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Seminararbeit
Deutsch

Karl-Franzens-Universität Graz - KFU

1, Schwab, 2017

Beate B. ©
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ID# 76923







510.220: KS Wissenschaftliches
Arbeiten (Semantik)
( Schwab)
Wintersemester 2017/18


Wortfeldwandel: Entwicklung der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen

Proseminararbeit


Vorgelegt von

Matr.-Nr.:

Abgabedatum: 08.02.2018

Inhaltsverzeichnis

1Einleitung 1

2Der Begriff Wortfeld 1

3Das Wortfeld der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen 3

4Strukturelle Umschichtungen im Wortfeldder Blutsverwandtschaftsbezeichnungen 5

4.1 Symmetrisierende Verschiebungen 5

4.2Aufnahme von fremdsprachlichen Verwandtschaftsbezeichnungen 7

4.3Polysemie und Synonymie 7

5Familiensoziologische Faktoren 8

6Zusammenfassung 9

7Literaturverzeichnis 10


1 Einleitung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen diachronen Überblick über das Wortfeld der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen zu geben. Es kommt vor, dass man in einem älteren Text ein Wort liest und denkt, dessen Bedeutung zu kennen. Trotzdem ist man nicht in der Lage, den Text zu verstehen, da einzelne Wörter heutzutage eine ganz andere Bedeutung haben.

So ist es auch bei einigen Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen. Im Laufe der Geschichte waren diese einem Bezeichnungswandel unterworfen, welcher durch Ersetzen und Verschwinden einzelner Lexeme hervorgerufen wurde. Das bedeutet, dass es zu einer Umschichtung und Neubesetzung des Wortfeldes der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen kam, was gesamtstrukturelle Folgen hatte.

Bei zahlreichen Veränderungen innerhalb des Systems der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen spielen nicht nur sprachwissenschaftliche, sondern auch familiensoziologische Faktoren eine große Rolle. Vor allem Ruipérez hat 1984 mit Die strukturelle Umschichtung der Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen eine umfassende Untersuchung dieser Bezeichnungen vorgelegt.

Im Rahmen der vorliegenden Proseminararbeit wird folgenden Fragen nachgegangen: Welchen Bezeichnungswandel haben die Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen im Laufe der Geschichte durchlaufen? Welche Umschichtungen haben im System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen dadurch stattgefunden?

Ausgehend von den Blutverwandtschaftsbezeichnungen des Althochdeutschen soll gezeigt werden, dass sich bis zum Neuhochdeutschen eine Umschichtung im System der Blutverwandtschaftsbezeichnungen ergeben hat. Diese Umschichtung soll nach einer Einführung in das Thema Wortfeldund einem Überblick über die Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen analysiert werden.

Der Bedeutungswandel der Kernfamilie wird nur kurz thematisiert, da die Bezeichnungen dafür seit frühester schriftlicher Überlieferung formal und semantisch stabil geblieben sind. Die weiteren Blutsverwandtschaftsbezeichnungen werden dann aus der onomasiologischen Perspektive behandelt, welche von Gegenständen ausgeht und nach ihren Bezeichnungen sowiederen Wandel fragt.

2 Der Begriff Wortfeld

Der Begriff Wortfeld wurde im Jahr 1931 vom deutschen Linguisten und Mediävisten Jost Trier eingeführt. In seinem Werk Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes.Die Geschichte eines sprachlichen Feldes definiert er das Wortfeld folgendermaßen:

Das Wortfeldist zeichenhaft zugeordnet einem mehr oder weniger geschlossenen Begriffskomplex, dessen innere Aufteilung sich im gegliederten Gefüge des Zeichenfeldes darstellt, in ihm für die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft gegeben ist. (Trier 1931, 1)


Trier stellt fest, dass jedes Wort durch die Bedeutungen der anderen Wörter des gleichen Wortfeldes definiert ist. Weiters gibt die Gesamtmenge aller Wortfelder, welche mosaikartig und lückenlos zusammengesetzt sind, ein Bild der Wirklichkeit wieder (vgl. Trier 1931, 1f.).

Im Laufe der Zeit wurden für den Begriff des Wortfeldes verschiedenste Definitionen erstellt. Für Weisgerber ist das Wortfeld „ein Ausschnitt aus der sprachlichen Zwischenwelt, der durch die Ganzheit einer in organischer Gliederung zusammenwirkenden Gruppe von Sprachzeichen aufgebaut wird“ (Weisgerber 1962, 100). Durch das Einteilen in ein- und mehrschichtige Wortfelder, welche sich durch verschiedene Strukturen unterscheiden, gelang Weisgerber eine Präzisierung des Feldbegriffs.

Mehrschichtige Felder sind demnach solche, „in denen die gliedernde Wirkung selbst unter mehrfacher Sicht am Aufbau eines Feldes beteiligt ist“ (Weisgerber 1962, 183). Einschichtige Felder sind dagegen solche, „deren Gliederung durch einen einheitlichen Gesichtspunkt beherrscht erscheinen“ (Weisgerber 1962, 177). Diese werden von ihm noch weiter in Reihen-, Flächen- und Tiefengliederung unterteilt (vgl. Weisgerber 1962, 177).

Die Reihengliederung definiert eine Reihung wie beispielsweise eine Leistungsbewertung oder eine Helligkeitsskala (Weisgerber 1973, 211). Bei dem Verwandtschaftsfeld handelt es sich um eine Flächengliederung: „Vater und Mutter über Bruder und Schwester und Onkel und Tante und Vetter und Kusine und Neffe und Nichte zu Schwager und Schwägerin und so weiter“ (Weisgerber 1973, 211).

Als Kriterien zieht Leo Weisgerber „die Abstufung nach einer allgemein gesehenen Ordnung von Verwandtschaftsgraden“ (Weisgerber 1962, 181) und die Generation heran, wobei Sondergesichtspunkte nicht relevant sind (vgl. Weisgerber 1962, 181). Für eine Tiefengliederung sind die verschiedenen Farbbezeichnungen ein Beispiel (vgl. Weisgerber 1973, 214).

Darüber hinaus bestimmen sich ihre Bedeutungen wechselseitig (vgl. Fries 2010, 772).

Die Definition von Busse stimmt eng mit jener Jost Triers, demBegründer der Wortfeldtheorie, überein. Busse definiert das Wortfeld unter Rückgriff auf die Komponentialsemantik wie folgt:

Wortfelder lassen sich so beschreiben, dass die einzelnen Wörter eines Feldes eine größere Menge semantischer Merkmale miteinander teilen, sich aber in einem oder einigen wenigen Merkmalen unterscheiden.(Busse 2009, 108)


Innerhalb der Wortfelder unterscheidet man zwischen solchen, die Bezugsobjekte ihres Gegenstandsbereichs klar voneinander abgrenzen (zum Beispiel Schulnoten), und solchen, bei denen die einzelnen Wörter in ihrem Referenzbereich nicht scharf voneinander abgegrenzt sind, sondern Überschneidungen möglich bleiben (wie zum Beispiel bei Gewässerbezeichnungen). Gemeinsam haben alle, dass das Nennen eines Wortes aus einem Wortfeld automatisch die Assoziation zu anderen Wörtern des gleichen Feldes eröffnet. (Vgl.

Busse 2009, 108)

Jost Trier (vgl. 1931, 3) kam zur Erkenntnis, dass, wenn sich die Bedeutung eines einzigen Wortes verändert, sich auch die Struktur des Wortfeldes analog dazu verändert.Im folgenden Kapitel sollen Untersuchungen zum Wortfelderder Verwandtschaftsbezeichnungen vorgelegt werden, welche veranschaulichen, dass das System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Laufe der Zeit kontinuierlichen Änderungen unterworfen ist, welche durch Ersetzen und Verschwinden einzelner Lexeme hervorgerufen werden.

3 Das Wortfeld der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen

Wie bereits erwähnt wurde, hat das System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen im Laufe der Sprachgeschichte gravierende Umschichtungen erlebt. Bevor die konkreten Veränderungen der jeweiligen Verwandtschaftsbezeichnungen behandelt werden, soll im vorliegenden Kapitel ein kurzer Überblick über diejenigen Verwandtschaftsbezeichnungen gegeben werden, mit denen die Kern- oder Nuklearfamilie sowie die erweiterte Familie vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen bezeichnet werden.


Abbildung 1: Struktur der Verwandtschaftsbezeichnungen im Althochdeutschen (Fritz 1974, 32).

Abbildung 2: Struktur der Verwandtschaftsbezeichnungen im Neuhochdeutschen (Nübling 2008, 130).

Bei genauerer Betrachtung der beiden Abbildungen fällt auf, dass sich die Bezeichnungen für die Kernfamilie sowohl formal als auch semantisch seit dem Althochdeutschen kaum verändert haben. Bei der erweiterten Familie dagegen lassen sich gravierende Unterschiede erkennen, da Verschiebungen und Vereinfachungen stattgefunden haben (vgl. Nübling 2008, 130). Laut Ruipérez (vgl. 1984, 115) existieren im Althochdeutschen vier Bezeichnungen, die sich nach Geschlecht (männlich vs. weiblich) und Linien (väterliche vs. mütterliche Seite) unterscheiden.

Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, wird im System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Althochdeutschen zwischen väterlicher und mütterlicher Seite unterschieden. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Brüder und Schwestern der Eltern: basa – „Schwester des Vaters“, fetiro – „Bruder des Vaters“, oheim – „Bruder der Mutter“, muoma – „Schwester der Mutter“. Allerdings ist es auffällig, dass die Opposition „väterlicherseits“/ „mütterlicherseits“ in der althochdeutschen Sprachstufe auf der Großeltern-Ebene nicht vorhanden ist.

Im Spätmittelhochdeutschen werden die Lehnübersetzungen Großvater und Großmutter von dem französischen grand-père und grand-mère abgeleitet. Heutzutage wird das Wort Ahn im allgemeinen Sinn als Begriff für ‚Vorfahren‘ verwendet. Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, dass im Althochdeutschen keine spezifische Bezeichnung für Tanten- und Onkelkinder vorhanden ist. Base und Vetter, welche im Althochdeutschen Tante und Onkel der Vaterlinie bezeichneten, steigen später eine Stufe hinunter und werden zu den Bezeichnungen für Tanten- und Onkelkinder.

Anfang des 17. Jahrhunderts werden Cousin und Cousine aus dem Französischen entlehnt. Darüber hinaus fällt auf, dass im Unterschied dazu nevo und nift einen Generationensprung nach oben vollzogen haben: von Enkel- zu Geschwisterkindern. (Vgl. Nübling 2008, 131)

Welche anderen Umschichtungen im System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen im Laufe der Sprachgeschichte stattgefunden haben, soll im nächsten Kapitel näher erläutert werden.

4 Strukturelle Umschichtungen im Wortfeldder Blutsverwandtschaftsbezeichnungen

Nachdem im vorigen Kapitel bereits die verschiedenen Lexeme, welche die Wortfelder bezeichnen, angesprochen wurden, wird in diesem die strukturelle Umschichtung, welcher sich Ruipérez einen beachtlichen Teil seiner Arbeit gewidmet hat, behandelt. Zu den Erscheinungen, welche die strukturellen Umschichtungen hervorrufen, gehören symmetrisierende Verschiebungen (Neutralisierung der Opposition väterlicher- und mütterlicherseits sowie Bluts-/Heiratsverwandtschaft), die Aufnahme von fremdsprachlichen Verwandtschaftsbezeichnungen sowie die Auswirkungen von Polysemie und Homonymie.

Unter Neutralisierung der Opposition väterlicherseits-mütterlicherseitswird „die Auflösung der lexikalischen Differenzierung zwischen Verwandten der Vaterseite und Verwandten der Mutter“ (Ruipérez 1984, 122) verstanden. Im Deutschen betrifft diese Neutralisierung, die zwischen der Mitte des 16. und Ende des 18. Jahrhunderts erfolgt ist, die „Geschwister der Eltern“ und die „Kinder der Geschwister der Eltern“. Im Althochdeutschen wurde auf der Ebene von Tante und Onkel nach der Linie (väterlicher- oder mütterlicherseits) unterschieden, wodurch vier Bezeichnungen nötig wurden: Base – „Schwester des Vaters“, Vetter – „Bruder des Vaters“, Muhme – „Schwester der Mutter“ und Oheim – „Bruder der Mutter“.

Am Ende des Neutralisierungsprozesses benennen Base bzw. Muhme die „Schwester der Eltern“ und Vetter bzw. Oheim den „Bruder der Eltern“, da die Linienunterscheidung (väterlicher- vs. mütterlicherseits) aufgehoben wurde (vgl. Ruipérez 1984, 122).

Für „Kinder der Geschwister der Eltern“ sind im Althochdeutschen keine spezifischen Bezeichnungen vorhanden. „So waren Base und Vetter jeweils die weibliche und männliche Bezeichnung für die 'Kinder der Geschwister des Vaters', während Muhme für das ‘weibliche Kind der Geschwister der Mutter' üblich war“ (Ruipérez 1984, 122). Am Ende des 18. Jahrhunderts haben die „Kinder der Geschwister der Eltern“ gemeinsame Bezeichnungen.

Unter Neutralisierung der Opposition Bluts- und Heiratsverwandtschaft versteht man die Erscheinung, die „in der Bedeutungserweiterung einer Bezeichnung für einen Blutsverwandten auf einen Heiratsverwandten derselben Generation besteht“ (Ruipérez 1984, 122f.). In der ersten Phase, die von etwa 1450 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte, übernahmen die bisher unbezeichneten „Ehepartner der Geschwister der Eltern“ die Bezeichnungen der „Geschwister der Eltern“.

Daraus resultiert, dass am Ende dieser Phase die „Geschwister der Eltern“ und die „Ehepartner der Geschwister der Eltern“ lexikalisch teilweise identisch sind. Das wird durch das Eindringen der französischen Verwandtschaftsbezeichnungen Onkel und Tante verstärkt (vgl. Ruipérez 1984, 123). Die erste Phase ist Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen, nachdem „die Neutralisierung der Opposition 'väterlicherseits'/'mütterlicherseits' erfolgt war“ (Ruipérez 1984, 123). Oheim beziehungsweise Onkel waren folglich die Bezeichnungen für den „Bruder der Eltern“ sowie „Ehemann der Schwester der Eltern“, Base und Tante wiederum waren die Bezeichnungen für die „Schwester der Eltern“ aber auch „Ehefrau des Bruders der Eltern“ (vgl. Ruipérez 1984, 123). In der zweiten Phase übernahmen die unbezeichneten „Kinder der Geschwister des Ehepartners“ die Bezeichnungen von den „Kindern der Geschwister“.

4.2 Aufnahme von fremdsprachlichen Verwandtschaftsbezeichnungen

Von Anfang des 17. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts kann im Wortfeld der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen eine Entlehnungswelle, ausnahmslos aus französischen Wörtern, festgestellt werden. Hierbei handelt es sich um die Bezeichnungen Cousin, Cousine,Neveu, Niece, Onkel und Tante, wobeiEnkel und Enkelin Ausnahmen bilden (vgl. Ruipérez 1984, 124).

Im 21. Jahrhundert besitzt jedoch nicht jedes aus dem Französischen übernommene Lexem den Status eines Lehnwortes. Laut Ruipérez (vgl. 1984, 124) können Onkel, Tante und zum Teil auch Cousine als Lehnwörter der Gegenwartssprache angesehen werden, da sie sehr gebräuchlich sind sowie nach der Entlehnung überdies graphematisch und phonologisch germanisiert wurden. Das Fremdwort Cousin kann nur zum Teil als Lehnwort der Gegenwartssprache angesehen werden, weil seit dem 18. Jahrhundert bestimmte Einschränkungen in seinem Gebrauch zu erkennen sind und es bis heute weder phonologisch noch graphemisch an die deutsche Sprache angepasst wurde. Neveu und Niece wurden ab dem 18. Jahrhundert entlehnt, verschwanden jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts wieder völlig aus dem Neuhochdeutschen, nachdem ihre „sprachgeschichtlich eingeschränkte Verwendung sowie ihre orthographische bzw. lautliche Anpassungsfähigkeit nicht beseitigt wurden“ (Ruipérez 1984, 124).

Darüber hinaus füllen diese Fremdwörter gegebenenfalls die Generalisierungslücken aus (vgl. Ruipérez 1984, 124).

4.3 Polysemie und Synonymie

Da die meisten Blutsverwandtschaftsbezeichnungen Bedeutungserweiterungen oder Bezeichnungsübertragungen erfahren haben, tendieren sie dazu, polysem zu sein. Diese Tendenz hat eine besondere Funktion, denn damit werden „bisher sprachlich nicht erfaßte Verwandtschaftsverhältnisse durch Bezeichnungen verbalisiert“ (Ruipérez 1984, 125). Das Bedürfnis, bestimmte Verwandtschaftsbezeichnungen sprachlich zu erfassen, wird durch bereits existierende Bezeichnungen desselben Systems gedeckt, was eine Form der Sprachökonomie darstellt. Um semantische Lücken zu füllen, kann unter anderem Polysemie die Funktion einer Füllung haben.

Die Bezeichnung Neffe, die früher für „Enkel“ verwendet wurde, wird im Mittelhochdeutschen auf „Sohn der Geschwister“ ausgedehnt (vgl. Ruipérez 1984, 125f.). Aufgrund der Tatsache, dass Bedeutungsüberlappungen einzelner Verwandtschaftswörter nicht vermieden werden können, tritt Synonymie ein. Hierfür gibt es zwei Ursachen: Synonymien sind „die Folge einer Polysemierung, oder sie entstehen durch das Eindringen französischer Fremdwörter“ (Ruipérez 1984, 126).

5 Familiensoziologische Faktoren

Durch die Industrialisierung und die daraus resultierenden sozialen Umwälzungen hat die Großfamilie nach und nach an Bedeutung verloren und die Nuklearfamilie wurde zum dominierenden Familientyp (vgl. Ruipérez 1984, 135). Der sozial-strukturelle Wandel der familiären Beziehungen, der in einem kurzen Zeitraum sehr rapide erfolgte, kann in drei Motive gegliedert werden:

  1. „Die Arbeitsstätte trennt sich von der Wohnung“ (Ruipérez 1984, 135).

  2. Die Emotionen werden auf die Eltern und die unmündigen Kinder beschränkt (vgl. Ruipérez 1984, 135).

  3. „Die nichtverwandten Mitglieder – Dienstboten – lösen sich von der Hausgemeinschaft und bilden ihrerseits eigene Familie[n], so daß die Zahl der selbstständigen Haushalte wächst“ (Ruipérez 1984, 136).

Analog zu diesem Wandel lässt sich im System der deutschen Verwandtschaftsbezeichnungen die Neutralisierung der Opposition väterlicher-/mütterlicherseits beobachten, welche zweifellos ein Reflex dieser Umwälzung ist. Die Differenzierung zwischen Verwandten der väterlichen und der mütterlichen Seite war zur Zeit der Großfamilie von großer Bedeutung, da die Verwandten der Vater- eine Sonderstellung gegenüber jenen der Mutterseite inne hatten, welche kaum beachtet wurden.

Nicht nur soziale Faktoren haben Einfluss auf die Sprachstruktur der Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. Ruipérez 1984, 136). Das System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen wird im Deutschen ebenfalls vom Französischen beeinflusst (vgl. Ruipérez 1984, 142). Die Französisierung beginnt im Mittelhochdeutschen mit der Übernahme von Lehnübersetzungen für die Großeltern (vgl. Ruipérez 1984, 140). Der Anlass, der zu dieser Entlehnungswelle führte, konnte jedoch noch nicht exakt bestimmt werden.

Ruipérez stellt fest, dass „die Familienform des westlichen Nachbarn selbst Vorbildcharakter für deutsche Familien besaß“ (Ruipérez 1984, 140). Zu den Folgen der Französisierung der Deutschen gehören die Berufswahl der Kinder, „das Duzen zwischen Eltern und Kindern“ und dass der Vater „zum „Freund“ der Familie“ wird (Ruipérez 1984, 140). Infolgedessen wurden einige französische Ausdrücke für die Blutsverwandtschaftsbezeichnungen übernommen: Tante, Onkel, Cousin, Kusine, Neveu, Niece, Papa und Mama (vgl. Ruipérez 1984, 140).

Vom Althochdeutschen bis zur Gegenwartssprache hat das System der Blutsverwandtschaftsbezeichnungen einen Bezeichnungswandel durchlebt. Zu den Gründen, die dazu führten, zählen sowohl außersprachliche (Auflösung der Großfamilie und die Konzentration auf die Kernfamilie) als auch sprachliche Faktoren (symmetrisierende Verschiebungen, Neutralisierung der Opposition väterlicher- und mütterlicherseits bzw.

Bluts-/Heiratsverwandtschaft), die Aufnahme von fremdsprachlichen Verwandtschaftsbezeichnungen sowie die Auswirkungen der Polysemie und Homonymie.

7 Literaturverzeichnis


Busse, Dietrich (2009): Semantik. Paderborn: Fink (= UTB 3280) (= utb-studi-e-book) (= LIBAC). [E-Book.]


Fries, Norbert (2010): Wortfeld. In: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. 4., aktual. und überarb. Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 772f.


Fritz, Gerd (1974): Bedeutungswandel im Deutschen. Neuere Methoden der diachronen Semantik. Tübingen: Niemeyer (= Germanistische Arbeitshefte 12).


Nübling, Damaris [u. a.] (2008): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 2., überarb. Aufl. Tübingen: Narr (= Narr Studienbücher).



Trier, Jost (1931): Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter (= Germanistische Bibliothek 2. Abt., Untersuchungen und Texte 31).


Weisgerber, Leo (1962): Grundzüge der inhaltsbezogenen Grammatik. 4. Auflage (unveränderter Nachdruck der 3., neu bearbeiteten Auflage 1962). Düsseldorf: Schwann (= Von den Kräften der deutschen Sprache I).


Weisgerber, Leo (1973): Vom inhaltlichen Aufbau des deutschen Wortschatzes. In: Schmidt, Lothar (Hrsg.): Wortfeldforschung. Zur Geschichte und Theorie des sprachlichen Feldes. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (= Wege der Forschung 250), S. 193-225.



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