e. o. plauen, Unbeabsichtigte
Helden. Erzählung zur Vater und Sohn Bildergeschichte
An einem Samstagvormittag ging
Fritzchen nicht in den Kindergarten, sondern spielte draußen auf der
Straße, in der er wohnte. Geschickt schlug er den bunt gestreiften
Kreisel mit der kleinen Peitsche und freute sich darüber, wie das
Holzspielzeug über den Bürgersteig hüpfte.
(1) Fritzchen hatte gerade die Bank
neben seinem Wohnhaus erreicht, als er von einem Mann rücksichtslos
zur Seite gestoßen wurde und hinfiel. Vor Schreck brachte er keinen
Laut heraus, doch nachdem der Mann in der Bank verschwunden war,
brach Fritzchen in Tränen aus und blieb leise vor sich hin jammernd
auf dem Gehweg sitzen.
(2) Sein Schluchzen drang bis zur
elterlichen Wohnung neben der Bank und nachdem der Vater kurz aus dem
offenen Fenster geschaut hatte, eilte er hinaus zu seinem Sohn.
Verwundert beugte er sich zu ihm hinunter, um zu hören, was für
schreckliche Dinge dem Sohn widerfahren waren. „Ein Mann hat mich
geschubst und ist dann da hineingelaufen“, jammerte der Sohn und
wies dem Vater den Weg, den der Übeltäter genommen hatte. „Komm
mit“, forderte der Vater Fritzchen kurz entschlossen auf, „und
zeig ihn mir!“ Das ließ sich Fritzchen nicht zweimal sagen. Flink
stand er auf und eilte dem Vater voraus in die Bank, Kreisel und
Peitsche auf dem Bürgersteig zurücklassend.
(3) Als sie die Schalterhalle betraten,
blieben sie wie gebannt stehen. Denn überall standen Menschen, aber
es herrschte Totenstille. Da ergriff Fritzchen plötzlich die Hand
seines Vaters und zog ihn hinüber zu einem Schalter, hinter dem zwei
Bankangestellte mit erhobenen Armen standen. Es schien, als ob die
Blicke der Anwesenden auf diese zwei bzw. drei Herren gerichtet
waren. Denn vor diesem Schalter befand sich noch ein Mann mit einer
auffällig bunten Mütze auf dem Kopf. Merkwürdig breitbeinig stand
er da und hielt in jeder Hand eine Pistole, die jeweils auf einen der
beiden Angestellten ihm gegenüber gerichtet waren. Doch das alles
kümmerte den Vater nicht, oder er nahm es nicht wahr. Auch der
grimmige Gesichtsausdruck des Mannes schreckte ihn nicht. Er hatte
nur Augen und Ohren für seinen Sohn, der ihn schnurstracks zu diesem
Mann führte, auf ihn zeigte und dabei seinen Vater angstvoll
anblickte. Erneut kullerten ihm ein paar Tränen über die Wangen und
so wusste der Vater, dass dies der Mann war, den sie suchten; denn
Tränen lügen nicht.
(4) Augenblicklich ließ er die Hand
seines Sohnes los, trat zwei bis drei Schritte vor und blieb abrupt
neben dem Mann stehen. Ehe sich dieser versah, hatte der Vater, ohne
auch nur ein einziges Wort zu verlieren, seine rechte Hand erhoben
und ihm eine schallende Ohrfeige versetzt. Das hatten die zwei
Bankangestellten, die eben noch um ihr Leben fürchteten, nicht
erwartet. Sie nahmen die Arme herunter und schauten vergnügt mit an,
wie die Pistolen sowie die Mütze des Bankräubers im hohen Bogen
durch die Halle flogen, während er selbst rücklings zu Boden
stürzte. Fritzchen klatschte vor Freude in die Hände und strahlte
über das ganze Gesicht.
(5) Doch damit ließ es der Vater nicht
bewenden. Breitbeinig stand er über seinem Opfer, beugte sich zu ihm
hinunter und sagte ihm unverblümt die Meinung. „Es gehört sich
nicht, dass Sie kleine Kinder beim Spielen einfach umrennen! Und nun
wollten Sie hier auch noch ein Blutbad anrichten!“ Um seinen Worten
mehr Gewicht zu verleihen, richtete der Vater den ausgestreckten
linken Zeigefinger auf den Mann und hielt den rechten Arm in die
Höhe, bereit zum zweiten Schlag. Diese Drohgebärde verfehlte seine
Wirkung nicht. Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen lag der Mann
auf dem Boden und versuchte den Unschuldigen zu spielen. Da mischte
sich Fritzchen ein und erklärte: „Mich haben Sie geschubst und
umgerannt!“ Unterdessen kletterten die zwei Bankangestellten über
den Schalter und eilten dem Vater zu Hilfe. Sie stellten sicher, dass
der Bankräuber bis zum Eintreffen der Polizei, die ein anderer
Angestellter flugs alarmiert hatte, nicht entfliehen konnte.
(6) Es dauerte nicht lange, bis das
Martin-Horn ertönte und mehrere Polizisten in der Schalterhalle
erschienen. Ruckzuck legten sie dem Beschuldigten Handschellen an und
führten ihn ab. Erst dann kam Leben in die Halle. Alle redeten und
waren erleichtert und froh über den glücklichen Ausgang. Vater und
Sohn waren im Begriff zu gehen, als einige Bankangestellte die beiden
unter großem Beifall und Jubel auf ihre Schultern hoben. Etliche
Herren zogen den Hut und einer rief: „Sie haben den Bankräuber
gefasst und unser Leben gerettet!“ In der Menge befand sich auch
ein Pressefotograf, der sich einen Weg durch die Menge bahnte und ein
Foto von Vater und Sohn machte.
An diesem und den folgenden Tagen
wurden Vater und Sohn immer wieder von bekannten und fremden Menschen
angesprochen, die sich lobend darüber äußerten, wie mutig die
beiden dem Bankräuber entgegengetreten waren und ihn daran
hinderten, seine Aktion zu Ende zu führen.
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und Sohn–Bis auf den letzten Knopf verspielt
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