äquivalenz und kein identischer kW nachweisbar sind
Мартинката
ми лаеше на гърбината, в пояса – нож до
нож. Два ли, три ли бяха, не помня. А
ливорверът ей тука, на кълката. – Den
Henrystutzen auf dem Rücken, paar Messer im Gürtel. Zwei oder drei,
das weiß ich nicht mehr genau. Und den Revolver hier, an der
Hüfte... (N. Haitov)
Werner
Koller
Werner
Koller (Einführung
in die Übersetzungstheorie)
wird von textlinguistischen Auffassungen geleitet. Die Aufmerksamkeit
gilt bestimmten Ebenen des Textes, auf denen konkrete
Übersetzungsprobleme festgestellt werden können. Sein System der
Äquivalenzbeziehungen steht im Zusammenhang mit 5 grundlegenden
Rahmen-bedingungen, die eine Rolle in Bezug auf die Äquivalenzart
spielen:
denotative
Äquivalenz:
(Entsprechungbeziehungen von lexikalischen Einheiten: zu einer as
lexikalischen Einheit soll die passende zs Entsprechung benutzt
werden) Wichtig dabei ist der außersprachliche Sachverhalt, der
durch den Text vermittelt wird. Wenn im Text das Wort Dietrich
fällt, soll man den außersprachlichen Sachverhalt berücksichtigen
und das Wort entsprechend als Eigennamen Дитрих
übersetzen
oder als шперц.
konnotative
Äquivalenz:
die Aufmerksamkeit des Übersetzers gilt der Wiedergabe der im AT
vorhandenen Konnotationen (Stilregister der lexikalischen Einheiten,
soziolektale und regionale Färbungen, Frequenz usw.)
Той
лапа –
*Er
isst. (hier
besteht keine konnotative Äquivalenz, weil die beiden Verben
stilistisch nicht auf gleicher Ebene angesiedelt sind)
Mögliche
Konnotationen
regionale
Färbungen
Manche
lexikalischen Einheiten signalisieren Zugehörigkeit zu verschiedenen
Standards und Varianten der Sprachen
Aprikose
(BRD) – Marille (süddt., österr.)
Fahrrad
– Velo (schweiz)
Hallo!
– Servus! – Moin!
stilistische
Nuancen
Veloziped
(veralt.) Frauenzimmer (veralt.)
голям
майтап! (разг.)
баш
(турц.)
Konnotationen
der Frequenz
Kapitalist
- Arbeiterklasse (selten verwendet)
Gruppensprachen
Скъсаха
ме.
(студ.)
аксиална
температура (мед.)
frau
meint (feministisch)
textnormative
Äquivalenz:
wichtig ist die Berücksichtigung der Sprach- und Textnormen und
Konventionen für die jeweilige Textsorte. Der Übersetzter passt
den ZT an die Normen und Konventionen der Zielsprache an (das
passiert oft bei formbetonten Texten wie Gebrauchsanweisungen,
Verträgen etc.).
pragmatische
Äquivalenz:
sie berücksichtigt die Verstehensvoraussetzungen der zs Adressaten
(ob sie imstande sind, korrekt und im Einklang mit der Intention des
Autors den Text zu verstehen). Die pragmatische Äquivalenz bezieht
sich sowohl auf das Alltagswissen der Adressaten, als auch auf
moralisch-ethische, religiöse, politische Überzeugungen.
Bsp.
Пенсията
му е 600 лв. – Seine
Rente ist 300 Euro.
Die
beiden Aussagen stimmen denotativ überein, sind jedoch pragmatisch
nicht äquivalent (der bulgarische Adressat wird diesen Rentner als
wohlhabend einstufen, der deutsche Adressat dagegen nicht)
In
der Politik und Diplomatie gibt es Reihen von Bezeichnungen, die
bestimmte Wertungen signalisieren: Ein Attentat wird verübt. Die
Täter können je nach politischen Auffassungen als Freiheitskämpfer
oder als Terroristen
eingestuft werden. Die Entscheidung für die eine oder die andere
Bezeichnung verrät auch eine bestimmte politische Überzeugung.
Werden Verhandlungen geführt, wird von neutraleren Bezeichnungen
Gebrauch gemacht.
formal-ästhetische
Äquivalenz:
sie wird definiert über die Berücksichtigung von bestimmten
ästhetischen, formalen und stilistischen Eigenschaften des AT.
Diese Äquivalenz ist vor allem bei literarischen Texten von
Bedeutung. (in einem lyrischen Text herrscht die sog. semantische
Dichte, d.h. jedes Wort ist sehr sorgfältig gewählt worden und der
Übersetzer muss auf jedes Detail /Reim, Aliteration, Metapher etc./
bei der Übertragung achten)
Gideon
Toury
Er
betrachtet die Äquivalenz als Norm, die historisch bedingt ist. Sie
ist im Kontext des politischen, sozialen, religiösen und kulturellen
Werdegangs einer Nation zu sehen. Als Aufgabe der Übersetzungstheorie
gilt für ihn die Untersuchung, was Äquivalenz im Laufe der
geschichtlichen Entwicklung gewesen ist (am Beispiel von
Übersetzungsliteratur).
Anthony
Pym
Pyms
Auffassungen von der Äquivalenz basieren auf dem Begriff „Wert“:
Man
unterscheidet zwischen:
natürlichen
Werten (wie z. B. Wasser), die objektiv sind
konventionellen
Werten (wie z.B. Gold), die Objekt von Vereinbarungen sind.
Die
Übersetzung gehört zur zweiten Gruppe und wird als „Tauschwert“
aufgefasst.
Nach
dieser Auffassung ist die Äquivalenz eine Entsprechungsbeziehung im
Sinne von Gleichwertigkeit.
Jedoch
kann Pym nicht bestreiten, dass diese Entsprechungsbeziehung und
Gleichwertigkeit an sich eine Illusion darstellen. Er besteht aber
darauf, dass sie als Artefakt nützlich und sinnvoll ist.
Gegner
des Äquivalenzbegriffes
Van
den Broeck
argumentiert gegen den Äquivalenzbegriff folgendermaßen: in der
Mathematik setzt der Begriff Äquivalenz
die
Relation der Reflexivität, Symmethrie und Transitivität voraus.
A
=
B
B =
A
In
der Übersetzung ist das nicht möglich: wenn 5 Übersetzungen zu
einem Gedicht vorliegen, sind sie sehr unterschiedlich und es ist
unmöglich, durch sie das Original zu rekonstruieren. Also man kann
nicht von Äquivalenz in der Übersetzung sprechen.
Theo
Hermans
(in Anlehnung an G. Toury und die Translationsstudien, die die
historischen Aspekte der Übersetzungen und die Machtverhältnisse
zwischen den verschiedenen Kulturen untersuchen) führt folgende
Argumente gegen den Äquivalenzbegriff an:
Die
Äquivalenzbeziehung wird als Gleichwertigkeit verstanden. Aber diese
Gleichwertigkeit fehlt bei Übersetzungen, weil zwischen
unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Machtverhältnisse
existieren.
Manche
Autoren entwickeln in diesem Zusammenhang die sog. „Theorie des
Verschlingens“, d.h. die aufnehmende Zielkultur wird als Hegemon
aufgefasst, kulturelle Unterschiede werden ihr zugunsten verwischt.
Bei der Gegenüberstellung Eigen:
Anders
dominiert das Eigene. Deshalb weigern sich viele Autoren übersetzt
zu werden (Irische Dichter lehnen die Übersetzung ihrer Gedichte ins
Englische ab, weil die Übersetzungen in einem politischen Kontext
erscheinen werden, in dem beide Sprachen nicht gleichgestellt und
gleichwertig sind).
Weitere
Kritiken
Äquivalenz
wird nicht eindeutig definiert: sie wird nicht immer als Relation
zwischen AT und ZT aufgefasst, damit bezeichnet man auch ein
konkretes Übersetzungsverfahren (vgl. engl. cultural
equivalent, functional equivalent, descriptive equivalent);
Äquivalenz
lässt sich auf Wortebene leichter nachweisen, schwieriger wird es,
wenn der Text ins Blickfeld kommt;
Oft
operiert man mit dem Begriff intuitiv, Übersetzung wird
routinemäßig als äquivalent definiert;
zu
ein und demselben AT kann es unterschiedliche ZT/Übersetzungen
geben, wenn die Übersetzungsbedingungen variieren.
Aufgrund
dieser vielfältigen und oft widersprüchigen Meinungen kommt Mary
Snell-Hornby zu der Auffassung, das der Äquivalenzbegriff eine
Illusion ist.
Heutzutage
versucht man, diese Widersprüchigkeit zu umgehen, indem man den
Begriff Adäquatheit
einführt (während der Äquivalenzbegriff als Resultat, als
Verhältnis zwischen zwei Produkten, zwei Texten aufgefasst wird, so
wird die Adäquatheit als Prozess verstanden, als
Übersetzungshandlung, die skoposdeterminiert ist). Die Äquivalenz
wird ermittelt, wenn man Original und Translat vergleicht; die
Adäquatheit wird angestrebt im Prozess der Übersetzung, indem man
den Zweck /Skopos der Übersetzung und die sprachlichen Mittel in
Beziehung setzt.
Literatur
Werner
Koller, Einführung ind die Übersetzungstheorie. Heidelberg/Wiebaden
1992.
Lucina
Wille, Semantische Figuren in der Übersetzung. Ein Spiel mit Wort
und Werk. Marburg: Tectum Verlag 2003.
Ана
Димова, Увод в теорията на превода.
Шумен:Университетско издателство 2000.
(S. 53-60)
Weiterführende
Aufgaben
1.
Kommentieren Sie wie die zwei verschiedenen Übersetzungen die
formal-ästhetische Äquivalenz realisieren.
Geschrieben
steht: Im Anfang war das W O R T!
Hier
stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich
kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich
muss es anders übersetzen,
Wenn
ich vom Geiste rechterleuchtet bin.
Geschrieben
steht: Im Anfang war der S I N N.
Bedenke
wohl die erste Zeile,
Dass
deine feder sich nicht übereile!
Ist
es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es
sollte stehen: Im Anfang war die K R A F T!
Doch
auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon
warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir
hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und
schreibe getrost: Im Anfang war die T A T!
Goethe,
Faust
Написано
стои: В началото бе С Л О В О
Аз
спирам изведнъж! Да почна ли отново?
Не
мога словото да оценя дотам,
по
начин друг ще го предам
И
като че умът намра верен смисъл –
написано
стои: В началото бе М И С Ъ Л
Добре
вникни във този първи ред,
недей
прибързва отнапред!
Нима
е мисълта всемира сътворила?
Аз
трябва да чета: В началото бе С И Л А
Но
щом перото взема във ръка,
и
нещо казва ми: Не е така!(Ала сега духът
помага ми и смело,
спокойно
пиша аз: В началото бе Д Е Л О.
Превод:
Димитър Статков
|
“В
началото бе Словото” прочитам
и
спъвам се: Кой би помогнал тук?
Но
Словото тъй много не почитам
и
ще го преведа по начин друг,
ако
духът докрай ме просветли.
“В
началото бе Мисъл” веднага
дълбоко
този пръв ред обмисли,
не
бива твоето перо да бяга.
От
мисълта ли всичко се създава?
“В
началото бе Силата” – едва
написвам,
нещо ме предупреждава
да
не остана също при това.
Помага
ми духът. Дочух съвет:
В
началото бе Делото е мой първи ред.
Превод:
Кр. Станишев, 1980г.
|