<
>
Download

Seminararbeit
Grundschulpädagogik

EWF Nürnberg

1,7 ; Steinmüller; 2013

Sylvia P. ©
8.00

0.16 Mb
sternsternsternsternstern_0.2
ID# 50697







Lehrstuhl Grundschulpädagogik

Wintersemester 2012/2013

Seminar: Lern- und Verhaltensschwierigkeiten in der Grundschule

Verfasserin:


Hausarbeit


Zentrale Aspekte der

Aufmerksamkeitshyperaktivitätsstörung


Erklärung:

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Hausarbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.


Datum: __ Unterschrift: _________

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 3

2. Die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung 3

2.1 Klassifikation von ADHS 3

2.2 Leitsymptome 4

2.2.3 Unaufmerksamkeit 4

2.2.4 Hyperaktivität 5

2.2.4 Impulsivität 6

2.3 Ursachen 6

2.3.1 Genetisches Ursachenmodell 7

2.3.2 Umweltgifte als Ursache 7

2.3.3 Psychosoziale Faktoren 8

2.4 Diagnose 10

2.4.1 Anamnese 10

2.4.2 Fragebögen 11

2.4.3 Verhaltensbeobachtung 11

2.4.4 Psychologische Tests 11

2.4.5 Körperliche Untersuchung 12

2.4.6 Differentialdiagnose 12

2.5 Behandlungsmöglichkeiten 13

2.5.1 Die medikamentöse Behandlung 13

2.5.2 Kritik an der medikamentösen Behandlung 15

2.5.3 Die multimodale Therapie 15

2.6 Folgen von ADHS 16

2.6.1 Selbstwertproblematik 16

2.6.2 Schullaufbahn und Berufsfindung 16

2.6.3 Probleme der Eltern und Erziehungsberechtigten 17

3. Zusammenfassung 18

4. Literaturverzeichnis 19


1. Einleitung

Wenn man heute eine Grundschulklasse betritt, muss man als LehrerIn damit rechnen, als Teil der heterogenen Vielfalt auch verschiedensten Problemen und Verhaltensauffälligkeiten der einzelnen Schüler zu begegnen. Vor allem eine Störung ist aufgrund ihrer Häufigkeit in den letzten Jahren immer öfter untersucht und diskutiert worden. Die Rede ist von der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung.

Diese soll in der folgenden Arbeit zunächst nach dem aktuellen Standard klassifiziert werden. Daraufhin sollen Symptome und Ursachen, sowie die verschiedenen Vorgänge einer ausführlichen Diagnose behandelt werden. Die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten und die allgemeinen sowie spezifischen Folgen und Probleme dieser Störung werden anschließend beschrieben.

Es sollen nach Möglichkeit verschiedene Perspektiven auf ADHS aufgezeigt werden, ohne diese im Einzelnen zu werten.

In der gesamten Arbeit wird aus Gründen der Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, selbstverständlich sind immer beide Geschlechter gemeint.

2. Die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung

Laut aktueller Literatur gehört ADHS heute zu den häufigsten Diagnosen im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich. Verlässt man sich auf die Angaben der Eltern, so sind laut Umfragen 3-10 % aller Kinder betroffen, wobei die Symptomatik im Jugendalter meist abnimmt. Die Störung betrifft Jungen bewiesener Maßen weit häufiger als Mädchen. Auch hier variieren die Zahlen allerdings, das Verhältnis wird in verschiedenen Studien mit 3 : 1 bis 9 : 1 angegeben.

Die Ursachen für diesen beachtlichen Geschlechterunterschied konnten bisher jedoch nicht hinreichend geklärt werden. (vgl. Heinemann; Hopf (2006): S. 9)

2.1 Klassifikation von ADHS

Das in dieser Arbeit zu thematisierende Phänomen, war und ist unter mehreren gängigen Bezeichnungen bekannt. Häufig finden sich in der Literatur die Begriffe Hyperkinetische Störung, Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität oder Hyperkinetisches Syndrom. Man hat sich heute auf die offizielle Bezeichung Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, geeinigt, die von einer Expertengruppe festgelegt und in dem international anerkannten Klassifikationssystem für Störungen und Krankheiten, DSM-IV, übernommen wurde. (vgl. Wender, H.P (2002): S. 14) Dort wird das Störungsbild der ADHS in drei Kategorien unterteilt:

1. Unaufmerksam

Die Probleme der Kinder und Jugendlichen lassen sich vorwiegend auf eine Unaufmerksamkeit zurückführen; Hyperaktivität ist nicht oder kaum vorhanden

2. Hyperaktiv-impulsiv

Die Probleme der Kinder und Jugendlichen lassen sich vor allem auf Hyperaktivität und Impulsivität zurückführen.

3. Mischtypus

Die dritte Unterkategorie entspricht einem Mischtypus aus den beiden vorangegangenen Formen

Der hier als drittes genannte Mischtypus wird am häufigsten diagnostiziert.

(vgl. Brandau, H.; Kaschnitz, W. (2008): S. 26ff; Davison; Neale; Hautzinger; Baur (2007): S. 545)

2.2 Leitsymptome

Die Klassifikation als Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung gibt schon durch die Zusammensetzung des Begriffs einen gewissen Einblick in mögliche Leitsymptome. Es kann im Folgenden nur ein Überblick über diejenigen Symptome der Störung gegeben werden, die am häufigsten beobachtet werden. Durch das sehr weite Feld an Symptomen kann im Voraus nie gesagt werden, wie sich die Störung beim jeweiligen Individuum ausprägt.

Einige Merkmale kann man allerdings in unterschiedlicher Ausprägung bei fast allen Betroffenen feststellen, sodass diese aktuell als Leitsymptome gelten.

2.2.3 Unaufmerksamkeit

Eines dieser Merkmale wird in der Literatur allgemein als Unaufmerksamkeit bezeichnet. Um sich mit diesem Symptom zu befassen, soll kurz geklärt werden, was grundsätzlich unter Aufmerksamkeit zu verstehen ist, um deutlich zu machen, an was es den Betroffenen konkret fehlen kann. Der Begriff Aufmerksamkeit bezeichnet einen komplexen Mechanismus, „ […] um Eindrücke aus der Umwelt aufnehmen und aussortieren zu können und somit eine entsprechend gezielte und auch effektive geistige Verarbeitung möglich wird.“ (Neuhaus, C. (2009): S. 43)

Bei jedem Menschen muss sich diese Fähigkeit im Kindesalter erst entwickeln und sie funktioniert je nach Situation unterschiedlich gut oder schlecht. Aufmerksamkeit setzt eine gewisse allgemeine Wachheit voraus und beinhaltet auch, alles Wichtige aus der gegebenen Menge an Reizen herauszufiltern und teilweise mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen zu können. Außerdem steht hinter dem Begriff auch die Fähigkeit, sich schnell von einer Situation zu einer anderen umorientieren zu können und eine Aufgabe auch nach einer Unterbrechung weiter zu verfolgen und erfolgreich abzuschließen.

Betroffene von ADHS haben mit vielen dieser Aspekte große Probleme. (Neuhaus, C. (2009): S. 43ff)

Typische Merkmale von Unaufmerksamkeit sind die Folgenden:

  • Flüchtigkeitsfehler; z.B. bei Hausaufgaben oder Schularbeiten

  • Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten

  • Häufiger Eindruck von Teilnahmslosigkeit des Kindes, auch wenn es angesprochen wird

  • Anweisungen werden häufig nicht durchgeführt und Aufgaben nicht zu Ende gebracht

  • Schwierigkeiten, Aktivitäten im Voraus zu organisieren

  • Große Ablenkungsgefahr durch äußere Reize

  • Häufige Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten

(vgl. Heinemann; Hopf (2006): S. 10ff; )

2.2.4 Hyperaktivität

Als Hyperaktivität bezeichnet man ein nicht hinreichend kontrollierbares, überaktives Verhalten. Anders als die Unaufmerksamkeit, die nicht unbedingt sofort sichtbar wird, zeigt sich dieses Merkmal auch nach Außen hin und hat somit größere Auswirkungen auf die Umgebung des Betroffenen. Während sie im Kindergarten meist weniger deutlich werden, fallen die entsprechenden Verhaltensweisen in der Grundschule häufig störend auf.

Nach dem Klassifikationssystem DSM-IV sind die folgenden Merkmale Anzeichen für Hyperaktivität:

  • Häufiges Zappeln mit Händen und Füßen

  • Häufiges Aufstehen in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird

  • Häufiges Herumlaufen oder Klettern in unpassenden Situationen

  • Schwierigkeiten, ruhig zu spielen bzw. sich ruhig zu beschäftigen

  • Handlungen, die häufig „getrieben“ wirken

  • Anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivität

Viele dieser Verhaltensweisen würde man wohl ohne Zögern auch Kindern ohne eine Störung zutrauen. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Betroffene von ADHS auch nach entsprechender Ermahnung nicht lange den Impuls für das jeweilige Handeln unterdrücken können. Das Verhalten ist also nicht durchgreifend durch die soziale Umgebung oder durch Aufforderungen und Erziehung beeinflussbar. (vgl. Tepe, S. (2007): S. 12f; Rösler, M. (2010): S. 31)

Das dritte Primärsymptom für ADHS stellt die Impulsivität dar. Nach Eichlseder handelt jemand impulsiv, […] der auf den ersten Anstoß, auf den ersten Impuls hin etwas tut, ohne vorher zu überlegen.“ (Tepe, S. (2007): S. 11) Betroffene von ADHS können häufig ihr Handeln und die jeweiligen Folgen nicht vorher durchdenken. Sie steuern nicht bewusst, was sie als nächstes tun, sondern sind den ankommenden Impulsen teilweise gänzlich ausgeliefert.

Die bedeutendsten Merkmale einer übertriebenen Impulsivität sind laut DSM-IV folgende:

  • Häufiges Herausplatzen mit Antworten, bevor die Frage zu Ende gestellt ist

  • Schwierigkeiten zu warten, bis man an der Reihe ist

  • Häufiges Stören durch Hineinplatzen in Spiele und Gespräche Anderer

  • Ãœbermäßiges Reden, ohne auf soziale Beschränkungen zu reagieren

(vgl. Rösler, M. (2010): S. 31)

2.3 Ursachen

Die Ursachen für eine ADHS sind bis heute nicht endgültig geklärt. Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl von Betrachtungsweisen und Ursachenmodellen aus verschiedensten Bereichen. Bei fast allen Modellen ist dabei allerdings eine recht einseitige, geradlinige Analyse zu erkennen, die sich fast ausschließlich mit dem jeweiligen Fachgebiet beschäftigt.

Eine ganzheitliche, alle potentiellen Einflussfaktoren betrachtende Sichtweise ist nur sehr selten zu finden. Zahlreiche Faktoren unterschiedlicher Bereiche tragen anscheinend zu den Ursachen und deren Folgen bezüglich einer ADHS bei. Einige Erkenntnisse sollen im Folgenden zusammengefasst werden, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Da die tatsächlichen Ursachen bis heute nicht endgültig geklärt sind, handelt es sich größtenteils um Theorien, die (noch) nicht mit Sicherheit als Grund für eine ADHS bestätigt werden konnten.

2.3.1 Genetisches Ursachenmodell

Bei dieser Theorie geht man davon aus, dass vererbte Faktoren eine ADHS auslösen bzw. deren Risiko erhöhen können. Dabei geht man von einer Art Krankheit aus, bei der fehlerhafte neurochemische Funktionsabläufe des Gehirns vererbt werden. Es wird in diesem Zusammenhang oft damit argumentiert, dass eine ADHS bei etwa der Hälfte aller Kinder auftritt, von denen bereits ein Elternteil an der Störung leidet. (vgl. Davison, Neale (2007): S. 547) Außerdem spricht auch der hohe Anteil männlicher Betroffener für eine genetisch bedingte Komponente.

Andererseits kann die familiäre Häufung der Störung auch durch andere Theorien erklärt werden, z.B. durch solche, die ADHS unter anderem für eine Folge mangelnder gemeinsam erlebter Aufmerksamkeit in der Kindheit halten.1

(vgl. Steinhausen, H. (Hg.) (2010): S. 41ff)

2.3.2 Umweltgifte als Ursache

Unter den Begriff Umweltgifte fallen sämtliche von außen kommende, den Organismus Mensch beeinflussende Stoffe. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die einen möglichen Zusammenhang zwischen verschiedenen Umweltgiften und ADHS untersucht und teilweise bestätigt haben. Ein großer Teil der Untersuchungen bezieht sich auf die Einflüsse von Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum schwangerer Frauen auf die sich entwickelnden Kinder.

Auch dem Konsum anderer Drogen während der Schwangerschaft wird nachgesagt, die Häufigkeit von ADHS zu erhöhen. Die Einnahme von Opiaten scheint das Nervensystem ungeborener Kinder zu schädigen, wobei die genauen Folgen nicht im Voraus absehbar sind. Des Weiteren schadet vor allem Kokain der normalen sensorischen und motorischen Entwicklung und der späteren Fähigkeit zur Selbstregulation des Kindes.

Auch hier bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen speziell im Bezug auf ADHS. Als dritter großer Einflussfaktor wird das Aktiv- sowie Passivrauchen während der Schwangerschaft angesehen. Auch hierzu gibt es einige Studien, die einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Verhaltensauffälligkeiten bestätigen konnten. Es wird allerdings häufig kritisiert, dass dieser Oberbegriff Verhaltensauffälligkeiten weit mehr einschließt als eine ADHS.

Fest steht aber, dass Rauchen während der Schwangerschaft eine Form von Hyperaktivität auslösen kann und in jedem Fall ein großes gesundheitliches Risiko für das Kind bedeutet. (vgl. Sauerbrey, U. (2010): S. 25ff)

Neben den oben genannten während der Schwangerschaft zugefügten Umweltgiften gibt es auch zahlreiche Theorien über den Einfluss neurotoxischer Produkte der chemischen Industrie auf Verhaltensprobleme von Kindern. Hier fehlt es allerdings bisher größtenteils an umfassenden Studien. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, dass Nahrungsmittelzusatzstoffe wie Farbstoffe, Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe den menschlichen Organismus schädigen und somit auch für eine ADHS verantwortlich sein könnten.

Außerdem werden z.B. Blei und Quecksilber als Risikofaktoren angesehen. Es würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, die einzelnen Theorien im Detail zu beschreiben. Festzuhalten bleibt, dass der Zusammenhang zwischen Umweltgiften und ADHS bisher zwar nicht hinreichend wissenschaftlich bestätigt, jedoch auch keineswegs ausgeschlossen werden konnte.

(vgl. Sauerbrey, U. (2010): S. 31ff; Steinhausen, H. (2010): S. 128ff)

2.3.3 Psychosoziale Faktoren

Im Laufe der Jahre wurden neben den körperlichen Faktoren zunehmend auch psychosoziale und ökologische Faktoren als Ursache für ADHS in Betracht gezogen. Neurobiologische Faktoren werden zwar vorwiegend noch immer für primär ursächlich gehalten, jedoch misst man psychosozialen Faktoren mittlerweile häufig zumindest eine untergeordnete, ergänzende Bedeutung zu.

Zum Zusammenhang von ADHS und der sozialen Schicht gibt es inzwischen eine große Anzahl von internationalen Studien, allerdings sind die Befunde insgesamt nicht einheitlich. In Deutschland konnte jedoch der Effekt des sozioökonomischen Status auf die Prävalenz von ADHS durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt werden. Kinder aus sozial schwächeren Schichten sind signifikant häufiger von der Störung betroffen als diejenigen aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status.

Des Weiteren konnte belegt werden, dass in Großstädten anteilig doppelt so viele Kinder mit ADHS-Symptomatik leben als in ländlichen Umgebungen.

Familiäre Beziehungsstörungen

Es ist durch zahlreiche Befunde belegt worden, dass ADHS oder zumindest deren Ausprägung auch mit speziellen Eltern-Kind-Beziehungsmustern zusammenhängen. Dabei spielen scheinbar Interaktionsstörungen eine Rolle, die charakterisiert sind durch inkonsistente Erziehung und mangelnde Kontrolle sowie verminderter Aufmerksamkeit für positive Verhaltensansätze der Kinder.

Angemessene Handlungen des Kindes werden teilweise weniger beachtet als unangemessene und somit auffällige Verhaltensweisen, welche durch, wenn auch meist negative, Aufmerksamkeit der Bezugspersonen verstärkt werden. Die genaue Untersuchung dieser Theorie gestaltet sich allerdings schwierig, da es kaum möglich ist Ursache und Wirkung auseinander zu halten. '[…] [D]ie Frage, ob ADHS zu familiärer Belastung oder die familiäre Belastung zu ADHS führt, konnte […] nicht geklärt werden.' (Steinhausen, H. (2010): S. 138)

Deprivationen

Unter Deprivation versteht man im Allgemeinen den Zustand eines Verlustes oder einer Entbehrung. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Mutter-Deprivation gemeint, also die unzureichende wechselseitige Interaktion zwischen mütterlicher Person und Kind. Dies muss nicht immer eine physische Abwesenheit dieser Person sein, sondern kommt auch dann vor, wenn sie (nur) emotional nicht ausreichend zur Verfügung steht. (vgl. Borchert, J. (2008): S. 58)

Verlaufsstudien zu den Folgen schwerer Bindungsstörungen in der frühen Kindheit weisen auf einen Zusammenhang mit der Entwicklung von ADHS hin. In einer Reihe von Untersuchungen, vorwiegend mit sozial lebenden Tieren, konnte nachgewiesen werden, dass die stressinduzierende Unterbrechung des Eltern-Kind-Kontaktes in früher Lebensphase Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität auslöst.

Diese vorwiegend bei Ratten beobachteten Verhaltensänderungen ähnelten den typischen ADHS-Symptomen beim Menschen. Die Symptome gingen in vielen Studien mit Veränderungen an den Synapsen einher. Es gilt mittlerweile als bestätigt, dass psychosoziale Ereignisse neuronale Veränderungen bewirken können, die in der Folge Verhaltensauffälligkeiten auslösen können. Da der Großteil der von ADHS Betroffenen nicht zwingend massive Deprivationserfahrungen hat, ist davon auszugehen, dass sehr unterschiedliche ursächliche Bedingungen zu ähnlichen Verhaltensmustern führen.

(vgl. Wender, H.P. (2002): S. 38ff; Steinhausen, H. (2010): S. 135ff)


2.4 Diagnose

Durch die bereits behandelte Problematik der Vielzahl an potentiellen Symptomen und Ursachen gestaltet sich die ausführliche ärztliche Diagnostik von ADHS sehr schwierig. Diese ist aber in jedem Fall die unverzichtbare Voraussetzung für eine richtige Diagnosestellung und die gegebenenfalls dringend erforderlichen Behandlungsmaßnahmen und Therapiepläne. Es ist dafür ein umfangreicher mehrdimensionaler Untersuchungsgang notwendig, der die Abklärung von Symptomen und Funktionsdefiziten, sowie eine Differentialdiagnose beinhaltet.

Diese Vorgänge setzen spezielles Fachwissen voraus und sind, soweit sich an die Vorgaben gehalten wird, sehr zeitaufwändig. Das persönliche Gespräch steht bei allen Untersuchungen im Vordergrund, die Diagnostik beruht also zu einem großen Teil auf Interviews mit den Patienten selbst und mit dessen wichtigsten Bezugspersonen. Es kommen dabei auch zahlreiche Fragebögen und Beurteilungsskalen zum Einsatz.

2.4.1 Anamnese

Unter Anamnese versteht man im Allgemeinen die Befragung des und das Gespräch mit dem Patienten, mit dem Ziel, Informationen über ihn zu gewinnen, Vertrauen aufzubauen und das weitere Vorgehen zu besprechen. (vgl. Lohse, A.; Neurath, F. (2010): S. 1)

Am Anfang des diagnostischen Prozesses steht die Erhebung der aktuellen Symptomatik, das heißt es wird das '[…] Auftreten der Leitsymptome […], ihre Häufigkeit und Intensität sowie die situative Variabilität der Symptomatik' erfasst. (Rösler, M. (2010): S. 30) Es werden, vorwiegend separat von einander, Bezugspersonen und Betroffene in Interviews befragt, wobei hauptsächlich Informationen zu Begleitstörungen, zum psychosozialen Funktionieren und zum Familienleben gewonnen werden.

Dabei spielt bei den Betroffenen auch das Verhalten während der Exploration für die spätere Diagnosestellung eine Rolle. Die Leitsymptome müssen in einer Weise auftreten, die das alters- und geschlechtstypische Ausmaß überschreitet und zu psychosozialen bzw. emotionalen Beeinträchtigungen in mindestens zwei sozialen Umfeldern führen, z.B. in der Schule und Zuhause.

2.4.2 Fragebögen

Ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Diagnostik von ADHS sind Fragebögen und Beurteilungsskalen. Sie fragen die jeweils gültigen Diagnosekriterien ab und sollen möglichst unabhängig von einander von Erziehungsberechtigen sowie von Lehrern ausgefüllt werden. Zur Befragung von Erziehern und Lehrkräften ist im Voraus allerdings die Zustimmung der Eltern notwendig.

Die Schulsituation bietet wertvolle Informationen, da sich die Leitsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität häufig gerade im Klassenzimmer deutlich zeigen. Je nach Alter und Umständen kann auch eine Selbstauskunft genutzt werden, generell wird jedoch die Fremdbeurteilung bei ADHS als valider eingestuft als die Selbstbeurteilung. Das Fragebogenverfahren bietet die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven zu erfassen und somit genauere Informationen über die unterschiedlichen Einschätzungen und die situative Ausprägung der Symptome zu erhalten. (vgl. Rösler, M. (2010): S. 32; Steinhausen, H. (2010): S. 216ff)

Neben den Fragebögen können auch Verhaltensbeobachtungen wichtig sein, um sich ein direktes Bild zu verschaffen, ohne sich auf die subjektive Wahrnehmung eines Außenstehenden verlassen zu müssen. Allerdings ist dabei wichtig, dass das beobachtete Verhalten repräsentativ ist für das Verhalten des jeweils interessanten Kontexts. Am besten geeignet sind Verhaltensbeobachtungen im natürlichen Umfeld, diese sind jedoch nur sehr selten möglich.

Das Verhalten von Betroffenen wird deshalb meist in klinischen Situationen beobachtet, z.B. während der Exploration der Eltern und des Kindes/Jugendlichen sowie während der Durchführung verschiedener Tests und in Spielsituationen. Außerdem können auch Videoaufnahmen aus dem häuslichen Umfeld gelegentlich hilfreich sein.

2.4.4 Psychologische Tests

Da eine ADHS mit einem weiten Spektrum an kognitiven Beeinträchtigungen verbunden sein kann, aber dies nicht zwingend muss, ist oft auch eine neuropsychologische Untersuchung relevant. Das Alltagsverhalten von Betroffenen lässt wenig Rückschlüsse auf das kognitive Leistungsvermögen zu, sodass erst durch entsprechende Tests die individuellen Schwächen und Stärken aufgedeckt werden können, um dann spezifisch zu fördern.

2.4.5 Körperliche Untersuchung

Es existieren zwar laut der Bundesärztekammer keine spezifischen körperlichen Merkmale einer ADHS, dennoch kann eine körperliche Untersuchung wichtige Hinweise auf Begleiterkrankungen, wie z.B. Tic-Störungen bieten sowie eventuelle Misshandlungen aufdecken. Jeder vorgestellte Patient sollte auf körperliche Krankheiten untersucht werden, leider ist dies in der Praxis häufig aus Zeitmangel nicht umsetzbar Durch Untersuchungen der Sinnesorgane, Motorik, des Blutbildes, der Schilddrüsenfunktion und weiteren Merkmalen kann eine somatische Erkrankung ausgeschlossen werden und es können wichtige Erkenntnisse für eine eventuelle medikamentöse Einstellung mit Psychopharmaka erlangt werden.

Zusätzlich bietet eine solche Untersuchung eine weitere Möglichkeit, das Verhalten des Kindes bzw. Jugendlichen zu beobachten. (vgl. Rösler, M. (2010): S. 33f; Steinhausen, H. (2010): S. 245ff)

2.4.6 Differentialdiagnose

Es ist während einer Diagnosestellung von ADHS von großer Bedeutung, differentialdiagnostische Alternativen zur Erklärung der vorliegenden Symptome nicht außer Acht zu lassen. Da die potentiellen Symptome sehr vielfältig sind und es keine eindeutigen körperlichen Merkmale der Störung gibt, ist es schwierig, sie klar von anderen Erkrankungen abzugrenzen. Besonders erschwert wird dies dadurch, dass ADHS in den meisten Fällen mit mindestens einer Komorbidität2 einhergeht.

2.5 Behandlungsmöglichkeiten

Sobald die möglichst eindeutige Diagnose ADHS gestellt werden konnte, geht es darum, je nach Alter des Betroffenen, Ausprägung und sozialen Umständen geeignete Therapiemöglichkeiten zu planen und umzusetzen. Die unmittelbaren Symptome der Störung sollen vermindert und eventuell auftretende komorbide Symptome in die Behandlung mit eingeschlossen werden. Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung der psychosozialen Funktionstüchtigkeit in der Familie, der Schule bzw.

Ausbildung und in allen weiteren sozialen Beziehungen. Das unmittelbare soziale Umfeld sollte in jedem Fall in die Behandlung miteinbezogen werden. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten der Therapie. Die medikamentöse Behandlung, häufig mit Methylphenidat, und alternative Behandlungen ohne Medikamentenvergabe. Allerdings geht man mittlerweile in Fachkreisen größtenteils davon aus, dass die medikamentöse Therapie nie ohne zusätzliche Unterstützung durch weitere Behandlungskonzepte erfolgen sollte. (vgl. Steinhausen, H. (2010): S. 256ff)


| | | | |
Tausche dein Hausarbeiten