Was ist Bildung?
Kritik und Verfallsgeschichte des Begriffs:
- Bildungsbegriff keinesfalls unbelastet
- Geriet in 60er und 70er Jahren unter heftige
Kritik
• Er sei idealisiernd- überhöht
• Historisch überholt und einer modernen
Demokratie nicht mehr angemessen
• Unpolitisch
• Verschlissen im elitären Gebrauch
• Für die moderne Industriegesellschaft völlig
unbrauchbar
Etc.
- Bildung wurde zu Vehikel der Sicherung
sozialer Privilegien der erstarkten Bürgertums
- Ehe von Besitz und Bildung
- Bildung wurde plutokratisch missbraucht, für
Aufstieg individualistisch verwertbar und schließlich auf Kanon der
Gymnasialfächer reduziert
Bildung als pädagogische Grundkategorie
- nur wenige Sprachen unterscheiden zwischen
Erziehung und Bildung
- nach GUDJONS aber gesonderter Bildungsbegriff
durchaus ein Vorteil
- 3 Argumentationslinien:
• zunehmende spez. Verwissenschaftlichung
unserer Lebensverhältnisse läßt Abbau gemeinsamer Anschauungen, Werthaltungen
und Verhaltensweisen befürchten – Allgemeinbildung soll dem entgegenwirken
• dem beobachteten Pluralismus werden
Vorstellungen von möglicher Konzentration entgegengesetzt; v.a. Kirchen, SPD,
Grüne wollen Bildungsbegriff jeweils inhaltlich füllen und unter einen solchen
Leitkategorie entspr. Lernprozesse reorganisieren
• in der EW wird versucht, Bildungsbegriff
stärker theoriegeleitet, historisch- systematisch zu rekonstruieren und damit
neu zu formulieren
- Bildung meint:
• Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung
und Solidaritätsfähigkeit mit anderen
• Bildung immer mehr, als ein Selbst- und
Weltverhältnis auszulegen, das nicht nur rezeptive, sondern verändernd-
produktive Teilnahme an der Kultur meint
• Die Gewinnung von Individualität und
Gemeinschaftlichkeit
• Eine allgemeingültige, d.h. für alle Menschen
gleich gültige Bildung
• Vielseitigkeit, v.a. die moralische,
kognitive, ästhetische und praktische Dimension
Bildungsbegriff hat generellen Maßstab, der es z.B.
ermöglicht, Erziehungsziele zu beurteilen, Erziehung kritisierbar zu machen und
zu bewerten
Umrisse eines modernen
Bildungskonzeptes
- 5 grundlegende Dimensionen des
Bildungsbegriffs unterscheidbar:
• sachliche Dimension: braucht bestimmte
Bildungsinhalte
• temporäre Dimension: Zeitverlauf der
Menschheitsgeschichte hat einen Sinn, der immer wieder ausgehandelt werden muss
• soziale Dimension: mit Bildung sind normative
Zusammenhänge der menschlichen Gesellschaft verbunden
• wissenschaftliche Dimension: Wissenschaft
möchte, dass Bildung Wissenschaft braucht
• autobiographische Dimension: einzelne braucht
Bildung für sein Selbstverständnis
- Bildung bezeichnet eine Weise, mit aktuellen
gesellschaftlichen Problemen (Handlungsfähigkeit der Menschen gg. globalen
Problemen abnehmend etc.) umzugehen, wobei Bildung auf Zukunft zielt, oberste
Maxime ist die Erhaltung des Lebens
- Zur Zeit wohl umfangreichster Versuch über
erziehungswissenschaftliche Reformulierung gesellschaftlicher Problemlagen eine
Bildungstheorie zu initiieren von HANSMANN / MAROTZKI:
• Arbeit: nur profitgeleitete, umweltzerstörende
Wirtschaft widerspricht demselben Vernunftprinzip, das sowohl Kindern Zukunft
ermöglichen als auch Erwachsenen den Lebensunterhalt sichern soll
Bildungstheoretische Bedeutung: neben wichtigen allseitigen
basalen Fähigkeiten und Fertigkeiten kommt es verstärkt darauf an,
Heranwachsende auf den Komplexitätszuwachs im Arbeitsleben vorzubereiten; nicht
nur technische , sondern auch soziale Kompetenzen
• Rationalität und Wissenschaft: Zweck- Mittel-
Denken als Grundlage des technischen Fortschritts verliert seine Absolutheitsanspruch;
darüberhinaus geht es um neue Formen von Sinnlichkeit, Emotionalität,
ganzheitlicher Lebensverfassung etc. wie sich dies in den sog. Neuen sozialen
Bewegungen ankündigt
Bildungsbegriff: hätte sich diesen neuen Herausforderungen
zu stellen
• Subjektivität und Wirklichkeitsverarbeitung:
zunehmend mediale Vermittlung der Welt, deshalb Deutungsmuster weitgehend
medial induzierte Weltbilder; Bildung zeigt sich v.a. daran, über welche
Interpretationsmöglichkeiten von Erfahrung und Welt das Subjekt verfügt
Bildung dann: sinnstiftende und orientierende Funktion,
indem sie Pluralität menschlicher Selbst- und Weltverhältnisse fruchtbar macht
• Wertorientierung und Ethik: Veränderung der
Wertorientierungen; Bildung vermittelt die Fähigkeit, über faktisches Wissen
hinaus eine Orientierung seines Wollens aufzubauen und zu verantworten
Bildung dann: Befähigung der Menschen, in Auseinandersetzung
um ein selbstbestimmtes und mitmenschlich verantwortbares Leben ihre Stimme zu
erheben
Bildung als kritische Selbstbildung für
alle
- Funktionen von Bildung:
1) Einführung in die Gesellschaft und Einübung in
deren Regeln
2) Herstellen einer kritischen, reflexiven
Distanz zu dieser Gesellschaft
- Bildung umfasst also: Bildungsgüter (=
materiale Bildung), innere Kräfteentwicklung (= formale Bildung), existentielle
Fragen wie Selbstvergewisserung, Sinnkonstitution und zeitgeschichtl.
Ortsbestimmung
- Damit auch alte Trennung von Allgemeiner
Bildung und Spezial (aus)bildung überholt
- Bildung ein lebenslanger Prozess – anders als
Erziehung
- Inhalte von Bildung nicht zeitunabhängig zu
bestimmen, Bildung muss vielmehr auf die unvermeidlichen Kontingenzen z.B.
Pluralismus reagieren
- Aktueller Fokus der Diskussion: Ist die in
ihrer Zukunft bedrohte Welt grundsätzlich noch verstehbar und mitgestaltbar
Bildung muss sich notwendigerweise als erstes der
Ratlosigkeit angesichts dieser Frage stellen
Bildung und Schule
- Lehrplan muss noch die wesentlichen Elemente
eines modernen Bildungskonzeptes umsetzen
- Was in Schulen als Allgemeinbildung gelten
soll, wird weiterhin durch politischen Einfluss bestimmt
erhebliche Lücke zwischen Theorie und Praxis
Bildungsbegriff gerade deshalb bes. wichtig für
Lehrende und Lernende:
• Maßstab und Perspektive für Beurteilung des
Pädagogischen an Bildung durch Schule
- 4 grundlegende Funktionen des
Bildungsbegriffs unterscheidbar:
• heuristische Funktion: hilft, praktische
Schularbeit zu analysieren, ungelöste Fragen schärfer zu sehen, neue Aufgaben
zu finden und neue Schwerpunkte zu formulieren
• Legitimationsfunktion: fordert von uns,
Ansprüche zu begründen
• Strukturierungsfunktion: hilft uns zur
Konzentration der Inhalte und der Zeit auf wirklich wesentliche Thematiken und
bringt unverzichtbare Gewichtung ins Wirrwarr unterschiedlichster Fachaspekte;
unverzichtbares Fachwissen wird integriert und vernetzt zu komplexen
Sachverhalten
• kritische Funktion: ist Widerpart zum
Mißbrauch junger Menschen für die Zwecke anderer; hilft dazu, Leistung nicht zu
entfremden und junge Leute in Punktesammler für die Anpassung an unreflektierte
Normen anderer zu verwandeln
Fazit
Allgemeine Bildung – im Verständnis Klafkis – als Anspruch
aller Menschen auf allseitige Bildung im Medium der allgemeinen
Schlüsselprobleme der Menschheit heute hat demnach Konsequenzen für den
schulischen Alltag und für die Grundstruktur von Schule