„Der Tanzbär“ - Lessing
Interpretation der Fabel / Gedichtanalyse
Die Fabel„
Der Tanzbär“, welche von Gotthold Ephraim Lessing geschrieben wurde (1729 –
1781), handelt von einem Bären, welcher nach langer Gefangenschaft bei den
Menschen zu seinen Brüdern in den Wald zurückkehrt.
Die
vorliegende Fabel ist in zwei Strophen gegliedert, von der die erste Strophe jeweils
zehn und die zweite Strophe nur sieben Zeilen umfasst. Die Fabel ist in umarmenden
Reimen geschrieben, die in der ersten Strophe in einen Paarreim münden, jedoch
in der zweiten Strophe abrupt abgebrochen werden. Schon in den ersten Versen
erfährt der Leser den Grund für die Abwesenheit des Bären.
Er war
gefangen genommen worden und wurde von seinen Peinigern zu einem Tanzbären
ausgebildet. Sogleich nach seiner Rückkehr zeigt er seinen Brüdern im Wald, was
er während seiner Gefangenschaft gelernt hat und brüstet sich mit den Worten“
das lernt man in der Welt“. Um sein Können noch stärker hervorzuheben fordert
er die anderen Bären noch dazu auf, seine Kunststücke nachzumachen. Das
Scheitern ihrerseits hätte nämlich für den Tanzbären noch mehr Ruhm bedeutet.
Jedoch wird
sein Vorhaben brüsk verhindert, da ein alter Bär ihn unterbricht. Er wirft dem
Bären vor mit seinem Vorgehen Sklaverei und Einfalt zu beschönigen und publik
zu machen. Der alte Bär brummt: „Dergleichen Kunst, sie sei so schwer, sie sei
so rar sie sei! Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei!“
Als
Verstärkung der in Strophe eins begonnenen Rüge des Tanzbären spricht der alte
Bär in Strophe zwei mit den Worten „ein großer Hofmann“ alle Adligen und
Fürsten an und bezieht sie in seine Zurechtweisung mit ein, indem er eine
verallgemeinernde Darstellung gebraucht. Denn am Hofe wird nur derjenige
„groß“, der „Schmeichelei“ und „List“ anstelle von „Tugend“ und „Witz“
verwendet, was hier im Sinne von Verstand gebraucht wird. Nur wer Intrigen
spinne und mit falschen „Schwüren“ und „Komplimenten spielt“, könne sich die
Gunst des Fürsten erschleichen. Nur ein so Geschilderter sei also ein Mann von
Welt und ein „großer Hofmann“. Doch fragt der bärtige Bär in seinem letzten
Satz nicht nur die rundherum versammelten Bären, sondern darüber hinaus auch
den Leser, ob ein solcher Mann wirklich als ein großer Mann zu ehren sei. Mit
dieser rhetorischen Frage bringt er seine Kritik an der „edlen Welt“ zum
abschließenden Höhepunkt und vermittelt unausgesprochen die Lehre sich an
Tugend und Verstand zu halten, auch wenn man damit weniger Ruhm erlangen könne.
Durch den überraschenden vorzeitigen Abbruch des umarmenden Reimes wird der
Leser aufgerüttelt und überrumpelt, sodass er sich eindringlich mit der Frage
auseinandersetzt.
Das Metrum
ist ein Jambus, der die ruhige und belehrende Haltung der Fabel unterstützt. Er
wirkt sachlich und überzeugend.
Der Tanzbär
Ein Tanzbär war der Kett entrissen,
Kam wieder in den Wald zurück,
Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück
Auf den gewohnten Hinterfüßen.
»Seht«, schrie er, »das ist Kunst; das lernt man in der Welt.
Tut mir es nach, wenns euch gefällt,
Und wenn ihr könnt!« »Geh«, brummt ein alter Bär,
»Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
Sie sei so rar sie sei!
Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.«
Ein großer Hofmann sein,
Ein Mann, dem Schmeichelei
und List
Statt Witz und Tugend ist;
Der durch Kabalen steigt, des Fürsten Gunst erstiehlt,
Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt,
Ein solcher Mann, ein großer Hofmann sein,
Schließt das Lob oder Tadel ein?