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Analyse: Die Minnegrotte in Tristan von Gottfried von Straßburg: Gründe für das Verlassen der Grotte
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Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Universität Wien - Alma Mater Rudolphina

Autor / Copyright
Märte Huelsenbeck ©
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ID# 1277








Universität Wien

 

Tristan- Gottfried von Straßburg

Bechreibung der Minnegrotte
Gründe für das Verlassen

 

Inhaltsverzeichnis  

Ø    Vorwort

Ø    Inhaltsbeschreibung

Ø    Beschreibung und Lage der Grotte

Ø    Zur Einteilung der Minnegrottenszene

Ø    Gottfrieds Allegorie der Minnegrotte

Ø    Zum Leben in der Minnegrotte

Ø    Die Minnegrotte in der Forschung   Die Allegorie der Allegorie

Ø    Exkurs I

Ø    Exkurs II

Ø    Allegorien der Tugend

Ø    Gründe für das Verlassen

Ø    Conclusio

Ø    Literaturverzeichnis

 

Vorwort

 

Der vorliegenden Arbeit über die Minnegrotte und die Gründe für das Verlassen im Tristan-Roman liegt das Seminar Gottfried von Strassburg; Tristan zu Grunde.

Die Minnegrottenepisode ist das Fragment Gottfrieds kennzeichnender Teil. In der Forschung wurde die Allegorie der Minnegrotte bis ins 20 Jahrhundert kaum behandelt. Erst Friedrich Ranke veröffentlicht 1925 ein bahnbrechendes Werk über die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds von Strassburg Tristan. Die Arbeit von Ranke eröffnete für die Forschung neue Wege, ist auch heute noch aktuell und war somit auch für mich eine zentrale Literaturgrundlage.

Beim Aufbau der vorliegenden Arbeit versuchte ich gezielt vorzugehen, die mehrmaligen Wiederholungen verschiedener Beschreibungen sind mit Absicht, da sie auch bei Gottfried so vorkommen.

Eine kurze Inhaltsangabe beschreibt die derzeitige Situation von Tristan und Isolde. Anschließend liste ich die Faktenbeschreibung von Gottfried auf, als nächstes gehe ich auf den formalen Aufbau der Schilderung ein. Dem lasse ich die Allegorie der Minnegrotte von Gottfried folgen, um mit Unterbrechung mit den autobiografischen Exkursen Gottfrieds, auf die Allegorie der Allegorie einzugehen. Daran im Anschluss versuche ich die Bedeutung der Stoffe, auf die Gottfried solchen Wert legt, mit ihrer heutigen zu vergleichen. Der zweite Teil meiner Arbeit handelt von den Gründen für das Verlassen der Minnegrotte. Hier untersuchte ich genauer die Funktion des Hirsches und auch von Marke. 

Zur Zitierweise: Kurze Zitate sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet, längere kursiv und eingerückt. Zitierte Passagen des Primärtextes sind nur mit den Versen angegeben. Sie beziehen sich auf die Reclam Taschenbuchausgabe des Jahres 2007.

 

Inhaltsbeschreibung:

 

Das Gottesurteil fordert von Tristan und Isolde eine Trennung auf Zeit. Nachdem sie diese Probe überstanden haben und Marke keine Zweifel mehr hegt leben alle zusammen in Eintracht am Hof. Tristan und Isolde schränken ihre Zusammenkünfte ein und können sich nur bei öffentlichen Veranstaltungen sehen. Dort werfen sie sich schmachtende Blicke zu, die auch Marke registriert. Nach langem Hadern kann er sich der Wahrheit nicht mehr verschließen und stellt sich der Liebe zwischen Tristan und Isolde und verbannt die Beiden. Sie verlassen den Hof mit küelem herzeleide (16625), wenn auch nicht ohne die Hoffnung auf  Versöhnung.

Tristan schickt sein Gefolge nach Hause zu seinem Vater Rual. Nur Kurvenal behält er als Vertrauten bei sich. Dann entfernen sich Tristan, Isolde, Kurvenal und der Hund Hüdan vom Hof. Tristan hat noch zwanzig Mark von Isoldes Gold bei sich, außerdem noch sein Schwert, seine Jagd-Armbrunst und seine Harfe.

Sie reiten  zwei Tagesreisen durch Wald und Heide geradewegs der Wildnis zu. Sie erreichen eine Höhle, die Tristan einmal bei einem Jagdausflug entdeckte. 

 

Sus kêrten sî driu under in

allez gegen der wilde hin

über walt und über heide

vil nâch zwô tageweide. V. 16679 - 16682

 

 

Beschreibung und Lage der Grotte

 

Gottfried verwendet auf die Beschreibung der Minnegrotte etwa 1000 Verse. Er beschreibt sie als eine Grotte, die in heidnischen Zeiten von Riesen in den Berg geschlagen wurde. Die Tür in das Innere ist aus Erz. Es gibt weder Schlüssel noch Schloss. An der Innenseite der Tür befinden sich zwei Riegel. Die Riegel, der eine aus Elfenbein, der andere aus Zedernholz, sind einander zugewandt. Durch eine verborgene Klinke führt von außen eine zinnerne Stange zu dem Schnappschloss aus Gold. Der Innenraum ist weit, hoch und steil, schneeweiß mit glatten Wänden.

Seine geometrische Form ist rund, ohne Winkel und Ecken. Die Decke ist ein Gewölbe welches oben in einem kronenförmigen Schlussstein endet, der mit Schmiedearbeiten

 

verziert und mit Edelsteinen ausgelegt ist. Der Boden ist aus grünem Marmor. Die Mitte des Raumes ziert ein Bett aus Kristall, mit eingravierten Buchstaben der gottinne Minne (16723) geweiht. Durch drei kleine Fenster fließt das Licht gezielt in die Grotte.

 

Die Minnegrotte befindet sich in unwegsamer Wildnis. In ihrem aus Fels und Wüste bestehenden Umkreis gibt es weder Besiedelung noch Felder. Inmitten dieses Ödlands ist die nahe Umgebung der Grotte ein harmonischer Garten, einem Paradies ähnlich. Am Ausgang der Grotte stehen drei dicht belaubte Linden. Ringsum finden sich zahllose Bäume. In einer etwas abseits gelegenen Ebene fließt eine Quelle. An dieser Quelle stehen drei weitere Linden. Die Wiese erstrahlt durch die Farbenpracht der Blumen und neben dem Rauschen der Quelle vernehmen Tristan und Isolde nur das Zwitschern der Vögel. Damit finden viele Standardmotive der locus-amoenus-Topik Verwendung.

 

 

Zur Einteilung der Minnegrottenszene

 

Das Kapitel der Minnegrotte behandelt Gottfried ausführlich mit etwa 1000 Versen. Der Formenprunk, die Beschreibungen mit Erklärungen, die Einschübe und Wiederanknüpfungen und die persönlichen Kommentare zeigen welchen Wert Gottfried dieser Szene beimaß.

Eine Gliederung des Kapitels nach Gruenter[1] in vereinfachter Form:

16703 - 16729         Beschreibung der Grotte

16730 - 16760         Beschreibung des Lustorts

16761 - 16766         Wildnis

16773 - 16808         Auftrag an Kurvenal

16807 - 16908         wunschleben (Speisewunder)

16909 - 16922         „Autobiografischer“ Exkurs I

16928 - 17099         Grotten- und Wildnis-Allegorese

17100 - 17138         „Autobiografischer“ Exkurs II

17139 - 17274         wunschleben

 

 

Gottfrieds Allegorie der Minnegrotte

 

Definition Allegorie:

die Allegorie [griechisch allegoría »das Anderssagen«], die Verbildlichung eines abstrakten Begriffs oder Vorgangs; oft durch Verkörperung als Person, z. B. der Tod als Sensenmann. Im Unterschied zum sinnfälligen Symbol enthält die Allegorie eine gedanklich-konstruktive Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Gemeinten. Als literarisches Ausdrucksmittel wurde die Allegorie besonders in der Antike, im Mittelalter und im Barock verwendet.[2]

 

Gottfried schildert bei der Erzählung der Minnegrotte anfangs nur die Fakten, dann erst erläutert er diese mit Erklärungen und Beschreibungen. Er misst jedem einzelnen Gegenstand bzw. Objekt in der Grotte eine Bedeutung bei. Die ausführliche allegorische Auslegung der Grotte rekapituliert die Aspekte der Beschreibung und deutet sie als Wesenszüge der Minne.

Die Rundung des Raumes bedeutet die Einfachheit der Liebe, die ohne Betrug und Tücke sein soll.

 

einvalte zimet der minne wol

diu âne winkel wesen sol. V. 16933, 16934

 

 

Die Weite bezeichnet die Kraft der Liebe (du wîte deist der minne craft V. 16937), die Höhe, deist der hôhe muot/ der sich uf in diu wolken tuot V. 16938, 16939. Die Liebe reicht in die Vollkommenheit, die hier mit Edelsteinen abgebildet wird.

 

die tugende dien sîen iemer

gesteinet unde gewieret,

mit lobe alsô gezieret. V. 16946 – 16949

 

 

 

 

 


Die weiße und glatte Wand ist ein Zeichen für die Lauterkeit. Hier weißt Gottfried

explizit auf die Farbe weiß hin, die Reinheit bedeutet.

 

Diu want was wîz, eben unde sleht.

daz ist der durnehte reht. 16963, 16964

 

 

Das Grün des Bodens soll Beständigkeit verdeutlichen und  der Marmor demonstriert die Festigkeit. 

 

der marmelîne esterîch

der ist der staete gelîch

an der grüene und an der veste. 16969 – 16971

 

 

Das Kristall, aus welchem das Bett gefertigt ist, zeigt die Transparenz der Liebe, die durchsichtig und lauter ist.

Daz bette inmitten inne

der cristallînen minne,

[…]

diu minne sol ouch cristallîn,

durchsihtic und durchlûter sîn. 16977 – 16985

 

 

Der Beschreibung der Tür räumt Gottfried mehrere Verse ein und liefert gleichsam ihre allegorische Auslegung mit. Es gibt für die Tür zur Grotte keine Schlüssel und kein Schloss. Gottfried sagt, dass nur Liebende dieses Tor durchschreiten können. Würde ein valscher versuchen durch diese Türe in das Innere der Grotte zu gelangen, wäre es, mit List, mit Lüge oder mit Gewalt. Gottfried schreibt in diesen Versen

 

diu êrîne tür vor,

die nieman kan gewinnen,

ern gewinne sî mit minnen. 17006 – 17009

 

 

 

Die Tür ist aus Erz und versinnbildlicht  die tiefe Treue durch die man weder durch Schlauheit noch mit Gewalt eindringen kann.

 

Von innen halten zwei Riegel eine Fallklinke. Ein Riegel ist aus Zedernholz, welches in der Liebe die Bedeutung von Weisheit und Verstand hat. Der andere ist aus Elfenbein. Elfenbein steht für Keuschheit und Reinheit (17020 - 17027). Ein kleiner verborgener Stift aus Zinn führt in ein Schloss aus Gold. Der Stift aus Zinn bedeutet die innbrünstige Hingebung, das unermüdliche Werben welches unerlässlich ist um die Erfüllung zu erfahren. Die Erfüllung wird mit dem Schloss aus Gold bezeichnet. (17033 - 17045)

 

swer aber mit rehter güete kann

ze minnen wesen gedanchaft,

den treit binamen dirre haft

von zine, dem swachen dinge,

ze guldîner linge

und ze lieber âventiur. 17052 – 17057

 

 

Durch drei Fenster scheint die Sonne. Jedes Fenster steht für eine Tugend, für güete (Güte), diemüete (Demut), zuht (vornehmes Betragen).  Der Sonnenschein ist die (göttliche) Ehre und erleuchtet die Grotte irdischen Glücks.[3] 

 

Die Abgeschiedenheit der Grotte und der beschwerliche Weg dahin sollen zeigen, dass die Liebe nicht überall zu finden ist. Nur der wahre Liebende kann den Weg finden und die Hindernisse die zum Ziel führen überwinden. Am Ziel können die Liebenden alle Sinne befriedigen.

 

 

Zum Leben in der Minnegrotte

 

Tristan und Isolde kehren dem Hofleben mit seinen Konventionen den Rücken und führen in der Grotte mit ihrer lieblichen Umgebung ein paradiesisches Leben. Die Beschreibung dieses Lebens ist in der Gottfried´schen Ausführung des Tristan ausführlicher als bei Thomas. Tristan und Isolde haben den Diener Kurvenal an den Hof zurückgeschickt, damit er ihnen erfreuliche Nachrichten bringen kann. Nun sind  

 

sie zu zweit. Sie sind eine gerade Zahl und jeder weitere wäre überflüssig gewesen. Gottfried schreibt, ihnen war ihre Zweisamkeit lieber als alle Feste am Artushof, der zu dieser Zeit das Sinnbild der Vollkommenheit war. Sie hatten nun ihren eigenen Hof und  ihr eigenes Gefolge.

                                              

si haeten hof, si haete rât,

dar an  vröude elliu stât.

ir staetez ingesinde

daz was diu grüene linde

[…]

und ander waltvogelîn 16879 - 16890

 

Mit dem Hof und dem Gefolge ist die Natur mit ihren Schätzen gemeint, mit der Vielzahl an Vögeln, Bäumen und Blumen.

Tristan und Isolde brauchen hier  keine herkömmliche Nahrung. Sie ernähren sich auf eine andere Art, auf eine nahezu Göttliche. Dieses Kapitel wird in der Literatur das Speisewunder genannt.

 

si sâhen beide ein ander an,

dâ generten sî sich van. 16815, 16816

 

 

Gottfried beschreibt nun lange den Gedanken eines Lebens, der Liebe geweiht.  

 

Die Ernte ihrer Augen war ihrer beider Nahrung. Sie aßen dort nichts als Liebe und Verlangen. Die beiden Verliebten machten sich über ihr Essen keine Sorgen. Sie trugen bei sich, verborgen unter ihren Kleidern, die beste Nahrung, die man auf der Welt haben kann. Das stand ihnen unentgeltlich zur Verfügung immer wieder frisch und neu. Das war die unbedingte Treue, die balsamisch süße Liebe, die Leib und Seele so innig beglückt, die Herz und Geist ernährt. Das war ihre beste Speise. Tatsächlich erwogen sie niemals andere Nahrung als diese, aus der das Herz sein Verlangen, das Auge seine Freude bezog und die auch dem Körper guttat. Das genügte ihnen. Die Liebe, ihr ererbtes Geschäft, blieb bei jedem Schritt und bei jeder Zeit bei ihnen. Sie gab ihnen für alles die Mittel, die man zu einem herrlichen Leben brauchte. (des man ze wunschleben hat). 16817 – 16846

 

 

Gottfried verweist hier ausdrücklich darauf, dass die Liebenden keine irdischen Speisen brauchen. Ihre Liebe ist ihre Nahrung. Ihre Liebe erbten sie von ihren Eltern und war ihnen somit schicksalhaft vorgegeben.

Ihr Zeitvertreib ist die Jagd. Zu Sonnenaufgang, zur Stunde des Göttlichen,  machen Tristan und Isolde Spaziergänge im Morgentau, später sitzen sie an der Quelle und musizieren gemeinsam, oder erzählen sich Liebesmärchen, bzw. Sehnsuchtsmärchen, da sie der Verlust ihrer êre bedrückt und sie wissen, dass ihr paradiesischer Zustand nicht für immer andauern kann. Das Singen und Harfenspiel der Liebenden symbolisiert mit allen anderen Elementen der schönen Umgebung der Minnegrotte die Hymnenharmonien der Engelschöre, die Freuden der Himmelsbürger, die Lieblichkeit des beschaulichen Lebens, die paradiesische Welt.[4]

Werner Betz äußert hier die kritische Meinung, dass sie hier für ihre höfische Ehre nicht viel gegeben hätten, höchstens eine Bohne. Er meint, nur für den oberflächlichen Hörer ist dieser Vers zunächst scheinbar positiv für den Hof formuliert. [5]

 

 

sine haeten umbe ein bezzer leben

niht eine bône gegeben

wan eine umbe ir êre. 16875 -16878

 

 

Die  Forschung zur Minnegrotte:

Die Allegorie der Allegorie

 

Die lange und ausführliche Beschreibung der Minnegrottenszene ist ein Konstrukt welches auf Gottfrieds eigene Bestrebungen hin erfolgt ist. In der Überlieferung von  Beroul und Eilhart wird die Verbannung vom Hof als Tiefpunkt geschildert.

Thomas von Bretagne und Gottfried von Strassburg weichen davon ab. In Thomas´ Tristan fällt die Beschreibung jedoch einfacher und kürzer aus. Er verleiht der Szene bei weitem nicht den Glanz wie Gottfried es tut. Für Gottfried war diese Szene von äußerster Signifikanz, worauf auch die zwei autobiografischen Exkurse  hindeuten.

 

 

In der Forschung blieb die Stelle lange unbeachtet, bis Friedrich Ranke 1925 ein bahnbrechendes Werk zur Allegorie der Minnegrotte veröffentlichte. 

Seitdem gibt es verschiedene Ansätze die Minnegrotte zu „erklären“.

Anfangs nur auf den „Bau“  der Minnegrotte eingehend:

 

Der Ansatz zur Erklärung durch Alchimie[6]:

Ein Vertreter dieser Richtung ist P. C. Ober. Er erkennt im Roman mehrere alchemistische Stellen. Die Alchemie war zu Gottfrieds Zeiten eine Modeerscheinung. Dieser Ansatz hatte in der Forschung keinen Bestand und setzte sich nicht durch.[7]

Bei der Recherche in einschlägiger alchimistischer Literatur stoß ich jedoch auf folgende Bedeutung für Gold, das Schloss in der Grotte.

In der Alchimie stellt Gold die Verbindung zwischen dem männlichen (Schwefel) und weiblichem (Quecksilber) Prinzip dar. Damit ist das Gold Symbol für ein erreichtes Ziel und für die Erlangung des Zentrums. Es kann das Symbol für das Herz, die Perfektion und die Ganzheitlichkeit sein.

 

Eine literarische Erklärung für den Aufbau der Minnegrotte:

Herbert Kolb vertritt die Meinung, dass die Interpretation der Minne im Zusammenhang mit der französischen Minne-Allegorie  zu sehen sei. Kolb will Gottfrieds Werk in die literarische Ebene zurückstellen, „aus der es als Gipfel der mittelalterlichen Tristandichtung und als ein Gipfel mittelalterlicher Erzählkunst überhaupt erst einmal hervorgewachsen ist.“[8]

Gottfried habe sich von der französischen Literatur beeinflussen lassen und Kolb findet dafür etliche Textbelege. Erstes Indiz, laut Kolb, ist die französische Bezeichnung, fossiure (17029), die Gottfried ihr gibt.  Dazu findet er als Äquivalent die maison d´amor und dieser Begriff sei übersetzt mit minnen hus.

In Handschriften des 13. Jahrhunderts werden Traumerzählungen stilisiert, die den Besuch von Amor oder Venus in einem Minneparadies schildern. Auch dort gibt es ein von der Außenwelt abgegrenzte palais oder castel.

Ich gehe nur auf zwei weitere „Beweise“ von Kolb ein.

 

Das kristallene Bett in der Minnegrotte wird in der französischen Literatur mehr ausgeschmückt. Hier ist der ganze Saal aus Kristall.

In der französischen Kleindichtung gibt es auch die Parallele zu Gottfrieds Allegorie der Tür. „Der Türring ist aus minnenden Gedanken, […] der Riegel aus Sanftmut […], der Sinn, durch welchen man die Minne gänzlich gewinnen könne.“[9]

Herbert Kolb findet nahezu zu jedem Detail der Beschreibungen Gottfrieds Vorlagen aus der französischen Literatur. [10]

In der germanistischen Forschungswelt wird Kolbs Erklärung nichtvollständig akzeptiert.

 

Die theologische Auslegung nach Friedrich Ranke:

Die Interpretation der Minnegrottenallegorie mit theologischem Hintergrund ist die meist verbreitete. Friedrich Ranke veröffentlichte dazu 1925 eine bahnbrechende Arbeit.

Gottfried hat die Höhle der Liebenden zu einem Werk besonderer Baukunst ausgestaltet um damit eine bewusste allegorische Ausdeutung ermöglicht. „Er hat eine spirituale Minnegrotte gezeichnet, die sich aus den in der Minne wirkenden Seelenkräften und Tugenden aufbaut“[11] Mit dieser Schilderung wollte Gottfried bei seinen Hörern Assoziationen zu theologischer Literatur hervorrufen.

Die Ausgestaltung seiner Grotte ist nach dem Schema der tropologisch-mystischen Erklärung des Kirchengebäudes angelegt. Ranke: „[…] ich meine die allegorische Ausdeutung des christlichen Gotteshauses, der Kirche.“[12]

 

Zur Geschichte der Kirchenausdeutungen:

Ausdeutungen der Gotteshäuser gehen bereits auf das 4. Jahrhundert zurück. Der materielle Bau, also die Kirche, sollte die spirituelle christliche Seele wiederspiegeln. Der Leitsatz lautete: „Ecclesia materialis significat ecclesiam spiritualem“.[13]

 

 

 

Im 12. Jahrhundert waren die theologischen Prägungen der Kirchengebäude wie folgt: Die vier Wände der Kirche bedeuteten die vier Evangelien. Sie halten den Bau der Kirche zusammen.

Das Sanktuarium, in dem sich der Klerus befindet steht für vita contemplativa[14], der Vorraum, der vom Volk genutzt wird, für vita activa. „Der Altar mit den Reliquien der Heiligen ist Christus in ecclesia, in cuius contemplatione requiescunt mentes beatorum, die Fenster […] sind die doctores, die Gemälde sind vitae et exempla sanctorum, das ewige Licht ist spiritus sancti gratia, qua ecclesia iugiter irraditur, die Türme sind die praelati, die Glocken eorum praedicationes[15].“[16]

 

Diese allegorisch-symbolische Ausdeutung ist auf die geistige Kirche beschränkt.

Für den Minnegrottenstoff von Gottfried ist sie daher weniger von Belang. Sie stattet zwar den gleichen Objekten eines Raumes eine Bedeutung zu, aber nicht die Gleiche wie Gottfried. Gottfried schließt sich der tropologisch-mystischen Ausdeutung an.

Hier ist das Gotteshaus ein Abbild der menschlichen Seele. Der Theologe Durandus und Hugo von Sanct Victor veröffentlichten hierzu Schriften.

Das Fundament der Kirche ist der Glaube. Das Dach bezeichnet die Liebe, das Tor ist der Gehorsam, der Fußboden zeigt die Demut, die vier Wände die vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Mäßigkeit. Die Fenster sind die Tugenden der Gastfreundschaft, Heiterkeit, Barmherzigkeit und Freigebigkeit.

Die Ähnlichkeiten mit der Beschreibung der Minnegrotte sind hier kaum zu übersehen. Gottfried war ein theologisch gebildeter Dichter daher kann darauf geschlossen werden, dass er diese Symbolik bewusst einsetzte. Gottfried gab der Minnegrotte damit den Stellenwert eines Gotteshauses. Er bezeichnet sie als kluse ein Wort aus dem religiösen Sprachgebrauch mit der Bedeutung Einsiedelei, Klause, Kirche und Kloster.

Mit der ausführlichen Schilderung der Nutzlosigkeit der irdischen Kost und dass Tristan und Isolde gemeinsam Lieder sangen hebt er die Liebenden in göttliche

 

Sphären.  Tristan und Isolde erscheinen als Diener im Tempel der Minne, die Religion die hier praktiziert wird, ist eine Liebesreligion.[17]

 

Auslegung der Allegorie Gottfrieds nach Hans Bayer:

Hans Bayer beschäftigt sich mit dem Zugang durch vita contemplativa und vita activa.

Der Innenraum der Minnegrotte versinnbildlicht den weiten vom Schmutze des Vergänglichen gereinigten Raum des Geistes, der frei von Sorgen und unnützer Zerstreuung, in die Verborgenheit der inneren Beschauung zurückgezogen ist.

Der Berg ist mystisch, die Hervorhebung der Weite und Helligkeit dient der Ausdeutung der sich erweiternden Liebe, die von bösen Begierden befreit ist.

Der mit Edelsteinen verzierte Schlussstein (oben uf dem sloze ein crone, / diu was vil harte schone / mit gesmide gezieret, / mit gimmen wol gewieret 16709- 16712) symbolisiert gemäß Gottfrieds allegorischer Deutung (hin ûf, dâ sich der tugende gôz / ze samene welbet an ein slôz. 16943,16944) das Ziel des kontemplativen Aufstiegs, eine durch Wesensverwandlung veredelte Seinsform.

Gottfried knüpft mit der allegorischen Gestaltung von Bett und Marmorboden an das Gleichnis des Kristalls und der Steine die durch ihre Festigkeit die unwandelbare Tugendhaftigkeit wie bei Engeln symbolisiert.

Das edele herze, das sich in die Minnegrotte begibt, ist vielleicht auch nach Gottfrieds Auffassung, der auserwählte, der vollkommene, der heilige Mensch. Das kristallene Bett versinnbildlicht eben diese Übernatur.[18]

 

Werner Betz mit einer „erotischen“ Erkärung

Werner Betz vertritt die Meinung, dass Gottfried gegen die höfischen Konventionen war und für eine erotische Emanzipation. In diesem Forschungsansatz ist die Minnegrotte durch die Anlehnung an den Bau eines Kirchengebäudes ein Sakralisierungsversuch der Liebesvereinigung. Die ganze Beschreibung gipfelt in einer Allegorie des Liebesaktes.

Die Bezeichnung der einzelnen Teile der Tür lässt sexuelle Zweideutigkeiten zu. valle 16987, heftelin 17031 und spinele 17034 sind für ihn Metaphern für Vagina, membrum virile und Penis. [19]

 

  Weitere Deutungsversuche:

Bei Gottfried verweist das Gebäude der Minnegrotte auf ein Paradies idealer Liebe hin, einen Ort schuldloser Sexualität und einem harmonischen Garten Eden.

Sie kann gleichgesetzt werden mit dem Inneren von Tristan und Isolde, mit dem „Herz-Raum“, in dem die Werte und Kräfte ihrer vollkommenen Liebe Platz finden.    

Die Allegorese fällt in zwei Teile. Zunächst wird das Grotteninnere beschrieben und mit den Werten in Beziehung gesetzt, die das Verhältnis der Liebenden untereinander (im Idealfall) bestimmen. Die einzelnen Werte Einfachheit, Klarheit und Beständigkeit, Kraft und Hochgestimmtheit sind Elemente des Liebesideals, welches Tristan und Isolde kennzeichnet. Das Ideal, das Gottfried hier vertritt, basiert auf kompromissloser Bindungsbereitschaft  und absoluter Ehrlichkeit dem Partner gegenüber.  Dann kommt die Begrenzung der Grotte durch Tür, Fenster und die äußeren Grenzen. Der zweite Teil der Allegorese beschäftigt sich mit dem Zugang zur Liebe und ihrem Verhältnis zur Welt.

 

in der Minnegrottenepisode siegt für eine beschränkte, nicht definierte Zeit die Wahrheit des Herzens über die Konventionen und Ordnung am Hof.

Die verschiedenen Forschungsansätze deuten darauf hin, dass noch immer Uneinigkeit besteht, was Gottfried mit seiner Allegorie wirklich sagen wollte. Die theologische Auslegung, die auf Ranke zurückgeht, ist die am  meisten Anerkannte. Einig ist man sich darüber, dass die Minnegrottenschilderung ein Kennzeichen für Gottfrieds Tristan ist und er ihr großen Wert beimaß. Das bestärken auch die nachfolgenden Exkurse.

 

 

 

 Exkurs I:

 

Im ersten Exkurs versucht Gottfried die Zweifler an der Wahrheit seiner Geschichte zu überzeugen. Er erläutert, dass dieses Wunder welches Tristan und Isolde erleben durften, nur aus tiefster, wahrer Liebe entstehen kann. Insbesondere will er mit der

persönlichen Komponente das Speisewunder glaubhafter machen. Der Exkurs dient der Bekräftigung des vorher gesagten.

 

Ich treib ouch eteswenne

alsus getâne lebesite.

dô dûhte es mich genuoc dermite. 16920 – 16923


Exkurs II:

 

Auch dieser Exkurs dient der Bekräftigung und er ist noch persönlicher ausgestaltet. Der Erzähler wendet sich hier, jenseits der erzählten Welt, direkt an den Leser oder Zuhörer und verständigt sich mit ihm über den ontologischen Status des Erzählten: Es braucht nicht `wahr` zu sein im Sinne eines direkten Realitätsbezug. Die persönliche Gefühlserfahrung des Erzählers dient dazu, einen umso höheren des Gesagten zu untermauern: den Anspruch auf emotionale Authentizität.  Die Wahrheit der Grottenszene, bedeutet das, ist eine Wahrheit des Herzens.

Die persönliche Schilderung, dass er auch schon mehrmals in der Minnegrotte war, seit er elf ist aber nicht am Bett ruhen konnte und noch nie in Cornwall war ist ein formaler Widerspruch.

ich han die fossiure erkant

sît mînen eilif jâren ie

und enkam ze Curnewâle nie. 17136 – 17138

 

Die Erklärung hierfür ist, dass Gottfried meint, die Minnegrotte ist kein festzumachender Ort. Es gibt sie immer und überall und ist nicht nur als realer Ort zu verstehen.  Die Wenigen, die die Minnegrotte finden und  zur Höhe der Beschauung gelangen, sind „wie fliegende Wolken, nicht aber mehr wie über die Erde wandelnde Menschen.“   

 

Das Ich in diesem Exkurs kann Gottfried auch als Repräsentant der edelen Herzen verwendet haben.

 

Ich glaube, dass Gottfried sich hier sehr wohl auch offenbarte und seine unglücklichen Bestrebungen der Liebeserfüllung beschreibt.

 

mîn arbeit und mîn ungemach

daz was âne âventiure. 17108, 17109

 

 


Allegorien der Tugend

 

In der Beschreibung der Minnegrotte kommen Tugenden vor, die den wahrhaft Liebenden charakterisieren. Dazu gehören staete (16970), êre (17068), einvalte (16932), craft (16937), durnehte (16964), wîsheit und sinne (17024), kiusche und reine (17026), güete (17063), diemüete (17064) und zuht (17065)

Die staete erweist sich als ausdauernde Beständigkeit in der Liebe. Die güete und der ganze Bereich der reine haben in Gottfrieds Minneauffassung einen bestimmbaren wichtigen Platz.  Die drei Tugenden, die die Fenstert versinnbildlichen, güete, diemüete und zuht sind einheitlich mit den drei evangelischen Räten Paupertas, Humilitas und Castitas.[20]

Die  Minne strebt mit ihren Tugenden nach dem obersten Punkt. In der Grotte mündet sie hier in den Edelstein verzierten Schlussstein, der hier alle Tugenden bündelt. [21] (hin ûf, dâ sich der  tugende  gôz. 16944)

 

 

Gründe für das Verlassen der Minnegrotte

 

Tristan und Isolde lassen mit der Verbannung vom Hof das Vergängliche hinter sich. Die ungebührlich lärmende Schar irdischer Begierden wird zurückgedrängt, sie sind von der Bedrückung äußerer Sorgen befreit, sie ziehen sich in die eigene Innerlichkeit zurück. Sie begeben sich in eine verborgene Höhenwelt, die der Masse der dem

 

Irdischen verhafteten Menschen, zu denen auch Marke und sein Gefolge gehören, nicht zugänglich ist. Die vom Dichter oftmals betonte Abgelegenheit der Minnegrotte[22] versinnbildlicht eben diesen mystischen Sachverhalt, dass minne und ir gelegenheit niht uf die straze sint geleit.

Als sich Tristan und Isolde in den Wald begeben werden sie von Kurvenal begleitet, der ihnen Verbindungsmann zum Hof sein soll.

Bei der Schilderung des Wunschlebens  von Tristan und Isolde erwähnt Gottfried einmal:

si haten umbe ein bezzer leben

niht eine bône gegeben

wan eine umbe ir êre. 16875 -16878

 

Die Harmonie des Paares wird nur gestört durch die verlorene êre. Dieser Makel ist das Elemen,t welches das paradiesische Leben von Tristan und Isolde mit der „Markewelt“ verbindet. Die Aussicht auf Ehre bewegt die Liebenden dazu, an den Hof zurückzukehren und das unangefochtene Ausleben ihrer Gefühle gegen ein erneutes Intrigenspiel einzutauschen, obwohl das eine Gefährdung und schließlich die Zerstörung ihrer Liebesharmonie mit sich bringt. Aber Tristan und Isolde wollten äußerlich ihre Ehre wieder erlangen.

Die êre kann nur durch die Gemeinschaft gewährt werden und liegt damit außerhalb des Einflusses der liebenden Individuen.

 

Hier steht die Ehre für die soziale Komponente der Existenz von Tristan und Isolde. Es geht um ihre Anerkennung und ihre Reputation am Hof Markes, in ihrer Welt der Liebe, hatten sie sich jedoch nicht vergangen, denn sie folgten der Wahrheit. [23]

Marke litt sehr unter der Verbannung von Tristan und Isolde. Er trauert um sein Ansehen und um seine Frau. Ihm wird es von Tag zu Tag schwerer zumute, so begibt er sich zur Ablenkung auf die Jagd.

Das Motiv der Jagd als Mittel gegen den Liebeskummer steht im Zusammenhang mit der erotischen Symbolkraft der Jägerei.[24]

 

Marke jagt mit seinem Gefolge in jenem Wald, in dem sich Tristan und Isoldes Minnegrotte befindet.  Sie folgen der Spur eines Rudel Wildes und entdecken einen außergewöhnlich schönen Hirsch. Der vremede hirz (17293) ist eine Mischung von Hirsch und weißem Pferd. Die Sprünge des Hirsches können mit den edelen herzen in Verbindung gebracht werden, die durch kein Hindernis zurückgehalten werden.

Bayer beschreibt das Pferd als equus albus als Symbol des heiligen Menschen, der seine Begehrlichkeit gezügelt hat. Der Hirsch, cervus, überwindet alle Hindernisse. Bayer glaubt, dass diese beiden Allegorien genau mit dem religiös-ethischen Sinn der Minnegrotte übereinstimmen. [25]

 

einen vremeden hirz hin dane,

der was reht alse ein ors gemane,

starc unde michel unde blanc

daz gehürne cleine under unlanc,

vil kûme wider entworfen […]17293 – 17297

 

Der weiße Hirsch gehört nicht Markes Welt an, sondern der Minnegrotte.

alsô daz in der hirz entwart

und sîne vluht hin wider genam,

von danner er puch dar kam,

hin dâ diu fossiure was.

al dar gevloher unde genas. 17304 – 17309

 

Sein Aussehen, die weiße Farbe und das abgeworfene Geweih versinnbildlichen die Reinheit des entsagenden Menschen.

 

Das Motiv der Jagd und des Hirsches zieht sich mehrmals durch das Fragment von Gottfried. Marke lernt Tristan kennen, weil Tristan den Hirsch so schön auflegt. Im weiteren Verlauf befinden sich Tristan und Marke mehrmals auf der Jagd. Hier schließt sich nun wieder der Kreis und Marke entdeckt später auf der Jagd, mit dem Hirsch als Wegweiser die beiden Liebenden.

 

 

 

 

 

Der Hirsch entflieht der Jagdgesellschaft und die Jäger schlagen nach Einbruch der Dunkelheit verstimmt ihr Lager auf.

 

Tristan und Isolde vernehmen tagsüber den Lärm der Hunde und der Jagdhörner und wissen  Marke in ihrer Nähe. Darüber verfallen sie in tiefe Traurigkeit. des wart ir herze swaere. 17324

In dem Augenblick, in dem die Liebenden den ersten akustischen Kontakt zum Hof haben, beginnt wieder ihr trügerisches Handeln. Am nächsten Morgen verfolgt der Jägermeister die Spur des Hirsches und gelangt zur Grotte.

Tristan und Isolde machen an diesem Morgen einen Spaziergang im Gebiet um die Grotte, dem locus amoenus, dessen Besonderheit Gottfried  noch einmal ausführlich beschreibt.

Nach dem Spaziergang kehren sie in die Grotte zurück und legen sich weit voneinander entfernt, mit dem Schwert zwischen ihnen, auf die Liegestatt.

 

si giengen an ir bette wider

und leiten sich dâ wider nider

von ein ander wol hin dan

[…]

ouch haete Tristan geleit

sîn swert bar enzwischen sî. 17406 - 17413

 

Das trennende Schwert im Bett ist ein altes Rechtssymbol, wenn ein Mann die Frau, die neben ihm liegt, nicht berühren will.

Der Jäger, der den Spuren des Hirsches  folgt, gelangt zur Grotte, weil er Tristan und Isoldes Spuren mit der des Hirsches verwechselt. Dieser Hinweis von Gottfried ist nicht von ungefähr. Es ist sehr bezeichnend, dass der Jäger als erfahrener Fährtenleser die Spur des schönen Hirsches mit der von den Liebenden gleichsetzt. Außerdem erkennt er in den Spuren Tristans und Isolde nur eine einzige.

 

der spurte in dem touwe,

dâ Tristan und sîn vrouwe

vor ime gslichen wâren hin.

hie mite sô kam er an den sin,

ez waere niwan des hirzes trat. 17419 – 17423

 

 

 

Dem Jäger bleibt das Tor zur Grotte verschlossen. Durch ein Fenster blickt er in das Innere und erspäht Tristan, der man ist alse ein ander man(17473),  und Isolde.  Er glaubt, in Isolde eine Göttin zu sehen. Die auf dem Kristallbett ruhende gotinne Isolde (V. 17470) verkörpert mit ihrer überirdischen Schönheit, ihrer saeligkeit (V. 17586) die auserwählte Seele, die die sündhafte Welt hinter sich gelassen hat auf ihrem geistigen Höhenflug zur himmlischen Liebe. [26]

Gottfried will diese Gedanken, die er am Jäger reflektiert, seinem Publikum näher bringen

Der Jäger kehrt zurück und berichtet Marke von seinem Erlebnis. Marke begibt sich zur Grotte und erblickt seine Frau und seinen Neffen.

 

diu sach er ouch dâ beide

in der cristallen ligen enbor

[…]

wol von ein ander gewant,

daz eine her, daz ander hin,

daz bare swert enzwischen in. 17500 - 17506

 

 

 

Marke freut sich die Beiden gefunden zu haben und sie ehrenvoll getrennt voneinander liegend zu sehen. Nach kurzen Zweifeln glaubt er an ihre Unschuld. Marke beobachtet Isolde noch lange verzückt im Schlaf. Sie erstrahlt in seinen Augen in neuem Glanz und in vollkommener Reinheit und Unschuld.

Marke ist berauscht von ihrer körperlichen Schönheit und will sie wieder als Frau besitzen. Hier kommt deutlich die rein körperliche, sexuelle Liebe Markes zum Vorschein.

Er bedeckt eines der Fenster mit Gras um Isolde vor der Sonne zu schützen. Mit dieser Verdunkelung, die Marke verursacht, schwindet das glückselige, Tugend bringende Licht in der Grotte und das Verlassen der Grotte rückt näher.  Marke kehrt zur Jagdgesellschaft zurück und beendet den Jagdausflug. Später schickt er Kurvenal um die beiden Liebenden wieder aus der Verbannung zurück zu holen. 

 

 

 

Tristan und Isolde kehren an den Hof zurück und nehmen ihr Leben mit List und Tücke wieder auf.

Gründe für das Verlassen der Minnegrotte sind ihre verlorene Ehre und das Wissen um die Vergänglichkeit, also dass nichts, auch nicht ihr Wunschleben, ewig andauern kann.


Eigene Abschlussworte

 

Dass Gottfried selbst die Allegorie der Minnegrotte auslegt, deutet für mich darauf hin, dass ihm sehr wichtig war, dass das Publikum hier seine Gedanken versteht und nachvollziehen kann. In meinen Augen wollte er damit auf die Stärke und Größe der Liebe hindeuten und sie zu einer Gottheit emporheben. Außerdem stellt er damit im Umkehrschluss ein Leben ohne die Gefühle der Liebe als wenig lebenswert da.

In unserer Gegenwart, in der Gefühle keinen Platz mehr haben dürfen, sollte dieses Stück Literatur als Standardwerk für jeden Erwachsenen eingeführt werden um den Menschen die Augen zu öffnen, dass es wichtigeres gibt als Karriere, Geld und Macht.  

Die Minnegrottenepisode mit der Allegorie ist eine wunderbare Schilderung, die zum Träumen anregt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Literaturverzeichnis

 

Primärliteratur

 

Gottfried von Strassburg: Tristan. neu hrg. nach dem Text v. Freidrich Ranke, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, 3 Bde., Text und Kommentar, Stuttgart: Reclam 9 2003 (4471 – 4473).

 

Sekundärliteratur

 

Bayer, Hans: Gralsburg und Minnegrotte. Die religiös-ethische Heilslehre Wolframs von Eschenbach und Gottfrieds von Strassburg. Berlin: Schmidt 1978.

(= Philologische Studien und Quellen. 93.)

 

Betz, Werner: Gottfried von Strassburg als Kritiker höfischer Kultur und Advokat religiöser erotischer Emanzipation. In: Gottfried von Strassburg. Hrsg. von Alois Wolf. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973. S. 518-525

 

Gottfried von Strassburg: Tristan. neu hrg. nach dem Text v. Friedrich Ranke, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Band 3: Kommentar. Stuttgart: Reclam 9 2003 (4473).

 

Gruenter, Rainer: Bauformen der Waldleben-Episode in Gotfrids Tristan und Isold. In: Gestaltprobleme der Dichtung. Festschrift Günther Müller. Hrsg. von H.E. Hass, C. Heselhauer und R. Alewyn. Bonn: 1957.

 

Hahn, Ingrid: Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan. Ein Beitrag zur Werkdeutung. München: Eidos 1964.

(= Medium Aevum. Philologische Studien. 3.)

 

Kolb, Herbert: Der Minnen hus. Zur Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. In: Gottfried von Strassburg. Hrsg. von Alois Wolf. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973. S. 305-333.

 

Wolf, Alois: Gottfried von Strassburg und die Mythe von Tristan und Isolde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989.

 

Lexika und Wörterbücher:

 

Meyers enzyklopädisches Lexikon. Mannheim. 1979. (Band 24).

 

Stowasser. Lateinisch – deutsches Schulwörterbuch. Hrsg. von J. M. Stowasser, M. Petschenig und F. Skutsch. Wien: Hölder – – Tempsky 1994.

 

Internetquellen:

 

Meyers Lexikon, Allegorie.  URL:

 

 



[1] Vgl. Rainer Gruenter: Bauformen der Waldleben-Episode in Gotfrieds Tristan und Isold. a. a. O.

[2] Meyers Lexikon, Definition von Allegorie. Online im Internet:

URL: [Stand 01-01-2008]

[3] Vgl. Friedrich, Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. a. a. O.

[4] Vgl. Hans Bayer: Galsburg und Minnegrotte. a. a. O.

[5] Vgl. Werner Betz: Gottfried von Strassburg als Kritiker höfischer Kultur. a. a. O.

[6] Die Alchimie beschäftigt sich mit der Veränderung von Stoffen und der inneren Wandlung.

[7] Vgl. Tristan: Kommentar. a. a. O.

[8] Vgl. Herbert Kolb: Der Minnen hus. a. a. O.

[9] ebda.

[10]Vgl.  ebda. 

[11] Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. a. a. O., S. 28.

[12] ebda. S. 29.

[13] ebda. S. 30.

[14] Meyers enzyklopädisches Lexikon. a. a. O. Erklärung vita contemplativa und vita activa idealtyp. konstruierte Lebensformen der griech. und mittelalterlichen Philosophie, die auf Homer und Hesiod zurückgehen. vita activa als tätiges, polit. praktisches Leben des Helden einerseits und  vita contemplativa als anschauendes beschauliches, theortischs Leben in vornehmer, freier Muße(positiv) bzw. in trägem Genießen (negativ).

[15] übersetzt: die Liebe des heiligen Geistes durch den die Kirche andauernd erleuchtet wird / geistlichen Würdenträger / deren Weissagungen, Prophezeiungen.

[16] Vgl. Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. a. a. O., S. 30.

[17] Vgl. Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan. a. a. O.

[18] Vgl. Bayer: Gralsburg und Minnegrotte. a. a. O.

[19] Vgl. Werner Betz: Gottfried von Strassburg als Kritiker höfischer Kultur. a. a. O. 

[20] Armut, Demut, Keuschheit

[21]Vgl. Ingrid Hahn: Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan. a. a. O.

[22] Tristan 16761 von disem berge und disem hol / so was eine tageweide wol / velse ane gevilde / und wüeste unde wilde. / darn was dekein gelegenheit / an wegen noch stigen hin geleit; vgl. 16680 ff., 16812.

[23] Vgl. Tristan: Kommentar. a. a. O.

[24] Vgl. Tristan: Kommentar. a. a. O.

[25] Vgl. Bayer. Gralsburg und Minnegrotte. a. a. O.

[26] Vgl. Bayer: Gralsburg und Minnegrotte. a. a. O.


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