Leuphana
Universität Lüneburg
Wintersemester
09/10
WAS
IST KUNST?
Am
Beispiel der Ausstellung Art/Artifact
Seminar:
Einführung in das Studiengebiet Künste,
Kulturkommunikation
und -organisation
Prüfer:
Dr. Christoph Behnke
Abgabetermin
15. Februar 2010
Die
Ausstellung Art/Artifact, welche 1988 im „Center for African Art“ in New York
von Susan Vogel kuratiert wurde, legte es darauf an, die Frage „Was ist Kunst“
zu stellen und zu hinterfragen. Die Ausstellung zeigte afrikanische, primitive
Alltagsgegenstände wie Werkzeuge, Waffen, Figuren und Kleidung, welche sonst
nur in völkerkundlichen oder naturhistorischen Museen ausgestellt sind, in
verschiedenen räumlichen Begebenheiten. Die Intention hinter den
unterschiedlichen Präsentationsformen der ausgestellten Gegenstände lag dabei,
die Wirkung der Präsentationsform der Gegenstände und die sich verändernde
Auffassung von Kunst zu zeigen.
Die
Präsentationsform der ausgestellten Objekte wurde mit Hinblick auf die
Fragestellung, der Definition von Kunst bewusst variiert. Es wurde ein „White Cube“
Raum benutzt, welcher die häufigste Präsentationsform in heutigen Kunstmuseen
ist, und damit den Besuchern der Ausstellung bekannt war. Bei dem „White Cube“
Raum handelt es sich um einen weißen Raum, in dem die Aufmerksamkeit des
Betrachters allein auf die ausgestellten Stücke gelenkt werden soll. Bis auf
diese gewissenhaft dargelegten Objekte, befinden sich keine anderen,
überflüssigen Gegenstände in dem Ausstellungsraum. Da diese Form von
Präsentation dem Betrachter aus anderen Kunstmuseen bekannt ist, manipuliert
sie seine Wahrnehmung indem sie suggeriert, dass es sich bei den Gegenständen
um Kunst handelt. In naturhistorischen Räumen, entsteht dieses Gefühl, dass man
Kunst betrachtet nicht, da die Gegenstände, im geschichtlichen Kontext gezeigt,
eine Erklärende und Informierende Form annehmen. Die Räume sind meistens
künstlich historisch nachempfunden und die Objekte werden somit automatisch,
frei vom westlich aufgedrängten Kunstverständnis, in ihrer geschichtlichen
Funktion betrachtet. Auch in einem anderen Raum, dem „Curiosity Room“ wird
diese westliche Auferlegung von Kunstmaßstäben hinterfragt. Der „Curiosity Room“
zeigt die Veränderung der Betrachtungsweise afrikanischer Gegenstände durch die
Kolonialisierung im 19ten Jahrhundert. Der Raum ist wie ein Zimmer im
großbürgerlichen Stil um 1900 eingerichtet, das in heroischer Manier, die
afrikanischen Speere und Masken an der Wand und in Vitrinen präsentiert. Diese
Darstellungsform wird in einem weiteren Raum fortgeführt, wo die
Ausstellungsstücke, wie in klassischen Kunstmuseen, mit Beschreibungen und
Informationen ausgestellt sind. Dies unterstützt, wie eine Ausstellung von
antiken Münzen, die Wahrnehmung der Gegenstände als Kunst, doch nicht als Kunst
im Sinne der modernen Kunst, sondern eher als geschichtliches Kunsthandwerk.
Alle
Räume stellten gleichwertige und ähnliche Objekte aus, doch die Kunstrezeption
war je nach Raum unterschiedlich. Es muss sich also die Frage gestellt werden,
ob die Präsentation von Kunst über das Kunstverständnis bestimmt und wie Kunst
heutzutage definiert wird.
Es
wurden nicht nur gleiche oder ähnliche Objekte in den verschiedenen Räumen
unterschiedlich wahrgenommen, auch in einem weiter gefassten Rahmen wurden
diese ursprünglichen Gebrauchsgegenstände, in einer solchen westlichen
Auffassung präsentiert, zumindest als ausstellungswürdig und teilweise sogar
als Kunst aufgefasst.
Auch
Künstler des 21. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Marcel Duchamps zeigten diese
Entfremdung, Gebrauchsgegenstände als Kunstform, als so genannte „readymades“
wie eben Marcel Duchamps Schneeschaufel. Hierbei wurden normale
Alltagsutensilien aus ihrer natürlichen Umgebung herausgenommen und dann in
einem Ausstellungsraum eines Kunstmuseums zu Kunst gemacht.
Weil
sich eben das Verständnis von Kunst sich in den letzten Jahrhunderten stark
verändert hat, ist es heutzutage sehr schwierig zu definieren, was Kunst ist
und was nicht. Früher viel das Definieren leichter, ein künstlerisches Werk
galt als eines, welches von einem erfahrenen Meister der Kunst, aus großen
Wissens- und Informationsquellen, mit professionellem und feinem Handwerk und
Techniken und aus wertvollen Materialien geschaffen worden war. Jedoch
veränderte sich alles, als im 19ten Jahrhundert der Impressionismus vom
Expressionismus abgelöst wird: Die vorhandenen Regeln der Kunst, die zwar immer
wieder verändert wurden, dabei aber meistens einer Ästhetik oder einem
traditionellen Hintergrund folgten, wurden gänzlich verworfen. Henri Matisse startete
mit der Kunsttechnik, Bilder in Abstraktionen anzufertigen, eine neue Kunstform
und die Kunstströmungen, wie die des Kubismus und Dadaismus folgten. Diese
Bewegungen entfernten sich nicht nur von bekannten Motiven, sondern auch von
der traditionellen Ästhetik der Kunst. Dies war die Geburt der modernen Kunst
und diese teilte die Meinungen der Gesellschaft. Auf der einen Seite
Bewunderung und Begeisterung für diese Revolution, auf der anderen Seite,
konnten traditionelle Geschmäcker nicht verstehen, wieso ein Werk von Jackson Pollock
als Kunst bezeichnet wurde.
Um der
heutigen Definition von Kunst näher zu kommen, muss man betrachten, dass die
Kunst sowohl subjektiv als auch objektiv ist. Dies beschreibt auch Immanuel
Kants in seiner Ästhetikphilosophie: Kant beschreibt ein subjektives Gefühl
beim Betrachten eines Gegenstandes, der durch eine Ästhetik besticht und
zweckmäßig ohne die direkte Assoziation zum Zweck, also interesselos, ist.
Natürlich braucht dieses subjektive Gefühl auch eine Legitimation, die es in
dem allgemeingültigen Übereinkommen erhält - und damit auch eine objektive
Bestätigung als Kunst. Doch dies bezieht sich auch auf Gegenstände, die zwar
schön sind, nicht aber als Kunst verstanden werden, wie eine großartig
entworfene Kücheneinrichtung und wiederum nicht auf andere Gegenstände, die als
Kunst gelten, jedoch nicht im engeren Sinne als schön bezeichnet werden können,
wie zum Beispiel Joseph Beuys „Fat Chair“.
Doch
kann man die Ausstellungsstücke von Art/Artifact nun als Kunst zu bezeichnen
oder nicht? Diese Gegenstände sind meist mit großer Handfertigkeit hergestellt,
und mit detailverliebter Verzierung ausgestattet. Nach der Definition von Roger
Frys, könnten die Ausstellungsstücke als Kunstwerke bezeichnet werden, da sie
eine expressive Absicht beinhalten. Aber auch nach dieser Definition lässt sich
Kunst nicht von Design unterscheiden, denn die Gebrauchsgegenstände von heute
verfügen auch über eine expressive Absicht, welche über den Nutzen hinaus geht,
und wir würden unsere Gebrauchsgegenstände, wie eine unnötig elegant geformte
Kaffeemaschine, nicht als Kunst bezeichnen und die Vorstellung, dass diese
Gegenstände in Ausstellungsräumen als Kunst präsentiert werden könnten, scheint
abwegig. Trotzdem gehen die Besucher von Ausstellungen unterschiedlich mit den
ihnen bekannten Gegenständen um als im Alltag. Durch die Präsentation der
Gegenstände als Kunst in Räumen von Museen, welches als Beurteilungsinstanz von
Kunst eine Autoritätsposition einnimmt, begegnen die Besucher den Gegenständen
anders. Gebrauchsgegenstände dürfen nicht benutzt, nicht angefasst werden und
die besondere Hervorhebung der Objekte, lässt den Betrachter die Nützlichkeit
hinterfragen und eine Besonderheit vermuten.
Werden
die afrikanischen Objekte nun aus ihrem Ursprung herausgerissen, bietet sich
natürlich die Möglichkeit, die Arbeiten ohne ihren religiösen oder anderen, der
westlichen Welt unbekannten, Hintergrund, zu bewerten, was die Gegenstände für
den westlichen Betrachter oft unbekannt macht. Doch dies birgt auch Probleme,
denn die Vorgehensweise, Gegenstände aus ihrem Bedeutungskreis zu entfernen,
sie dann nach anderen, westlichen Kriterien zu beurteilen und sie als Kunst zu
definieren, ist umstritten. Auf diese Tatsache weist auch der Ausstellungsraum
„Curiosity Room“ hin. Doch auch wenn das Ursprungsland durch den Export viel
kulturelles Erbe verliert, sagt diese Vorgehensweise mehr etwas über die
westliche Kultur aus, als über die Wertigkeit der Gegenstände.
Wenn
diese Exponate also als Kunst präsentiert werden, sind sie dann Kunst, wie
Timothy Binkley behauptet, wenn er sagt, dass eine Arbeit Kunst ist, wenn sie
also solche bezeichnet wird. Doch die Ausstellung Art/Artifact lässt in ihrem
Titel offen, ob die Ausstellungsstücke als Kunst oder als geschichtliche
Artefakte bezeichnet werden sollen. Und so fehlt die sprachliche Bezeichnung,
obwohl die Exponate unterschiedliche, je nach Ausstellungsart als Kunstwerk
oder als primitiver Gebrauchsgegenstand bezeichnet werden.
Die
Ausstellung Art/Artifact hat die Diskussion über die Definition von Kunst
wieder angeregt. Durch die Verknüpfung von afrikanischen, naturhistorischen
Gebrauchsgegenständen und die Präsentation, in Form einer modernen
Kunstausstellung, stellt sich wieder die Frage, was denn Kunst sei. Kunst ist
eine mehrdimensionale Bezeichnung, die durch die Hinterfragung selbst immer
wieder die Grenzen überschreitet und damit die Gesellschaft permanent vor die
Herausforderung stellt, eine objektive Bezeichnung für Kunst zu finden. Kunst
ist sowohl ästhetisch als auch subjektiv durch die eigenen Erfahrungen und
Wertschätzungen geprägt und ist gleichzeitig auch wandelbar und innovativ und
wird durch neue Wertsetzungen in verschiedenen Strömungen beeinflusst. Kunst
ist aber auch objektiv, erarbeitet von professionellen Kunstkennern und
Historikern, basierend auf bestimmten, objektiven Normen, Prinzipien und
Bewertungen.
Die
Ausstellung zeigt, dass das Kunstverständnis immer noch zu ungenau ist und dass
es durch neue Formen der Kunstauffassung immer wieder ins Wanken gebracht
werden kann. Es fordert die Besucher heraus ihr gefertigtes Wissen von Kunst zu
überdenken und stellt durch die Beeinflussung der Rezeption und Wahrnehmung der
Exponate die alten Kunstdefinitionen in Frage.
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