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Erörterung
Deutsch

Carl-Zeiss Gymnasium Jena

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Stefanie R. ©
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ID# 46872







Textgebundene Erörterung: „Gefrorene Zeit“ von Christian Geyer - Thema Social Freezing

Der Arikel „Gefrorene Zeit“ von Christian Geyer erschien am 15.10.2014 im Feuilleton der der FAZ. In diesem befasst der Autor sich mit der Frage, inwieweit das Einfrieren von Eizellen moralisch vertretbar ist.

Die FAZ ist eine seriöse und eher konservative Zeitung, die vor allem das Bildungsbürgertum anspricht. Der Zeitungsartikel trägt die Überschrift „Gefrorene Zeit“, was ein Contradictio in adjecto (Widerspruch im Adjektiv) ist. Zeit kann man nicht einfrieren. Am Untertitel kann man erkennen, dass der Artikel ein Kommentar ist, denn schon hier kann man die Meinung des Autors sehen.

Er schreibt, dass Apple und Facebook das Social Freezing für weibliche Angestellte aus kapitalistischem Eigeninteresse finanziere; was eine deutliche Bewertung ist (vgl. Z. 2).

Im Folgenden stellt er seine These auf: „In dem Planungsszenario steckt eine Unschärfe, die es zunichte macht. Kein Reproduktionsmediziner kann garantieren, dass später wirklich ein Kind entsteht.“ (Z. 17 ff.)


Im ersten Absatz erklärt Herr Geyer, was Social Freezing bedeutet: Nämlich dass Frauen sich Eizellen entnehmen und einfrieren lassen können. Wenn ihre berufliche/familiäre Situation es zulässt, können sie das Kind austragen. Diese Erklärungen trägt er so ironisch („Daseinsvorsorge im Kühlschrank“, Z. 10 f.) wie umgangssprachlich („Kinderkriegen“, Z. 15; „undsoweiter“, Z. 12) vor.

Schon sein erster Satz zieht das Thema ins Lächerliche: „Geht gerade jetzt die Glühbirne im Kopf von Daniel Düsentrieb an?“(Z. 5). Die Alliteraronen mit G und D steigern die Wirkung noch. Er sagt, Social Freezing wäre eine simple Methode, Problemen, die Kinder für die Karriere mit sich bringen und der Frage nach dem richtigen Partner zu entledingen.

„Gerade jetzt – das ist irgendwann später.“ (Z. 12 f.)

Weder in diesem noch im nächsten Absatz finden sich irgendwelche Argumente für Social Freezing. Deshalb handelt es sich hierbei um eine einsträngige Argumentation. Gegenargumente werden vom Autor ignoriert.

Im zweiten Absatz wechselt er plötzlich in Fachsprache. Hier kommen seine Argumente gegen das Social Freezing. Seine These ist gleichzeitig sein Argument: Kein Reproduktionsmediziner könne den Erfolg des Verfahrens garantieren. Außerdem gäbe es keinen medizinischen Hinderungsgrund, Kinder zu bekommen (vgl. Z. 24), und damit auch keinen Grund, die eigenen Eizellen einfrieren zu lassen.

Im Folgenden schreibt er: „In dem Bemühen, die Unabwägbarkeiten kaltzustellen, hätte man sich doch um das heiß ersehnte Kind gebracht, um dessentwillen man ohne die Illusion des Kühlschranks womöglich liebend gern bereit gewesen wäre, besagte Unabwägbarkeiten in Kauf zu nehmen.“ (Z. 25 ff.) Diese Verallgemeinerung, dass alle Frauen, die sich dem Social Freezing unterziehen, sich auch gerade jetzt Kinder wünschen, ist mutig und Herr Geyer belegt sie im Folgenden nicht.

Die „Illusion des Kühlschrankes“ ist eine deutliche Bewertung.

Im letzten Absatz bewertet er die Aussage aus seiner Hinführung (über Apple und Facebook, die Social Freezing finanzieren): „Wer [ .] mit finanziellen Anreizen nachhelfen will, das weibliche Humankapital auszuschöpfen, [ .] handelt obszön.“ (Z. 32 ff.) Humankapital (2004 das Unwort des Jahres), ist ein Begriff aus der Diktatursprache und unterstreicht die Profitgier der genannten Konzerne.

Der Mensch ist kein Mensch mehr, sondern Inventar.


Der Reproduktionsmediziner Ludwig Wildt vom Kinderwunsch­zentrum der Klinik in Innsbruck erklärte der Tiroler Tageszeitung: „Ab 35 nimmt auch die Erfolgsrate der IVF (In-Vitro-Fertilisation, Anm.) rapide ab und die Fehlgeburtenrate steigt. ( .) [Die] klinische Schwangerschaftsrate pro entnommener Eizelle beträgt 4,5 bis 12 Prozent und die Abortrate zehn bis 20 Prozent.“ (Siehe: Tiroler Tageszeitung.) Zu diesem Thema schreibt der Spiegel sehr ausführlich: „80 bis 90 Prozent der Zellen überstehen Einfrieren und Auftauen, von diesen lassen sich 50 bis 70 Prozent normal befruchten.

Bei zehn eingefrorenen Eizellen seien demnach drei bis vier Embryonen zu erwarten, die der Frau eingepflanzt werden könnten. Nach Angaben von Frauenärzten führen zwischen 25 und 60 Prozent der eingepflanzten Eizellen nach einer künstlichen Befruchtung zu einer Schwangerschaft, die Chancen sind für junge Frauen besser als für ältere.

Herr Geyer hat also recht wenn er schreibt, dass kein Mediziner den Erfolg einer Schwangerschaft durch eingefrorene Eizellen garantieren könne. An dieser Stelle sollte man aber auch erwähnen, dass die Wahrscheinlichkeit, auf natürliche Weise schwanger zu werden, pro Zyklus nur 20% beträgt (Quelle myNFP).

Außerdem ist das Einsetzen einer künstlich befruchteten Eizelle ein chirurgischer Eingriff, für den eine lokale oder sogar vollständige Narkose nötig ist (Eltern.de). Die Wahrscheinlichkeit, an einer Allgemeinanästhesie zu sterben beträgt (in Industrienationen) 1:200.000 (Medizininfo).

Zu bedenken hierbei ist aber, dass das Einsetzen künstlich befruchteter Eizellen keinen medizinischen Grund. Anästhesiepraxis nennt zudem viele andere Folgen, die bei einer Narkose auftreten können, von Erbrechen bis hin zu Thrombosen und Nervenschäden. Aber nicht nur die Narkose ist eine Gefahrenquelle, sondern auch die nötige Hormonbehandlung.

Die künstliche Befruchtung ist auch mit hohen Kosten verbunden, in Deutschland etwa 2000€ bis 3000€, in den USA bis zu umgerechnet 8000€ (Taz). Außerdem fallen Lagerungskosten von 280€ jährlich an.

Dennoch gibt es Frauen, die Social Freezing als ihre Alternative ansehen – laut Michael von Wolff (der Gründer und Koordinator des wissenschaftlichen Netzwerkes „Fertiprotekt“) sind es im Jahr 2013 deutschlandweit 134 Frauen gewesen, die Dunkelziffer soll etwa 300 Behandlungen betragen.

Die Frau, die der Süddeutschen ein Interview gegeben hat, fand den Eingriff befreiend. Anders als Christian Geyer behauptete, hätte sie sich auch ohne Social Freezing zu diesem Zeitpunkt kein Kind gewünscht – und auch keines bekommen. Die biologische Uhr der Frauen, die sich für das Einfrieren ihrer Eizellen entscheiden, hört auf zu ticken, sie können sich ganz auf den Moment konzentrieren und im Jetzt leben, ohne Angst vor der Zukunft zu haben.

Und noch wichtiger: Der ursprüngliche Sinn von Social Freezing war es, die Eizellen von Krebspatientinnen einfrieren zu lassen, damit diese auch nach einer Chemotherapie genetisch gesunde Kinder auf die Welt bringen können. Genetische Defekte können viele Ursachen haben; Beispielsweise steigt das Trisomie-21-Risiko mit dem Alter der Mutter.

Laut dem Stern hat eines von 100 Kindern einer 40-Jährigen diesen Gendefekt. Mit „jüngeren“ Eizellen wäre das leicht vermeidbar – und die Frage nach dem medizinischen Grund beantwortet. Wer später Kinder haben will, kann jetzt schon für ihre Gesundheit sorgen.

Der Zeitfaktor spielt für Männer keine Rolle. Biologisch ist ihnen keine Grenze gesetzt; auch im hohen Alter könnten sie noch Kinder zeugen. Die biologische Uhr der Frauen tickt. Aber da man nun die technischen Möglichkeiten hat, um diese anzuhalten – warum nicht? Nur, weil einer Frau Eizellen entnommen wurden, ist sie nicht unfähig, auf natürliche Weise Kinder zu bekommen.

Und außerdem ist es ein weiterer Schritt zur Selbstbestimmung der Frauen. Sie sollten selbst entscheiden, wann sie ihr Kind bekommen möchten, und ihre Karriere sollte (genau wie bei Männern) nicht darunter leiden. Es ist ein sinnvoller Eingriff in die Natur, und letztendlich hat ja jede Frau das Recht, sich selbst dafür oder dagegen zu entscheiden.

Früher war man gesellschaftlich ausgestoßen, wenn man abgetrieben hat, heute kann man das Leben seines ungeborenen Kindes ohne große Probleme oder gesellschaftliche Ächtung beenden. Warum also nicht auch ein solches Leben beginnen? Es geht hier nicht um Wunschkinder oder darum, in die Natur einzugreifen.

1960 kam ein Medikament auf den Markt, das (Wie Social Freezing) Schwangerschaften kontrollierbar machen sollte. Die Wirkung konnte nicht hundertprozentig garantiert werden. Es gab (zum Teil gefährliche) Nebenwirkungen, aber die Frauen hat das nicht interessiert. Ein Schritt zur Emanzipation, zur Selbstbestimmung und Lebensplanung lag in diesem Freiheit versprechenden Mittel: Der Antibabypille.

Heute ist sie kaum noch wegzudenken. Auch wenn der damalige Papst Paul VI sagte, „dass jeder einzelne eheliche Akt (quilibet matrimonii usus) nur dann sittlich gut ist, wenn er für die Weitergabe des Lebens offen bleibt“ (seine Enzyklika „Humanae vitae“ vom 25. Juli 1968), verhüteten doch 1976 drei Viertel der Frauen in den USA mit der Pille.

Und Social Freezing zu ächten oder sogar zu verbieten (weil es keinen medizinischen Grund dafür gibt) ist meiner Meinung nach der falsche Weg.

Der Autor hält Social Freezing für die falsche Lösung, die Frage nach Kind oder Karriere zu klären. Dazu muss gesagt werden, dass der Autor ein Mann ist und wahrscheinlich nie vor dieser Frage stand. Ich persönlich bin für die Möglichkeit des Social Freezings, und ich denke, darüber sollte mehr aufgeklärt werden.

Ich finde es gut, dass Firmen wie Apple oder Facebook ihren Mitarbeiterinnen dabei unter die Arme greifen und so deren familiäre Zukunft absichern. Es ist ja nicht nur in ihrem Interesse, dass sie weniger Stress haben und so effektiver arbeiten, und auch nicht ein Jahr ausfallen und so vielleicht eine Aufstiegschance verpassen – den Frauen, die sich dafür entscheiden, ist damit sehr geholfen.


Quellen:


(Hauptquellen)


Tiroler Tageszeitung. A4tzt.csp, 06.03.2015


Zeit. 06.03.2015


Süddeutsche. 06.03.2015

(Die Frau hieß im Interview Anna Rehler, der Name wurde aber von der Redaktion geändert.)


Taz. 06.03.2015


Spiegel. 06.03.2015


Stern. 21.03.2015


(Andere Quellen)


Wikipedia (zur Antibabypille). 06.03.2015


myNFP (zur Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft). 21.03.2015


Eltern.de (Zum Ablauf einer künstlichen Befruchtung). 21.03.2015


Medizininfo. , 21.03.2015


Anästhesiepraxis. 21.03.2015


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