Welche Chancen haben Menschen mit dem Asperger-Syndrom
Einleitung
Der im Jahre 1988 erschienene Film „Rain Man“ handelt von dem Geschäftsmann Charlie und seinem autistischen Bruder Raymond. Nachdem ihr Vater verstorben ist und sein Testament verlesen wird, wird seinem Sohn Raymond sein gesamtes Erbe zugesprochen. Charlie, der seinen Bruder bis dahin durch eine frühkindliche Trennung noch nicht kennt, entführt seinen Bruder aus seinem Pflegeheim, um so an das Erbe zu kommen.
Auf Charlie macht der Autist einen verschrobenen Eindruck, da dieser mit seiner Umwelt nicht umzugehen scheint und unter anderem für jedes Ereignis eine Liste führt, so z.B. die „Liste mit schlimmen Verletzungen“1. Charlie bemerkt, bei seinem - für ihn behinderten - Bruder, daraufhin jedoch seine phänomenale Fähigkeit mit Zahlen umzugehen, als Raymond die heruntergefallenen Zahnstocher in wenigen Sekunden schon gezählt hat: „246.“2
Seit „Rain Man“ ist das Bild, das viele Menschen vor Augen haben, wenn sie von Autismus hören, weitgehend befestigt als eine Störung, die Menschen skurril und tollpatschig erscheinen lässt, sie jedoch aber auch teilweise durch außergewöhnliche Fähigkeiten prägt. Autisten seien, nach dem Erscheinungsbild Raymonds, nicht in der Lage, eigenständig zu leben, da sie solch ausgeprägte Defizite aufwiesen.3
Doch wie ist das bei einer hochfunktionellen Form des Autismus, dem Asperger-Syndrom?
Welche Chancen haben Menschen mit dem Asperger-Syndrom und in wie weit werden sie im Alltag beeinträchtigt?
Diese Fragen werden im Folgendem in dieser Facharbeit beantwortet. Dazu wird zunächst erklärt, was das Asperger-Syndrom ist, wie es diagnostiziert wird und welche Ursachen es hat. Im Anschluss daran werden die Beeinträchtigungen aufgezählt und analysiert, um im Weiteren die Chancen der betroffenen Menschen darzulegen.
Das Asperger-Syndrom
Das Asperger-Syndrom ist eine besondere Art des Autismus, die sich durch Merkmale wie Kontaktstörungen, repetitive Redeweise und schlecht koordinierte Bewegungen sowie sonderbare Körperhaltungen charakterisieren lässt.4 Das Asperger-Syndrom wird als Behinderung anerkannt und nicht als Krankheit, da es unheilbar ist.5
2.1 Entstehung des Begriffs
In den Jahren 1943 bis 1944, beschrieb der Arzt Hans Asperger eine auffallende Serie von Defiziten bei einigen Kindern. Unter anderem bemerkte Asperger, dass die Kinder eine Kontakt- und Kommunikationsstörung aufwiesen.6 Laut Asperger träten diese Symptome erst im Vorschulalter auf und würden das Kind in eine isolierte Position bringen, da es durch mangelndes Einfühlungsvermögen, motorische Auffälligkeiten und starke Sonderinteressen geprägt sei.7 Hans Asperger bezeichnete seine Funde als „autistische Psychopathie“, da aber der Begriff „Psychopath“ in einem negativen Charakter beleuchtet wird, ist die tiefgreifende Entwicklungsstörung heute als „Asperger-Syndrom“ bekannt.8
2.2 Autismus
2.2.1 Autismus-Spektrum
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO), gibt es keinen „reinen“ Autismus. Der allgemeine Begriff „Autismus“ wird dabei in drei weitere Begriffe unterteilt:9
Frühkindlicher Autismus
Asperger-Syndrom
Atypischer Autismus
Autismus ist ein breites Spektrum. Das heißt, dass die Diagnose abhängig davon ist, wie stark die Schwierigkeiten der autistischen Person sind.10 Man kann demnach nicht jeden Autisten in eine Schublade stecken, sondern arbeitet mit dem Autismus Spektrum. Das Asperger-Syndrom wird nach diesem Spektrum als ein eher „hochfunktionaler“ Autismus bezeichnet.11
2.2.2 Besonderheiten der Form des Autismus: Asperger-Syndrom
Hochfunktioneller Autismus wird als eine Form des Autismus bezeichnet, die sich durch „hohe“ Intelligenz sowie „hohes“ kognitives Niveau abzeichnet (hoch im Gegensatz zu anderen Formen des Autismus)12. Betroffene Menschen mit dem Asperger-Syndrom lassen sich schwieriger erkennen, als Menschen mit einem „stärkeren“ Autismus. Sie sind meistens so intelligent, dass man ihnen die Behinderung kaum ansieht und nur bei genauem Betrachten die sonderbaren Verhaltensweisen bemerkt.
Allerdings lassen sich diese Faktoren der Intelligenz schlecht testen, da eine autistische Person einen solchen Test häufig nicht korrekt absolviert, wenn es sie nicht interessiert.13 Häufige Fähigkeiten der Betroffenen sind „Inselbegabungen“, die sich durch außergewöhnliche Talente in einem Teilbereich darlegen.14 Verbunden sind diese „Inselbegabungen“ jedoch auch durch Beeinträchtigungen in anderen Bereichen.
Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben im Gegensatz zu Menschen mit einem frühkindlichen Autismus die Fähigkeit schon im frühen kindlichen Alter sprechen zu lernen, da die Symptome des Asperger-Syndroms erst im Kindergarten oder Schulalter auftreten.15 Außerdem besitzen Betroffene eine andere Wahrnehmung auf die Welt. Dieses Phänomen ist zwar bei jeder Form des Autismus vertreten und bei einigen sogar ausgeprägter, aber beim Asperger-Syndrom noch etwas anders existent.
Sie sehen nur viele Details des ausschlaggebenden Gesamtbilds und vernachlässigen dabei viele Aspekte.16 Der Asperger-Autist Gerhard Gaudard erklärt, dass dies vergleichbar mit einer großen Kinoleinwand sei. Der Mensch mit dem Asperger-Syndrom sieht einen Film, kann sich aber nur auf eine Stelle der Leinwand fokussieren und bekommt vieles gar nicht mit, da die Leinwand zu groß ist, um sich auf alles zu konzentrieren.17
2.3 Diagnose
Um eine einheitliche Diagnostik für die tiefgreifende Entwicklungsstörung einzuhalten, entschied sich die Weltgesundheitsorganisation dazu Diagnostikkriterien für das breite Autismus-Spektrum zu schaffen.18 Bei diesen Faktoren handelt es sich nicht um konkrete Diagnosekriterien, sondern um stereotypische Verhaltensmuster, von denen die Menschen mit dem Asperger-Syndrom häufig geprägt sind.
So wie es bei dem Autismus ein breites Spektrum gibt, so gibt es ebenfalls beim Asperger-Syndrom einige Menschen, die mehr von diesen Kriterien besitzen und damit stärker betroffen sind und andere Menschen, die weniger betroffen sind. Die von Hans Asperger geschilderten Besonderheiten der Kinder mit dem Asperger-Syndrom helfen heutzutage, um Menschen zu diagnostizieren.
Er beschrieb die wesentlichen Züge des Asperger-Syndroms wie folgt:
Betroffene besitzen ein mangelndes Einfühlungsvermögen (Empathie).19 Es ist für sie zum Beispiel schwierig, einen anderen Menschen zu trösten, wenn dieser traurig ist. Sie erkennen zunächst erst einmal nicht, dass ihr gegenüber traurig ist und wenn doch, dann kämen sie nicht auf die Idee, ihn zu trösten. Ihnen fällt es schwer, Gefühle aus Gesichtern abzulesen und zu interpretieren.
Betroffene besitzen eine gering ausgeprägte Fähigkeit, Freundschaften zu schließen und Beziehungen aufzubauen. Ihnen fällt es schwer, soziale Situationen einzuschätzen und Verhalten sich oftmals unangebracht.21 Sie nehmen zum Beispiel viele Dinge wortwörtlich und interpretieren ihre Bedeutung fehl.22
Betroffene besitzen eine unbeholfene nonverbale Kommunikation.23 Darunter versteht man eine Kommunikationsform die größtenteils mithilfe von Körpersprachen und Tonfall funktioniert und einen großen Teil der gesamten Kommunikation ausmacht.24 Menschen mit Asperger-Syndrom haben häufig Probleme, Mimik und Gestik zu interpretieren und selber anzuwenden. Sie sehen meistens nur ein Gesicht, während Menschen ohne das Asperger-Syndrom ein Gefühl sehen.
So fällt es ihnen schwer, sich mit anderen Menschen zu unterhalten.25
Betroffene besitzen häufig ein ausgeprägtes Interesse für Spezialthemen und eine gewünschte feste Routine. Auffällig sind dabei, Sammeln von bestimmten Gegenständen oder andere Vorlieben.26 Menschen mit dem Asperger-Syndrom können stundenlang über dasselbe Thema reden, für das sie sich gerade interessieren und vernachlässigen dabei andere wichtige Dinge. Diese Interessen variieren willkürlich und beeinflussen dabei stark das Verhalten der Betroffenen.
Menschen mit dem Asperger-Syndrom bestehen häufig darauf, eine feste Routine einzuhalten.27
Betroffene besitzen meistens motorische Unbeholfenheit, das heißt sie besitzen z.B. eine merkwürdige Gangart oder unfreiwilliges Zucken der Gesichtsmuskeln.28 Auffallend ist dies besonders in der Schule und im Sportunterricht.
2.4 Ursachen
Der renommierte Psychologe Bruno Bettelheim interpretierte den Autismus in seinem Buch „Die Geburt des Selbst“ als eine Reaktion der Kinder auf das Verhalten ihrer Eltern, in dem diese den Wunsch verspüren, dass das Kind nicht existieren möge.29 Diese Behauptung wird heute als unsinnig angesehen und man ist sich bewusst, dass eine genetische Komponente eine große Rolle spielt.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zu 20 Gene an der tiefgreifenden Entwicklungsstörung beteiligt und diese vererbbar sind. Demnach tritt das Asperger-Syndrom in betroffenen Familien gehäuft vor.30 Andere Faktoren, die zu der Entstehung des Asperger-Syndroms führen können, sind zum Beispiel Umweltgifte oder psychosoziale Ursachen, die die Gehirnentwicklung in einigen Gehirnabschnitten beeinträchtigen, die für die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten des Kindes verantwortlich sind.31
Betroffene des Asperger-Syndroms besitzen stets individuelle Beeinträchtigungen, jedoch lässt sich allgemein sagen, dass ein zentrales Merkmal der Störung das beeinträchtigte Sozialverhalten ist. Dieses wird hauptsächlich durch soziale Interaktionen mittels Kommunikation geprägt.32
3.1 Kommunikation
Nur dank der Kommunikation ist es uns möglich, sich zu verständigen. Für einen neurotypischen („normalen“) Menschen ist die Kommunikation ein automatischer Prozess der Informationsübermittlung, der außerhalb des Sprachinhalts auch durch nonverbale Signale funktioniert.33
Für einen Menschen mit dem Asperger-Syndrom - besonders im Kindesalter, in der Schule - stellt sich die Kommunikation mit anderen Menschen als eine Herausforderung dar. (Sie sind durch viele Umstände ihrer Behinderung beeinträchtigt die Signale und den Sinn der Kommunikation zu interpretieren und umzusetzen.)34
Nonverbale Kommunikation
Als nonverbale Kommunikation bezeichnet man die Form der Kommunikation, die nicht auf sprachlicher Informationsvermittlung basiert. Sie macht den größten Teil unserer Verständigung aus.35 Darunter fallen Faktoren, wie Körperhaltung, Gestik, Mimik und andere Kanäle, um Signale zu vermitteln.36 Paul Watzlawick sagte dereinst, man könne nicht nicht kommunizieren.37 Damit postuliert er, dass man mit jedem Verhalten Signale gibt; auch wenn man nicht redet.
Wenn diese Form der Verständigung nicht oder nur bedingt funktioniert, kann es schwere Folgen des Missverständnisses mit sich ziehen.38
Menschen mit dem Asperger-Syndrom leiden an einer gering ausgeprägten nonverbalen Kommunikation.39 Ihnen fällt es schwer, und ist ihnen teilweise auch beängstigend, mit anderen Menschen zu kommunizieren, da die Betroffenen auffallende Defizite in den Kanälen der nonverbalen Kommunikation besitzen und damit diese wie eine „fremde Sprache“ erachten, die sie nicht verstehen und interpretieren können.40 Gerhard Gaudard behauptet in seinem Blog, dass diese „Sprache“ der nonverbalen Kommunikation gar nicht oder nur bedingt für Autisten zu erlernen sei, da man sich diverse Gesichtsausdrücke, Tonfälle und Handgestiken einprägen und diese mit etlichen Gefühlen in Verbindung setzen müsse.41 Die Bedeutung der verschiedenen Signale der Kommunikation sind jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich und haben jeweils immer eine eigene spezielle Interpretation.
Ein weiterer grundlegender Kanal der nonverbalen Kommunikation ist der Blickkontakt. Generell vermeiden Menschen mit dem Asperger-Syndrom den Blickkontakt mit anderen Menschen oder halten ihn nur für wenige Sekunden, da sie es nicht länger „ertragen“ können.43 Vereinzelt gibt es auch Fälle in denen Asperger-Autisten ihrem Gegenüber zu lange in die Augen gucken und ihn anstarren.
Dabei ist der Blickkontakt ein Aufmerksamkeitserreger und steigert die Überzeugungskraft, sowie die emotionale Wirkung von Botschaften. Ein geringer Anteil an Blickkontakt, in einer Konversation, zeigt dem Gegenüber Desinteresse oder auch Unsicherheit.44 Zuviel hingegen, erzeugt bei dem Gesprächspartner ein unwohles Gefühl und es kann teilweise als unhöflich anerkannt werden.45
Bildliche Redewendungen wörtlich nehmen
Redewendungen sind im Sprachgebrauch kaum noch wegzudenken. Wir verwenden sie da und dort und erachten das Verständnis ihrer Bedeutung als selbstverständlich; dabei sind Redewendungen feste Verbindungen von Wörtern, denen wir nur die Gesamtbedeutungen entnehmen und man diese nicht aus der Bedeutung der einzelnen Wörter ableiten kann.46 In deutscher Literatur wurden jedoch, besonders durch das Volksbuch von Hermann Bote über den Schalken Till Eulenspiegel, diese bildlichen Redewendungen oft wörtlich genommen.
Sagt man einem Kind mit dem Asperger-Syndrom, dass es auf dem Schlauch stehe, da es etwas Offensichtliches nicht bemerkt, guckt dieses sich auf die Füße und ist verwirrt, da das Gesagte nicht der Wahrheit entspricht.48
Das charakteristische „wörtlich nehmen“ der Asperger-Autisten ist allerdings nicht nur bei Redewendungen vorzufinden, sondern auch bei der „Sprache im sozialen Kontext“49. So würde ein Mensch mit dem Asperger-Syndrom, wenn er in einer Bibliothek ein Schild mit der Aufschrift „Bitte leise reden“ sieht, sich fragen, wieso er jetzt leise reden solle und mit wem; wobei das Schild nur auffordert, dass wenn man schon reden müsse, dies leise tun solle.50
Pedantische Redeweise
Asperger-Autisten besitzen eine pedantische, also eine übergenaue Redeweise. Ähnlich wie sie festen Routinen verwenden, bestehen sie darauf, dass eine passende Wortwahl benutzt wird. Beispielsweise berichtet Tony Attwood über einen Jungen mit Asperger-Syndrom, der seinem Vater beim Aufräumen helfe und dieser ihn bitte, die Abfalleimer zu entleeren. Nach einer Weile stelle der Vater ärgerlich fest, dass einige der Eimer nicht entleert wurden und frage seinen Sohn, weshalb er dies noch nicht getan habe.
Empathie
Empathie ist die Fähigkeit des Menschen, Erlebnisse und Gefühle anderer nachzuempfinden. Dieser Begriff wird häufig mit „Einfühlung“ gleichgesetzt und gilt als einer der wichtigsten Eigenschaften zur Menschlichkeit.52
Es wird Autisten generell nachgesagt, sie könnten keine Empathie empfinden, dabei stimmt dies nicht ganz. Wie auch bei allen anderen Beeinträchtigungen, aber hier speziell, besteht Autismus aus einem Spektrum und so auch die Empathie-Fähigkeit der Betroffenen.
Asperger-Autisten mit einer geringen empathischen Empfindung können beispielsweise einen Menschen schlecht trösten. Sie erkennen in seinem Gesicht erstmals ohnehin nicht, wenn dieser traurig ist, ohne zu weinen, zudem können sie sich nicht in seine Lage versetzen, um etwas zu finden, dass ihm Trost spenden würde.53 Es stellt sich für sie als eine große Herausforderung dar, Gefühle ihrer Mitmenschen mitzuempfinden.
Gerhard Gaudard behauptet, dass er die Gefühle anderer nur dann nachvollziehen kann, wenn er diese selber bereits einmal erfahren hat, jedoch kann er sie dann dennoch nicht nachempfinden.54
Es gibt zudem auch die kognitive Empathie, die es einem Menschen ermöglicht, zu erkennen, was im Gegenüber vorgeht und welche Handlungen dieser als nächstes vollziehen könnte. Asperger-Autisten weisen aber auch hier Probleme auf, sich in andere Personen hineinzuversetzen, so Carlo Düllings.55 Neurotypische Menschen verwenden bestimmte Hirnareale, in denen sich besonders viele „Spiegelneuronen“ befinden, um Absichten und Gefühle anderer Menschen aus ihren Gesichtern abzulesen.
Asperger-Autisten unterdrücken diese Signale und verwenden den Bereich im Hirn, der zur Erkennung von Objekten zuständig ist.56
3.2 Detail-Ansicht
Die Welt besteht aus unzähligen Eindrücken. Der Mensch nimmt alle diese Informationen auf und filtert sie auf das Wesentlichste, bevor sie in seine bewusste Wahrnehmung gelangen.57 So kann sich der neurotypische Mensch auf das Gesamtbild konzentrieren und schnell einen Schluss aus den gesammelten Informationen ziehen.58 Diese „Vorfilterung“ funktioniert bei Asperger-Autisten oftmals nicht so, wie es bei neurotypischen Menschen der Fall ist.
Für ihn bestehe ein Sonnenuntergang am Meer eher aus einer umherfliegenden Plastiktüte oder einem Hund, der am Strand entlanglaufe.60
Dieses Konzentrieren und Filtern der wesentlichen Informationen in einer Situation kann auf Dauer für Betroffene ermüdend sein. Für sie ist jede neue Situation eine Neueinschätzung und muss genau betrachtet werden. Unteranderem empfinden Asperger-Autisten deshalb Veränderungen als enorm unangenehm.61
3.3 Überempfindlichkeit
Asperger-Autisten reagieren in vielen Bereichen der Sinne sehr sensibel. Diese Sensibilität nennt man „sensorische Empfindlichkeit“ und tritt in Bereichen des Klangs, Berührungen, Geschmäcker, Temperaturen, Schmerzen, sowie visueller Reize auf.62 Meistens nimmt diese Überempfindlichkeit mit der Entwicklung aus dem Kindesalter ab, allerdings gibt es auch Fälle, bei denen sich diese Sensibilität in verschiedenen Bereichen auch durch das Erwachsenenleben fortführt.
Klangempfindliche Asperger-Autisten, zum Beispiel, empfinden häufig schon das Klingeln des Telefons oder das Geräusch eines Staubsaugers als durchdringend und intensiv.63 Tony Attwood erzählt, in seinem Buch über das Asperger-Syndrom, von einem hörempfindlichen Jungen mit Asperger-Syndrom, der im Krankenhaus plötzlich den dringenden Wunsch bekäme dieses wieder zu verlassen.
Ein weiterer Bereich, der bei Asperger-Autisten oftmals übersensibilisiert ist, ist der Berührungssinn. Dabei kann es dazu führen, dass Betroffene sogar die eigene Kleidung am Körper als unangenehm erachten. Aber auch Umarmungen oder Händeschütteln können für Menschen mit Asperger-Syndrom, die an Berührungsempfindlichkeit leiden, befremdlich wirken.66
3.4 Folgen
Beeinträchtigungen einer Behinderung, wie das Asperger-Syndrom, ziehen stets immer Folgen mit sich, die sich in Alltagssituationen oder Berufsleben der Betroffenen abspielen. Dort sind soziale Wesen, wie der Mensch, nämlich auf soziale Interaktionen und Umgebungsreize angewiesen, bei denen Asperger-Autisten schwerwiegende Defizite aufweisen.67
So zum Beispiel, kann ein Mensch mit Asperger-Syndrom nur erschwert eine Beziehung mit einem anderen Menschen führen, da eine solche stets aus nonverbalen Signalen besteht. Die Körpersprache und Blickkontakt mit dem Partner sind beispielsweise wichtige Kanäle, um dem Partner zu zeigen, dass man ihn liebt. Aber auch Bedeutungen von Sätzen wie: „Nein Schatz, ich bin nicht sauer auf dich“, die sich durch subtilen Tonfall ändern, können Asperger-Autisten selten interpretieren.68 Dadurch, dass dies von ihnen nicht gewährleistet werden kann, lösen sich die meisten Beziehungen häufig auf.
Kindern mit Asperger-Syndrom zeigen oftmals Schwierigkeiten mit anderen Kindern „So-tun-als-ob“-Spiele zu spielen, da es ihnen an Einfühlungsvermögen in die fiktive Rolle, in die sie sich begeben müssten, fehlt.70 Generell haben Kinder und auch Erwachsene mit Asperger-Syndrom, Probleme Freundschaften zu knüpfen, weil sie von anderen Kindern oder Erwachsenen ausgeschlossen werden, da sie durch ihre mangelnde Empathie und nonverbale Kommunikation anteilslos wirken.
Häufig werden Asperger-Autisten, besonders im Kindesalter, infolgedessen in die soziale Isolation gedrängt und gemobbt.71
Diese Diskrepanz beruht allerdings auf Gegenseitigkeit, zumal Betroffene andere Menschen nicht verstehen können und sich nicht vorstellen können, was diese gerade denken oder als nächstes machen könnten.72 Die dadurch bestehende, immer präsente Angst vor sozialer Interaktionen, zwingt oftmals die Betroffenen unweigerlich in ihre sozial-isolierte Rolle.73
Der Mangel an sozialen Fähigkeiten und Empathie, birgt ein weiteres großes Problem, und zwar, dass Menschen mit Asperger-Syndrom häufig sehr direkt sind, da sie, zum Beispiel, die Wirkung verletzender Bemerkungen auf Gefühle Anderer nicht verstehen. Ein Beispiel hierfür wäre ein kleiner Junge mit Asperger-Syndrom, der mit seinen Eltern an der Kasse steht und vor sich eine korpulente Frau sieht und daraufhin zu seinen Eltern laut sagt, wie dick diese Frau doch sei.
Asperger-Autisten leiden auch oftmals, durch verschiedene Faktoren ihres Alltags, an Stress. Dieser kann ausgelöst werden, wenn sie durch ihre Detailwahrnehmung eine neue Situation nicht direkt überblicken können und Panik bekommen.76 In solchen Situationen fällt dann oftmals der Nachgang von sozialen Konventionen weg, wie das Verwenden von „Bitte“ und „Danke“ oder sonstige Formen der Höflichkeit.77
All diese Folgen der Beeinträchtigungen durch die tiefgreifende Entwicklungsstörung können bei Betroffenen Menschen schnell schwere Depressionen auslösen, die durch ihre Anfälligkeit gegenüber Änderungen und Anforderungen, sowie sozialer Einsamkeit, verursacht werden.78
Chancen
Einst schrieb Hans Asperger: „Es scheint, dass für Erfolg in der Wissenschaft oder in der Kunst ein Schuss Autismus erforderlich ist“79. Asperger sieht in Autisten und speziell Betroffenen, mit dem nach ihm benannten Syndrom, nicht nur die Beeinträchtigungen, unter denen sie leiden, sondern auch ihre Vorteile und Chancen. Der Kinderpsychiater Michael Fitzgerald prüft seit 1999 die Lebensläufe vieler berühmten Persönlichkeiten nach Anzeichen des Asperger-Syndroms, da er der Annahme ist, dass dieses den Erfolg dieser begünstige.80 So hält Tony Attwood es für wahrscheinlich, dass Albert Einstein ein Asperger-Autist war, aufgrund seines Spezialinteresses an der theoretischen Physik und seinem Mangel an sozialer Kompetenz, sowie seinem visuellem Denken, dass es ihm ermöglichte abstrakte Theorien, wie seine Relativitätstheorie, zu entwerfen.81
Quellen & Links