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Seminararbeit
Politik

Georg-August-Universität Göttingen

2,0, Dr. Nentwig, 2015

Justus M. ©
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sternsternsternsternstern
ID# 57940







Georg-August-Universität Göttingen

Institut für Politikwissenschaft

Wirtschaftlichkeit oder Eigenständigkeit und kulturelle Vergangenheit? Die Möglichkeit der Neugliederung der Bundesländer am Beispiel des „Nordstaates“


Gliederung

1.       EinleitungS. 1

2.       Allgemeine Grundlagen zum Föderalismus S. 2

3.       Historischer Abriss S. 3

3.1.     Art. 29 GG von 1945 – 1976S. 3

3.2.     Die Volksentscheide von 1975 am Beispiel Oldenburgs und

das Urteil des BVerfGS. 4

3.3.     Die Ernst-Kommission und die Verfassungsänderung

von der Muss- zur Kannregelung im Jahr 1976S. 5

3.4.     Die Verfassungsänderung von 1996S. 6

4.       Juristische Voraussetzungen einer Neugliederung S. 7

4.1.     Die Initiative aus dem BundS. 7

4.2.     Die Initiative aus dem VolkS. 9

4.3.     Neugliederung durch die Länder (Absätze 7 und 8)S. 10

5.       Möglichkeiten der Neugliederung S. 11

5.1.     Das Sieben-Länder-Modell von Ottnad/ Linnartz S. 11

5.2.     Das Sechs-Länder-Modell von RutzS. 12

5.3.     Das politische Modell nach DöringS. 13

6.       Die beteiligten Länder S. 14

6.1.     NiedersachsenS. 14

6.2.     HamburgS. 14

6.3.     Schleswig-HolsteinS. 15

6.4.     BremenS. 15

6.5.     Mecklenburg-VorpommernS. 15

7.       Das Scheitern der Fusion der Länder Berlin und Brandenburg S. 15

7.1 Der Fusionsablauf S. 16

7.2 Chancen und Risiken des neuen Landes S. 18

7.3 Gründe für das Scheitern der FusionS. 19

8.       Politische und wirtschaftliche Erwägungen S. 19

9.       Kooperation statt Fusion? S. 23

10.    Ausblick S. 25



1.      Einleitung

Im Folgenden wird der auch heute noch viel diskutierten Frage (Zimmermann 2009, Veit 2012,  Hamburger Abendblatt v. 05.08.2013, Süddeutsche Zeitung v. 18.12.2014) nachgegangen, inwiefern eine Neugliederung mit Blick auf die nördlichen Bundesländer juristisch, politisch und ökonomisch möglich und sinnvoll ist und ob es nicht vielleicht bessere Alternativen als die Neugliederung gibt.

Dafür wird zunächst der deutsche Föderalismus als Idee vorgestellt (2.). Weiter wird ein historischer Überblick über die Materie der Neugliederung des Bundes anhand der Geschichte des Art. 29 GG gegeben (3.). Hierzu wird zunächst die Entwicklung der Norm von seiner Entstehung 1945 bis zur ersten Änderung 1969 dargestellt (3.1.), dann die Modulation 1976, die auf die Volksentscheide 1975 folgte (3.2.) und schließlich die letzte Änderung, die durch die Wiedervereinigung angestoßen wurde (3.3.). Darauf folgt eine Darstellung der juristischen Voraussetzungen der Einleitung einer Neugliederung des Bundesgebietes (4.). Diese unterteilt sich in die verschiedenen Möglichkeiten der Aktivierung: Kapitel 4.1. erläutert die Initiierung durch den Bund, Kapitel 4.2. die Möglichkeit des Volksbegehrens und Kapitel 4.3. zeigt die Möglichkeit der Neugliederung durch die Länder mit einem Staatsvertrag auf.

Im Anschluss werden die verschiedenen diskutierten Optionen der Neugliederung dargestellt (5.). Zunächst wird das Modell von Ottnad / Linnartz vorgestellt, welches eine Reduzierung auf sieben Bundesländer vorsieht (5.2.), im Anschluss ein Modell von Rutz, welches eine umfassende Neugliederung abseits der bestehenden Ländergrenzen vorsieht (5.2.) und zuletzt das Modell von Döring, welches vor Allem aus politischen Erwägungen heraus entstanden ist (5.3).

Kapitel 6 gibt einen kurzen Überblick über die etwaig beteiligten Länder des Nordstaates anhand der sozioökonomischen und politischen Daten; vorgestellt werden die Länder Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. In Kapitel 7 wird dann das Scheitern der Fusion der Länder Berlin und Brandenburg dargelegt und welche Schlüsse aus dem nichterfolgreichen Volksentscheid zu ziehen sind.

Darauf folgen verschiedene wirtschaftliche und politische Annahmen über die Neugliederung der nördlichen Bundesländer (8.). Im Anschluss werden dann bereits existierende Kooperationsmodelle erläutert und diskutiert, ob diese nicht wünschenswerter sind (9.). Schließlich wird ein Resümee gezogen und ein Ausblick über die Debatte der Neugliederung gegeben (10.).


2.      Allgemeine Grundlagen zum Föderalismus


48 Landkreise und kreisfreie Städte, 813 Gemeinden, 158 Städte, 25 gemeindefreie Gebiete: Und das allein in Niedersachsen. Im Bundesvergleich fällt diese Bilanz noch deutlich eindrucksvoller aus: 16 Bundesländer, 295 Landkreise, über 11.000 Gemeinden. Kurzum: Die Bundesrepublik ist ein Land voller föderaler Strukturen.

Politikwissenschaftlich betrachtet steht der Begriff Föderalismus (lateinisch foedus = Bund, Bündnis) für das historisch gewachsene staatliche Organisationssystem der Bundesrepublik. „Der Föderalismus ist ein politisches sowie rechtliches Prinzip, aber auch ein Begriff der jüngeren Verfassungsgeschichte, Es ist ein raumbezogener geographisch-politischer Begriff, der Räume und Staatsgebiete bündisch-obrigkeitsmäßig miteinander verbindet und so Föderationen zu gebietskörperschaftlichen Organisationen macht.“ (Tschierse 2007: 14 ff.) Ein Bundesstaat wie Deutschland sei eine Verbindung teilsouveräner Gliedstaaten.

Sowohl der Gesamtverband als auch die Gliedstaaten besäßen von der Verfassung her Staatscharakter und haben die staatlichen Aufgaben zwischen sich aufgeteilt. Sie müssten zusammenwirken und aufeinander Rücksicht nehmen. (vgl. Tschierse 2007: 14). Manfred Schmid definiert den Föderalismus im Allgemeinen als einen Staatsaufbau, „der aus (mehr oder minder selbstständigen) Gliedstaaten und dem durch ihren Zusammenschluss gebildeten Bund besteht.“ (Schmidt 2010: 260).

Zu den staatlichen Aufgaben und dem Staatscharakter der teilsouveränen Gliedstaaten schreiben Wenzelburger und andere im Jahr 2015: Die „Verfassungsorgane […] müssen demnach mehrfach – also auf der zentral- und der gliedstaatlichen Ebene – dauerhaft vorhanden sein, um die im Rahmen der föderalen Kompetenzzuordnung jeweils dort angesiedelten autonomen Entscheidungskompetenzen wahrzunehmen.“ (Wenzelburger 2015: 124).

Die verschiedenen Verfassungsorgane wie die Verfassung selbst, die Parlamente als gesetzgebende Gewalt, die Gerichte als richterliche Gewalt sowie die Polizei als vollziehende Gewalt müssen demnach sowohl auf der zentralen Ebene, als auch auf den Ebenen der Untergliederungen, also zum Beispiel auf der Landesebene Niedersachsen, dauerhaft vorhanden sein. Dies sichere die Eigenständigkeit und die Möglichkeit der Wahrnehmung der autonomen Entscheidungskompetenzen einer jeden Untergliederung.

Für ihn resultiert die politisch-geographische Gliederung Deutschlands aus der föderalistischen Tradition sowie aus der Entscheidung der Siegermächte über das Deutsche Reich nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seien aus den Territorien der deutschen Einzelstaaten, verbundene Nationalstaaten geworden.

Jedes Bundesland gelte dabei als einzelner Staat, aber als großes und Ganzes stehe Deutschland im Mittelpunkt (vgl. Tschierse 2007: 1).

Tschierse beschreibt weiterhin die föderale Struktur als Bundesstaatsprinzip würde die anderen drei Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung, also das Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip, und damit die verfassungsmäßige Ordnung insgesamt stärken (vgl. Tschierse 2007: 18).

Zur aktuellen Debatte um den Föderalismus kommentiert er: „Eine grundlegende Reform des deutschen Föderalismus ist überfällig […], doch steht und fällt diese für viele Fachleute mit einer Länderneugliederung“ (Tschierse 2007: 1, vgl. Ottnad 1997: 14f).


3.      Historischer Abriss


3.1.    Art. 29 GG von 1945 - 1976

In der ursprünglichen Fassung des GG von 1949 war noch der Verfassungsauftrag  einer Neugliederung enthalten, der auf Grund der Vorbehalte der Besetzungsmächte gegen eine alsbaldige Neugliederung erst mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrages 1955 wirksam wurde (Vgl. BVerfGE 1, 117, 134). Da der Großteil der Bundesländer „am Reißbrett“ entworfen war, war dem parlamentarischen Rat bewusst, dass recht bald eine Neugliederung würde stattfinden müssen, d.h. gab die ursprüngliche Fassung eine Neugliederung innerhalb von drei Jahren explizit vor (Meyer-Teschendorf 2010: 648).

Trotz mehrerer Initiativen, u.A. der sog. Luther-Kommission, die sich schon 1952 mit der Neugliederung befasste, kam es indes nicht zu einer Überarbeitung der Länder. Da im Jahr 1956 verschiedene Volksbegehren stattfanden, die jedoch die Bundesregierung auch nicht dazu bewegten, sich der Neugliederung anzunehmen, beschloss der Bundestag 1969 eine Verfassungsänderung.

Die drei-Jahres-Frist wurde gestrichen und die von Volksbegehren betroffenen Gebiete sollten einen Volksentscheid im Jahr 1975 durchführen (Meyer-Teschendorf 2010: 647f.).


3.2.  Die Volksentscheide von 1975 am Beispiel Oldenburgs und das Urteil des BVerfG

Im Jahr 1975 wurde dann auch in zwei Verwaltungsbezirken in Niedersachsen, in Oldenburg und Schaumburg-Lippe, sowie in verschiedenen Bezirken in Rheinland-Pfalz ein Volksentscheid über das Verbleiben im jeweiligen Bundesland durchgeführt. Die beiden Gebiete in Niedersachsen wollten wieder selbstständige Länder werden.

Nach Art. 29 Abs. 3 GG (F. 1969) musste ein Viertel der Stimmberechtigten für die Änderung stimmen. Im Vorfeld war man nicht davon ausgegangen, dass ein solcher Entscheid auch nur ansatzweise positiv ausfallen könnte (Weyer 2002: 173 ff.). Dennoch kam es dann, wohl auch auf Grund der Pläne der Landesregierung verschiedene Landkreise innerhalb des abstimmenden Gebietes zu fusionieren, was auf große Ablehnung stieß (ibid.: 174 ff.), zu einem Ergebnis von immerhin 31 % für die Abspaltung (ibid.: 186).

Zwar waren die Abstimmungsergebnisse durchaus unterschiedlich: während sich Südoldenburg mit bis zu teilweise 60 % für eine Eigenständigkeit des Landes aussprach, waren dies im Landkreis Wesermarsch und der Stadt Wilhelmshaven nur um die 11 %. Jedoch verlief der Entscheid im Vergleich zu den rheinland-pfälzischen Abstimmungen sehr gut. Gründe für das sehr positive Abstimmungsergebnis im katholischen Südoldenburg war vermutlich die auch Unzufriedenheit mit der protestantischen Landesregierung.

Die Bundesregierung hatte gemäß Art. 29 Abs. 3 Satz 2 GG (Fassung von 1969) nun ein Jahr Zeit eine Lösung zu finden. Für sie war die Eigenständigkeit eines Landes Oldenburg jedoch nie eine Option (ibid.: 195). So wurde vom Bundestag kurz darauf ein Gesetz beschlossen, das den Verbleib der Länder Oldenburg und Schaumburg-Lippe in Niedersachsen anordnete (BT-Drucksache 7/4167, vgl. Greulich 1995: 121).

Als Begründung führte die Bundesregierung an, Oldenburg und Schaumburg-Lippe als eigenständige Länder wären nicht wirtschaftlich genug. Außerdem seien die Voraussetzungen des Art. 29 GG nicht verletzt, da die „landsmannschaftliche Verbundenheit“ und „geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge“ auch im großen Land Niedersachsen gesichert werden könnten (BT-Drucksache 7/4176 S. 6).

Gegen dieses Gesetz wurde von verschiedenen Oldenburger Gruppen, unter anderem dem „Komitee Volksentscheid Oldenburg“, Verfassungsbeschwerde erhoben. Als Begründung wurde angeführt, die Bundesregierung verletze die in Art. 20 Abs. 2, 29 und 38 GG Grundsätze (BVerfGE 49, 15, Rn. 6. Zitiert nach: ). So argumentierten die Beschwerdeführer, Art. 29 sei ein mit Art. 38 GG vergleichbares subjektives Recht und dementsprechend einklagbar.

Dieses Recht führe zwar nicht dazu, dass das Gericht zu der Entscheidung kommen müsse, Oldenburg selbstständig zu machen, aber immerhin dazu, dass sich die Bundesregierung entsprechend Art. 29 Abs. 2 und 3 mit dem Volksentscheid auseinandersetze und das Abstimmungsergebnis befolge (ibid.). Auch das Gesetz, das das Verbleiben der Bezirke im Land Niedersachsen anordnet sei verfassungswidrig, da  es das Gewicht und den Ausgang des Volksentscheids verkenne (ibid.: Rn. 9).

Diese Argumentation wurde vom BVerfG jedoch verworfen, es erklärt Art. 29 lediglich zu einer objektiven Staatsstrukturregelung (ibid. Rn. 16 ff., vgl. auch BVerfGE 13, 54).

Das Oldenburg-Schaumburg-Lippe-Gesetz war indes nicht die einzige Reaktion des Gesetzgebers auf die erfolgreichen Volksentscheide in Niedersachsen. Schon im Jahr 1970 hatte die Bundesregierung eine Sachverständigenkommission eingesetzt, die sich mit der Neugliederung der Bundesländer befassen sollte, die sog. Ernst-Kommission (Vgl.

Meyer-Teschendorf 2010: 648 f.). Diese Kommission hatte den Auftrag einen Plan für eine Neugliederung der Bundesländer auszuarbeiten, die ausgewogenere und leistungsfähigere Körperschaften darstellten, als es zu der Zeit der Fall war (Hennings 1983: 104). Für die Ernst-Kommission ging es letztlich vor allem um wirtschaftliche Aspekte und weniger um „landsmannschaftliche“ und soziale Faktoren.

Letztlich kam man zum Ergebnis, fünf bzw. sechs Länder zu schaffen. So wurde angeführt, einige Bundesländer hätten nicht die Kraft wirtschaftlich eigenständig zu überleben und ohnehin trenne die Aufteilung von 1945 zusammen gehörende Bereiche (etwa die Region Südniedersachsen und Nordhessen). Als Vorschläge kamen einerseits entweder ein Nordstaat bestehend aus Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein.

Oder eine Aufteilung in einen Nordweststaat (Bremen und Niedersachsen) und einen Nordstaat (Hamburg und Schleswig-Holstein). Zwar erklärte die Bundesregierung diese Pläne, die auch eine Neugliederung des restlichen Deutschlands beinhaltete für sinnvoll (BT-Drucks. 7/4958, S. 6), dies führte jedoch nicht dazu, dass sie diese tatsächlich umzusetzen plante (Hennings 1983: 110; Matz 1997: 100f.). Stattdessen entschied man sich, Art. 29 GG erneut zu ändern.

Auch die Richtbegriffe anhand derer eine etwaige Neugliederung stattfinden soll, wurden geändert. Im Anschluss an das Ernst-Gutachten wurde der Richtbegriff „soziales Gefüge“ raus gelassen. Gleichzeitig wurde, ebenfalls gem. der Empfehlungen der Ernst-Kommission, die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund gestellt: während in der alten Fassung „Geschichte“ und „landsmannschaftliche Verbundenheit“ noch als wichtig erachtet wurden, stand nun die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im ersten Absatz.

Auch wurde als weiteres Kriterium die Beachtung der Erforderlichkeit der Raumordnung und Landesplanung eingefügt (vgl. Greulich: 1995: 123). Um den Ländern mehr Mitbestimmung im Prozess der Neugliederung zu sichern, wurde, da die Zustimmung des Bundesrates noch immer nicht notwendig war, immerhin in Abs. 2 Satz 2 ein Anhörungsrecht eingeführt. Ferner wurde in Absatz 4 die Möglichkeit eingebracht, ein Volksbegehren über die Landeszugehörigkeit zu initiieren.

Diese Möglichkeit ist an bestimmte sozio-ökonomische Faktoren gebunden. So mussten im zusammenhängenden Landesteil mindestens eine Millionen Einwohner leben. Anders als die ursprüngliche Fassung des Grundgesetzes, die eine Neugliederung der künstlichen Bundesländer vorsah, wurde nun Wert auf wirtschaftliche und zweckmäßige Kriterien gelegt. Als Begründung wurde unter Anderem angeführt, die Länder hätten inzwischen eine derartige Stabilität gefunden, dass eine verfassungsmäßig erzwungene Neugliederung nicht mehr wünschenswert sei (vgl. BT-Drucksache. 7/4958, S. 6).

Im Anschluss an die Wiedervereinigung kam die bis dahin ruhende Neugliederungsdiskussion wieder ins Tagesgeschehen zurück. So wurde auch in Art. 5 Spiegelstrich 2 Einigungsvertrag das Verhältnis von Bund und Ländern erwähnt und insbesondere ein Augenmerk auf Berlin und Brandenburg gerichtet.

Eingeführt durch die anschließende Verfassungsänderung im Jahr 1994 wurde einerseits ein Absatz 8, der den Ländern bestimmte Möglichkeiten einräumt, sich ohne Beteiligung des Bundes per Staatsvertrag zu regeln. Andererseits wurde Abs. 7 dahingehend geändert, dass nun mehr nicht Gebiete mit 10.000 Einwohnern, sondern auch mit 50.000 Einwohnern im vereinfachten Verfahren neu zu ordnen möglich seien.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: schon die Geschichte zeigt, dass Neugliederungen schwer zu realisierende Vorhaben sind, bei denen vielfach sehr entgegengesetzte Interessen, Bevölkerung gegenüber der Politik, Bundesland gegenüber Bund, zu beachten sind.

Im Folgenden gilt es nun die einzelnen juristischen Voraussetzungen des Art. 29 GG näher zu beleuchten, um zu zeigen, welche Hürden schon rein rechtlich genommen werden müssen, damit eine Neugliederung möglich ist.

Die Neugliederung des Bundesgebietes kann grundsätzlich aus verschiedenen Richtungen begonnen werden, benötigt wird dabei fast immer ein Bundesgesetz. Die Reform der Bundesländer ist gem. Art. 29 Abs. 2 klar dem Bund zugewiesen und erst durch Verfassungsänderung wurden den betroffenen Ländern Anhörungsrechte eingeräumt (s.o.). Es ist zu beachten, dass diese scheinbare Unstimmigkeit, dass Länder, die eventuell in ihrer Existenz betroffen sind, nur gehört werden, durch Elemente des Plebiszits ausgeglichen wird.

Die Kompetenz des Bundes erwächst daraus, dass nur er dafür sorgen kann, dass nicht einzelne Länderinteressen, sondern eine Reform des Bundesgebietes „übergeordneten Gesichtspunkten des Ganzen“ (BVerfGE 13, 54: 74) dient. Den Ländern wird zwar gem. Absatz 8 eine eigene Regelung zugedacht, es ist jedoch offenkundig, dass dem Bund die Koordination eher zugetraut wird (vgl. Graf Vitzthum 2004: 187 f.). Art. 29 sieht verschiedene Arten des Beginns eines Neugliederungsprozesses vor.

Absatz 1 gibt grundsätzliche Regelungen vor, die für alle folgenden Absätze Geltung besitzen. Die Absätze 2 bis 3 betreffen eine Initiative aus dem Bund heraus, die Absätze 4 bis 6 eine Initiative der Bevölkerung aus angrenzenden Gebieten verschiedener Länder und die Absätze 7 und 8 betreffen eine Neugliederung von Seiten der Bundesländer. Die drei Möglichkeiten sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Art. 29 Abs. 1 ermöglicht es dem Bund die Neugliederung voranzutreiben, um Länder zu schaffen, die „nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen zu können“. Unter Neugliederung ist die räumliche Umgestaltung des Bundegebietes, indem Länder oder ihr Gebiet verändert werden, zu verstehen (BayVGH NVwZ-RR 1991, 332: 333).

Das bedeutet, entweder können Länder komplett aufgelöst werden und ihre Gebiete von anderen Bundesländern eingeschlossen werden, Länder können fusionieren oder eine ganz neue Ordnung hergestellt werden (Wollenschläger 2005: 773; Dietlein 2002: 44.). Die in Absatz 1 genannten „Aufgaben“ der Länder umfassen diejenigen Aufgaben der Länder, die ihnen durch das Grundgesetz zugewiesen wurden.

Dies umschließt originäre Staatsaufgaben wie Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung und die Sorge der Daseinsversorgung seiner Bevölkerung. Obwohl auch Größe als Richtwert genannt wird, ist dieser in der Regel zu vernachlässigen, da nicht bewiesen ist, dass kleinere Staaten, egal ob nach Bevölkerung oder Fläche, schlechter für ihre Aufgaben sorgen können als Größere (obwohl etwa die Schulden der Stadtstaaten beträchtlich über denen der anderen Länder liegen (s.u.)).

Während man annehmen kann, der Begriff „landsmannschaftliche Verbundenheit“ habe, auch seit den Empfehlungen der Ernst-Kommission, an Bedeutung verloren, so ist doch zu beachten, dass die Bundesländer auch heute noch nicht ausschließlich Verwaltungsstrukturen darstellen (Dietlein 2002: 50.). Auch die historischen und kulturellen Zusammenhänge stellen ein wichtiges Kriterium dar.

Ihnen kommt aber noch mehr Objektivität zu, da sie an bestimmte nachweisbare Geschehnisse anknüpfen (vgl. auch Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes 1973: 85). Sollte die Bundesregierung dann anhand der genannten Kriterien feststellen, dass eine Neugliederung erforderlich ist, muss sie dafür ein, bzw. wenn nötig, mehrere Bundesgesetze in den Bundestag einbringen.

Dafür muss nicht unbedingt schon eine gesamte Planung vorliegen, es reicht vielmehr, Schritt für Schritt die Neugliederung voran zu treiben (BT-Drucks. 7/4958, S. 7; Kuning 2012: 1925). Das Gesetzgebungsverfahren an sich richtet sich nach den üblichen Normen (Artt. 76 ff. GG), wobei zu beachten ist, dass es sich nicht um ein Zustimmungsgesetz handelt (Meyer-Teschendorf 2010: 658).

Im Volksentscheid soll dann darüber abgestimmt werden, ob die Länder so verbleiben sollen, wie bisher oder ob das neue Land entstehen soll (Vgl. Art. 29 Abs. 3 Satz 2 GG). Der Erfolg des Volksentscheids ist dann gegeben, wenn im zukünftigen Gebiet und insgesamt in den Gebieten oder Gebietsteilen des Landes, das betroffen ist, die Mehrheit für die Änderung stimmt. Gem. Art. 29 Abs. 3 S. 4 kommt eine Änderung jedoch nicht zustande, wenn eine der Mehrheiten die Änderung ablehnt.

Es gibt also immer mögliche Vetopositionen (vgl. Kuning 2012: 1929). Diese Vetopunkte wurden eingeführt, um „Neugliederungsmaßnahmen möglichst nicht gegen den Willen betroffenen Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen (BT-Drucks. 7/5491, S. 5). Auf den Volksentscheid sind die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG entsprechend anwendbar (BVerfGE 13, 54: 91f.); 28, 220: 224). Vor dem Volksentscheid sind auch noch die betroffenen Länder zu hören, welches Landesorgan dies ist, bestimmt sich nach dem Landesverfassungsrecht (Wollenschläger 2015: 776)

Nicht nur bei der Initiative „von oben“ sind große Hürden zu nehmen, auch für die Bevölkerung sind Hindernisse gegeben, die eine erfolgreiche Neugliederung schwer machen. Zunächst ist anzumerken, dass das in Rede stehende Gebiet („Neugliederungsraum“, § 18 S. 1 G Art. 29 Abs. 6) einen zusammenhängenden und zugleich abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum bilden muss (Art. 29 Abs. 4 GG).

Weder das GG noch das entsprechende Ausführungsgesetz enthalten jedoch Vorgaben, was genau diesen Raum ausmachen muss. Das BVerfG stellt auf sozio-ökonomische Kriterien ab (BVerfGE 96, 139: 149) und erkennt, dass der Begriff an „objektive Gegebenheiten des Siedlungs- und Wirtschaftsraums“ anknüpft. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ebenso auf einen „großräumigen Verflechtungsraum“ verwiesen (BT-Drucks. 8/1646, S. 15).

Das Kriterium der Abgrenzbarkeit zielt darauf ab, ob die in Frage kommende Region in sich entsprechende Bewegungen hat und unterscheidbar vom Rest des Bundeslandes ist (vgl. Meyer-Teschendorf 2010: 664.) und ob sie eine Einheit nach außen bildet  (BVerfGE 96, 139: 150). Eine hohe Pendlerquote ist eines der Indizien, die dabei herangezogen werden können; sie alleine ist dabei jedoch nicht ausreichend.


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