„Unverhoffte Wiedersehen" von Johann
Peter
ERZÄHLTEXTANALYSE
Ich werde das „Unverhoffte
Wiedersehen" von Johann Peter Hebel anhand der Erzählkategorie der Zeit behandeln
und in Folge auch Bezug zu der Gattung Kalendergeschichte nehmen. Das
Unverhoffte Wiedersehen handelt von einem jungen Liebespaar, welches kurz vor
der Hochzeit durch den Tod des Mannes in einem Bergwerk für immer getrennt
scheint. Aber nach fast einem halben Jahrhundert wird die noch gut erhaltene
Leiche geborgen und der Verlobten übergeben. Die fast siebzigjährige Frau ist
die einzige Hinterbliebene und sorgt für die Beerdigung des Mannes. An dessen
Grab verabschiedet sie sich mit der Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen.
Betrachtet man den Text von Peter
Hebel genauer, kann man eine Gliederung in drei Teile feststellen. Am Anfang
wird die Geschichte von zwei jungen Leuten geschildert, die heiraten wollen.
Der Zeitpunkt des Ereignisses wird durch die Worte „vor guten fünfzig
Jahren" festgelegt.
In Zeile drei wird der Zeitpunkt der
Heirat noch näher bestimmt, da wir erfahren, dass es sich bei diesem Tag um
Sankt Luciä handelt. Dadurch erfahren wir vom Autor, dass es sich um den 13.
Dezember handelt. Diese Textpassage ist in der neutralen Erzählweise, der
externen Fokalisierung, geschrieben. Aufgrund der vielen wörtlichen Rede ist
die Passage auch noch Zeit deckend aufgebaut.
In Zeile dreizehn tritt dann zum
ersten Mal der personifizierte Tod auf. Ab diesem Zeitpunkt kann man einen
auktorialen Erzähler, oder auch die Nullfokalisierung, erkennen. In den ersten
fünf Zeilen ist eine leichte Zeitraffung zu erkennen, da sich zwischen dem
Kuss, dem Aufgebot und dem Abschied am Morgen nur wenig Zeit vergeht. Der erste
Teil endet mit der Verabschiedung von der Braut, dem Umkommen im Bergwerk und
dem Nichtwiederkehren.
Im Zweiten Teil der Erzählung kommt
es zu einer extremen Zeitraffung. Die Geschichte erhält in der Folge eine ganz
andere Wirkung, weil der Autor den Blickwinkel erheblich erweitert. Zuerst
schildert er nur einen sehr kleinen, privaten Bereich im Leben zweier junger
Menschen.
Nach dem Tod des Protagonisten wendet
sich der Autor den wichtigen historischen Weltgeschehnissen zu. In nur wenigen
Zeilen schildert der Autor, was in einem halben Jahrhundert passiert ist. Durch
das ständige Wiederholen des „und" bekommt die Geschichte einen
berichtenden, unpersönlichen und sehr chronologischen Charakter.
Das Leben der Braut tritt
währenddessen vollkommen in den Hintergrund. Man erfährt nichts über den
Verlauf ihres Lebens während dieser fünfzig Jahre. Das einzige, was wir in
Zeile 21 noch erfahren, bevor die geschichtlichen Schilderungen beginnen, ist,
dass die Frau ihren Bräutigam nie vergaß.
Dennoch kann man an der Aneinanderreihung
der Begebenheiten einen Zusammenhang zur eigentlichen Handlung der Geschichte
erkennen. Einerseits sind die Geschehnisse nach der Abfolge in der Geschichte
geordnet, andererseits werden nur negative Ereignisse, die mit dem Tod oder dem
Scheitern zutun haben, geschildert. Der personifizierte Tod bleibt erhalten.
In Zeile 35ff. wechselt der Autor
plötzlich vom Weltgeschehen zu den „Ackerläuten, die säten und
schnitten". Er schildert vollkommen alltägliche Tätigkeiten und führt den
Leser unweigerlich wieder an den Ort des Geschehens zurück, nämlich dem
Bergwerk in Falun. Die Aufmerksamkeit des Lesers gilt nun wieder der
eigentlichen Geschichte, dem Schicksal der Brautleute.
Nun beginnt der dritte Teil der
Geschichte mit einer sehr genauen Zeitangabe („ im Jahre 1809 etwas vor oder
nach Johannis" ). Geschichtlich betrachtet ist Johannis der 24. Juni,
womit auch der genaue Tag wieder bestimmt wäre.
Es wird durch die genaue Schilderung
der Laichenbergung („ Als aber die Bergleute[...] , gute dreihundert Ellen tief
unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines
Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest
und unverändert war, also dass man seine Gesichtszüge und sein Alter noch
völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein
wenig eingeschlafen wäre an der Arbeit.") die extreme Zeitraffung
eingestellt. Nun wird wieder der Lauf der Zeit anhand der Frau sichtbar.
Die einstige „junge hübsche
Braut" erscheint „in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters" (Zeile
64). Im Gegensatz dazu steht die noch immerwährende „jugendliche Schöne" (Zeile
65) des Bräutigams.
Die Frau hielt ihrem Bräutigam in all
den Jahren die Treue. Dies ist beispielsweise am Versprechen des
Nichtvergessens zu deuten, aber auch an der Tatsache, dass die Frau sein
schwarzseidenes Halstuch mit roten Streifen all die Jahre behakten hat.
Die Verabschiedung der Frau am Grab
ihres Verlobten wirkt nicht so, als ob sie ihn beerdigen würde. Auch das
Verhalten der Frau während der gesamten Beerdigung deutet darauf hin, dass sie
ihre Hochzeit mit dem Toten nachholen würde. („ [...] und begleitete ihn in
ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner
Beerdigung wäre.") (Zeile 74ff.).
Durch den gesamten Aufbau der
Geschichte bekommt man das Gefühl, dass sich das liebende Brautpaar über die
Zeit hinwegsetzt. Egal, wie viel Zeit auch vergeht, die Liebe und die Treue des
Paares bleibt bestehen.
Im dritten Teil der Geschichte wird
der Erzählstil des ersten Teiles wieder aufgegriffen. Das Geschehen wird wieder
genau dargestellt und die Gefühle werden wieder intensiviert. Die
Kalendergeschichte ist ein Sammelbegriff für kurze Erzählungen, die der
Unterhaltung dienen, aber auch eine belehrende Wirkung haben. Sie wurden
meistens in Kalendern abgedruckt. Die Sprache der Kalendergeschichten war sehr
einfach und leicht verständlich.
Johann Peter Hebel hat mit seinen
gesammelten Kalendergeschichten im "Schatzkästlein des Rheinischen
Hausfreundes" von 1811 diese Form geprägt und die ursprünglich einfache
Form auf ein hohes sprachliches Niveau gebracht.
Literatur: