Universität Wien
Tristan-
Gottfried von Straßburg
Bechreibung der
Minnegrotte
Gründe für das Verlassen
Inhaltsverzeichnis
Ø Vorwort
Ø Inhaltsbeschreibung
Ø Beschreibung und Lage der Grotte
Ø Zur Einteilung der Minnegrottenszene
Ø Gottfrieds Allegorie der Minnegrotte
Ø Zum Leben in der Minnegrotte
Ø Die Minnegrotte in der Forschung Die Allegorie der Allegorie
Ø Exkurs I
Ø Exkurs II
Ø Allegorien der Tugend
Ø Gründe für das Verlassen
Ø Conclusio
Ø Literaturverzeichnis
Vorwort
Der vorliegenden
Arbeit über die Minnegrotte und die Gründe für das Verlassen im Tristan-Roman
liegt das Seminar Gottfried von Strassburg;
Tristan zu Grunde.
Die
Minnegrottenepisode ist das Fragment Gottfrieds kennzeichnender Teil. In der
Forschung wurde die Allegorie der Minnegrotte bis ins 20 Jahrhundert kaum behandelt.
Erst Friedrich Ranke veröffentlicht 1925 ein bahnbrechendes Werk über die
Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds von Strassburg Tristan. Die Arbeit von
Ranke eröffnete für die Forschung neue Wege, ist auch heute noch aktuell und
war somit auch für mich eine zentrale Literaturgrundlage.
Beim Aufbau der
vorliegenden Arbeit versuchte ich gezielt vorzugehen, die mehrmaligen
Wiederholungen verschiedener Beschreibungen sind mit Absicht, da sie auch bei
Gottfried so vorkommen.
Eine kurze
Inhaltsangabe beschreibt die derzeitige Situation von Tristan und Isolde.
Anschließend liste ich die Faktenbeschreibung von Gottfried auf, als nächstes
gehe ich auf den formalen Aufbau der Schilderung ein. Dem lasse ich die
Allegorie der Minnegrotte von Gottfried folgen, um mit Unterbrechung mit den
autobiografischen Exkursen Gottfrieds, auf die Allegorie der Allegorie
einzugehen. Daran im Anschluss versuche ich die Bedeutung der Stoffe, auf die
Gottfried solchen Wert legt, mit ihrer heutigen zu vergleichen. Der zweite Teil
meiner Arbeit handelt von den Gründen für das Verlassen der Minnegrotte. Hier
untersuchte ich genauer die Funktion des Hirsches und auch von Marke.
Zur Zitierweise:
Kurze Zitate sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet, längere kursiv und
eingerückt. Zitierte Passagen des Primärtextes sind nur mit den Versen
angegeben. Sie beziehen sich auf die Reclam Taschenbuchausgabe des Jahres 2007.
Inhaltsbeschreibung:
Das
Gottesurteil fordert von Tristan und Isolde eine Trennung auf Zeit. Nachdem sie
diese Probe überstanden haben und Marke keine Zweifel mehr hegt leben alle
zusammen in Eintracht am Hof. Tristan und Isolde schränken ihre Zusammenkünfte
ein und können sich nur bei öffentlichen Veranstaltungen sehen. Dort werfen sie
sich schmachtende Blicke zu, die auch Marke registriert. Nach langem Hadern
kann er sich der Wahrheit nicht mehr verschließen und stellt sich der Liebe
zwischen Tristan und Isolde und verbannt die Beiden. Sie verlassen den Hof mit küelem herzeleide (16625), wenn auch nicht
ohne die Hoffnung auf Versöhnung.
Tristan
schickt sein Gefolge nach Hause zu seinem Vater Rual. Nur Kurvenal behält er
als Vertrauten bei sich. Dann entfernen sich Tristan, Isolde, Kurvenal und der
Hund Hüdan vom Hof. Tristan hat noch zwanzig Mark von Isoldes Gold bei sich,
außerdem noch sein Schwert, seine Jagd-Armbrunst und seine Harfe.
Sie
reiten zwei Tagesreisen durch Wald und Heide geradewegs der Wildnis zu. Sie
erreichen eine Höhle, die Tristan einmal bei einem Jagdausflug entdeckte.
Sus kêrten sî driu under in
allez gegen der wilde hin
über walt und über heide
vil nâch zwô tageweide. V. 16679 - 16682
Beschreibung und Lage der Grotte
Gottfried verwendet auf die Beschreibung der
Minnegrotte etwa 1000 Verse. Er beschreibt sie als eine Grotte, die in
heidnischen Zeiten von Riesen in den Berg geschlagen wurde. Die Tür in das
Innere ist aus Erz. Es gibt weder Schlüssel noch Schloss. An der Innenseite der
Tür befinden sich zwei Riegel. Die Riegel, der eine aus Elfenbein, der andere
aus Zedernholz, sind einander zugewandt. Durch eine verborgene Klinke führt von
außen eine zinnerne Stange zu dem Schnappschloss aus Gold. Der Innenraum ist
weit, hoch und steil, schneeweiß mit glatten Wänden.
Seine geometrische Form ist rund, ohne Winkel
und Ecken. Die Decke ist ein Gewölbe welches oben in einem kronenförmigen
Schlussstein endet, der mit Schmiedearbeiten
verziert und mit Edelsteinen ausgelegt ist. Der
Boden ist aus grünem Marmor. Die Mitte des Raumes ziert ein Bett aus Kristall,
mit eingravierten Buchstaben der gottinne
Minne (16723) geweiht. Durch drei kleine Fenster fließt das Licht gezielt
in die Grotte.
Die Minnegrotte befindet sich in unwegsamer
Wildnis. In ihrem aus Fels und Wüste bestehenden Umkreis gibt es weder
Besiedelung noch Felder. Inmitten dieses Ödlands ist die nahe Umgebung der Grotte
ein harmonischer Garten, einem Paradies ähnlich. Am Ausgang der Grotte stehen
drei dicht belaubte Linden. Ringsum finden sich zahllose Bäume. In einer etwas
abseits gelegenen Ebene fließt eine Quelle. An dieser Quelle stehen drei
weitere Linden. Die Wiese erstrahlt durch die Farbenpracht der Blumen und neben
dem Rauschen der Quelle vernehmen Tristan und Isolde nur das Zwitschern der
Vögel. Damit finden viele Standardmotive der locus-amoenus-Topik
Verwendung.
Zur Einteilung der Minnegrottenszene
Das Kapitel der Minnegrotte behandelt Gottfried
ausführlich mit etwa 1000 Versen. Der Formenprunk, die Beschreibungen mit
Erklärungen, die Einschübe und Wiederanknüpfungen und die persönlichen
Kommentare zeigen welchen Wert Gottfried dieser Szene beimaß.
Eine Gliederung des Kapitels nach Gruenter
in vereinfachter Form:
16703 - 16729 Beschreibung
der Grotte
16730 - 16760 Beschreibung
des Lustorts
16761 - 16766 Wildnis
16773 - 16808 Auftrag
an Kurvenal
16807 - 16908 wunschleben
(Speisewunder)
16909 - 16922 „Autobiografischer“
Exkurs I
16928 - 17099 Grotten-
und Wildnis-Allegorese
17100 - 17138 „Autobiografischer“
Exkurs II
17139 - 17274 wunschleben
Gottfrieds Allegorie der Minnegrotte
Definition Allegorie:
die Allegorie
[griechisch allegoría »das Anderssagen«],
die Verbildlichung eines abstrakten Begriffs oder Vorgangs; oft durch
Verkörperung als Person, z. B. der Tod als Sensenmann. Im Unterschied zum
sinnfälligen Symbol enthält die Allegorie eine
gedanklich-konstruktive Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Gemeinten.
Als literarisches Ausdrucksmittel wurde die Allegorie besonders in der Antike,
im Mittelalter und im Barock verwendet.
Gottfried schildert bei der Erzählung der
Minnegrotte anfangs nur die Fakten, dann erst erläutert er diese mit
Erklärungen und Beschreibungen. Er misst jedem einzelnen Gegenstand bzw. Objekt
in der Grotte eine Bedeutung bei. Die ausführliche allegorische Auslegung der
Grotte rekapituliert die Aspekte der Beschreibung und deutet sie als Wesenszüge
der Minne.
Die Rundung des Raumes bedeutet die Einfachheit
der Liebe, die ohne Betrug und Tücke sein soll.
einvalte zimet der minne wol
diu âne winkel wesen sol. V.
16933, 16934
Die Weite bezeichnet die Kraft der Liebe (du wîte deist der minne craft V. 16937),
die Höhe, deist der hôhe muot/ der sich uf
in diu wolken tuot V. 16938, 16939. Die Liebe reicht in die
Vollkommenheit, die hier mit Edelsteinen abgebildet wird.
die tugende dien sîen iemer
gesteinet unde gewieret,
mit lobe alsô gezieret. V. 16946
– 16949
Die weiße und glatte Wand ist ein Zeichen für
die Lauterkeit. Hier weißt Gottfried
explizit auf die Farbe weiß hin, die Reinheit
bedeutet.
Diu want was wîz, eben unde
sleht.
daz ist der durnehte reht.
16963, 16964
Das Grün des Bodens soll Beständigkeit
verdeutlichen und der Marmor demonstriert die Festigkeit.
der marmelîne esterîch
der ist der staete gelîch
an der grüene und an der veste.
16969 – 16971
Das Kristall, aus welchem das Bett gefertigt
ist, zeigt die Transparenz der Liebe, die durchsichtig und lauter ist.
Daz bette inmitten inne
der cristallînen minne,
[…]
diu
minne sol ouch cristallîn,
durchsihtic und durchlûter
sîn. 16977 – 16985
Der Beschreibung der Tür räumt Gottfried mehrere
Verse ein und liefert gleichsam ihre allegorische Auslegung mit. Es gibt für
die Tür zur Grotte keine Schlüssel und kein Schloss. Gottfried sagt, dass nur
Liebende dieses Tor durchschreiten können. Würde ein valscher versuchen durch diese Türe in das Innere der Grotte
zu gelangen, wäre es, mit List, mit Lüge oder mit Gewalt. Gottfried schreibt in
diesen Versen
diu êrîne tür vor,
die nieman kan gewinnen,
ern gewinne sî mit minnen.
17006 – 17009
Die Tür ist aus Erz und versinnbildlicht die
tiefe Treue durch die man weder
durch Schlauheit noch mit Gewalt eindringen kann.
Von innen halten zwei Riegel eine Fallklinke.
Ein Riegel ist aus Zedernholz, welches in der Liebe die Bedeutung von Weisheit
und Verstand hat. Der andere ist aus Elfenbein. Elfenbein steht für Keuschheit
und Reinheit (17020 - 17027). Ein kleiner verborgener Stift aus Zinn führt in
ein Schloss aus Gold. Der Stift aus Zinn bedeutet die innbrünstige Hingebung,
das unermüdliche Werben welches unerlässlich ist um die Erfüllung zu erfahren. Die
Erfüllung wird mit dem Schloss aus Gold bezeichnet. (17033 - 17045)
swer aber mit rehter güete
kann
ze minnen wesen gedanchaft,
den treit binamen dirre haft
von zine, dem swachen dinge,
ze guldîner linge
und ze lieber âventiur. 17052 –
17057
Durch drei Fenster scheint die Sonne. Jedes
Fenster steht für eine Tugend, für güete
(Güte), diemüete (Demut), zuht (vornehmes Betragen). Der
Sonnenschein ist die (göttliche) Ehre und erleuchtet die Grotte irdischen
Glücks.
Die Abgeschiedenheit der Grotte und der
beschwerliche Weg dahin sollen zeigen, dass die Liebe nicht überall zu finden
ist. Nur der wahre Liebende kann den Weg finden und die Hindernisse die zum
Ziel führen überwinden. Am Ziel können die Liebenden alle Sinne befriedigen.
Zum Leben in der Minnegrotte
Tristan und Isolde kehren dem Hofleben mit
seinen Konventionen den Rücken und führen in der Grotte mit ihrer lieblichen
Umgebung ein paradiesisches Leben. Die Beschreibung dieses Lebens ist in der
Gottfried´schen Ausführung des Tristan ausführlicher als bei Thomas. Tristan
und Isolde haben den Diener Kurvenal an den Hof zurückgeschickt, damit er ihnen
erfreuliche Nachrichten bringen kann. Nun sind
sie zu zweit. Sie sind eine gerade Zahl und
jeder weitere wäre überflüssig gewesen. Gottfried schreibt, ihnen war ihre
Zweisamkeit lieber als alle Feste am Artushof, der zu dieser Zeit das Sinnbild
der Vollkommenheit war. Sie hatten nun ihren eigenen Hof und ihr eigenes
Gefolge.
si haeten hof, si haete rât,
dar an vröude elliu stât.
ir staetez ingesinde
daz was diu grüene linde
[…]
und ander waltvogelîn 16879 -
16890
Mit dem Hof und dem Gefolge ist die Natur mit
ihren Schätzen gemeint, mit der Vielzahl an Vögeln, Bäumen und Blumen.
Tristan und Isolde brauchen hier keine
herkömmliche Nahrung. Sie ernähren sich auf eine andere Art, auf eine nahezu
Göttliche. Dieses Kapitel wird in der Literatur das Speisewunder genannt.
si sâhen beide ein ander an,
dâ generten sî sich van.
16815, 16816
Gottfried beschreibt nun lange den Gedanken
eines Lebens, der Liebe geweiht.
Die Ernte ihrer Augen war ihrer beider Nahrung. Sie aßen
dort nichts als Liebe und Verlangen. Die beiden Verliebten machten sich über
ihr Essen keine Sorgen. Sie trugen bei sich, verborgen unter ihren Kleidern,
die beste Nahrung, die man auf der Welt haben kann. Das stand ihnen
unentgeltlich zur Verfügung immer wieder frisch und neu. Das war die unbedingte
Treue, die balsamisch süße Liebe, die Leib und Seele so innig beglückt, die
Herz und Geist ernährt. Das war ihre beste Speise. Tatsächlich erwogen sie
niemals andere Nahrung als diese, aus der das Herz sein Verlangen, das Auge
seine Freude bezog und die auch dem Körper guttat. Das genügte ihnen. Die
Liebe, ihr ererbtes Geschäft, blieb bei jedem Schritt und bei jeder Zeit bei ihnen.
Sie gab ihnen für alles die Mittel, die man zu einem herrlichen Leben brauchte.
(des man ze wunschleben hat). 16817 – 16846
Gottfried verweist hier ausdrücklich darauf,
dass die Liebenden keine irdischen Speisen brauchen. Ihre Liebe ist ihre Nahrung.
Ihre Liebe erbten sie von ihren Eltern und war ihnen somit schicksalhaft
vorgegeben.
Ihr Zeitvertreib ist die Jagd. Zu Sonnenaufgang,
zur Stunde des Göttlichen, machen Tristan und Isolde Spaziergänge im
Morgentau, später sitzen sie an der Quelle und musizieren gemeinsam, oder
erzählen sich Liebesmärchen, bzw. Sehnsuchtsmärchen, da sie der Verlust ihrer êre bedrückt und sie wissen, dass ihr
paradiesischer Zustand nicht für immer andauern kann. Das Singen und
Harfenspiel der Liebenden symbolisiert mit allen anderen Elementen der schönen
Umgebung der Minnegrotte die Hymnenharmonien der Engelschöre, die Freuden der
Himmelsbürger, die Lieblichkeit des beschaulichen Lebens, die paradiesische
Welt.
Werner Betz äußert hier die kritische Meinung,
dass sie hier für ihre höfische Ehre nicht viel gegeben hätten, höchstens eine
Bohne. Er meint, nur für den oberflächlichen Hörer ist dieser Vers zunächst
scheinbar positiv für den Hof formuliert.
sine haeten umbe ein bezzer
leben
niht eine bône gegeben
wan eine umbe ir êre. 16875
-16878
Die Forschung zur
Minnegrotte:
Die Allegorie der
Allegorie
Die
lange und ausführliche Beschreibung der Minnegrottenszene ist ein Konstrukt
welches auf Gottfrieds eigene Bestrebungen hin erfolgt ist. In der
Überlieferung von Beroul und Eilhart wird die Verbannung vom Hof als Tiefpunkt
geschildert.
Thomas
von Bretagne und Gottfried von Strassburg weichen davon ab. In Thomas´ Tristan
fällt die Beschreibung jedoch einfacher und kürzer aus. Er verleiht der Szene
bei weitem nicht den Glanz wie Gottfried es tut. Für Gottfried war diese Szene
von äußerster Signifikanz, worauf auch die zwei autobiografischen Exkurse
hindeuten.
In
der Forschung blieb die Stelle lange unbeachtet, bis Friedrich Ranke 1925 ein
bahnbrechendes Werk zur Allegorie der Minnegrotte veröffentlichte.
Seitdem
gibt es verschiedene Ansätze die Minnegrotte zu „erklären“.
Anfangs
nur auf den „Bau“ der Minnegrotte eingehend:
Der Ansatz zur Erklärung durch Alchimie:
Ein
Vertreter dieser Richtung ist P. C. Ober. Er erkennt im Roman mehrere
alchemistische Stellen. Die Alchemie war zu Gottfrieds Zeiten eine
Modeerscheinung. Dieser Ansatz hatte in der Forschung keinen Bestand und setzte
sich nicht durch.
Bei
der Recherche in einschlägiger alchimistischer Literatur stoß ich jedoch auf
folgende Bedeutung für Gold, das Schloss in der Grotte.
In
der Alchimie stellt Gold die Verbindung zwischen dem männlichen (Schwefel) und
weiblichem (Quecksilber) Prinzip dar. Damit ist das Gold Symbol für ein
erreichtes Ziel und für die Erlangung des Zentrums. Es kann das Symbol für das
Herz, die Perfektion und die Ganzheitlichkeit sein.
Eine literarische Erklärung für den Aufbau der
Minnegrotte:
Herbert
Kolb vertritt die Meinung, dass die Interpretation der Minne im Zusammenhang
mit der französischen Minne-Allegorie zu sehen sei. Kolb will Gottfrieds Werk
in die literarische Ebene zurückstellen, „aus der es als Gipfel der
mittelalterlichen Tristandichtung und als ein Gipfel mittelalterlicher
Erzählkunst überhaupt erst einmal hervorgewachsen ist.“
Gottfried
habe sich von der französischen Literatur beeinflussen lassen und Kolb findet
dafür etliche Textbelege. Erstes Indiz, laut Kolb, ist die französische
Bezeichnung, fossiure (17029), die Gottfried ihr gibt. Dazu
findet er als Äquivalent die maison d´amor und
dieser Begriff sei übersetzt mit minnen hus.
In
Handschriften des 13. Jahrhunderts werden Traumerzählungen stilisiert, die den
Besuch von Amor oder Venus in einem Minneparadies schildern. Auch dort gibt es
ein von der Außenwelt abgegrenzte palais
oder castel.
Ich
gehe nur auf zwei weitere „Beweise“ von Kolb ein.
Das
kristallene Bett in der Minnegrotte wird in der französischen Literatur mehr
ausgeschmückt. Hier ist der ganze Saal aus Kristall.
In
der französischen Kleindichtung gibt es auch die Parallele zu Gottfrieds
Allegorie der Tür. „Der Türring ist aus minnenden Gedanken, […] der Riegel aus
Sanftmut […], der Sinn, durch welchen man die Minne gänzlich gewinnen könne.“
Herbert
Kolb findet nahezu zu jedem Detail der Beschreibungen Gottfrieds Vorlagen aus
der französischen Literatur.
In
der germanistischen Forschungswelt wird Kolbs Erklärung nichtvollständig
akzeptiert.
Die theologische Auslegung nach Friedrich Ranke:
Die
Interpretation der Minnegrottenallegorie mit theologischem Hintergrund ist die
meist verbreitete. Friedrich Ranke veröffentlichte dazu 1925 eine bahnbrechende
Arbeit.
Gottfried
hat die Höhle der Liebenden zu einem Werk besonderer Baukunst ausgestaltet um damit
eine bewusste allegorische Ausdeutung ermöglicht. „Er hat eine spirituale
Minnegrotte gezeichnet, die sich aus den in der Minne wirkenden Seelenkräften
und Tugenden aufbaut“
Mit dieser Schilderung wollte Gottfried bei seinen Hörern Assoziationen zu
theologischer Literatur hervorrufen.
Die
Ausgestaltung seiner Grotte ist nach dem Schema der tropologisch-mystischen
Erklärung des Kirchengebäudes angelegt. Ranke: „[…] ich meine die allegorische
Ausdeutung des christlichen Gotteshauses, der Kirche.“
Zur Geschichte der Kirchenausdeutungen:
Ausdeutungen
der Gotteshäuser gehen bereits auf das 4. Jahrhundert zurück. Der materielle
Bau, also die Kirche, sollte die spirituelle christliche Seele wiederspiegeln.
Der Leitsatz lautete: „Ecclesia materialis significat ecclesiam spiritualem“.
Im
12. Jahrhundert waren die theologischen Prägungen der Kirchengebäude wie folgt:
Die vier Wände der Kirche bedeuteten die vier Evangelien. Sie halten den Bau
der Kirche zusammen.
Das
Sanktuarium, in dem sich der Klerus befindet steht für vita contemplativa,
der Vorraum, der vom Volk genutzt wird, für vita
activa. „Der Altar mit den Reliquien der Heiligen ist Christus in
ecclesia, in cuius contemplatione requiescunt mentes beatorum, die Fenster […]
sind die doctores, die Gemälde sind vitae et exempla sanctorum, das ewige Licht
ist spiritus sancti gratia, qua ecclesia iugiter irraditur, die Türme sind die
praelati, die Glocken eorum praedicationes.“
Diese
allegorisch-symbolische Ausdeutung ist auf die geistige Kirche beschränkt.
Für
den Minnegrottenstoff von Gottfried ist sie daher weniger von Belang. Sie
stattet zwar den gleichen Objekten eines Raumes eine Bedeutung zu, aber nicht
die Gleiche wie Gottfried. Gottfried schließt sich der tropologisch-mystischen
Ausdeutung an.
Hier
ist das Gotteshaus ein Abbild der menschlichen Seele. Der Theologe Durandus und
Hugo von Sanct Victor veröffentlichten hierzu Schriften.
Das
Fundament der Kirche ist der Glaube. Das Dach bezeichnet die Liebe, das Tor ist
der Gehorsam, der Fußboden zeigt die Demut, die vier Wände die vier
Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Mäßigkeit. Die Fenster
sind die Tugenden der Gastfreundschaft, Heiterkeit, Barmherzigkeit und
Freigebigkeit.
Die
Ähnlichkeiten mit der Beschreibung der Minnegrotte sind hier kaum zu übersehen.
Gottfried war ein theologisch gebildeter Dichter daher kann darauf geschlossen
werden, dass er diese Symbolik bewusst einsetzte. Gottfried gab der Minnegrotte
damit den Stellenwert eines Gotteshauses. Er bezeichnet sie als kluse ein Wort aus dem religiösen Sprachgebrauch
mit der Bedeutung Einsiedelei, Klause, Kirche und Kloster.
Mit
der ausführlichen Schilderung der Nutzlosigkeit der irdischen Kost und dass
Tristan und Isolde gemeinsam Lieder sangen hebt er die Liebenden in göttliche
Sphären.
Tristan und Isolde erscheinen als Diener im Tempel der Minne, die Religion die
hier praktiziert wird, ist eine Liebesreligion.
Auslegung der Allegorie Gottfrieds nach Hans
Bayer:
Hans
Bayer beschäftigt sich mit dem Zugang durch vita
contemplativa und vita activa.
Der
Innenraum der Minnegrotte versinnbildlicht den weiten vom Schmutze des
Vergänglichen gereinigten Raum des Geistes, der frei von Sorgen und unnützer
Zerstreuung, in die Verborgenheit der inneren Beschauung zurückgezogen ist.
Der
Berg ist mystisch, die Hervorhebung der Weite und Helligkeit dient der
Ausdeutung der sich erweiternden Liebe, die von bösen Begierden befreit ist.
Der
mit Edelsteinen verzierte Schlussstein (oben
uf dem sloze ein crone, / diu was vil harte schone / mit gesmide gezieret, /
mit gimmen wol gewieret 16709- 16712) symbolisiert gemäß Gottfrieds
allegorischer Deutung (hin ûf, dâ sich der
tugende gôz / ze samene welbet an ein slôz. 16943,16944) das Ziel
des kontemplativen Aufstiegs, eine durch Wesensverwandlung veredelte Seinsform.
Gottfried
knüpft mit der allegorischen Gestaltung von Bett und Marmorboden an das
Gleichnis des Kristalls und der Steine die durch ihre Festigkeit die
unwandelbare Tugendhaftigkeit wie bei Engeln symbolisiert.
Das
edele herze, das sich in die
Minnegrotte begibt, ist vielleicht auch nach Gottfrieds Auffassung, der
auserwählte, der vollkommene, der heilige Mensch. Das kristallene Bett
versinnbildlicht eben diese Übernatur.
Werner Betz mit einer „erotischen“ Erkärung
Werner
Betz vertritt die Meinung, dass Gottfried gegen die höfischen Konventionen war
und für eine erotische Emanzipation. In diesem Forschungsansatz ist die
Minnegrotte durch die Anlehnung an den Bau eines Kirchengebäudes ein
Sakralisierungsversuch der Liebesvereinigung. Die ganze Beschreibung gipfelt in
einer Allegorie des Liebesaktes.
Die
Bezeichnung der einzelnen Teile der Tür lässt sexuelle Zweideutigkeiten zu. valle 16987, heftelin 17031 und spinele 17034
sind für ihn Metaphern für Vagina, membrum
virile und Penis.
Weitere Deutungsversuche:
Bei
Gottfried verweist das Gebäude der Minnegrotte auf ein Paradies idealer Liebe
hin, einen Ort schuldloser Sexualität und einem harmonischen Garten Eden.
Sie
kann gleichgesetzt werden mit dem Inneren von Tristan und Isolde, mit dem
„Herz-Raum“, in dem die Werte und Kräfte ihrer vollkommenen Liebe Platz
finden.
Die
Allegorese fällt in zwei Teile. Zunächst wird das Grotteninnere beschrieben und
mit den Werten in Beziehung gesetzt, die das Verhältnis der Liebenden
untereinander (im Idealfall) bestimmen. Die einzelnen Werte Einfachheit,
Klarheit und Beständigkeit, Kraft und Hochgestimmtheit sind Elemente des
Liebesideals, welches Tristan und Isolde kennzeichnet. Das Ideal, das Gottfried
hier vertritt, basiert auf kompromissloser Bindungsbereitschaft und absoluter
Ehrlichkeit dem Partner gegenüber. Dann kommt die Begrenzung der Grotte durch
Tür, Fenster und die äußeren Grenzen. Der zweite Teil der Allegorese
beschäftigt sich mit dem Zugang zur Liebe und ihrem Verhältnis zur Welt.
in
der Minnegrottenepisode siegt für eine beschränkte, nicht definierte Zeit die
Wahrheit des Herzens über die Konventionen und Ordnung am Hof.
Die
verschiedenen Forschungsansätze deuten darauf hin, dass noch immer Uneinigkeit
besteht, was Gottfried mit seiner Allegorie wirklich sagen wollte. Die
theologische Auslegung, die auf Ranke zurückgeht, ist die am meisten
Anerkannte. Einig ist man sich darüber, dass die Minnegrottenschilderung ein
Kennzeichen für Gottfrieds Tristan ist und er ihr großen Wert beimaß. Das
bestärken auch die nachfolgenden Exkurse.
Exkurs I:
Im
ersten Exkurs versucht Gottfried die Zweifler an der Wahrheit seiner Geschichte
zu überzeugen. Er erläutert, dass dieses Wunder welches Tristan und Isolde
erleben durften, nur aus tiefster, wahrer Liebe entstehen kann. Insbesondere
will er mit der
persönlichen
Komponente das Speisewunder glaubhafter machen. Der Exkurs dient der
Bekräftigung des vorher gesagten.
Ich treib ouch eteswenne
alsus getâne lebesite.
dô dûhte es mich genuoc dermite. 16920 – 16923
Exkurs II:
Auch
dieser Exkurs dient der Bekräftigung und er ist noch persönlicher ausgestaltet.
Der Erzähler wendet sich hier, jenseits der erzählten Welt, direkt an den Leser
oder Zuhörer und verständigt sich mit ihm über den ontologischen Status des
Erzählten: Es braucht nicht `wahr` zu sein im Sinne eines direkten
Realitätsbezug. Die persönliche Gefühlserfahrung des Erzählers dient dazu,
einen umso höheren des Gesagten zu untermauern: den Anspruch auf emotionale
Authentizität. Die Wahrheit der Grottenszene, bedeutet das, ist eine Wahrheit
des Herzens.
Die
persönliche Schilderung, dass er auch schon mehrmals in der Minnegrotte war,
seit er elf ist aber nicht am Bett ruhen konnte und noch nie in Cornwall war
ist ein formaler Widerspruch.
ich han die fossiure erkant
sît mînen eilif jâren ie
und enkam ze Curnewâle nie.
17136 – 17138
Die
Erklärung hierfür ist, dass Gottfried meint, die Minnegrotte ist kein
festzumachender Ort. Es gibt sie immer und überall und ist nicht nur als realer
Ort zu verstehen. Die Wenigen, die die Minnegrotte finden und zur Höhe der
Beschauung gelangen, sind „wie fliegende Wolken, nicht aber mehr wie über die
Erde wandelnde Menschen.“
Das
Ich in diesem Exkurs kann
Gottfried auch als Repräsentant der edelen
Herzen verwendet haben.
Ich
glaube, dass Gottfried sich hier sehr wohl auch offenbarte und seine
unglücklichen Bestrebungen der Liebeserfüllung beschreibt.
mîn arbeit und mîn ungemach
daz was âne âventiure. 17108, 17109
Allegorien der Tugend
In
der Beschreibung der Minnegrotte kommen Tugenden vor, die den wahrhaft
Liebenden charakterisieren. Dazu gehören staete
(16970), êre (17068), einvalte (16932), craft (16937), durnehte (16964),
wîsheit und sinne (17024), kiusche und reine (17026), güete (17063), diemüete
(17064) und zuht (17065)
Die
staete erweist sich als ausdauernde
Beständigkeit in der Liebe. Die güete
und der ganze Bereich der reine
haben in Gottfrieds Minneauffassung einen bestimmbaren wichtigen Platz. Die
drei Tugenden, die die Fenstert versinnbildlichen, güete, diemüete und zuht sind
einheitlich mit den drei evangelischen Räten Paupertas, Humilitas und Castitas.
Die
Minne strebt mit ihren Tugenden nach dem obersten Punkt. In der Grotte mündet
sie hier in den Edelstein verzierten Schlussstein, der hier alle Tugenden bündelt.
(hin ûf, dâ sich der tugende gôz. 16944)
Gründe für das Verlassen
der Minnegrotte
Tristan
und Isolde lassen mit der Verbannung vom Hof das Vergängliche hinter sich. Die
ungebührlich lärmende Schar irdischer Begierden wird zurückgedrängt, sie sind
von der Bedrückung äußerer Sorgen befreit, sie ziehen sich in die eigene
Innerlichkeit zurück. Sie begeben sich in eine verborgene Höhenwelt, die der
Masse der dem
Irdischen
verhafteten Menschen, zu denen auch Marke und sein Gefolge gehören, nicht zugänglich
ist. Die vom Dichter oftmals betonte Abgelegenheit der Minnegrotte
versinnbildlicht eben diesen mystischen Sachverhalt, dass minne und ir
gelegenheit niht uf die straze
sint geleit.
Als
sich Tristan und Isolde in den Wald begeben werden sie von Kurvenal begleitet,
der ihnen Verbindungsmann zum Hof sein soll.
Bei
der Schilderung des Wunschlebens von Tristan und Isolde erwähnt Gottfried
einmal:
si haten umbe ein bezzer leben
niht eine bône gegeben
wan eine umbe ir êre. 16875 -16878
Die
Harmonie des Paares wird nur gestört durch die verlorene êre. Dieser Makel ist das Elemen,t welches
das paradiesische Leben von Tristan und Isolde mit der „Markewelt“ verbindet.
Die Aussicht auf Ehre bewegt die Liebenden dazu, an den Hof zurückzukehren und
das unangefochtene Ausleben ihrer Gefühle gegen ein erneutes Intrigenspiel
einzutauschen, obwohl das eine Gefährdung und schließlich die Zerstörung ihrer
Liebesharmonie mit sich bringt. Aber Tristan und Isolde wollten äußerlich ihre
Ehre wieder erlangen.
Die
êre kann nur durch die
Gemeinschaft gewährt werden und liegt damit außerhalb des Einflusses der
liebenden Individuen.
Hier
steht die Ehre für die soziale Komponente der Existenz von Tristan und Isolde.
Es geht um ihre Anerkennung und ihre Reputation am Hof Markes, in ihrer Welt
der Liebe, hatten sie sich jedoch nicht vergangen, denn sie folgten der
Wahrheit.
Marke
litt sehr unter der Verbannung von Tristan und Isolde. Er trauert um sein
Ansehen und um seine Frau. Ihm wird es von Tag zu Tag schwerer zumute, so
begibt er sich zur Ablenkung auf die Jagd.
Das
Motiv der Jagd als Mittel gegen den Liebeskummer steht im Zusammenhang mit der
erotischen Symbolkraft der Jägerei.
Marke
jagt mit seinem Gefolge in jenem Wald, in dem sich Tristan und Isoldes
Minnegrotte befindet. Sie folgen der Spur eines Rudel Wildes und entdecken
einen außergewöhnlich schönen Hirsch. Der vremede
hirz (17293) ist eine Mischung von Hirsch und weißem Pferd. Die
Sprünge des Hirsches können mit den edelen
herzen in Verbindung gebracht werden, die durch kein Hindernis
zurückgehalten werden.
Bayer
beschreibt das Pferd als equus albus
als Symbol des heiligen Menschen, der seine Begehrlichkeit gezügelt hat. Der
Hirsch, cervus, überwindet alle
Hindernisse. Bayer glaubt, dass diese beiden Allegorien genau mit dem
religiös-ethischen Sinn der Minnegrotte übereinstimmen.
einen vremeden hirz hin dane,
der was reht alse ein ors gemane,
starc unde michel unde blanc
daz gehürne cleine under unlanc,
vil kûme wider entworfen […]17293 – 17297
Der
weiße Hirsch gehört nicht Markes Welt an, sondern der Minnegrotte.
alsô daz in der hirz entwart
und sîne vluht hin wider genam,
von danner er puch dar kam,
hin dâ diu fossiure was.
al dar gevloher unde genas. 17304 – 17309
Sein
Aussehen, die weiße Farbe und das abgeworfene Geweih versinnbildlichen die
Reinheit des entsagenden Menschen.
Das
Motiv der Jagd und des Hirsches zieht sich mehrmals durch das Fragment von
Gottfried. Marke lernt Tristan kennen, weil Tristan den Hirsch so schön
auflegt. Im weiteren Verlauf befinden sich Tristan und Marke mehrmals auf der
Jagd. Hier schließt sich nun wieder der Kreis und Marke entdeckt später auf der
Jagd, mit dem Hirsch als Wegweiser die beiden Liebenden.
Der
Hirsch entflieht der Jagdgesellschaft und die Jäger schlagen nach Einbruch der
Dunkelheit verstimmt ihr Lager auf.
Tristan
und Isolde vernehmen tagsüber den Lärm der Hunde und der Jagdhörner und wissen
Marke in ihrer Nähe. Darüber verfallen sie in tiefe Traurigkeit. des wart ir herze swaere. 17324
In
dem Augenblick, in dem die Liebenden den ersten akustischen Kontakt zum Hof
haben, beginnt wieder ihr trügerisches Handeln. Am nächsten Morgen verfolgt der
Jägermeister die Spur des Hirsches und gelangt zur Grotte.
Tristan
und Isolde machen an diesem Morgen einen Spaziergang im Gebiet um die Grotte,
dem locus amoenus, dessen
Besonderheit Gottfried noch einmal ausführlich beschreibt.
Nach
dem Spaziergang kehren sie in die Grotte zurück und legen sich weit voneinander
entfernt, mit dem Schwert zwischen ihnen, auf die Liegestatt.
si giengen an ir bette wider
und leiten sich dâ wider nider
von ein ander wol hin dan
[…]
ouch haete Tristan geleit
sîn swert bar enzwischen sî. 17406 - 17413
Das
trennende Schwert im Bett ist ein altes Rechtssymbol, wenn ein Mann die Frau,
die neben ihm liegt, nicht berühren will.
Der
Jäger, der den Spuren des Hirsches folgt, gelangt zur Grotte, weil er Tristan
und Isoldes Spuren mit der des Hirsches verwechselt. Dieser Hinweis von
Gottfried ist nicht von ungefähr. Es ist sehr bezeichnend, dass der Jäger als
erfahrener Fährtenleser die Spur des schönen Hirsches mit der von den Liebenden
gleichsetzt. Außerdem erkennt er in den Spuren Tristans und Isolde nur eine
einzige.
der spurte in dem touwe,
dâ Tristan und sîn vrouwe
vor ime gslichen wâren hin.
hie mite sô kam er an den sin,
ez waere niwan des hirzes trat. 17419 – 17423
Dem
Jäger bleibt das Tor zur Grotte verschlossen. Durch ein Fenster blickt er in
das Innere und erspäht Tristan, der man ist
alse ein ander man(17473), und Isolde. Er glaubt, in Isolde eine
Göttin zu sehen. Die auf dem Kristallbett ruhende gotinne Isolde (V. 17470) verkörpert mit ihrer überirdischen
Schönheit, ihrer saeligkeit (V.
17586) die auserwählte Seele, die die sündhafte Welt hinter sich gelassen hat
auf ihrem geistigen Höhenflug zur himmlischen Liebe.
Gottfried
will diese Gedanken, die er am Jäger reflektiert, seinem Publikum näher bringen
Der
Jäger kehrt zurück und berichtet Marke von seinem Erlebnis. Marke begibt sich
zur Grotte und erblickt seine Frau und seinen Neffen.
diu sach er ouch dâ beide
in der cristallen ligen enbor
[…]
wol von ein ander gewant,
daz eine her, daz ander hin,
daz bare swert enzwischen in. 17500 - 17506
Marke
freut sich die Beiden gefunden zu haben und sie ehrenvoll getrennt voneinander
liegend zu sehen. Nach kurzen Zweifeln glaubt er an ihre Unschuld. Marke
beobachtet Isolde noch lange verzückt im Schlaf. Sie erstrahlt in seinen Augen
in neuem Glanz und in vollkommener Reinheit und Unschuld.
Marke
ist berauscht von ihrer körperlichen Schönheit und will sie wieder als Frau
besitzen. Hier kommt deutlich die rein körperliche, sexuelle Liebe Markes zum
Vorschein.
Er
bedeckt eines der Fenster mit Gras um Isolde vor der Sonne zu schützen. Mit
dieser Verdunkelung, die Marke verursacht, schwindet das glückselige, Tugend
bringende Licht in der Grotte und das Verlassen der Grotte rückt näher. Marke
kehrt zur Jagdgesellschaft zurück und beendet den Jagdausflug. Später schickt
er Kurvenal um die beiden Liebenden wieder aus der Verbannung zurück zu holen.
Tristan
und Isolde kehren an den Hof zurück und nehmen ihr Leben mit List und Tücke
wieder auf.
Gründe
für das Verlassen der Minnegrotte sind ihre verlorene Ehre und das Wissen um
die Vergänglichkeit, also dass nichts, auch nicht ihr Wunschleben, ewig
andauern kann.
Eigene Abschlussworte
Dass
Gottfried selbst die Allegorie der Minnegrotte auslegt, deutet für mich darauf
hin, dass ihm sehr wichtig war, dass das Publikum hier seine Gedanken versteht
und nachvollziehen kann. In meinen Augen wollte er damit auf die Stärke und
Größe der Liebe hindeuten und sie zu einer Gottheit emporheben. Außerdem stellt
er damit im Umkehrschluss ein Leben ohne die Gefühle der Liebe als wenig
lebenswert da.
In
unserer Gegenwart, in der Gefühle keinen Platz mehr haben dürfen, sollte dieses
Stück Literatur als Standardwerk für jeden Erwachsenen eingeführt werden um den
Menschen die Augen zu öffnen, dass es wichtigeres gibt als Karriere, Geld und
Macht.
Die
Minnegrottenepisode mit der Allegorie ist eine wunderbare Schilderung, die zum
Träumen anregt.
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Gottfried von
Strassburg: Tristan. neu hrg. nach dem Text v. Freidrich Ranke, ins
Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von
Rüdiger Krohn, 3 Bde., Text und Kommentar, Stuttgart: Reclam 9 2003
(4471 – 4473).
Sekundärliteratur
Bayer, Hans: Gralsburg
und Minnegrotte. Die religiös-ethische Heilslehre Wolframs von Eschenbach und
Gottfrieds von Strassburg. Berlin: Schmidt 1978.
(= Philologische Studien
und Quellen. 93.)
Betz, Werner: Gottfried
von Strassburg als Kritiker höfischer Kultur und Advokat religiöser erotischer
Emanzipation. In: Gottfried von Strassburg. Hrsg. von Alois Wolf. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973. S. 518-525
Gottfried von
Strassburg: Tristan. neu hrg. nach dem Text v. Friedrich Ranke, ins
Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von
Rüdiger Krohn, Band 3: Kommentar. Stuttgart: Reclam 9 2003 (4473).
Gruenter, Rainer:
Bauformen der Waldleben-Episode in Gotfrids Tristan und Isold. In:
Gestaltprobleme der Dichtung. Festschrift Günther Müller. Hrsg. von H.E. Hass,
C. Heselhauer und R. Alewyn. Bonn: 1957.
Hahn, Ingrid: Raum und
Landschaft in Gottfrieds Tristan. Ein Beitrag zur Werkdeutung. München: Eidos
1964.
(= Medium Aevum.
Philologische Studien. 3.)
Kolb, Herbert: Der
Minnen hus. Zur Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. In: Gottfried
von Strassburg. Hrsg. von Alois Wolf. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1973. S. 305-333.
Wolf, Alois: Gottfried
von Strassburg und die Mythe von Tristan und Isolde. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989.
Lexika
und Wörterbücher:
Meyers enzyklopädisches
Lexikon. Mannheim. 1979. (Band 24).
Stowasser. Lateinisch –
deutsches Schulwörterbuch. Hrsg. von J. M. Stowasser, M. Petschenig und F.
Skutsch. Wien: Hölder – – Tempsky 1994.
Internetquellen: