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Sonstige
Soziologie

Friedrich-Schiller-Universität Jena - FSU

Rudi Rumpel, M.A.

Marie B. ©
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ID# 6759







Thema: Was versteht Foucault unter dem Begriff

„Disziplinargesellschaft“?

Essay


Der französische Philosoph Michel Foucault zählt zu den bedeutendsten Denkern der Spätmoderne , dessen Werke zu Untersuchungen der Themen Dressur, Kontrolle

oder Überwachung unersetzlich sind. Sein Ansatz, den Modernisierungsprozess als ein Prozess der Disziplinierung zu deuten, gilt als einer der provokantesten und gleichzeitig umstrittensten Versuche.

In meinem folgenden Essay möchte ich mich der von Foucault so genannten Disziplinargesellschaft widmen. Es soll Foucaults Analyse der wichtigsten Etappen der Entstehung einer solchen Gesellschaft kurz vorgestellt und Foucaults Verständnis einer Disziplinargesellschaft mit ihren Charakteristika erläutert werden.

Im Absolutismus am Ende des 18. Jahrhunderts herrschten in Frankreich die schrecklichsten Methoden des Marterns und des Tötens.

Der absolutistische Herrscher, dessen Macht vordergründig abschöpfend war, hatte die alleinige Macht über die Strafe, welche er grausam in einem "Theater der Hölle"[1] manifestierte.

Für den König war das Verbrechen ein kriegerischer Angriff auf seinen Körper, den er nicht dulden konnte. Seine Antwort bzw. seine Reaktion musste die Asymmetrie der Macht zwischen dem Verbrecher und dem Souverän wiederherstellen.

Das Ziel der Bestrafung war der Körper des Verbrechers, der Adressat des öffentlichen Zeremoniells der Bestrafung war jedoch das Volk, dem durch die öffentlichen Hinrichtungen Macht und Überlegenheit demonstriert werden sollte.

Der geschundene Körper des Verurteilten wurde zum sichtbaren, martretierten Zeichen souveräner Macht .

Diese Art der Souveränitätsgewalt rief jedoch zunehmend Probleme hervor, da es zu vermehrten Aufständen gegen die absolutistischen Herrschaftsmethoden des Souveräns kam und das Volk eine Solidarität mit den Verbrechern bildete:„ es wurde immer sichtbarer, das durch die Zeremonie des Martens ( .) vielmehr jene Solidarität als die Macht des Souveräns gestärkt wurde“[2].

Man forderte eine "besser[e]", universellere, "regelmäßigere und die gesamte Gesellschaft erfassende Funktion“ [3]der Bestrafung.

Im Zuge dieses wachsenden Legitimationsproblems, dem mit dem Anwachsen kapitalistischer Produktionsapparate und dem demographischen Wachstumsstoß des 18.Jahrhunderts potenzierten sich die Konfliktherde und ließen dadurch die konventionellen,

auf der Veranstaltung exemplarischer Marterfeste beruhende Souveränitäts- und Abschreckungsmacht im Absolutismus zunehmend unwirksam werden.


Während der Aufklärung wurde eine neue, humanere Ökonomie der Strafe nötig, „um die Ökonomie der Verausgabung und des Exzesses durch eine Ökonomie der Kontinuität und der Dauer zu ersetzten“[4].

Michel Foucault zu folge fand demnach ein Übergang vom feudalistisch-absoluten Strafsystem des Marterns hin zur modernen, überwachenden Disziplinargesellschaft statt.

Laut Foucault ist das Zeitalter der Strafnüchternheit angebrochen, in dessen Mittelpunkt nicht mehr die physische Bestrafung steht, sondern der Entzug von Rechten und Besitz, sowie die Kontrolle über die Individuen.

Den neuen Kernpunkt des Strafsystems bildet nun vielmehr die Seele des Verbrechers.

Foucault betrachtet hierbei nicht die Seele im Sinne des Christentums, sondern vielmehr als den inneren Geist des Menschen, der sein Denken und Handeln bestimmt.

Dem modernen Strafsystem geht es um die Besserung der Seele, nicht nur die Straftat ist nun Tatbestand, sondern vielmehr das Wesen des Täters.

Zudem kommt es zu einer Vervielfältigung der Instanzen des Justizapparates, bei dem nun auch Psychiater, Ärzte, Priester und Gefängniswärter zu einem zumindest passiven Teil der Rechtssprechung werden, wodurch Charakterzüge, die Vergangenheit und der soziale Hintergrund des Täters vermehrt in die Urteilsfindung einfließen.

Die Frage nach dem „Warum“ ist von wachsendem Interesse des Justizwesens, dessen Intention es ist, Straftaten bereits im Vorfeld zu verhindern. Deswegen rückt das Wesen des Verbrechers in den Vordergrund, man möchte die Beweggründe erfahren und analysieren, um Straftaten zu präventionieren.

Die Prävention ist wichtiger geworden als die Bestrafung selbst, das Gefühl der Unausweichlichkeit wird suggeriert: „So wird jedes Vergehen ans Tageslicht kommen und mit vollkommener Gewissheit bestraft werden“[5].

Durch die Einführung von Gesetzbüchern wurde dies verstärkt: vor dem Gesetz war nun jeder gleich gestellt und Strafsätze wurden erstmals geregelt und für alle geltend festgehalten.

In der neuen Moderne zielt die Strafe über die Seele auf den Körper, den man wirksam umerziehen will, um einen maximalen Nutzen für die Gesellschaft zu erlangen: „zu einer ausnutzbaren Kraft wird der Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist“[6].

Um eine Optimierung des Gesellschaftskörpers während des demografischen Wachstums und dem Anstieg der kapitalistischen Produktionsapparate zu gewährleisten, wird das Individuum normiert und dressiert. Beispiele hierfür sind u.a. die Regelung von Tagesabläufen, aber auch die Anerziehung von Hygienepraktiken.

Für Foucault wird die Seele, über welche die neue Macht agiert und welche „selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den Körper ausübt“[7] somit schließlich zum Gefängnis des Körpers.

Auch in der Architektur von Gebäuden spiegelt sich ein Teil dieser Machttechnologie wieder.

Das Panopticon von Jeremy Bentham gilt hierbei als Idealmodell zur Ausübung der modernen Machttechnik der Kontrollgesellschaft.

Im Panoptischen Gefängnis wird die Masse an Straftätern ersetzt durch getrennte Individuen, denen kein Austausch möglich ist und die feudale Festungsarchitektur wurde durch eine einfache Geometrie ersetzt, in denen die Häftlinge in einer permanenten Machtsituation gefangen sind.

Es handelt sich um ein wissenschaftliches Gefängnis, dass Untersuchungen über die Individuen anstellt, sie analysiert und kategorisiert, um dann Verhaltenskorrekturen bzw. Dressuren, wie es Foucault nennt, durchzuführen.

Der Erfinder dieser Strafanstalt, Jeremy Bentham nahm an, dass dieses permanente unsichtbare Überwachung zu einem automatischen, regelkonformen Verhalten der Insassen führen und sich darüber hinaus, durch Einsparung von Wachpersonal, ökonomisch vorteilhaft auswirken würde.Im Panopticon ist die Intention der Perfektionierung der Macht und die Steigerung bzw.

Für Foucault sind Institutionen wie Gefängnisse, Spitäler und Psychiatrien Orte, an denen sich Praktiken entwickeln und Wissen akkumuliert wird.

Das panoptische Gefängnis von Bentham fungiert somit als das ideale Modell einer

Gesellschaft, die Michel Foucault als eine Disziplinargesellschaft beschreibt.

Er stellt mit diesem Begriff die Erziehungs- bzw. Normierungsprozesse der modernen Gesellschaft dar, in der die individuellen Kräfte durch Disziplinartechniken und Normen zu möglichst geringen Kosten gesteigert, genutzt und geleitet werden.

Als Grund für die Entstehung der Disziplinargesellschaft nennt Foucault die bereits beschriebenen Transformationsprozesse: „Der Übergang von einem Projekt zum anderen, vom Modell der Ausnahmedisziplin zu dem der verallgemeinerten Überwachung, beruht auf einer historischen Transformation: der fortschreitenden Ausweitung der Disziplinarsysteme im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, ihrer Vervielfältigung durch den gesamten Gesellschaftskörper hindurch, der Formierung der Disziplinargesellschaft“[8].

Zum einen werden Disziplinen schon im frühen Kindesalter angewandt, als eine Art Prävention. Es kommt somit zu einer Funktionsumkehr der Disziplinarmaßnahme, die nun nicht mehr bestrafend sondern präventionierend angewandt wird.

Zum anderen werden Disziplinen immer mehr zu Techniken, die nutzbringende Individuen hervorbringen. Deshalb rücken sie von den peripheren Gebieten der Gesellschaft in deren Zentrum: „Was einst eine Insel war, ein bevorzugter Platz, eine vorübergehende Maßnahme oder ein besonderes Modell wird nun zur allgemeinen Formel[9].

Ein zweiter Aspekt ist, dass sich die Disziplinarmechanismen bzw. –institutionen zwar vervielfältigen und in die kleinsten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens greifen, sie sich aber gleichzeitig auch desinstitutionalisieren.

Alle Institutionen zusammen bilden nach Foucault ein großes „ Kerker-Kontinuum“ verbunden durch eine gemeinsame Technik- die Disziplin und Normalisierungsprozesse.

Sie übertragen die Technik des Justizwesens auf die Gesellschaft, die Macht ist nicht mehr zentral organisiert, sondern polyzentrisch und omnipräsent zugleich.

Durch diese besagte Omnipräsenz der Macht verliert das Gefängnis zunehmend an Bedeutung, da die Gesellschaft selbst nach Foucault wie ein Gefängnis agiert.

Ein dritter Aspekt, den Foucault als charakteristisch für eine Disziplinargesellschaft ansieht, ist die Entwicklung der Humanwissenschaften.

Die Analyse und Formierung der Subjekte in einer Disziplinargesellschaft akkumuliert Wissen, wodurch Foucaults These besagt, dass die Humanwissenschaften nur eine Systematisierung eines erlangten Wissens sind, das am Disziplinarsubjekt „Mensch“ gewonnen wurde.

Zusammenfassend lässt sich demnach feststellen, dass Michel Foucault ein meiner Ansicht nach düsteres Bild der modernen Gesellschaft zeichnet, in welcher der Mensch auf Grund von Unterwerfungs- und Disziplinierungsprozessen zu einem Subjekt degradiert wird, welches zu normgerechten Verhalten angewiesen wird, um einen maximalen gesellschaftlichen Nutzen zu erzielen.

Foucault sieht die Disziplinargesellschaft als ein Ordnungsprinzip vorwiegend der westlich-liberalen Welt, in der jedes Individuum durch die Disziplinarmacht ergriffen und gelenkt wird.

Die Disziplinierung der Gesellschaft war seiner Ansicht nach neben der Akkumulation von Kapital die maßgebende Voraussetzung für das Funktionieren der modernen Industriegesellschaft.

Foucaults These lautet, dass„ Die Aufklärung, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden“[12]. Das Bestreben der Menschen nach Rationalität während der Aufklärung führte die Menschen demnach in ein System der Disziplinen.

Abschließend lässt sich ebenfalls feststellten, dass das Individuum selbst genau jene Gesellschaft am Leben erhält, da nach Foucault Macht eine wechselseitige Beziehung ist, deren Verhältnis sich immer wieder herstellen muss. Somit treiben die Individuen selbst diese Gesellschaft an:

„Wir sind nicht auf der Bühne und nicht auf den Rängen.

Sondern eingeschlossen in das Räderwerk der panoptischen Maschine, das wir selber in Gang halten- jeder ein Rädchen“[13]

Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994.

Rosa, Hartmut/ Strecker, David/ Kottmann, Andrea, Soziologische Theorien, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2007.



[1] Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 61.

[2] Vgl. ebd. S. 82.

[3] Vgl. ebd. S. 104.

[4] Vgl. ebd. S. 111.

[5] Vgl. ebd. S. 123.

[6] Vgl. ebd. S. 37.

[7] Vgl. ebd. S. 42.

[8] Vgl. ebd. S. 269.

[9] Vgl. ebd. S. 269.

[10] Vgl. ebd. S. 272

[11] Vgl. ebd. S. 246.

[12] Vgl. ebd. S. 285.

[13] Vgl. ebd. S.279.


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