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Seminararbeit / Hausarbeit

Verfrem­dungs­ef­fekt in Brechts Mutter Courage und ihre Kinder

1.695 Wörter / ~8 Seiten sternsternsternsternstern_0.25 Autor Stephan H. im Okt. 2012
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Seminararbeit
Deutsch

Verfremdungseffekt Mutter Courage

Universität, Schule

Universität Hamburg

Note, Lehrer, Jahr

2012, 2

Autor / Copyright
Stephan H. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.13 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.25
ID# 23709








Inhaltsverzeichnis


1. Verfremdung – Definition

2. V-Effekte in Brechts „Mutter Courage und Ihre Kinder“

2.1. Die Funktion der Lieder

2.2. Historischer Hintergrund

2.3. Gestus und gestische Sprache

2.4. Verfremdung auf der Bühne und in Inszenierungen

2.4.1. Arrangement

2.4.2. Die Schauspieler

2.4.3. Zuwendung zum Publikum

2.4.4. Bühnenbild

2.4.5. Illusionäre Elemente

2.4.6. Führung der Fabel

3. Warum lernt Mutter Courage nichts?

4. Nachwort


















1. Verfremdung – Definition


Nicht nur „Mutter Courage und ihre Kinder“, sondern auch andere Werke Bertolt Brechts sind unter anderem auch durch den Verfremdungseffekt gekennzeichnet. Es handelt sich um eine Technik, die in den Dramen Brechts vorkommt. Im normalen Theater wird den Zuschauern eine solche Welt vermittelt, die die Zuschauer gut kennen und die für sie alltäglich wirkt. Es gibt sozusagen eine „vierte Wand“ zwischen dem Publikum und der Bühne, die Brecht versucht hat zu beseitigen. Die Verfremdung (verfremdetes Theater) lässt den Zuschauer erkennen, dass die Handlung auf der Bühne nicht realistisch, sondern nur künstlich ist, und die Schauspieler nicht identisch mit den Figuren sind. Außerdem soll die Verfremdung veranlassen, dass der Zuschauer nicht anfängt, sich in die Figuren einzufühlen. „Einen Vorgang oder einen Charakter verfremden, heißt zunächst einfach, dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständliche, Bekannte, Einleuchtende zu nehmen und über ihn Staunen und Bewunderung zu erzeugen."1 Eine kürzere Erläuterung wäre: die Verfremdung ist ein Mittel, um die Illusionen der Zuschauer zu zerstören, die durch das Wirken der sog. „vierten Wand“ entstehen. Diese Verfremdung ist charakteristisch für das epische Theater, in dem die Schauspieler ihre Rollen distanziert spielen sollen, um den Zuschauer zum Nachdenken zu bewegen. Wichtig ist, dass der Zuschauer dabei aufmerksam wird, seine Rezeption geändert wird und ihn die Situation zwingt, sich nicht in die Haut der Figuren hineinzuversetzen und nach einer Problemlösung zu suchen. Jürgen Link dagegen versteht unter „Verfremdung“ in der Lyrik zwei Bestandteile, und zwar eine automatisierte Folie und ein Novum. Er vergleicht diesen Effekt mit einem Bild, das um 45 Grad gedreht aufgehängt ist. Der Betrachter, so Link, „nimmt nicht nur das realisierte gedrehte Bild auf, sondern in der inneren Vorstellung auch ein normal aufgehängtes Bild“. (in Eicher/Wiemann: Arbeitsbuch: Literaturwissenschaft). Allerdings kommt diese Verfremdung nur in der Lyrik vor und darf nicht mit der Verfremdung bei Brecht verwechselt werden.




2. V-Effekte in Brechts „Mutter Courage und Ihre Kinder“


2.1. Die Funktion der Lieder


In mehreren Stücken Brechts kommen verschiedene Lieder vor, die Brecht für entscheidende Merkmale des epischen Theaters bezeichnet hat. Hier treffen die drei Gattungen aufeinander - episches Theater (Epik und Drama) und Lyrik. Die Lieder sollen die Handlung untermalen und herausheben, sie erzählen, was im Stück geschieht, bzw. geschehen wird, werden aber nicht so verwendet, wie in anderen Dramen Brecht. Die Lieder sind bei „Mutter Courage und ihre Kinder“ keine Entspannungspausen zwischen den Szenen, sondern Einlagen, die die Handlung nicht beeinflussen und die Lyrik mit dem Drama werden nicht als eine zusammengesetzte Einheit verstanden. Die Rezeption der Zuschauer soll damit verändert werden, wobei Erkenntnisse gewonnen werden können.


2.2. Historischer Hintergrund


In „Mutter Courage und ihre Kinder“ ist die Hauptproblematik der Dreißigjährige Krieg, der im 17. Jahrhundert ganz Deutschland spaltete (Protestanten vs. Katholiken); es war Kampf um den richtigen Glauben. Das Stück selbst entstand kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, es werden also die im Krieg vorkommenden Prozesse dargestellt und die Problematik des Krieges konkretisiert. Der Zuschauer sieht, wie die damalige Situation war und es bewegt ihn die Realität zu ändern, weil sie eben veränderbar ist.


2.3. Gestus und gestische Sprache


Brecht versteht unter „Gestus" einen Komplex von Gesten, Mimik und für gewöhnlich auch Aussagen, die ein Mensch (oder auch mehrere) an einen (oder mehrere andere) Menschen richtet. Die gestische Sprache versucht Gefühle und Emotionen auszudrücken, die dann durch das gesellschaftliche Handeln dargestellt werden.




Ein Beispiel für diese gestische Sprache wäre:

Sagen Sie mir nicht, daß Friede ausgebrochen ist […].“ 2 Man könnte das als einen Vergleich zwischen dem Krieg und Frieden betrachten (der Krieg bricht aus, der Frieden kehrt ein/zurück). Man kann hier merken, dass der Frieden für Mutter Courage eigentlich das „Ungute“ darstellt, weil sie vom Krieg lebt. Im Drama werden in jeweiligen Szenen die Figuren dargestellt, derer Haltungen, Meinungen, Entwicklungen und psychologische Lagen durch ihre Sprache der Zuschauer wahrnehmen und aufdecken kann.


2.4. Verfremdung auf der Bühne und in Inszenierungen


2.4.1. Arrangement

Das Arrangement soll den Sinn und die Widersprüchlichkeit der Vorgänge aufdecken. Man kann sehen, ob die Interessen und Haltungen der Figuren übereinstimmen, oder ob sie sich widersprechen.


2.4.2. Die Schauspieler

Der V-Effekt wird erzielt, in dem auf der Bühne statt einer alten, leidgeprüften Bäuerin, die im Krieg ihre Kinder verloren hat, diese Rolle eine junge Schauspielerin darstellen könnte. Es wäre möglich, die Rollen zu vertauschen, z. B. eine weibliche Figur würde man durch eine männliche darstellen lassen oder umgekehrt. Beim Singen der Lieder wird eine künstliche Sängerhaltung der Schauspieler realisiert, die Beleuchtung ändert sich, und die ganze Situation auf der Bühne wird herausgehoben, da diese Lieder die Handlung unterbrechen, aber zugleich auch resümieren.


2.4.3. Zuwendung zum Publikum

Mit Hilfe der direkten Adressen an das Publikum soll die Gefahr der Einfühlung vermieden werden. Es handelt sich nicht länger um eine Suggestion von Wirklichkeit, sondern wird durch das Heraustreten der Schauspieler aus der Rolle zur Beurteilung an das bewusst sehende Publikum übergeben, z. B. in den Liedern werden bestimmte Erläuterungen direkt an den Zuschauer gerichtet.

2.4.4. Bühnenbild

Laut Brecht ist für „Mutter Courage“ ein sparsames und auf das Notwendigste konzentriertes Bühnenbild am idealsten. Auf der Bühne ist oft kein Vorhang, oder nur ein kleiner Vorhang, Theatermaschinerie ist sichtbar, und es gibt Umbauten auf offener Bühne. Wichtig ist auch die Verwendung von Masken, was bedeutet, dass der Schauspieler die Rolle distanziert spielt, weisen aber auch auf die starre Unbeweglichkeit des Denkens der Figuren hin.


2.4.5. Illusionäre Elemente

Auf der Bühne entsteht eine indirekte Illusion oder ein illusionäres Element der flachen Landschaft wegen dem Rundhorizont. Es wirkt im Zuschauer und entwickelt eine gewisse poetische Regung. Später wird aus der leeren, wüsten Bühne, auf der der Zuschauer am Anfang nur wenig sah, eine bevölkerte Bühne voller Erkenntnisse und Handlungen. Das Auftreten der Schauspieler und das schon erwähnte Austreten aus ihrer Rolle ist ein ganz wichtiges Element. Die Kostüme sind keine Tracht. Sie tragen zwar Merkmale des Landlebens, sollten aber den Charakter der jeweiligen Person ausdrücken.


2.4.6. Führung der Fabel

Auch durch die Führung der Fabel wird die Unnatürlichkeit der dargestellten Handlung ersichtlich. Mutter Courage ist eine Figur, die vom Krieg lebt und nur dann überleben kann, wenn der Krieg nicht zu Ende ist (oder wie sie selbst sagt: „Der Friede bricht aus.“). Dann kommt auch der Kontrast zwischen Schlechtigkeit und der Tugend noch dazu. Der Zuschauer beobachtet die Handlung und ist in der Lage es kritisch zu besichtigen, wobei er in die Rolle eines kritisch argumentierenden Gegenspielers gerät. Es zeigt sich kein Ausweg der kleinen Bäuerin und ihrer Kinder, obwohl sich Mutter Courage am Ende für ihre Tochter und den Wagen entscheidet, allerdings viel zu spät. Die Einstellung zeigt sich bei Courage auch am Ende des Stücks, nachdem sie alle Kinder verloren hat, weiterzieht und ihr Courage-Lied singt. Hier muss sie leider feststellen, dass sie nichts gelernt hat.




3. Warum hat Mutter Courage nichts gelernt?


Nachdem Courage ihre Kinder im Krieg verloren hat, kommt es zu einer Reaktion, wo sie den Krieg verflucht. Es handelt sich hier aber nur um einen kurzen Moment, um einen […] „spontanen Gefühlausbruch […], nicht aber eine verändernde Haltung […]“.3 Courage wird als eine Mutter dargestellt, durch derer Habgier ihre eigenen Kinder ums Leben kommen, und die nach den Ereignissen einfach weiterzieht und vom Krieg weiterprofitiert. Hier stellt man sich die Frage, warum eine Mutter so handelt. Die Ereignisse im Stück weisen darauf hin, wie die Lage und das Denken der Menschheit in der Zeit des Krieges war. Es war kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, als „Mutter Courage und ihre Kinder“ entstand, und Brecht wollte zeigen, wie viele Menschen in dieser Epoche durch ihre Blindheit ins Unglück stürzten und viele andere mitgerissen haben. Mutter Courage bleibt am Ende immer noch blind und zieht einfach weiter. Man könnte auch sagen, dass die Reaktion normal war, für eine Mutter, die alles verloren hat, erst jetzt die Ausweglosigkeit ihrer Lage nachvollzieht und nichts mehr zu verlieren hat.


4. Nachwort


Obwohl das Drama nicht allzu lang ist und innerhalb eines Tages durchgelesen werden kann, enthält es viele Elemente und Mittel, die umfangreich beschrieben werden können. Außerdem beschäftigt man sich mit diesem Werk in zwei Wissenschaftsbereichen: sowohl in der Literatur-, als auch in der Theater- und Filmwissenschaft. Das Ziel dieser Proseminararbeit war die Grundzüge des epischen Theaters in Brechts Sinn zu vermitteln und den V-Effekt und seine Grundgedanken zu beschreiben als auch in den Inszenierungen darzustellen. Zum Schluss beschäftigte ich mich mit dem Bühnenbild und den Schauspielern, als auch mit dem Ausganspunkt des Dramas.




Literaturverzeichnis


Primärliteratur


Brecht, Bertolt: Mutter Courage und ihre Kinder. In: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Bd.2. Frankfurt am Main 1997. S. 111-190.


Brecht, Bertolt: Mutter Courage und ihre Kinder. Suhrkamp. Berlin 1963.


Sekundärliteratur


Brinkmann, Karl: Erläuterungen zu Bertolt Brechts Mutter Courage. 4. Aufl. Hollefeld/Obfr.: C. Bange Verlag 1967.


Eversberg, Gert: Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder. Beispiel für Theorie und Praxis des epischen Theaters. Joachim Beyer Verlag. Hollfeld/Ofr. 1976.


Hecht, Werner: Materialien zu Brechts Mutter Courage und ihre Kinder. Suhrkamp. Frankfurt/ Main 1964.


Müller, Klaus-Detlef (Hg.): Brechts Mutter Courage und ihre Kinder. Suhrkamp. Frankfurt/Main 1982.


Thiele, Dieter: Bertolt Brechts Mutter Courage und ihre Kinder. 4. Aufl. Moritz Diesterweg. Frankfurt/Main 1997.










Bibliographie


Abou-Esber, Ali: Theorie und Praxis politischen Theaters im Spätwerk Bertolt Brechts. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 1995.


Bekes, Peter: Verfremdungen : Parabeln von Bertolt Brecht, Franz Kafka, Günter Kunert. Stuttgart: Klett 1988.


Boner, Jürg: Dialektik und Theater : die Dialektik im Theater Bertolt Brechts. Zürich: Zentralstelle der Studentenschaft 1995. 


Engelhardt, Jürgen: Gestus und Verfremdung : Studien zum Musiktheater bei Strawinsky u. Brecht/Weill / Jürgen Engelhardt. München [u.a.]: Musikverlag Katzbichler 1984.


Erpenbeck, Fritz: 'Der kaukasische Kreidekreis' von Bertolt Brecht beim Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm : (Zuerst 1954). In: Brechts Theaterarbeit 1985, 


Grimm, Roderich: Verfremdung in Bertolt Brechts "Leben des Galilei". Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 1987.


Hallet, Wolfgang: Der kleine Mönch und der große Galilei : Einfühlung und Verfremdung in Brechts 'Leben des Galilei' und im Literaturunterricht. In: Diskussion Deutsch 25 1994, H.139, 305/312. 


Weber, Horst: Bertolt Brecht und Friedrich Schlegel : zur Theorie und Praxis von "Verfremdung" und "romantischer Ironie". In: Weber, Horst : Beiträge zur neueren Literatur 1985.


1 Brecht,Bertolt: Neue Technik der Schauspielkunst. In: Schriften zum Theater. 3. Aufl. Suhrkamp. 1968. S.101

2 Brecht, Bertolt: Mutter Courage und ihre Kinder. Suhrkamp. Berlin 1963. [S. 77]

3 Eversberg, Gerd: Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder. Beispiel für Theorie und Praxis des epischen Theaters. Joachim Beyer Verlag. Hollfeld/Ofr. 1976. [S. 98-99 ff.]

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