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Stundenentwurf mit Arbeitsaufgaben

Stimm­ar­beit und Tönung bei Schlaff­horst-Andersen: Ein Leitfaden

7.921 Wörter / ~30 Seiten sternsternsternsternstern Autorin Britta S. im Nov. 2018
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Stundenentwurf
Musik / Tanz

Universität, Schule

CJD Schule Schlaffhorst Andersen, Bad Nenndorf

Note, Lehrer, Jahr

1, R. Freymüller, 2018

Autor / Copyright
Britta S. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.17 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 77827








Inhaltsverzeichnis

1. Sachanalyse 2

1.1 Tönung bei Schlaffhorst und Andersen 2

1.2 Vom Ton zur Tönung durch Vibrationsausbreitung 2

1.3 Tönung als Zugriff auf und als Zusammenspiel von Körper-, Atem- und Stimmarbeit 4

1.3.1 Tönung und Durchlässigkeit 4

1.3.2 Tönung und Leibanschluss 6

1.3.3 Tönung und artikulatorischer Zugriff 6

1.3.4 Tönung und die saugende wie fließende Funktion 7

1.3.5 Zwischenkonklusion 8

1.4 Tönung als Raumerfahrung 8

1.4.1 Die Formung des Ansatzraums 8

1.4.2 Periphere Ausdehnung und zentrierende Verdichtung 9

1.5 Konklusion 10

2. Bedingungsanalyse 11

2.1 Äußere Rahmenbedingungen 11

2.2 Anthropogene Bedingungen 11

2.3 Soziokulturelle Bedingungen 12

3. Didaktische Strukturierung 13

3.1 Didaktische Reduktion 13

3.2 Lernziel 13

3.3 Übungssammlung 14

3.4 Übungsauswahl 18

4. Methodik 21

5. Medien 26

6. Verlaufsplan 27

7. Literatur 29











1. Sachanalyse

Die Aufgabenstellung stellt den im Schulalltag selten gebrauchten Begriff „Tönung“ und seine Relevanz für die Singstimme in den Mittelpunkt. Für die Singstimme sind alle Vorgänge von Bedeutung, die sich auf die Atmung, die Erzeugung des primären und die Erzeugung des sekundären Stimmklangs auswirken. In der folgenden Sachanalyse wird anhand der historischen und gegenwärtigen Quellenlage der Begriff Tönung definiert und in seiner Komplexität erörtert, um daran anschließend stimmrelevante Erarbeitungsaspekte für den Unterricht herauszukristallisieren.

1.1 Tönung bei Schlaffhorst und Andersen

Zuerst ist klarzustellen, dass der Begriff „Tönung“ in gegenwärtiger allgeminer, „konzeptunspezifischer“ musikwissenschaftlicher Literatur nicht geläufig ist, wohl aber von Hedwig Andersen und Clara Schlaffhorst verwendet wurde (L/S 2011: 157), die ihn jedoch nirgendwo schriftlich fixierten oder systematisch erörterten (Noodt 2006: 53). Unterrichtsaufzeichnungen, mündliche Überlieferungen und spätere Reflexionen über die Lehrtätigkeit Schlaffhorsts und Andersens und über das sich daraus ergebende Gesamtkonzept, versuchen individuelle Lern- und Hörerfahrungen mit diesem Begriff abzugleichen und auf ihn bezogen zu deuten. Sammelt man diese Eindrücke, dann ergibt sich durch eine grobe Übereinstimmung verschiedener Merkmale eine weich gezeichnete Kontur davon, was Schlaffhorst und Andersen mit „Tönung“ möglicherweise gemeint haben.

An dieser Stelle möchte ich noch vermerken, dass keine der zitierten Zeitzeuginnen und Konzepttradentinnen ungenau oder falsch arbeiteten, sondern dass die Begrifflichkeiten von verschiedenen Zeitzeugen unterschiedlich verwendet wurden (vgl. Zitate Schümann vs. Krüger bei L/S 2011: 290f.), stets abhängig von Kontext und Intention (vgl. Zitat Andersen bei L/S 2011: 385; Noodt 2006: 53). Zum einen mag das an der uneindeutigen Quellenlage liegen, zum anderen wird versucht etwas in Sprache zu fassen, was sich für jede/n unterschiedlich anfühlt und anhört (L/S 2011: 157ff.). Daher ist eine individuelle Erarbeitung und Auseinandersetzung mit verschiedenen Quellen wichtig und folgert eine sachlich-logische Positionierung, kann aber selbstverständlich auch anders interpretiert werden.

1.2 Vom Ton zur Tönung durch Vibrationsausbreitung

Ersichtlich ist, dass der Begriff „Tönung“ sich von dem Regenerationsweg „Tönen“ herleitet, d.h. in gewisser Weise eine Steigerung oder „Vollendung des Tönens“ (L/S 2011: 155) ist. Das bedeutet, dass Tönung sowohl ein funktionales Ergebnis als auch ein akustisches Klangphänomen ist. Lang unterscheidet die Begrifflichkeiten „Tönen“ und „Tönung“ anhand der im Gesamtkörper wahrnehmbaren Quantität von Stimmlippenvibrationen, die sich bei der Tonerzeugung ausbreiten und sich unter bestimmten Bedingungen gering oder vermehrt auch auf Gewebe- und Knochenstrukturen übertragen (L/S 2011: 155). Sind sie partiell am/im Körper wahrnehmbar, handelt es sich um das Tönen. Ergibt sich eine Art „Gesamtvibration“, ein tönender und dadurch in winzige Vibrationen versetzter Gesamtorganismus, kann man von „Tönung“ sprechen. Die Abgrenzung erscheint nahezu einfach, ist aber durch die Abhängigkeit von der individuell unterschiedlichen Wahrnehmungskompetenz sowie subjektiven Hörempfindung abhängig. Es kann also ein Mensch tönen und sich dabei selbst als „in Tönung“ empfinden, weil er den Eindruck hat, jede Körperfaser vibriert mit, wobei der Klang möglicherweise für außenstehende Hörer nicht den akustischen „Tönungskriterien“ einer schwebenden oder ruhenden Stimme entspricht (s. unten). Genauso gibt es sicherlich Menschen, die einen eben solchen Klang produzieren, ihn aber nicht mit einer gesamtkörperlichen Vibrationsempfindung in Verbindung setzen.

Unbedingt zur Kenntnis zu nehmen ist außerdem, dass es sich bei Tönung als „Durchdringung des gesamten Organismus mit den Schwingungen der Stimme“ (L/S 2011: 155) um das Phänomen der Vibrationsempfindung (=hochfrequente, fortgesetzte mechanische Bewegungsimpulse) der bewegten Stimmlippen handelt (Sundberg 2015: 26f.), nicht aber um Resonanzausbreitung (L/S 2011: 325). Resonanz als Schallübertragung/-weiterleitung ist streng an alle supraglottischen, luftgefüllten Hohlräume gebunden (Richter 2014: 61). Dass Resonanz als Ausbreitung akustischer Luftmoleküle etwas anderes ist als Vibrationen von erzeugter Resonanz, die sich im ganzen Körper spüren lassen, wird von einigen VertreterInnen des Konzepts Schlaffhorst-Andersen einerseits vermutlich auf Grund der Forschungslage ihrer Zeit nicht unterschieden (Saatweber 2007: 142; L/S 2011: 157). Andererseits – so wird es sich bestätigen – ist beim Zustand von Tönung die Wechselwirkung zwischen Körpervibrationen und Schallschwingung so hoch, dass es zu dieser Ungenauigkeit kommen kann. Bevor näher auf Wechselwirkungen und Systemverschränkungen eingegangen wird, ist als Grundrichtung hervorzuheben, dass sich Tönung aus Körpereinstellungen (darunter sind auch Kehlkopf-/Stimmlippeneinstellungen zu fassen) ergibt, die ganzkörperliche Vibrationsausbreitungen begünstigen, wodurch sich dann der sekundären Stimmklang, also die akustische Resonanz, hörbar verändert.



1.3 Tönung als Zugriff auf und als Zusammenspiel von Körper-, Atem- und Stimmarbeit

1.3.1 Tönung und Durchlässigkeit

Durch die Wechselwirkungen von Stimme und Körper kann Tönung einerseits als Zugang zu / Erfahrung für anderen Funktionen verstanden werden, andererseits ermöglichen bestimmte Funktionen erst das Phänomen „Tönung“. Das liegt daran, dass die Vibrationsausbreitung der Glottisbewegungen leichter möglich sind, wenn die Muskulatur, die Gelenke und das Gewebe eines Körpers durchlässig sind. Die Durchlässigkeit des Gesamtorganismus kann vielfältig beeinflusst werden. Nach Schlaffhorst-Andersen bereits durch die Einatemqualität, die sich positiv auf die Atemmuskulatur und damit Aufrichtung auswirkt, insbesondere durch die Einatmung in L-Stellung (Noodt 2006: 48). Außerdem durch Kontraktions-, Dehnungs- und Lockerheitsübungen im dreiteiligen Bewegungsrhythmus (unbedingt auch mit der Artikulationsmuskulatur), durch Klopfungen und Streichungen am Körper, durch kreisende und schwingende Bewegungen, durch Mikromassagen von innen und außen durch eigenes Tönen und Betöntwerden – kurz: durch alle Regenerationswege. Ist der Körper auf diese Weise intensiv vorbereitet und geübt, ist es leicht nachzuvollziehen, dass man für den Phonationsvorgang den Eindruck haben kann, es kommen nicht mehr nur einzelne Töne aus dem/r SängerIn, sondern er/sie ist selbst ein Klangraum (Bulgrin in L/S 2011: S.159). Wissenschaftlich physiologisch fundiert passiert grundlegend dennoch nichts anderes als bei jeder Phonation: der primäre Kehlkopfklang mit Grund- und Teiltönen wird durch den Ansatzraum verstärkt, so dass ein Ton hörbar wird (Eichel 2015: 201; Seidner 2007: 47ff.). Dennoch wirken sich die Vorbereitungen zur Tönung über die Durchlässigkeit des Körpers aus. Sie optimieren alle an der Stimmgebung (also auch wesentlich am Primärklang) beteiligten Strukturen im Sinne eines Gesamteutonus und ermöglicht ihnen dadurch ein ideales Zusammenspiel, so dass der primäre Kehlkopfklang aufgrund einer „perfekten“ Spannungseinstellung der Kehlkopfmuskulatur nahezu ideale harmonische Schwingungen produziert, das Atemsystem kontinuierliche Feinregulierung der Luftabgabe vornimmt und der Ansatzraum die entscheidenden Formanten verstärken kann. Nun ist auch nachvollziehbar, weshalb Schlaffhorst und Andersen besonders die Einatmung in L-Stellung und die Flexibilität der Artikulation für die Tönung nutzen, da beide Anteile durch den trachealen und ösophagealen Zug, sowie Muskelketten zu Schulter-Nacken- und Rachenmuskulatur, maximalen Einfluss auf die Aktivität der Atemmuskulatur, sowie die Spannungseinstellungen und damit Schwingungseigenschaften auf Glottisebene nehmen. Die subjektive Empfindungs- und Wahrnehmungsebene sowohl von SängerInnen als auch von ZuhörerInnen bestätigt dann bestenfalls dieses Wunderwerk eines perfekt aufeinander abgestimmten ökonomischen wie physiologischen Phonationsergebnis mit Beschreibungen wie „tönende Ruhe“ (Noodt 2006: 51), stehender oder schwebender Klang (ebd.) oder das „Tönen wie ein satter Säugling“ (Noodt 2006: 53) .

Saatweber betont die Wechselwirkung zwischen Tönung und Durchlässigkeit, wenn sie davon spricht, dass „gute Durchlässigkeit der Körpermuskulatur, […] durch die Tönung gefördert wird“ (Saatweber bei L/S 2011: 142). Dies entspricht aber genau genommen nicht der oben genannte Definition von Tönung, denn diese ist ja nicht ohne eutone Durchlässigkeit des gesamten Körpers möglich. In rein definitorischer Engführung muss man davon ausgehen, dass Saatweber den Weg hin zur Tönung über den Regenerationsweg „Tönen“ mit einbezieht, der ja maßgeblich versucht über den Stimmwiderstand die Atemmuskulatur zu weiten, flexibilisieren und zu eutonisieren, genauso wie die Artikulationsmuskulatur zu eutonisieren, Schleim abzutransportieren und die Durchblutung anzuregen etc. und dadurch natürlich zur Durchlässigkeit beiträgt (L/S 2011: 156). Bei Tönung muss dies alles schon von statten gegangen sein. Streng genommen ist es dann nur möglich über Tönung die eigene, bereits vorhandene Durchlässigkeit abzurufen und wahrzunehmen, sich dieses bewegten Körperzustandes als Momentaufnahme bewusst zu werden und das Gesamtsystem dabei zu regenerieren und die Freiheit der Stimme im Zusammenspiel aller Muskeln und Funktionen zu genießen. Das kann m.E. durchaus geübt werden und dadurch eine eutone gesamtkörperliche Durchlässigkeit auch während anspruchsvoller stimmlicher Leistung fördern – in diesem Sinne ist Frau Saatweber wieder zuzustimmen, dass das Gesamtgeschehen auch positiv auf jedes seiner Teilsystem Einfluss nimmt. Frau Saatweber bezieht in ihre Wechselwirkungshypothese und sicherlich auch Erfahrung eine andere Tatsache mit ein, nömlich dass sich unsere muskuläre Durchlässigkeit auf Grund kinästhetischer, sensomotorischer und akustischer Wahrnehmungen, die ein körperimmanentes, mehrschichtiges sensorisches, kinästhethisches und audiophonatorisches Kontrollsystem bilden, reguliert (Eichel 2015: 202). Auch wenn sich das Clara Schlaffhorst noch nicht wissenschaftlich-phonologisch erschließen konnte, so „dachte [sie] hörend“ (Köpp 1996: 307) und erwartete von ihren Schülerinnen im Umgang mit Ton und Klang sich von dem „Metamorphosenspiel“ (Köpp 1996: 308) als Wechselwirkung von Tonproduktion, akustischer Selbstwahrnehmung und neuem Klangergebnis überraschen zu lassen.



1.3.2 Tönung und Leibanschluss

Bei Heidi Noodt taucht „Tönung“ als Unterkapitel zur Erarbeitung des Leibanschlusses auf, mit der Überschrift: „Anschluss der Leiborgane an die Stimmschwingungen“ (Noodt 2006: 50). Später charakterisiert sie Tönung als eine „[d]en ganzen Organismus durchschwingende Tonerzeugung“ (Noodt 2006: 53). Sie geht also davon aus, dass durch die Tonerzeugung ein Kontakt zum Leib hergestellt werden kann und bei Tönung dieser hergestellt sein muss. Wie dargestellt wurde, geschieht dies physiologisch-physikalisch betrachtet nicht durch Mitschwingen der subglottischen, fälschlicherweise als Resonanzräume bezeichneten Körperäume, aber durch die Einbeziehung des Bauch- und Beckenraums bei der Phonation (L/S 2011: 147). Es liegt auf der Hand, dass Tönung als Klangereignis des Gesamtorganismus nicht ohne Leibanschluss existiert. Dieser kann auf vielfältige Übungen erarbeitet werden – im Bezug auf Tönung insbesondere über artikulatorische Formung wie unter 1.3.3 und 1.4.1 ausführlich beschrieben wird. Wiederum behaupte ich demnach, dass jemand, der/die in tatsächlicher Tönung ist, nur aufmerksam auf/empfindsam für den eigenen Leibanschluss werden kann, auf etwas bereits Erschlossenes zurückgreift oder sich im Singen bewusst machen kann, wie er/sie dessen Qualität im Wechselspiel mit Atemdosierung, Ansatzraumformung, Stimmführung und Stimmfunktionen (noch effektiver) beeinflussen kann. Dass das Tönen, insbesondere mit gezielter Lauteinsetzung, Einatmung in L-Stellung, mit eutoner Artikulationsmuskulatur etc. einen intensiveren Leibanschluss ermöglicht, steht außer Frage.

1.3.3 Tönung und artikulatorischer Zugriff

Man kann artikulatorischen Zugriff als das Greifen von Lauten mit den Artikulationsorganen verstehen, bei dem durch Verschlüsse, Engstellen etc. geräuschlose Sprachlaute gebildet werden (Saatweber 2007: 33). Jeder dieser „Zugriffe“ verändert den Ansatzraum. Allgemeiner gesprochen handelt es sich beim artikulatorischer Zugriff also immer auch um die Formung des gesamten Ansatzraumes, wodurch stimmhafte Laute als Klang hörbar werden, weil der Vokaltrakt der Resonator der Stimmquelle (Stimmlippenschwingungen) ist. Stimmmlose wie stimmhafte Lautbildung findet stets supraglottisch statt und jeder Laut ruft bestimmte Aktivitäten und Regulierungen auf gesamtsystemischer Ebene hervor. Für eine geeignete Lautauswahl in Übungen muss die Wirkung der Laute auf den Organismus unbedingt berücksichtigt werden (Noodt: 157ff.).

Die Tönungskorrelate „Durchlässigkeit“ und „Leibanschluss“ erschließen sich mithilfe des artikulatorischen Systems, da sie wechselseitig aufeinander einwirken. Es geht daraus hervor, dass eine eutone Artikulationsmuskulatur wesentlicher Teil einer durchlässigen, leibangeschlossenen, physiologischen – d.h. der Tönung zugrunde liegenden – Stimmgebung ist, da sie das Kehlkopfeinhängesystem tonisiert (L/S 2011: 193). Weil die Stimmlippen durch ihre Lage direkt von der angrenzenden Pharynx-, Gaumensegel-, Zungen- und Kiefermuskulatur beeinflusst werden, optimiert sich der primäre Kehlkopfklang nur in einem günstigen Zusammenspiel, so dass die Stimmlippenschwingungen gleichmäßig periodisch und harmonisch schwingen. Ebenso prominent beeinflusst die Artikulationsmuskulatur die Qualität der Einatmung, da sowohl über den trachealen Zug als auch über die Diaphragmenkette Mundboden-Zwerchfell-Beckenboden-Fußsohlen sich die Einatmung bei eutoner Artikulationsmuskulatur vertieft und infolge dessen mehr Atemvolumen zur Verfügung steht und Muskulatur und Gewebe besser durchblutet werden, was wiederum Verspannungen löst und die gesamtkörperliche Durchlässigkeit verbessert. Funktional ist der artikulatorische Zugriff für den Sekundärklang verantwortlich und wird unter 1.4.1 noch vertieft.

1.3.4 Tönung und die saugende wie fließende Funktion

Da die Einatmung nicht nur Ausgangslage für jeden Ton ist, sondern der Umgang mit ihr über die Qualität der Ausatmung bestimmt, ist es offensichtlich, dass auch Tönung mit der funktionalen Atemarbeit in Verbindung steht. Eine physiologische und ökonomische, d.h. der Leistungssituation angepasste Stimmgebung, kann adäquat den subglottischen Druck regulieren, so dass er in gewünschter Dosierung an die Stimmlippen drängt und von ihnen zu primärem Kehlkopfklang verarbeitet wird. Tönung fordert nach Saatweber die Tendenz der saugenden, bewahrenden Luftabgabe ein (Saatweber 2007: 137), da nur auf diese Weise eine ausreichend starke Inspirationeinstellung aufrecht erhalten bleibt, die erstens zur Vordehnung der Glottis führt und zweitens eine möglichst gleichmäßige Stimmlippenbewegungen fördert. Noodt bezeichnet diese Art der Luftabgabe als „verhalten“ (Noodt 2006: 51). In andere Gesangsschulen/Konzepten findet man dafür den Ausdruck „inhalare la voce“(ebd.; H/R-M 1965: 90; Iltgen-Tiemann 2016: 299f): die Vorstellung, die Stimme während der Phonation in sich selbst einzuatmen, bestimmt den Umgang mit der Luft. Aus physiologischer Perspektive zeigt sich, dass die Glottis dann möglichst lange Verschlussphasen hat, so dass lange Passagen der Tonerzeugung mit wenig Luftverlust vonstatten geht (Richter 2014: 33). Gleichzeitig wird das Klangergebnis als schwebend oder als Verursacher „völliger Gelöstheit“ (Noodt 2006: 51) bei den Hörenden beschrieben, so dass es nicht darum gehen kann, die Stimme einzuengen. Bezieht man die abgebende, fließende Funktion ebenso in die Tönung mit ein, dann kann diese zu eben genannter freien und schwingungsintensiven Stimmgebung führen, indem man sich vorstellt die Luft von der Körpermitte aus an die eigenen peripher gelegenen Körperwände, Beckenboden, Fußsohlen, den Scheitel abzugeben. Es ist dann kein Hinausströmen in ein fremdes Außen, sondern eine das Körperzentrum erweiternde Luftabgabe, die in ständig mit dem Zentrum der/des SängerIn verbunden bleibt. Das ist ein Versuch Schlaffhorsts Bild des/der Sängerin als ein „Klangzylinder, der vom Leib durch die Brust bis in den Kopf geht“ (Schlaffhorst bei Saatweber 2007: 137) funktional zu übersetzen. Beide Funktionen setzen einen hohen Grad an Flexibilität und Trainiertheit der Atemmuskulatur voraus.

1.3.5 Zwischenkonklusion

Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, dass die/der SängerIn im Tönungsgeschehen auf alle bereits erarbeiteten phonatorischen Untersysteme zugreift (Leibanschluss, eutone Durchlässigkeit, vertiefte Einatemqualität und langsame Atemdosierung, artikulatorischer Zugriff) und deren gleichzeitige Zugänglichkeit und bewegliche Verbundenheit in seiner/ihrer Stimme zum Ausdruck bringt. Aus existentieller Perspektive betrachtet bildet das Tönungsereignis die eigene Seinsform als ein Emergenzgeschehen ab, d.h. dass der/die SängerIn im Kontakt zu allen Teilfunktionen mehr als die Summe aller dieser Teile ist, nämlich ein einzigartiges Neues, stets Veränderliches, das nur veräußern kann, was verinnerlicht ist.



1.4 Tönung als Raumerfahrung

1.4.1 Die Formung des Ansatzraums

Unter dem Aspekt des Raumes möchte ich die Bedeutung der Ansatzraumformung für die Tönung aufgreifen, die den oben erläuterten „artikulatorischen Zugriff“ ergänzt und erweitert.

Zur Erinnerung: Der Artikulationsraum ist Klangformungsraum und bestimmt die resonatorische Qualität der Stimme. Der Vokaltrakt steht als anatomische Struktur grundsätzlich jedem Menschen als Raum zur Verfügung. Seine Formung ist das Ergebnis sensorischer, motorischer, reflektorischer und willkürlicher Steuerungsprozesse (L/S 2011: 325f.; Eichel 2015: 246f.).

Wie oben erläutert, entsteht Tönung im Körperinnenraum. Daher tritt die Erarbeitung der Ansatzraumformung als Klangraum beim Thema Tönung – im Gegensatz zur Formung bestimmter Lautverbindungen – in den Vordergrund. Der Ansatzraum ist gleichzeitig Eingangs- und Ausgangsraum für Atemluft. Seine Formung entscheidet über die Verstärkung von akustischen Schwingungen in den Außenraum (Eichel 2015: 241) und Weiterleitung mechanischer Schwingungen in den Körper hinein. Wie oben erklärt, ist über die Quantität der Vibrationsausbreitung definiert, ob von Tönung oder Tönen zu sprechen ist. Je nach Vokaltraktformung werden also Vibrationen verschiedentlich verbreitet und für den/die SängerIn an unterschiedlichen Körperorten spürbar. Er/Sie ordnet seinen/ihren Vibrationsempfindungen einen bestimmten „Stimmsitz“ zu, weil mit ihnen auch ein charakteristischer Klang assoziiert wird. Wenn sich bei Tönung nun die Vibrationsausbreitung über alle oder zumindest weite Teile des Gesamtorganismus erstrecken, dann wird der eigene Körper zum Stimmsitz bzw. hebt sich die Stimmsitz-Vibrationsanalogie auf, zugunsten einer den ganzen Körper zentral durchlaufenden Vibrationsmitte. Die Stimme hat dann keinen punktuellen, festen Sitz, sondern ist der ganze Körper.

Sich die Klangbeeinflussung über den Kontakt zum Vokalraum als weiteren, der Phonation zur Verfügung stehenden Innenraum bewusst zu machen und zu nutzen, unterstützt die Erarbeitung von Tönung. In der Tönung modifiziert sich eben dieser Raum ständig in Abhängigkeit zu allen anderen Phonationsteilsysteme bzw. inneren Räumen (Atemräume, Bauch- und Beckenraum etc.) und wirkt sich ebenso auf sie aus. Sinnvoll ist diese Arbeit durch das Tönen von Vokalen und Vollklingern zu unterstützen. Bei ersteren ist der Mundraum als geformter, aber offener Raum wahrnehmbar, bei zweiteren als geschlossener innerer Klangraum.

1.4.2 Periphere Ausdehnung und zentrierende Verdichtung

Wie bisher beschrieben ist das Ergebnis von Tönung zwar im Außenraum hörbar, aber allein von der Innenraumarbeit des/r SängerIn abhängig. Man kann sagen: Tönung ist Ergebnis enormer Zentrierung. Den eigenen Innenraum können wir in begrenzten Maße willkürlich und direkt erarbeiten, z.B. indem wir an den verschiedenen, oben beschriebenen, Funktionen mit dreiteiligen Atemübungen, Tonfolgen, Artikulationsstellungen üben. Für eine indirekte, meist nicht weniger effektivere Einflussnahme der „Inneneinstellungen“, kann die Arbeit mit Vorstellungsbildern von großem Nutzen sein (L/S 2011: 213ff). Diese können in Hinblick auf das „Tönungserlernen“ die unbewussten Steuerungsmechanismen aktivieren. Dies erklärt möglicherweise auch, weswegen Schlaffhorst, Andersen und ihre Schülerinnen oft in der Bildsprache geblieben sind. In ihrer Sprache gesagt, entsteht bei Tönung ein „Austausch der Lüfte“ (Noodt 2006: 53) an der Artikulationsstelle, im Ansatzraum und an der Glottis, wobei diese „Begegnung“ zwischen Ein- und Ausatemluftstrom den Zugang zum Leib vertiefen soll [bei Schlaffhorst und Andersen über die Speiseröhre (Noodt 2006: 52)], wodurch die Singende ein „Klangzylinder“ wird (Bulgrin zitiert Schlaffhorst in L/S 2011: 159; Noodt bei L/S 2011: 160). Dass Kopf und Leib anatomisch-physikalisch unmöglich über die Speiseröhre an die Stimme angebunden werden, wissen wir heute. Dennoch ist es aufschlussreich die Richtung der Luftbewegungen nachzuvollziehen: sie haben keinen an die Umwelt gerichteten Intentionscharakter. Die/Der Singende erreicht sich selbst als „Atemhaus“ (Köpp 1996: 266) mit seinen Tönen, er wird „von Tönen schwingend aufgebaut und erhalten“ (ebd). Dies ermöglicht auf absolut natürliche, authentische und intensive Weise eine Übertragung des Stimmklangs nach außen und die Ausfüllung des Außenraumes (Saatweber 2007: 137). Das bedeutet im Zusammenhang von Innenraum und Tönung: sobald der Gesamtkörper Atemluft aufnimmt und diese mit allen an der Klangproduktion beteiligten Strukturen stimmig in Klang umsetzt, entsteht eine Art „Biofeedback“ über die Spürbarkeit von Vibrationen, den eigenen Höreindruck, gekoppelt mit einer Stimmempfindung, auf Grund dessen das System zu ständiger, feiner Neuregulierung angeregt wird (L/S 2011: 325). Aus diesem zuerst „durchdrungen“ eigenen (Klang-)Körper, einer Art Verdichtung, entsteht in der Phonation eine Erweiterung oder Ausdehnung des Klangzentrums, das sich in dauerhaftem Kontakt zum Zentrum bewegt.

1.5 Konklusion

Tönung ist das wechselseitige, optimal sensorisch, motorisch, reflektorisch und willkürlich gesteuerte Zusammenspiel aus Luftdruck (Atemvorgang und -funktionen), Schwingungsverhalten der Stimmlippen (primäre Stimmklangerzeugung), Vibrationsempfindungen (Leibarbeit: eutone Durchlässigkeit, Leibanschluss, Zentrierung) und Ansatzraumformung (sekundärer Stimmklang) (L/S 2011: 325f.), das mit dem Vorstellungsbild „Klangzylinder“ einen Erarbeitungsweg anbietet, der alle Ebenen aktivieren kann. Es ist in seinen einzelnen Untersystemen erarbeitbar und in Zusammensetzung übbar. Ganzkörperliche Vibrationsempfindungen sind sensorische Kontrollmarker in der Selbstwahrnehmung und -regulation. Tönung ist als ein stimmlicher Entwicklungsschritt, dem – will man Tönung „auf Knopfdruck“ erzeugen können – enorm viel Übung vorausgeht. Genauso ist Tönung als Prozess des eigenen Stimmausdrucks von Relevanz, weil der/die Sängerin immer neuen oder anders kombinierten „Stimmraum“ im Körper aktiviert und dabei etwas Neues über die eigenen Stimmmöglichkeiten herausfindet. Tönung ist außerdem für das Singen von Bedeutung, weil der/die SängerIn weg von einer Distanzierung und Bewertung der eigenen Phonation hin zu einer authentischen, qualitativ hochwertigen „Ganzkörperklang“-Erfahrung kommt – ohne den Bodenkontakt, also den Realitätsbezug, zu verlieren. Künstlerische Gestaltung von Musik lebt von dieser Klangerzeugung, weil sich in ihr die Fertigkeit einer sängerischen Anforderung/Funktion und das „Freisein im Tun“ verbinden.

Aus anthropologischer und methodischer Perspektive lässt sich durch die Merkmale von „Tönungs-Erzeugung“ nach Schlaffhorst und Andersen ein konstruktives, der humanistischen Psychologie entsprechendes, Lebens-, Lehr- und Lernverständnis ableiten: ein/e SchülerIn trägt alle Teilsysteme in sich, alles Wesentliche ist vorhanden, nur der Zugang dazu muss erarbeitet werden. Es ist folglich Aufgabe der Lehrerin Hilfestellungen zu geben, so dass die Schülerin den Kontakt zu jedem dieser eigenen Anteile finden kann und sich damit ihren eigenen (funktionalen, emotionalen, kognitiven) Innenraum aufschließt. Es ist die Arbeit der Schülerin Erlerntes als Ganzes zu verbinden, so dass sie sich letztendlich als sich-selbst-erschlossen erlebt. Dieser Selbst-Kontakt ist die Basis um auch im Außen, im Beruf, in einer sozialen Rolle etc. physiologisch und ökonomisch effektiv wirksam zu sein. Das ist, weil die Teilsysteme nur in Aktivität erfahrbar werden und dadurch in ständiger Bewegung sind, ein nie endender Bewegungs- und Überraschungsprozess. Jede LehrerIn bleibt also auch SchülerIn und begegnet sich selbst so wie ihrer Schülerin mit ergebnisoffener, prozessorientierter Neugierde.

2. Bedingungsanalyse

2.1 Äußere Rahmenbedingungen

Die Lehrprobe findet am Dienstag oder Mittwoch nach den Herbstferien in einer der beiden ersten Schulstunden in der Aula der Schule Schlaffhorst-Andersen in Bad Nenndorf statt. Die Sitzordnung für das beobachtende sechste und (teilweise) zweite Semester bildet eine L-Form, so dass sich eine Art rechteckige Arbeitsfläche ergibt, auf der sich acht Teilnehmende (TN) großzügig bewegen können. Der Zeitrahmen für die Lehrprobe beträgt 27 (+/-4) Minuten, anschließend wird die Lehrprobe mit allen Anwesenden reflektiert.

2.2 Anthropogene Bedingungen

Die Klientel, mit der in der Lehrprobe gearbeitet wird, sind acht freiwillige SchülerInnen aus dem zweiten Semester. Den Großteil des Semester machen junge Frauen zwischen 18 und 30 Jahren aus, zwei Frauen sind im mittleren Lebensalter, die Minderheit sind zwei junge Männer und ein professioneller Sänger im mittleren Alter. Sie bringen individuell unterschiedlich viel Erfahrung im Umgang mit ihrem Körper, ihrer Atmung und Stimme mit, nähern sich aber in Bezug auf das Konzept Schlaffhorst-Andersen immer stärker aneinander an. D.h. den meisten von ihnen sind viele Begrifflichkeiten geläufig, sie haben eine Bandbreite an Übungen im Laufe des ersten und angebrochenen zweiten Semesters kennengelernt und sie vertiefen immer gezielter und reflektierter einzelne Ausbildungsinhalte. Davon profitieren auch die Verbalisierungskompetenzen der SchülerInnen, insbesondere in Bezug auf ihre Eigenerfahrungen. Dies fiel mir durchgehend positiv im Rahmen von Lehrproben, Schwingeleiste und Nacharbeiten auf. Weniger ausgeprägt nahm ich die Fähigkeiten bezüglich einer reflektierten und verbalisierten Fremdwahrnehmung unter den SchülerInnen wahr. Da sich diese an eine geschulte Eigenwahrnehmung anschließt, stellt sie für mich den logisch folgenden Lernschritt für die Gruppe dar.

In all den oben genannten Bereichen zeigten sich die SchülerInnen aktiv, neugierig und interessiert, so dass ich davon ausgehe, dass ein ungewöhnliches Lehrprobenthema wie „Tönung“ eben diese Qualitäten fördert und die SchülerInnen in Aktivität und Forschungssinn lockt, anstelle sie abzuschrecken oder skeptisch zu machen. Es ist anzunehmen, dass der Begriff „Tönung“ nur wenigen bekannt ist und es kaum bewusste Erfahrungen im Umgang mit diesem Phänomen gibt.

Da die SchülerInnen frisch aus den Herbstferien kommen, kann es sein, dass manche noch etwas Zeit benötigen, um den Schulalltag wieder ohne „Ferienwehmut“ aufzunehmen, anderen steht wahrscheinlich mehr Energie und Motivation zur Verfügung als vor den Ferien, weil sie sich erholen, Erlerntes nachwirken lassen konnten und nun bereit sind, sich auf neue Erfahrungen einzulassen.

Die körperliche Konstitution ist bei allen SchülerInnen für die geplanten Bewegungsübungen ausreichend, eine gewisse stimmliche Belastung und Experimentierfreude mit der Stimme möglich und durch die bisherige Ausbildung ist auch die Wahrnehmung der Stimme über Gehör, Vibrations- und Körperempfindungen bei allen in ausreichendem Maße geschult, um mit den Übungen zu „Tönung“ nicht überfordert, aber bestenfalls angemessen herausgefordert zu sein. Eine Schülerin der Klasse ist an Multipler Sklerose erkrankt und darf keiner zu starken Anstrengung ausgesetzt werden, was in der Übungsauswahl berücksichtigt ist. Alle SchülerInnen verfügen über ausreichend kognitive Fähigkeiten, um Aufgaben zur Selbst- und Fremdwahrnehmung reflektieren und verbalisieren zu können und sie in Beziehung zueinander zu setzen.

2.3 Soziokulturelle Bedingungen

Alle SchülerInnen verbindet die gemeinsame Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin seit über einem Jahr. Die meisten der SchülerInnen sind in Deutschland sozialisiert. Eine Ausnahme stellt ein Schüler mit französischem Sprach- und Kulturhintergrund da, für den es besonders wichtig ist, dass Anleitungen und Erklärungen langsam, artikulatorisch klar und inhaltlich leicht verständlich formuliert sind. Es ist sinnvoll ihm für Antworten mehr Zeit einzuräumen bzw. ihn nicht als erstes um sein Feedback zu bitten. Einzelne SchülerInnen sind eher schüchtern, andere eher aufgeweckt, manche halten sich in Lehrproben anfangs zurück oder im Hintergrund, während andere sofort präsent und engagiert sicht- und hörbar werden. Vereinzelte SchülerInnen sind mit sich selbst und ihrer Entwicklung und/oder den Anforderungen an sich stärker beschäftigt als der Großteil ihrer Klasse. Damit geht die Gruppe m.E. sozial um, indem ggf. Gespräch und Unterstützung angeboten wird, so dass sich jede/r Teil der Gruppe bleibt, auch in seinem/ihren „Speziellsein“. In den bisherigen Lehrproben gingen die TeilnehmerInnen respektvoll und achtsam miteinander um, lösten Paarfindung oder Gruppenaufgaben zügig und aufmerksam, so dass es Freude macht, mit ihnen in Interaktion zu gehen und auch Gruppenarbeit anzubieten.

Auf Grund der Lehrproben, des regelmäßigen Nacharbeitens mit einer/m PateIn und der Vorbereitungen für den Abschied ihres Patensemesters, hat das zweite Semester einen intensivere Kontakt zum sechsten Semester als zu den anderen Semestern. Eine positive, unkomplizierte Nähe zwischen den beiden Semestern und gegenseitiges Vertrauen entwickelte sich über das gemeinsame Arbeiten.


3. Didaktische Strukturierung

3.1 Didaktische Reduktion

Da Tönung durch das gleichzeitige Zugreifen auf und die lebendige Zusammensetzung von Körper-, Atem-, Ansatzraumeinstellungen entsteht, die sich stets auf stimmrelevante Funktionen (Atmung, primärer, sekundärer Stimmklang) auswirken, erproben die SchülerInnen des zweiten Semesters bereits in der Ausbildung erlernte Einstellungen und erschlossene Teilräume zu aktivieren und sie während des Singens parallel anzuwenden und zu organisieren. Ressourcenorientiert reflektieren sie ihre Fertigkeiten anhand sensorischer und akustischer Kriterien, um ein Bewusstsein für ihre stimmlichen Entwicklung zu erlangen. Im Rahmen von Gruppenübungen soll der eigene Innenraum in Abgrenzung nach außen als zentriert und in Verbundenheit mit sich selbst und dem Klang der MitschülerInnen intensiv wahrgenommen werden, die akustische Fremdwahrnehmung gefördert und die stimmliche Modifizierungsarbeit angeregt werden.



3.2 Lernziel

Die SchülerInnen erarbeiten sich einen Zugang zum Fachterminus „Tönung“, indem sie mehrere Teilsysteme der Stimmgebung mit Hilfe des Vorstellungsbildes „Klangzylinder“ gleichzeitig aktivieren und ihre Vibrations- und Phonationswahrnehmungen unter Einbeziehung von Räumen/Raumvorstellungen verbalisieren.

3.3 Übungssammlung

3.3.1 Körperübungen zum Thema

  • Zentrierung:

  • Der Buddha im Bauch

  • Kreisen um die innere Mitte im Stehen

  • Abgreifen der Körperwände (= Nr. 3: Den eigenen Klangzylinder abgreifen)

  • Spiralen gehen, Spiralen malen/mit den Augen verfolgen

  • VB: Körper als Klangzylinder = Teil von Übung Nr. 2-6

  • VB: Körper als Muschel mit Spiralspitze

  • Durchlässigkeit:

  • Der schwoggelnde Skifahrer

  • Balancieren auf einem Seil

  • Bewegen auf dem Eutonieholz

  • Abklopfen (gegenseitig/sich selber)

  • den gesamten Körper mit einem Igelball abrollen

  • atemrhythmische Muskelkontraktion in verschiedenen Körperbereichen

  • Schulterkreisen

  • Dehnübungen

    Der Durchlässigkeitsraum (Nr. 1) als Freiraum zum Kombinieren verschiedener Übungen

  • Leibanschluss:

  • Kreisen auf dem Pezziball

  • Storchengang mit Tönen

  • atemrhythmische Beckenkippe

  • Froschbeinschlag mit Halbklinger + /ä/

  • Einatmung in L-Stellung (= Teil von Nr. 3, 4, 5)

  • Dorsale und Ventrale Körperpartien spüren (= Nr. 3: Den eigenen Klangkörper abgreifen)

  • Atembewegungen im Beckenbereich wahrnehmen (= Teil von Nr. 1: Der Durchlässigkeitsraum)



    3.3.2 Atemübungen zum Thema

  • Atemanregung:

  • atemrhythmisches Armschwingen auf /vit/-/vat/, /vot/

  • Plosive mit einem Ball prellen

  • Atemmuskulaturtraining:

  • Atemübungen nach Kofler

  • langsames Aushauchen der Luft (= Teil von Nr. 4: Mein Klangraum von Fuß bis Kopf...)

  • dosierte Luftabgabe durch Strömungskonsonanten /s/ und Halbklinger /z/ (= Teil von Nr. 4)

  • Halbmondübung

  • „Jugend trainiert für Olympia“-Übungen auf dem Boden (Fr. Josten – Sem 1-3)

  • Atemvertiefung:

  • Die Atempflanze

  • Gehörte Töne in den Leibraum hineinlassen (= Teil von Nr. 2: Das Hauptmedium „Klangzylinder“...)

  • Fußsohlen abrollen

  • Atemschriftzeichen Kreis mit unterschiedlichen Körperteilen/auf verschiedenen Körperebenen imaginär malen

  • Kreise oder Spiralen malen, um die Diaphragmen und Gelenke (= Nr. 5: Der bewegte Klangzylinder)

  • atemverbundenes Schwingen und Kreisen mit Vollklingern

  • Atemdosierung:

  • Tönen mit Theraband als Widerstand zwischen den Händen

  • Plosivtackern mit langsam öffnenden Händen

  • Tönen im Vorwärts- und Rückwärtsgehen mit Bezug zur Mitte (= Teil von Nr. 6: Der Gruppenklangzylinder)

    3.3.3 Stimmübungen zum Thema

  • Aufwärmen (s. Nr. 1 & 3):

  • Halb- und Vollklinger tönen

  • Lippentriller

  • Glissandi

  • Kausummen

  • saugende Funktion:

  • Tonfolge von Ansatzraum bis Zehenspitze platzieren

  • VB: die Töne in den Mund hineinführen indem man die Hände auf sich zubewegt

  • Töne auf einem vorgestellten Spiralweg in das Zentrum hinein singen, geschlossene Vokale phonieren (u, o, ü, ö) (= Nr. 5: Der bewegte Klangzylinder)

  • Atmende Stimme:

  • Vorwärts- und Rückwärtsgehen während des Tönens (= Nr. 6: Tönender Gruppenzylinder)

  • VB: Der Stimme einen Raum zur Verfügung stellen (= Nr. 3, 4, 5, 6)

  • VB: Ausdehnung und Verdichtung der Atmung und Stimme (= Nr. 5 & 6)

  • Gruppenklangwahrnehmung (Nr. 6)



    3.3.4 Artikulations-/Ansatzraumübungen zum Thema

  • Wahrnehmung:

  • VB: Der Klangball im Mund

  • Zähne zählen

  • Backen aufblasen

  • Eutonisierung (s. Übung Nr. 1):

  • Kiefer ausstreichen

  • Lippen abkauen

  • Pleuel-Übung

  • Zungen-Gaumenkreis

  • Zunge abkauen

  • Mundboden massieren

  • Gesicht ab-/beklopfen (Teil von Nr. 3)

  • Aktivierung:

  • u-i-a-Lippenübung

  • Plosivketten

  • Daumenkampf (Zunge vs. Daumen)

    3.3.5 Kognitiv-sensorische Übungen

  • Vibrations- und Schallresonanzausbreitungen spüren ( = Nr. 1 - 6)

  • Verbalisierung von Stimmerfahrungen und Höreindrücken (= Nr. 7)

  • Identifikation mit dem Vorstellungsbild „Klangzylinder“ ( = Nr. 2-6)

  • Raum-Form-Vorstellung mit Stimmraum/-klang verbinden (= Nr. 3 - 7)





















    3.4 Übungsauswahl

    Nr. 1 – Der Durchlässigkeitsraum

    Übung: Die SchülerInnen kommen auf Balancierseilen, über halbe und mit ganzen Igelbällen, auf Eutoniehölzern, mit Hula-Hoop-Reifen, Artikulationsübungen und eigenen Dehnübungen in individuelle Bewegungsvorgänge, wobei die Stimme mit Glissandi, Lippentriller, Halbklingern ihre Bewegungen begleitet und die SchülerInnen auf Vibrationsempfindungen achten.

    Begründung: Verschiedene Medien regen die Kreativität der SchülerInnen an und nutzen ihre individuellen Erfahrungen zum Thema Durchlässigkeit und Eutonus, um möglichst zügig jede/m ein ganzkörperliches Warm-Up zu ermöglichen. Der Einsatz von Halbklingern regt die Atemspannung an, lockert Schleim und mikro-massiert den Körper von innen. Auf diese Weise wird die Körperwahrnehmung angeregt und auf das Thema Tönung durch die Aufgabe zur Vibrationswahrnehmung vorbereitet.



    Nr. 2 – Das Medium „Klangzylinder“ hören und sehen

    Übung: Die Gruppe hört und sieht einen Klangzylinder. Sie legt während des Hörens eine Hand auf den unteren Bauch, die andere auf den unteren Rücken und stellt sich vor, mit jedem Atemzug die Töne in den Leib hinein, durch den Körper hindurch zu lassen.

    Begründung: Der Klangzylinder ist das zentrale Medium und Vorstellungsbild zum Thema Tönung. Durch die akustische Wahrnehmung trägt zur Zentrierung und Atemvertiefung bei und zur Wahrnehmung vom momentanen Durchlässigkeitszustandes des Körpers. Durch die visuelle Wahrnehmung können die SchülerInnen einen kognitiven und „räumlich-formalen“ Zugang zur Terminologie von Tönung erlangen und sich das Vorstellungsbild als Grundlage für die anschließende Körper- und Stimmarbeit zu eigen machen.



    Nr. 3 – Den eigenen Klangkörper abgreifen

    Übung: Die SchülerInnen greifen ihren eigenen Körper ab und (kau-)summen dabei.

    Begründung: Das eigene Abgreifen fördert die Durchblutung der Haut und sensibilisiert die Wahrnehmung für feine Vibrationen. Die SchülerInnen kommen in einen intensiven Kontakt mit sich selber, so dass sie sich leichter zentrieren können, einen Zugang zu ihrem Leib öffnen und sie sich ihres Körpers als Form und Raum bewusst werden. Dadurch vermittelt sich ihnen Tönung als Idee eines Gefäßes, das sich selbst mit Klang erfüllen kann. Die Kausummen weitet einerseits den Ansatzraum, andererseits verbindet es in weicher, wohlwollender Qualität die haptische Aktivität der SchülerInnen mit ihrer Tonerzeugung, so dass der ganze Körper angeregt wird sich zur Klangproduktion zu öffnen.



    Nr. 4 – Mein Raum von Fuß bis Kopf und Kopf bis Fuß

    Übung: Die SchülerInnen heben einen Hula-Hoop-Reifen während der Einatmung (Ea) in L-Stellung über ihren Kopf und führen ihn in der Ausatmung (Aa) zuerst durch eine geräuschlose gehauchte Ausatmung, später durch eine möglichst kleine artikulatorische Enge auf /z/, nach unten bis zum Boden.

    Begründung: Der Körper wird in seiner Gesamtlänge als weit und groß wahrgenommen, dadurch verbessert und stabilisiert sich die Aufrichtung stabilisiert. Die dosierte Atemführung aktiviert die Atemmuskulatur und bereitet die saugende Funktion vor. Das vertikale Bewusstsein begünstigt eine tiefe Einatemqualität, wodurch eine muskuläre Durchlässigkeit die Einbeziehung des Bauch- und Beckenraums ermöglicht.



    Nr. 5 – Bewegter Klangzylinder

    Übung: Die TeilnehmerInnen kreisen spiralförmig in der Ea nach außen, in der Aa nach innen um die Fußsohlen, den Beckenboden, das Zwerchfell, den Mundboden während sie auf l+/u/, /ü/, /o/, /ö/ tönen.

    Begründung: Der Innenraum des Klangkörpers wird auf allen Diaphragmen-Ebenen als beweglich erfahren, so dass sich der Klangproduktionsraum auf horizontaler Ebene als ausdehnbar und verdichtend erschließt. Alle aufgeschlossenen Funktionen verankern sich auf kognitiver und sensorischer Ebene durch einen organischen Korrespondent (Bodenkotnatk – Fußsohlen; Durchlässigkeit – Fußgelenke; Leibanschluss – Becken, Atemkraft/Atemdosierung – Zwerchfell, artikulatorischer Zugriff / Ansatzraumformung – Zungengrund/Mundboden), d.h. die SchülerInnen stellen fest, was ihnen zur Verfügung steht. Durch die zentrierende Bewegung und das nach innen gerichtete Tönen, auch durch die Lautwahl, bewahren die SchülerInnen den Kontakt zu ihrem Körperzentrum. Die saugende Stimmfunktion und damit einhergehend eine verstärkte Randkantenschwingung wird aktiviert und müheloser Resonanzreichtum entsteht durch das organische, konzentrierte (auch im wörtlichen Sinne „verdichtete“) Zusammenspiel.



    Nr. 6 – Der tönende Gruppenzylinder

    Übung: Die SchülerInnen stehen im Kreis mit Blickrichtung nach außen. Eine Hand liegt auf dem Brustbein, die andere auf dem unteren Rückenbereich des/der NachbarIn. Die Gruppe tönt und entfernt sich langsam voneinander. Alle achten auf eigene Vibrationsempfindungen. In der Lösungsphase bleiben die TN stehen und hören auf den Gruppenklang. An den Außenseiten der Arbeitsfläche angekommen halten die SchülerInnen inne. Dann gehen sich tönend rückwärts, bis sie wieder mit ihren MitschülerInnen einen Kreis bilden.

    Begründung: Die SchülerInnen erleben ihren individuellen Klangzylinder als Teil eines Gruppenklangzylinders. Dieser beeinflusst den individuellen Tönungsklang positiv, weil das gemeinsame Kreiszentrum im Rücken eine Klangzentrierung durch den eigenen Körper hindurch unterstützt. Die Wahrnehmung für akustische Schwingungen und deren Rückwirkung auf eigene Körper-/Vibrationsempfindungen verstärkt sich, so dass die SchülerInnen die Tönungsparameter der ganzkörperlichen Vibrationsausbreitung und Klangwahrnehmung an sich selbst und durch den Gruppenklang überprüfen können.



    Nr. 7 – Austausch & Reflexion über Klang- & Vibrationsempfindungen unter Berücksichtigung von Raumarbeit

    Übung: Die TN stehen in einem lockeren Kreis und teilen einander mit, wie sie ihren Körper und Vibrationen in den Übungen spürten, wie sie ihren eigenen Klang und den Klang der Gruppe charakterisieren und ob sie einen Zugang zu ihrem Klangzylinder finden konnten (und damit zum Begriff „Tönung“).

    Begründung: Die SchülerInnen finden Worte für das, was sie mit ihrem Körper und ihrer Stimme erlebt haben. Sie reflektieren den Nutzen der Körper-/Klang-Raumvorstellung für den Zusammenhang zwischen Vibrationsausbreitung/Körpergefühl und Stimmgebung und werden sich – spätestens durch mein Feedback – darüber bewusst, dass sie bereits viele Ausbildungsinhalte interniert haben und sich auch in Zukunft daran üben können, diese miteinander in ein Zusammenspiel zu bringen.



    4. Methodik

    Übung 1 – Der Durchlässigkeitsraum

    Im Arbeitsbereich liegen locker verteilt zwei lange Seile, vier Eutoniehölzer, halbe und ganze Igelbälle und acht Hula-Hoop-Reifen. Ein Hula-Hoop-Reifen liegt in der Mitte, in ihm steht verdeckt der Klangzylinder. Ich begrüße die SchülerInnen freundlich zu der Lehrprobe, in der wir als Fundament eine ganzkörperliche Durchlässigkeit brauchen und lade sie daher ein, sich in den nächsten vier Minuten frei an den Medien zu bedienen und die für sie im ihrer bisherigen Ausbildung am effektivsten Übungen zum Thema eutone Durchlässigkeit individuell durchzuführen. Einige offensichtliche Ideen gebe ich in die Gruppe und biete ihnen an, sich auch an ihren MitschülerInnen zu orientieren. Die einzige Bedingung ist, dass die Stimme den Körper begleitet. Nur wer in einen Reifen tritt, darf stimmlos bleiben, weil er sich mit seinem Ansatzraum beschäftigt, indem z.B. die Lippen und die Zunge abgekaut werden, der Kiefer massiert wird, die Einatmung in L-Stellung bei geschlossenem Mund stattfindet. Während der Übung beobachte ich die SchülerInnen von verschiedenen Plätzen auf der Arbeitsfläche und erinnere sie an den Einsatz der Stimme, an die Lösungsphase, an die Einatmung in L-Stellung und fordere sie zu mindestens zwei Übungswechseln auf. Ich bitte sie aufmerksam zu sein, wo sie sich als durchlässig empfinden und wo sich im Körper Vibrationen bemerkbar machen. Das Ende der freien Aufwärmzeit leite ich rechtzeitig ein, so dass die SchülerInnen von ihren Medien „verabschieden“ können, indem sie ihr zuletzt benutztes Meidum möglichst weit an den Rand der Arbeitsfläche schieben (außer die Reifen) und mit geschlossenen Augen nachspüren.



    Übung 2 – Das Medium „Klangzylinder“ hören und sehen

    Während die SchülerInnen nachspüren, mache ich die Gruppe darauf gefasst, dass gleich ein Klang ertönt, von dem sie sich ihre durchlässige Muskulatur, Gelenke und Gewebe durchklingen lassen oder den sie an letzte noch „ungelöste“/zu feste Körperpartien hinschicken können. Ich nehme den Klangzylinder aus der Mitte und bewege es, auch um die TN herum. Ggf. schiebe ich dabei noch störende Medien weiter an den Raumrand. Wenn ich das Klangspiel verklingen habe lassen, bitte ich die TN die Augen zu öffnen und sich an zu sehen, was ich ihnen mitgebracht habe. Ich führe sie in das Lehrprobenthema „Tönung“, die Schlaffhorst und Andersen mit dem Vorstellungsbild des Klangzylinders charakterisierten, ein. Ich benenne die Aufgabe der SchülerInnen für die Lehrprobe: den eigenen Klangzylinder erforschen und damit zu experimentieren, um ihn als Ganzes zum Klingen zu bringen. D.h. der Fokus wird immer wieder auf Vibrationen und Klang gerichtet sein und das Zugreifen auf Elemente, die sie in anderen Unterrichten und Lehrproben schon erlebt und erlernt haben. Ich fordere die SchülerInnen auf, sich einen Reifen zu nehmen und sich in einem lockeren Kreis in diesen hineinzustellen, als Erinnerung daran, dass sie einen eigenen, einzigartigen Klangzylinder haben. Ich achte darauf, dass die TN sich gleichmäßig, mit genügend Abstand zwischen sich, platzieren und gehe aus dem Kreis hinaus.



    Übung 3 – Den eigenen Klangkörper abgreifen

    Ich leite die SchülerInnen außerhalb des Kreises an die Form ihrer individuellen Klangzylinder langsam und genau zu erkunden, indem sie sich von den Füßen aufwärts abgreifen, wobei sie kausummen. Die Einatmung geschieht in L-Stellung. Ich erinnere daran, hin und wieder auch eine Atmung durchgehen zu lassen, Kiefer und Zunge zu lösen und die Hände genau zu dieser Grenze zwischen innen und außen hinspüren zu lassen. Wenn die ersten SchülerInnen im Kopfbereich angelangt sind, benenne ich den Fokus auf den Ansatzraum, der durch Wangen, Kinn und Lippen begrenzt ist und auch durch Streichungen oder Klopfungen vorsichtig in seiner Raumweite erfasst werden kann. Ich achte darauf, dass mein Stimmklang ruhig und geduldig ist, aber nicht einlullend oder hypnotisierend.



    Übung 4 – Mein Raum von Fuß bis Kopf und Kopf bis Fuß

    Übung drei wird fließend zu Übung 4 übergeleitet und mit ihr vollendet, indem ich die SchülerInnen anweise, ihre nun abgetasteten Konturen zu einem Gesamtgebilde verbinden, indem sie sich zu ihrem Reifen nach unten beugen oder in die Hocke gehen, um dann mit der nächsten Einatmung den Reifen bis über den Kopf heben. Die Ausatmung erfolgt langsam, geräuschlos gehaucht auf wobei der Reifen wieder zurück zum Boden geführt wird, in der Lösungsphase locker in den Händen oder auf dem Boden liegt. Während die SchülerInnen im Reifen hocken, leite ich die Variante der Übung an, die jede/r SchülerIn in ihrem/seinen eigenen Atemrhythmus ausführen soll. Ich wiederhole ggf. die Variante verbal oder mache sie vor, indem ich in die Mitte des Kreises gehe und den Reifen um den Klangzylinder entwende, wenn ich den Eindruck habe, dass es zu viele Informationen für die SchülerInnen sind oder mich fragende Gesichter anblicken. Ich betone, dass es um die Verbindung von unten nach oben und oben nach unten geht und gebe den SchülerInnen den Auftrag für sich herauszufinden, bei welcher Variante sich für sie das stärkere Verbundenheitsgefühl ihrer Vertikalen einstellt. Ich gehe um die Gruppe langsam herum und finde eine neue Position, von der ich weiter anleite. Die letzte Übungsausführung sage ich mit dem Hinweis an, den Reifen dann abzulegen und der eigenen Aufrichtung nachzuspüren.



    Übung 5 – Bewegter Klangzylinder

    Ich reihe mich zwischen zwei Reifen ein und leite zur nächsten Übung über, indem ich der Gruppe die „Raumlogik“ hinter der nächsten Aufgabe der Erforschungs- und Aktivierungsreise des Klangkörpers erkläre und mit Gesten unterstütze: „Nachdem die Außenkontur und der vertikale Raum vertraut ist, wenden wir uns dem Innenraum und seinen beweglichen horizontalen Ebenen zu und nehmen uns dafür die Spiralform zu Hilfe.“ Ich fordere die TN dazu auf eine horizontal liegende Spirale von innen nach außen und vom äußeren Endpunkt zurück ins Zentrum in die Luft zu malen und mache es ihnen vor. Wenn jede der SchülerInnen mühelos und fließend die Bewegung ausführt, bitte ich die TN den Körper der Handführung folgen zu lassen und steige selber aus der Übung aus und gehe in die Kreismitte. Dann folgen die Anweisungen zur Phonation: auf dem Spiralweg von außen nach innen wird auf /l/+/u/,/ü/, /o/ oder /ö/ getönt. Die Einatmung geschieht dann wieder auf dem Weg nach außen. Nach kurzer Zeit des Einfindens in die Übung leite ich die SchülerInnen – weiterhin aus der Mitte – dazu an, die Hand wegzulassen, aber die Spirale gedanklich um die Fußsohlen, dann den Beckenboden, dann das Zwerchfell und zuletzt den Mundboden auszudehnen und wieder in die Körpermitte zurückzuführen. Ich verbalisiere den Weg des Tones nach innen und die Kraft der Einatmung, die den Körper dehnt und Atemräume weitet. Als letzte Anforderung bitte ich die SchülerInnen auf ihren Klang zu hören und wahrzunehmen, ob/wo sie noch Vibrationen im Körper spüren.

    Gegen Ende der Übung lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Vielzahl aktiven Innenbewegungen, die von der Form, dem Bodenkontakt und der Aufrichtung flexibel geformt sind. Die Übung klingt langsam aus, indem ich die vorletzten Spiralen ansage. Dann gebe ich genug Zeit um die Bewegung verebben und die Gruppe nachspüren zu lassen, wie sich ihr – nun als Raum verbundener Klangzylinder – anfühlt und beende die Übung damit, dass die TN aus dem Reifen heraustreten sollen, und ihn mir in der nächsten Übung vorbeibringen werden.



    Übung 6 – Der tönende Gruppenzylinder

    Ich lockere das Setting auf und öffne den einzelnen TN für die Gruppe, indem ich die TN kurz durch den Raum gehen lasse –- wobei sie mir ihre Reifen reichen, die ich zur Seite lege – um sich dann in neuer Formation wieder im Kreis zusammen zu finden, Schulter an Schulter. Ich stelle mich außerhalb des Kreises. Daraufhin bitte ich alle TN sich nach außen umzudrehen und ihre linke Hand auf ihr Brustbein, ihre rechte auf den unteren Rücken des/der NachbarIn zu legen, weiter zu atmen und dabei zu spüren, welchen Kontakt ihre Füße zum Boden haben, ob ihre Knie, Schultern und der Kiefer gelöst sind, ob sie ihren vertikalen so wie horizontalen Klangraum wahrnehmen können und ob sie die wärme der Hand und der angrenzenden Körper spüren. Dann bitte ich sie sich alles, was sie bisher erlebt haben, noch einmal in Gedanken durchzugehen, gemachte Erfahrungen zu vergegenwärtigen und dann in den gemeinsamen Kreis hinter ihren Rücken auf /m/+Vokal zu tönen, wozu ich das Klangspiel zu Beginn nochmal bewege. Ich erinnere die SchülerInnen daran, dass ihr Klang von ihrem Ansatzraum, durch ihren Körper hindurch in die Kreismitte fließt. Dann bitte ich die TN sich aus der Berührung zu lösen und während sie tönen langsam nach vorne zu gehen ohne den Kontakt zur gemeinsamen Kreismitte zu verlieren. In der Atempause und der Ea wird stehengeblieben, der Weg mit dem nächsten Ton fortgesetzt. Ich bleibe an meinem Platz stehen, ohne jemandem im Weg zu stehen, konzentriere mich auf den Gruppenklang und versuche mir meine Klangeindrücke für das Feedback zu merken.

    Wenn die ersten TN am Ende der Arbeitsfläche angekommen sind bitte ich sie dort innezuhalten und weiter zu tönen, aber dabei auf eigene Vibrationsempfindungen zu achten. Dann leite ich den Rückwärtsgang ein mit dem Fokus auf den Gruppenklang. Während die TN tönen wiederhole ich die Rückbindung an den Raum hinter ihnen und dass sie sich im eigenen und gemeinsamen Klang, in einem tönenenden Gruppenzylinder bewegen. Wenn die ersten TN wieder im Zentrum des Arbeitsfläche angekommen sind, bitte ich sie mit einem letzten Ton auf die anderen zu warten, ihnen ihre rechte Hand wieder als Rückenhand anzubieten und ihrem eigenen Körper als Klangraum nachzuspüren: wo waren nun Vibrationen am deutlichsten zu spüren und wie ist der Klangeindruck zu beschreiben? Wenn die Gruppe sich wieder gefunden hat und die Stimmen verebbt sind, lasse ich die TN auseinander treten, sich kurz durchbewegen und sich umdrehen. Ich stelle mich zu ihnen in den Kreis und stehe ihnen als aufnahmefähige, interessierte Gesprächspartnerin zur Verfügung.



    Übung 7 – Austausch & Reflexion über Klang- & Vibrationsempfindungen unter Berücksichtigung von Raumarbeit

    Ich eröffne die Reflexionsrunde mit einer offenen Frage in Bezug auf die Erfahrungen, die die SchülerInnen zum Thema „Tönung“ in der letzten halben Stunde gemacht haben. Ich gebe den SchülerInnen genug Zeit, um nachzudenken und frage bei Rückmeldungen ggf. nach, wenn ich mir nicht sicher bin, was die Person genau meint oder ob ich es richtig verstanden habe. Falls die SchülerInnen noch zu sehr im Nachspüren und Nacherleben sind und daher vielleicht weniger gesprächig, frage ich sie konkret zu Vibrationswahrnehmungen in einzelnen Übungen, eigenem Stimmklang und Gruppenklang, welchen Einfluss die Vorstellung eines eigenen Körper-Klangzylinders auf ihre Phonation hatte. Ich gebe den SchülerInnen Rückmeldung über den Klang, den ich wahrnehmen konnte und lobe sie dafür, dass sie auf enorm viele Ebenen gleichzeitig eingelassen haben und mache ihnen anerkennend bewusst, welche Entwicklung sie seit Anfang der Ausbildung bereits durchlaufen haben, dass sie immer genauer auf ihren einzigartigen Klangzylinder zugreifen können. Ich bedanke mich für das gemeinsame Arbeiten und verabschiede die Gruppe.



























    5. Medien

  • Reifen (9) – kreisrunde Reifen aus Holz, die sich liegend zum darauf Balancieren eignen zur Tonusregulation, als Hula-Hoop-Reifen zur Aktivierung des Mittel- und Gesamtkörpers, als Stationenmarkierungen für die Artikulationsübungen und als Randmarkierung des eigenen „Körper-Klangzylinders“ dienen.

  • Schwinge-/Balancierseile (2) – rund oder offen gesplissene Seile von ca. 3-6m Länge bzw. Umfang, mit einem Seildurchmesser von ca. 3-6cm, stabil und aus Hanf oder Kunsthanf gearbeitet; zum Balancieren eingesetzt, um die Atmung nach kaudal zu lenken und damit Durchlässigkeit zu fördern und die Einatemqualität zu vertiefen.

  • Eutoniehölzer (4) – halbierte Holzzylinder, die das Gleichgewicht gefährden und den Bodenkontakt fördern, so dass sich eine eutone Durchlässigkeit ergibt.

  • Igelbälle (ganze 4 /halbe 4) – handgroße Bälle aus hartem Gummi mit zahlreichen, abgerundeten Stacheln, die sich zum Abrollen des gesamten Körpers oder Teilen eigenen, um die Durchblutung von Gewebe und Muskulatur zu verbessern und dadurch Körperstrukturen zu lockern und außerdem die taktile Wahrnehmung zu fördern.

  • Klangzylinder – ein etwa 13cm hoher Zylinder aus Holz mit einem Durchmesser von 6 cm, in dem sich verschieden lange Klangstäbe befinden, die von einem Glaspendel bei Bewegung angestoßen werden zum Zwecke akustischer Stimulation und entspannendem Klanggenuss.



















    6. Verlaufsplan


    Nr.

    Übung

    Ziel/Wirkung

    Impuls/Sozialform

    Medien

    Zeit

    1

    Der Durchlässigkeits- Raum

    (Aa: mit Stimme)

    - in Lehrprobensituation ankommen

    - ganzkörperliche Aktivierung & Eutonisierung

    - Eutonisierung & Bewusstmachen d. Artikula-tionsorgane: Vorbereitung Leibanschluss

    - Atmung anregen+vertiefen

    - Durchblutung anregen

    - Bodenkontakt fördern

    Wir starten in die Lehrprobe mit einem Durchlässig-keitswarm-Up

    Eutoniehölzer,halbe und ganze Igelbälle, Balancierseile, 9 Reifen, Klang-zylinder, Tuch

    5/5

    2

    Das Medium „Klangzylinder“ hören und sehen

    - ins Thema einführen (fachliche Grundgedanken)

    - Einatmung vertiefen

    - Vorgehensweise erläutern

    - Fokus auf Form& Vibrationen lenken

    - Aufmerksamkeit verfeinern

    - ganzheitliche Zentrierung

    Gleich hört ihr Töne, die ihr durch euren durchlässigen Körper schickt...


    Klangzylinder

    9 Reifen

    2/7

    3

    Den eigenen Klangkörper abgreifen

    (Ea: L-Stellung; Aa: Kausummen)

    - Kontaktlinie zwischen Innen- und Außenraum spüren

    - Selbstkontakt intensivieren, Zentrierung

    - Artikulationsorgane eutonisieren

    Ihr erforscht jetzt die Kontur eures eigenen Klangzylinders, indem ihr euch selber abgreift.

    9 Reifen

    3/10

    4

    Mein Raum von Fuß bis Kopf und Kopf bis Fuß

    (Ea in L-Stellung; Aa: langsames Hauchen; /z/)

    - Ea-Tendenz in Aa aufrecht erhalten

    - Aufrichtung verbessern

    - Ansatzraum bewusst wahrnehmen

    - eigene Größe erfassen

    - vertikalen Klangraum erschließen

    Ihr verbindet euren Klangraum zu einer Form, indem ihr in der nächsten Aa zu eurem Reifen greift...

    9 Reifen

    2/12

    5

    Bewegter Klangzylinder

    (Aa: L+ü/u/ö/o)

    - Ea-Kraft erfahren

    - Atmungs- und Stimmrichtung visualisieren

    - Durchlässigkeit

    - bewegte Zentrierung

    - horizontalen Klangraum als Bewegungsraum entdecken

    - Leibanschluss aktivieren

    - Stimmklang als bewegbar erleben

    - Atmung&Stimme als Ausdehnung und Verdichtung koordinieren

    Nachdem ihr mit der Außenseite & der Größe eures Klangzylinders vertraut seid, geht es nun darum, die inneren Ebenen zu entdecken und zu verbinden

    9 Reifen

    6/18

    6

    Der tönende Gruppenzylinder

    (Aa: /m/+Vokal)

    - Mitte als Bezugszentrum auch im außen beibehalten

    - Fremdwahrnehmung fördern

    - Vibrationen wahrnehmen

    - Durchlässigkeit verstärken

    - eigenen Tönungsklang entdecken

    - saugende Stimmfunktion anwenden

    Geht kurz durch den Raum und achtet darauf, wie es sich in eurem Klangzylinder so spazieren gehen lässt und wie die anderen Klangkörper auf euch wirken.

    Klangzylinder


    6/24

    7

    Austausch und Reflexion über Klang- und Vibrations-empfindungen unter Berücksichtung von Raumarbeit

    - Eigen- und Fremdklang charakterisieren

    - Erfahrungen verbalisieren

    - Fragen klären

    - Lösen aus der konzentrierten Körperarbeit

    Nach dieser halben Stunde bin ich gespannt zu hören, wo ihr Vibrationen spüren konntet und wie ihr euren eigenen sowie den Gruppenklang beschreibt


    4/28

    Änderungen sind jederzeit möglich! Ea: Einatmung; Aa: Ausatmung; VK:Vollklinger; HK:Halbklinger




















    7. Literatur

  • Eichel, Hans Werner (2015): HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie für Sprachtherapeuten. München: Urban & Fischer.

  • Husler, Frederick und Rodd-Marling, Yvonne (H/R-M 1965): Singen. Die physiologische Natur des Stimmorganes. Anleitung zum Aufscließen der Singstimme. Mainz: B. Schott's Söhne.

  • Iltgen-Tiemann, Kirsten (2016): Inhalare la voce. In: Lexikon der Gesangsstimme. Geschichte – Wissenschaftliche Grundlagen – Gesangtechniken – Interpreten. Hrsg. Mecke, Ann-Christine u.a. Laaber: Laaber-Verlag.

  • Köpp, Gisela (1996): Leben mit Stimme – Stimme mit Leben. Die Atem- und Stimmkunst der Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen. 2. Auflage. Kassel: Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG.

  • Lang, Atoni und Saatweber, Margarete (L/S 2011): Stimme und Atmung. Kernbegriffe und Methoden des Konzepts Schlaffhorst-Andersen und ihre anatomisch-physiologische Erklarung. 2. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.

  • Noodt, Heidi (2006): Atmung – Stimme – Bewegung. Grundlegende Elemente der Lehre von Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen. Norderstedt: Books on Demand GmbH.

  • Richter, Bernhard (2014): Die Stimme. Grundlagen – Künstlerische Praxis – Gesunderhaltung. 2. Auflage. Leipzig: Henschel Verlag in der Seemann Henschel GmbH & Co. KG.

  • Saatweber, Magarete (2007): Einführung in die Arbeitsweise Schlaffhorst-Andersen. Atmung, Stimme, Sprache, Haltung und Bewegung in ihren Wechselwirkungen. 6. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.

  • Seidner, Wolfram (2007): ABC des Singens. Stimmbildung – Gesang – Stimmgesundheit. Leipzig: Henschel Verlag in der Seemann Henschel GmbH & Co. KG.

  • Sundberg, Johan (2015): Die Wissenschaft von der Singstimme. In: Augsburger Schriften. Forum Musikpädagogik. Band 126. Hrsg. Kraemer, Rudolf-Dietmar. 3. übers. Auflage. Augsburg: Wißmer-Lehrbuch.





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