<
>
Download

Aufsatz
Philosophie

Karl-Franzens-Universität Graz - KFU

ss 2009

Nathalie S. ©
4.80

0.24 Mb
sternsternsternsternstern_0.5
ID# 552







Welche Bedeutung hat Musik in ihrer kulturellen
und existenziellen Deutung?

Philosophische Ansätze in der Musik


Inhaltsverzeichnis

Einleitung. 1

Musik verbindet das Unverbundene. 2

Paradigmenwechsel als Konstruktion soziokultureller Realitäten5

Auf dem Weg zu einer musikalischen Anthropologie. 9

Einleitung

Die Bedeutung von etwas kann mitunter viel besser erfasst werden, wenn wir beispielsweise kontrafaktisch danach fragen, was wäre, wenn etwas nicht wäre. Was also wäre, wenn es in unserer Welt keine Musik gäbe? „Was wäre unsere Welt ohne Musik?“ Viele Dimensionen der Kultur werden an der Wende zum 21. Jahrhundert einer erneuten Bewertung unterzogen.

Dies gilt nicht nur für Religion, Metaphysik, Wissenschaft und Technologie sowie für die ebenso zahlreichen wie unterschiedlichen Dimensionen der Kunst, sondern insbesondere auch für die Musik in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen. Und viele Phänomene der Gegenwart deuten – sich selbst verstärkend – darauf hin, dass Musik die kulturbestimmende Dimension des neuen Jahrhunderts werden könnte.

Dies liegt zentral in jener Besonderheit der Musik begründet, wonach diese eine spezifische dynamische Ästhetisierung aller Schichten und Formen menschlicher Existenz erreicht und zu realisieren in der Lage ist. Denn Dichte, Beschleunigung und Vervielfältigung aller Bereiche der Kultur sind so außerordentlich im Zunehmen begriffen, dass sich der Mensch in einem neuartigen Spannungsverhältnis zu sich selbst und zu seinem kulturellen Kontext befindet.

Der Wunsch nach und das Potential von aktiver kultureller und künstlerischer Sinngebung wird im Vergleich zur bloß passiven Aufnahme oder Internalisierung tradierter Bildungs- und Kulturinhalte disproportional größer. Damit erhalten jene Fragestellungen klarere und differenziertere Konturen, die in der rasch zunehmenden Vielfalt der Dimensionen der Kultur von besonderer Bedeutung für das 21. Jahrhundert werden könnten.


Musik verbindet das Unverbundene

Musik, aus der Sicht des beginnenden 21. Jahrhundert reflektiert, präsentiert sich als ein faszinierendes kulturelles Phänomen  besonderer Art. Musik zeigt sich als ein evolutionäres Phänomen zumindest dahingehend, dass Unverbundenes mit einer Geschwindigkeit miteinander verbunden wird, wie dies niemals zuvor in dieser Tiefe und Deutlichkeit der Fall war.

Der eigentliche Grund hierfür dürfte wohl der sein, dass Musik wie keine andere Kulturdimension die grundlegenden Strukturen des Menschen als ein hochdifferenziertes Gefüge begreifen lässt. Musik konstituiert tendenziell eine Art dynamische Einheit von Emotion,  Kognition und Sozialisation. Warum kann Musik dies hervorbringen?

Zentrale Charakteristika von Musik sind es im Grunde, die eine spezifische Art dynamischer Einheit von Emotion, Kognition und im weiteren von Sozialisation ermöglichen, nämlich die ontologische Neutralität einerseits und die Defragmentierung unserer Vorstellungen vom Menschen und seiner Gesellschaft andererseits. Musik wirkt den fragmentierenden Tendenzen des Weltenlaufs entgegen, sie enthält ein noch weitgehend unsausgelotetes Potential für die Transformation der Gesellschaft.

Verbinden des Unverbundenen erfolgt durch die Musik in spezifischer  Weise - was bedeutet dies genauer? Vieles ist in Entwicklung befindlich, an dem die komplexen wie dynamischen Verhältnisse zwischen der Oberflächenstruktur (z.B. Musik hören) und der Tiefenstruktur (z.B. Musik verstehen) besser erkennbar werden. Klarer als je zuvor verstehen wir die  Zusammenhänge zwischen den Regeln von Musik einerseits und dem verstehenden Empfinden von Schönem andererseits.

Schönes in der Musik empfinden und verstehen wird als Ausdruck von Symmetrien und Brechung von Symmetrien erkennbar. Die Abfolgen von Symmetrien und  Brechungen derselben integrieren sich in funktionelle Gestalten, sie können Schönes generieren.

Musik kann somit aufrücken, integraler Bestandteil für den Aufbau einer neuen Anthropologie zu werden. Ist es doch die Evolution der Musik, die gleichzeitig den Zusammenhang zwischen den Individuen und der Gesellschaft verdichtet, wie sie auch zur Vergrößerung und Vertiefung des Denk- und Empfindungsraumes der einzelnen Menschen beiträgt. Was nun könnte der Kern einer musikalisch basierten Anthropologie sein? Dieser liegt wohl zu allererst im Ausweis, dass unsere Vorstellungen vom Menschen und seiner Gesellschaft wesentlich über und in Musik konstituiert sind.

Da sich menschliche Identität nicht allein formal-strukturell bestimmt, sondern dominant über inhaltlich-materielle Formen erfolgt, kommt der Musik eine entscheidende Funktionalität zu, die in der natürlichen Sprache nicht vorhanden ist: Musik generiert kein bestimmtes Menschen-  oder Gesellschaftsbild, sondern Möglichkeitsräume für personale und kulturelle Identitätsbildung.

Denn in und durch Musik werden die bisher asymmetrischen Verhältnisse zwischen Rationalität und Emotionalität - bisher war Rationalität klar dominant - in ein ausgewogeneres Verhältnis transformiert, nämlich hin zu dynamischen Gleichgewichten zwischen Rationalität und Emotionalität.

Musik beinhaltet die Besonderheit, dass sich der Mensch in einzigartiger Weise in ihr verlieren oder sich in ihr finden kann. Er kann gesuchte Einsamkeit verwirklichen – z.B. um zu kreativer Erneuerung zu gelangen – oder auch Einsamkeit durchbrechen, zu Harmonie und Glücksempfinden gelangen. Musik liefert dennoch keinen direkten Weg hin zu oder weg von einer Befindlichkeit bzw.

Es besteht kaum ein Zweifel darüber, dass im Grunde Rationales emotional wie auch Emotionales rational dargestellt werden kann. Dies wird dadurch evident, dass die physikalischen und technologischen Grundlagen der Musik – Instrumente – in komplexen Prozessen der Natur oder in Naturgesetzen ihren Inhalt haben und dass die harmonietheoretische Basis ein spezifisches Ordnungsschema bildet.

Beides, nämlich die wissenschaftlich-technologische Basis und harmonietheoretischen Ordnungsschemata (tonale, atonale Formen), sind notwendigerweise Voraussetzungen, die einen rationalen Inhalt aufweisen. Im emotionalen Sinngehalt jedoch verwirklicht sich das musikalische Schöpfertum, von der Komposition bis hin zur Interpretation in den unterschiedlichsten Formen der Aufführungspraxis.

Das musikalische Schöpfertum, die musikalische Kreativität, verweist in seiner Komplexität und Dynamik auf etwas Wichtiges, wonach streng genommen die fließenden Übergänge zwischen Rationalität und Emotionalität – so sehr wichtige Unterschiede erkannt worden sind – in bezug auf die komplexen Fragen nach dem möglichen Sinngehalt von Musik eher von Bedeutung sind.

Musik ist in dieser Hinsicht einzigartig: Rationalität kann emotionalisiert werden um den kognitiven Gehalt von Emotionalität leichter zu finden und umgekehrt. Obwohl diese Facetten auch in anderen Kulturdimensionen auftreten, etwa Theater, Literatur, bildende Kunst u.a.m., ist ihr integraler Bestandteil, die reine, d.h. textfreie Musik - eben wegen der ontologischen Neutralität und der Defragmentierung - die wahrscheinlich sensibelste Kulturerscheinung.

Denn Musik z.B. in Hinsicht auf interne und externe Freiheit bzw. soziale Gleichheit befragt, muss im Netzwerk moderner Gesellschaften gesehen werden. Die Vergeistigung der Welt hat zu ihrer Materialisierung geführt, jetzt zeigen sich Facetten der Materialisierung bzw. Kybernetisierung des Geistes: die wissenschaftlich-technisch-industrielle Zivilisation ist die zwischenzeitliche Repräsentation dieses Geschehens.

Was bedeutet dies für die Beziehungen zwischen interner (personaler) und externer (kultureller) Freiheit? Die Musik als wachsender integraler und integrierender Faktor in der digitalisierenden Weltkultur verändert radikal die Zusammenhänge zwischen Emotion, Kognition und Sozialisation. Die Symbiotisierung von Musik und Digitalisierung verwandelt die Welt in einen nie da gewesenen musikalischen Organismus, in dem Musik ein immer größeres Kontinuum abdeckt, von Musik als theoretische Reflexionskategorie bis hin zu Musik im operationalen Kontext von Musiktherapie.

Klassisches Verständnis: Musik wird aus spezifischen Lebensbestimmtheiten hervorgebracht, insofern hat Musik Historizität, eine Geschichte des Entstehens, die sich sowohl in der Ausbreitung und Interpretation verliert und die zusätzlich im digitalen Weltsystem, das die Lokalität von Musikkreation tendenziell transpersonalisiert,  transkulturalisiert wird.

Die Musik selbst - verstanden als besonders strukturiertes, hörbares Kulturphänomen, erzählt keine Geschichte, hat keine Historizität, tendenziell auch kaum mehr eine ursprüngliche Lokalität des Entstehens. Genau diese Koppelung von ontologischer Neutralität und Defragmentierung der Musik mit dem digitalen Zeitalter ermöglicht es, bisher Unverbundenes zu verbinden.

Die evolutionäre, immer stärker von der Musik her konstituierte Erhöhung von innerer und äußerer Freiheit verläuft offensichtlich über die Untrennbarkeit von Universalität und Vielfalt.

Musik repräsentiert eine besondere Variante von Ordnung, nämlich jene der dynamischen Ordnung oder des dynamischen Gleichgewichts in Zeitdimensionen, welche als Grundlage der kreativen Erweiterung der Denk- und Empfindungsräume angesehen werden kann. Obwohl die Evolution der Sprache – einschließlich der Wissenschaftssprache – tendenziell ebenfalls die Freiräume für Individuum und Gesellschaft eröffnet, vergrößert und vertieft, so scheint sie in bezug auf Nuancenreichtum und Kreativität gegenüber der Musik doch eher restriktiv zu sein.

Sprache kann sogar äußerst restriktive Funktionalität haben, jedoch kaum die "Sprache der Musik".


Paradigmenwechsel als Konstruktion soziokultureller Realitäten

Man kann zwar sagen, Musik sei eine Sprache, aber eben eine Sprache mit Struktureigenschaften, eben ontologischer Neutralität und Defragmentierung, die sich der Fragmentierung widersetzt oder, auf eine moderne analytische Formel gebracht: die Musik, die musikalische  Sprache, gehorcht nicht - im Gegensatz zur natürlichen Sprache - der binären Logik, d.h. die logische Wahr-falsch-Dichotomie kann in bezug auf die Musik nicht zur Anwendung kommen.

Man könnte bekanntlich keinen Bedeutungsgehalt gewinnen, wenn man z.B. Mozarts Musik als wahr und eine moderne Jazzinterpretation als falsch einstufen würde. Eine Begründung dafür findet sich u.a darin, dass Musik die Separierbarkeit von Emotion, Kognition und Sozialisation wie keine andere Kulturerscheinung ausschließt, aber dies schließt einen anderen zentralen Aspekt mit ein: Musik kann den Bedeutungs- bzw.

Sinngehalt von Sprach- und Symbolwelten verändern.

Es wird zweifellos immer offensichtlicher, dass eine enorme Wirkung von Musik sowohl auf die Oberflächen– wie Tiefenstrukturen des Menschen besteht; was z.B. im zunehmenden Eingang von Musik in Therapien, im Mozarteffekt u.a. seinen Ausdruck findet, obschon kaum etwas darüber bekannt ist, worauf sich Musik eigentlich bezieht.

Letzteres bleibt eine offene Frage: Bezieht sich Musik auf die mögliche Welt der Natur, auf jene der Kultur, auf eine virtuell-fiktive Welt oder aber auf eine Welt von Fantasien und Illusionen? Der Symbolgehalt der Musik oder einfach die "Sprache der Musik" ist von unserem alltäglichen Verständnis von Sprache wesentlich verschieden. Musik scheint auf keinen spezifischen Gegenstand der bekannten Welt hinzuweisen, was ihr einen offenen gegenstandslosen Charakter verleiht.

Unter Beachtung wichtiger sprachphilosophischer Einsichten, wonach eine prinzipielle Untrennbarkeit von Sprache und Lebensform besteht, wird es plausibler, dass Musik nicht in erster Linie die Menschenwelt und ihre innere und äußere Verfasstheit darstellt oder erklärt, sondern dass sie Lebensformen und Weltsichten erzeugt. Obwohl wichtige quantitative Aspekte in die Erzeugung von Musik eingehen (auf Naturgesetzen beruhende Instrumente), ist der zentrale erlebbare Sinngehalt von Musik immer ein qualitatives Gestaltphänomen, das eher ähnlich dem Phänomen der Zeit ist.

Die quantitative metrische Zeit – unverzichtbar im menschlichen Leben – ist doch nur eine Grundkonstante im Alltag des Menschen. Der andere Teil ist die Gestalt der phänomenologisch-existentiellen Zeit, die qualitativ und hochdifferenziert sinnstiftend ist: qualitatives Zeitempfinden und qualitatives Musikempfinden scheinen demnach phänomenologisch zusammenzufallen

Die unbekannte musikalische Innenwelt wird zur musikalischen Außenwelt, die musikalische Außenwelt zur Innenwelt internalisiert bzw. modelliert. Musik repräsentiert - von vielen andern Aspekten abgesehen - primär den Charakter von Selbstfindung und Selbsterzeugung, d.h. Musik kann nicht als etwas gesehen werden, zu dem gerade noch nicht das sprachlich-inhaltliche Äquivalent gefunden worden ist oder gar noch nicht Sprache ist.

Resonanzsystem des Menschen ist viel näher in Beziehung zu setzen zu äußeren Schwingungs- und Resonanzsystemen, als dies bisher zu sehen möglich war.

Damit tun sich erkennbare Implikationen auf: Musikalisches Erleben von Schönheit, von schöner Musik hat auffällige Ähnlichkeiten mit dem Gehalt der externalisierten Musik. Musikalisches Erleben als scheinbarer Ausdruck tiefer Subjektivität hat seine partielle Entsprechung: Musikerleben - ontologische Neutralität und Defragmentierung beachtend - ist eben nicht auf das erlebnisfähige Subjekt beschränkt.

Musik enthält offensichtlich das Potential, für den Zusammenhang von Emotion, Kognition und Sozialisation kulturtransformatorische Funktionen zu entwickeln. Ein Beispiel der neueren Zeit möge diese komplexen Zusammenhänge ein wenig illustrieren.

In den vergangenen 40 Jahren, etwa seit dem 2. Vatikanischen Konzil, gibt es einen erheblichen Paradigmenwechsel im Innen und Außenverhältnis von Kirche und Gesellschaft, der primär durch die Musik konstituierten Vernetzung von Emotion, Kognition und Sozialisation. Eine neue Fragestellung tritt ins Bewusstsein: Was ist die wahre, die richtige, die geeignete Musik für die Kirche, für die Liturgie, für die Messe? Kann die Antwort einfach durch lineare Fortschreibung der Tradition erreicht werden oder durch eine systematische Hierarchie, z. B. auch durch eine wissenschaftliche Entscheidung? Die Antwort ist nicht überraschend: Nein! Messen waren auch vor dem 2. Vatikanischen Konzil mehr oder weniger mit Musik verbunden, dominant aber waren es strukturierte Monolog- und Dialogkulturen.

Die Stellung der verschiedensten Musiken gewinnt im kirchlich-religiösen Kontext eine erheblich neue Bedeutung. Völlig neue Formen der Verbindung und der Transformationen von religiös-kirchlichen Inhalten und Musikinhalten treten in Erscheinung. Mit neuen Musiken in kirchlich- religiösen Kontexten finden die Menschen neue Formen, Religiosität zum Ausdruck zu bringen, größere Spielräume erzeugen sich für die symbiotischen Erfahrungen in Form der Einheit von religiöser und musikalischer Erfahrung.

Zumindest ist es eine Konvergenz; hier zeigt sich die paradigmatische Transformationskraft von Musik in der Änderung des Außen-Innerverhältnisses von Kirche und Gesellschaft. Das Eintreten und die Aufnahme von neuen Musiken und Musikstilen in die Liturgien bzw. Messen ermöglicht es den Menschen, innerkirchlich und innerreligiös mit der Art von Musik zu sein, mit der Menschen in außerkirchlichen Bereichen bestens vertraut sind.

Grenzen oder Begrenzungen zwischen innerkirchlichen und innerreligiösen Bereichen einerseits und außerkirchlichen bzw. außerreligiösen Bereichen andererseits sind im Fließen begriffen.

Andererseits führt dies auch zu weiteren Dezentralisationen und Verselbständigungen mit größeren Herausforderungen für die Identitätsfindung. Wenn kirchlich-religiöse Identität in erheblichem Ausmaß auch Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft bedeutet, dann ist die auch stark musikalisch konstituierte Öffnung bzw. Offenheit Ausdruck der neuen Formen von Identitätsbildung: Identität wird als evolutionäres Weltgeschehen verstanden werden können.

Die sich konstituierenden Freiheitsgrade steigen an, die Grundlagen für freie Entscheidungen werden expliziter, und vor allem werden die Entscheidungen bewusster, oder anders ausgedrückt: Musik koppelt sich stärker mit den Lebensverfasstheiten. Damit aber machen sich die Menschen für sich selbst und für andere verständlicher. Hierin liegt eine der zentralen Quellen für Toleranz.

Gibt es vor dem Hintergrund der Kulturentwicklung gesehen die wahre Musik für die Religiosität bzw. Kirche? Die Antwort zeigt immer deutlicher in die folgende Richtung: Die immer stärker musikalisch konstituierte Kultur generiert Vielfalt und Tiefe als dynamische Einheit des Selbsterzeugungsprozesses und des Selbstfindungsprozesses. Dieses Geschehen reduziert tendenziell hierarchische Normierungen des Lebens.

Auf dem Weg zu einer musikalischen Anthropologie

Seit der Neuzeit steigt die Wertigkeit von Musik in Kultur und Gesellschaft erheblich an, aber in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt es zu einer entscheidenden Wendung in der Stellung der Musik in existentieller wie in kultureller Hinsicht, weil die 4-fache Funktionalität von Musik wissenschaftlich ausgewiesen werden kann: Musik in Verflechtung mit Emotionsdynamik, Kognitionsdynamik, Sozialisationsdynamik, und mit Physio-/Neurodynamik.

Musik als Kulturphänomen erhält eine immer stärkere Koppelung mit neueren empirischen Wissenschaften, die Kontextualisierung von Musik erfährt einen gewaltigen Paradigmenwandel. Die Suchrichtung für eine auf Musik basierende Anthropologie ist damit in größere Reichweite gekommen. Geht man von wichtigen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen aus, kann der Mensch in wichtigen Teilen seiner Existenz als komplexes Schwingungs-Resonanz-Rhythmus System aufgefasst werden.

Musik wird hier als etwas erkannt, das eine zentrale Voraussetzung für z.B. das Erlernen einer Sprache ist. Dies deutet in vertiefter Weise darauf hin, dass der Mensch nicht bloß Musik hat, sondern in einem differenzierten Sinn Musik ist. Es ist die Interdependenzstruktur von Emotion, Kognition und Sozialisation. Nun lässt sich die klassische Frage verschärfen: Was ist der Mensch?  

Dazu kann man aus gegenwärtiger Erkenntnissicht wohl folgendes sagen: Der Mensch als mental-neuronales Resonanzgefüge hat weder allein kausale noch allein chaotische Struktureigenschaften, sondern statistisch-kausale Eigenschaften, die Ausnahmen erlauben. Die mental-neuronalen Resonanzsysteme werden von randomizers (Zufallsgeneratoren) unterbrochen, wodurch Generierung bzw.

Schöpfungen stattfinden können, deren Basis die nicht gleichverteilten Wahrscheinlichkeiten sind. Musik ist integriert mit mental neuronalen Gefügen, die eine grundlegende Ordnungsstruktur besitzen, wie dies in den modernen Komplexitätstheorien zu finden ist. Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, warum eine musikalisch-musikästhetische Anthropologie das Wesen des Menschen als schöpferisches Ereignis wird konzeptualisieren können: eben weil, wie schon gesagt, mental-neuronale Resonanzsysteme von statistischem Charakter sind, d.h. schöpferische Prozesse sind grundlegend von statistischem Charakter, die niemals vollständig rekonstruiert oder reproduziert werden können.


| | | | |
Tausche dein Hausarbeiten