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Textanalyse
Deutsch

Theodor-Heuss-Schule Wetzlar

Förstner, 1999

Jean F. ©
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ID# 19592







Analyse einer Anzeigenwerbung


Mit L’Tur nix wie weg zum Last-Minute-Sex


In der im „Stern“ vom 21.01.99 veröffentlichten Anzeigenwerbung wirbt das Reiseunternehmen L’Tur nicht mit einem der gängigen Postkartenklischees mit Meer, Strand, Palmen und Bikinischönheiten, sondern doppeldeutig frech mit der Verbindung von Urlaub und Sex für seine Last-Minute-Reisen.


Den Blickfang dieser ganz in Schwarz, Weiß und Pink gehaltenen Anzeige bildet der signalfarbene Hintergrund der Headline „Wann sind Sie zuletzt in einem fremden Bett aufgewacht?“ Diese Kopfzeile nimmt das obere Viertel der Seite ein und steht in fetten schwarzen Druckbuchstaben auf pinkfarbenem Untergrund.

Die in der Headline verpackte Frage wirkt durch die vorwiegend hellklingenden Vokale und die Asonanzen mit –i- („sind Sie“) und –e- (fremden Bett“) heiter-beschwingt und eingängig, ruft eine positive Grundstimmung hervor und weckt das Interesse des Lesers. Dieser wird durch die direkte Ansprache und das doppeldeutige „fremde Bett“, das auf eine Reise, aber auch auf einen Seitensprung anspielt, dazu veranlasst, über sein vergangenes (Liebes-)Leben nachzudenken und sich mit der restlichen Anzeige zu beschäftigen.


Der Eindruck, dass L’Tur zweideutig-eindeutig mit sexuellen Versprechen für sein Produkt wirbt, wird durch die Auswahl des Werbefotos verstärkt, das sich in der Mitte der Anzeige befindet und etwa die Hälfte der Seite einnimmt. Dieses Schwarz-Weiß-Foto zwingt den Leser zum genauen Hinsehen, weil durch den unscharfen Hintergrund und die milchigen, kontrastarmen Farben zunächst wenig zu erkennen ist, außer einer Hand, die sich fokussiert und gestochen scharf im Zentrum des Fotos hervorhebt.

Beim näheren Betrachten zeigt sich, dass es sich hierbei um einen unbekleideten weiblichen Unterarm handelt, der mit spitzen Fingern ein Schild mit der Aufschrift „Do not disturb – Bitte nicht stören“ und einem nicht mehr lesbaren kleingeschriebenen Untertext an der Türklinke befestigt.

Der Bildhintergrund zeigt die nur einen Spalt geöffnete weißlackierte Zimmertür, aus der diese Hand hinausgreift, und – sehr unscharf - einen beleuchteten Gang mit zwei identischen Wandlampen, anscheinend ein Hotelgang.

Dieses Foto bewirbt einerseits sehr sachlich das Produkt eines Reiseunternehmens: gepflegte Zimmer, internationalen Service in den Sprachen Deutsch und Englisch, Ruhe, Entspannung und Diskretion. Andererseits bildet dieses Foto schon durch die graphische Gestaltung (Rahmung des Fotos im gleichen Pink, das den Hintergrund der Headline bildet) eine Einheit mit der Headline und durch die doppeldeutige Sprache der Headline wird das oben beschriebene Ambiente bewusst mit einem Schuss Erotik gewürzt.

Das Interesse des Betrachters soll nicht dem gelten, was er relativ unscharf und farblos auf dem Bild sieht, sondern dem, was er hinter dem sich im Zentrum des Bildes befindenden Türspalt vermutet: Wie sieht die Frau aus zu der diese Hand gehört? Ist sie feingliedrig, elegant und leicht versnobt, wie die Form der Hand, der dicke Ring und der abgespreizte kleine Finger versprechen? Ist sie unbekleidet wie ihr Unterarm? Ist sie allein oder will sie nicht gestört werden, weil sich noch ein Mann im Zimmer befindet? Ist dieser Mann ihr Ehemann, worauf der Ring deuten könnte, oder schläft sie in einem „fremden Bett“? Diese Fragen sollen sich im Kopf des (männlichen) Betrachters bilden und gleichzeitig seine Sehnsucht wecken, auch einmal aus dem Alltag auszubrechen, zu reisen und dabei etwas Neues, vielleicht sogar ein erotisches Abenteuer zu erleben, wofür auch die Farbsymbolik der Anzeige steht: graue Töne vor der Hoteltür für sein derzeitiges Leben und ein poppig-pink abgetöntes Rot hinter der Headline und im L’Tur-Logo, das für Jugendlichkeit, Gefahr bzw.


Sollen durch Headline und Foto Aufmerksamkeit und Interesse für die Anzeige sowie eine unbestimmte Sehnsucht zu reisen und etwas zu erleben geweckt werden, so soll diese Sehnsucht durch den kleingedruckten Werbetext, das Logo und den Slogan, die sich alle auf schwarzem Hintergrund im unteren Viertel der Anzeige befinden, in die richtigen Bahnen gelenkt werden.


Der Werbetext, der in weißer Blockschrift in zwei verschiedenen Schriftgrößen links unter der Fotografie steht, versucht in direkter Ansprache und in kurzen, teilweise unvollständigen Sätzen in einer Art Stakkato dem Leser die Vorteile des Unternehmens L’Tur näherzubringen und ihn dazu zu veranlassen, möglichst bald eine Reise bei L’Turs zu buchen.

So spricht der erste Satz des Werbetextes den Leser wiederum direkt an, diesmal jedoch im Imperativ: „Buchen Sie einfach bei L’Tur, dem Erfinder von echtem Last Minute.“ Durch diesen Appell, der durch die Alliterationen auf –e- und –l- sehr eingängig ist und der sich direkt auf den Text der Headline bezieht, soll die Sehnsucht des Lesers bereits in eine Kaufaktion umgewandelt werden, wobei dieser Schritt durch das Adjektiv „einfach“ und die Nennung von Telefon-, Fax- und Internetadressen (in doppelter Schriftgröße und fett gedruckt) als sehr leicht dargestellt werden soll.

Der zweite Teil des ersten Satzes und die Sätze drei bis fünf des Werbetextes sollen in erster Linie die Qualität von L’Tur gegenüber vergleichbaren Unternehmen hervorheben. Dabei enhalten diese Sätze als einzige die Informationen, die den potentiellen Käufer von Last-Minute-Reisen eigentlich interessieren.

So wird bereits im ersten Satz behauptet, L’Tur sei der Erfinder von echtem Last Minute, wodurch der Leser den Eindruck erhält, L’Tur sei als Erfinder Spezialist für diesen Bereich und alle anderen hätten nur unechte (teurere? qualitativ schlechtere?) Angebote. Im dritten Satz soll dies durch beeindruckende Zahlen untermauert werden, mit denen auf die Auswahl („täglich über 10.000 Angebote“) und die Einsparmöglichkeiten („bis zu 50% gegenüber vergleichbaren Katalogreisen“) hingewiesen wird.

Auffällig dabei ist, dass hier die Namen von seriösen Firmen genannt werden, mit denen sich L’Tur als deren „Last-Minute-Partner“ schmückt bzw. in eine Reihe stellt. Dadurch soll wohl dem jugendlich-poppigen, fast schon halbseidenen Eindruck der durch Headline und Foto entstehen könnte, ein Gegengewicht entgegengesetzt werden.


Schließlich soll sich der Leser, der nach dem Lesen des Werbetextes nicht direkt „per Telefon, Fax oder Internet“ eine Reise bei L’Tur geordert haben sollte, vor dem Umblättern wenigstens noch einmal den Namen der beworbenen Firma einprägen. Dazu dienen das Logo und der Slogan, die sich am rechten unteren Bildrand befinden.

Das Logo ist grau umrahmt und zeigt vor weißem Hintergrund den pinkfarbenen, in Kleinbuchstaben geschriebenen Firmenschriftzug „l’tur“ und darunter in weißer Schrift auf ebenfalls pinkfarbenem Balken deren Produkt „Last Minute Urlaub“. Darüber prangt, ebenfalls in Pink, eine Palme als Symbol für Sonne, Strand und Urlaub in exotischen Gefilden.

Dabei unterstützt die umgangssprachliche Redewendung ein letztes Mal das lockere, freche, jugendliche Image, das die Anzeige vermitteln soll.


Insgesamt halte ich diese Anzeige, die wohl in erster Linie junge Männer oder Männer, die gerne noch einmal jung wären, ansprechen soll, einerseits für recht originell gestaltet. Besonders die Farbsymbolik und die Idee nicht mit dem Bild selbst, sondern mit dem zu werben, was sich hinter dem Bild befinden könnte, und damit die Fantasie und die Sehnsüchte des Betrachters zu aktivieren, halte ich für gut.

Sticht doch diese Anzeige so deutlich aus dem klischeehaften, unglaubwürdigen Postkartenallerlei anderer Reisewerbungen hervor. Andererseits ist aber die Verbindung von Reisen und Sex in einer Zeit, in der Millionen deutsche Männer jährlich nach Thailand, Kuba, Kenia etc. ausschwärmen, um für wenig Geld Frauen zu kaufen, doch geschmacklos und auch gefährlich.


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