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Interpretation
Deutsch

Universität, Schule

Liebfrauengymnasium Büren

Note, Lehrer, Jahr

2016

Autor / Copyright
Roberto S. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.79 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.75
ID# 63843








Wilhelm Tell: Analyse von V. 3148 – 3237 (V. Aufzug, 2. Szene)


Der vorliegende Szenenauszug entstammt aus Friedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“ und wurde im Jahre 1804 veröffentlicht. Dieses im Spätmittelalter spielende  Drama beschäftigt sich mit dem Freiheitskampf der Schweizer gegen die Unterdrückung durch die Vögte des Habsburger Kaisers Rudolf I. Schiller griff einige historische Fakten auf und verarbeitete sie zu seinem bekannten Theaterstück über den Freiheitskampf der Schweizer Eidgenossen gegen die Habsburgische Herrschaft.

Der vorliegende Szenenausschnitt (V. 3148-3237) stammt aus der zweiten Szene des fünften Auszuges und leitet somit direkt zur kurzen Schlussszene des Dramas über, in der die Bewohner der Waldstätte die Befreiung von der Unterdrückung durch die Vögte feiern. Zuvor hat Tell im letzten Auftritt des vierten Aktes Gessler während seines Durchzuges durch die Hohle Gasse mit der Armbrust getötet und durch die Bezwingung seines Widersachers die Voraussetzung für eine landesweite Erhebung der Schweizer  gegen die Willkürherrschaft der kaiserlichen Vögte geschaffen. Hedwig, Tells Frau, und ihre Kinder sind in ihrem Haus und freuen sich, dass ihr Vater, bzw. ihr Mann wiederkommt. Plötzlich erscheint in der offenstehenden Tür ein Mönch, der hineinkommt und der nach Tell fragt. Tells Frau hat plötzlich Angst, weil sie erkennt, dass dieser Mann kein Mönch ist.
Als Tell endlich auftaucht, schickt er seine Frau und seine Kinder fort, denn er erkennt, dass es Parricida ist, der seinen Onkel, den Kaiser, getötet hat. Parricida versucht seine Tat zu rechtfertigen, doch wird er von Tell zurechtgewiesen, indem dieser die niederen Motive Parricidas für seine Tat offenlegt . Da Tell Parricidas Tat verurteilt, will er ihm zunächst nicht helfen, doch nach einer Weile, nachdem Parracida ihn angefleht hat, erbarmt sich Tell und sagt, dass er nach Rom gehen und dort dem Papst alles berichten müsse.

Im Anschluss an den vorliegenden Auszug bekennt Parracida, dass er den Weg dorthin jedoch  nicht kennt, sodass Tell ihm den Weg erklärt. Als er hört, wie gefährlich er ist, wird er zunächst sehr unsicher, doch ist er dem Tell nachher sehr dankbar. Plötzlich hört man Musik im Hintergrund und Tell schickt ihn weg, da in naher Zukunft Leute an seinem Haus vorbeikommen werden, die sich  in der feierlichen Schlussszene  des Dramas als Schweizer Landleute herausstellen, die Tell als ihren Retter feiern und ihn hochleben lassen.

Im vorliegenden Szenenauszug ist Tell gerade wieder zu Hause angekommen und von seiner Familie erleichtert begrüßt worden. Parricida, der sich nach der Ermordung seines Onkels als Mönch verkleidet hat und sich auf der Flucht befindet, hat bereits vom Tod Gesslers Kenntnis erhalten (V. 3148) und seine diesbezügliche Frage wird von Tell offen bejaht („Der bin ich, ich verberg es keinem Menschen“,  V. 3149).  Tell erkennt sofort, dass es sich bei dem Fremden nicht um einen Mönch handelt und er fordert ihn auf, seine wahre Identität preiszugeben. (V. 3152) Parricida weicht zunächst aus, indem er versucht, seine Tat mit der Tells moralisch gleichzusetzen und sich gleichfalls als Befreier des Landes darzustellen. (V. 3153 f.) Darauf erkennt Tell die wahre Identität des Mannes und ruft seine Familie dazu auf, aus dem Haus zu gehen und der Unterredung nicht weiter zu folgen, da er die Offenbarung  der schrecklichen Wahrheit befürchtet.  Tell zeigt daraufhin Parricida offen, dass er weiß, dass dieser der Mörder des Kaisers ist, worauf dieser sich zum ersten Mal durch den Hinweis darauf zu verteidigen versucht, dass der Kaiser der „Räuber meines [d.h. Parricidas] Erbes“ (V. 3166)  gewesen sei. Tell gerät über diesen Rechtfertigungsversuch Parricidas in Rage, indem er ihn als Kaisermörder und Mörder seines Onkels bezeichnet (V. 3167f.) und seiner Entrüstung auch durch Ausrufe Ausdruck verleiht („Und Euch trägt/ Die Erde noch! Euch leuchtet noch die Sonne!“, V. 3169) Parricida versucht sich daraufhin erneut zu rechtfertigen, doch Tell unterbricht ihn und wirft ihm nochmals vor, ein Vater- und Kaisermörder zu sein und sich somit doppelt schuldig gemacht zu haben und folglich jegliches Gastrecht in seinem Haus verwirkt zu haben. (V. 3169 ff.) Tell verwendet hierbei eine Aneinanderreihung von rhetorischen Fragen, um die Verwerflichkeit von Parricidas Tat zu betonen. Auf den erneuten Versuch Parricidas, seine und Tells Tat auf eine Stufe zu stellen, reagiert Tell wiederum entrüstet, indem er ihn zunächst mit dem Ausruf „Unglücklicher!“ (V. 3176) unterbricht und die Tötung Gesslers als „gerechte Notwehr eines Vaters“ (V. 3177) bezeichnet, der seine Kinder und sein Haus beschützt und betont, sich nicht moralisch schuldig gemacht zu haben. (vgl. V. 3180), die Tat Parricidas dagegen verflucht und nochmals hervorhebt, dass seine eigene Tat in keiner Weise mit der Parricidas zu vergleichen ist: „Gemordet/  Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.“ (V. 3184f.)

Parricida hat offenbar mit dieser Reaktion Tells nicht gerechnet und fragt Tell daher, ob er ihn tatsächlich verurteile (V. 3186), worauf Tell ihn zunächst in seiner Erregung davonjagen will. (vgl. V. 3187f.) Parricida ist daraufhin völlig verzweifelt und sagt, dass er nicht mehr leben wolle, worauf Tell Mitleid mit ihm bekommt und aus Scham sein Gesicht verhüllt (siehe Regieanweisungen: „Verhüllt sich das Gesicht). Parricida sieht sich daher veranlasst, näher auf seine Motive zur Ermordung seines Onkels einzugehen und macht daher deutlich, dass der Neid auf seinen von Rudolf wesentlich besser gestellten Vetter Leopold ihn zu der Tat veranlasst hatte. (V. 3196ff.) Tell sagt Parricida daher ganz direkt, dass der Kaiser Recht damit hatte, Parricida angesichts solcher negativer Charakterzüge in Unmündigkeit zu halten und macht ihm klar, dass er der Reichsacht unterliegt und somit von jedermann straflos getötet werden kann. (V. 3212f.) Parricida bekennt daraufhin, dass er angesichts dieser Lage ganz verzweifelt ist und rastlos durch das Land zieht, immer in Gefahr, erkannt zu werden und ihn diese Ungewissheit in höchste Verzweiflung getrieben hat. (V. 3125ff.) So sieht er keine anderen Ausweg, als auf die Milde Tells zu hoffen („O wenn Ihr Mitleid fühlt und Menschlichkeit“ , V. 3220). Als Ausdruck seiner Hilflosigkeit fällt er sogar vor Tell nieder. (vgl. Regieanweisungen) Als Tell ihn auffordert aufzustehen, macht Parricida deutlich, dass er dies nicht eher tun werde, bis er von Tell eine konkrete Hilfszusage erhalten hat (V. 3222), sodass Tell schließlich einwilligt, indem er darauf verweist, dass trotz der Grässlichkeit von Parricidas Tat auch dieser für ihn noch ein Mensch ist, dem er sich verpflichtet fühlt (V. 3226: „Vom Tell kann keiner ungetröstet scheiden -/ Was ich vermag, das will ich tun.“) Die unterwürfigen Dankesbezeugungen Parricidas weist er dabei von sich und legt ihm nahe, das Land zu verlassen und nach Rom zum Papst zu gehen, um dort seine Schuld zu beichten und damit seine Seele als Christ zu befreien. Auf Parricidas  Entgegnung, ob er denn damit rechnen müsse, an seine Verfolger ausgeliefert zu werden, antwortet Tell, dass er in jedem Fall das Urteil des Papstes annehmen müsse, wie immer es auch ausfalle. (V. 3223ff.) Im Anschluss an den hier endenden Szenenausschnitt folgen Tells Erläuterungen, auf welchem Wege Parricida am besten unerkannt Richtung Süden die Schweiz verlassen kann.

Der Szenenauszug vergleicht somit die Taten Tells und Parricidas, die zwar beide einen Menschen getötet haben, aber aus völlig unterschiedlichen Motiven, die hier kontrastierend gegenübergestellt werden: Tell handelt aus uneigennützigen Motiven, ihm geht es um den Schutz seiner Familie, die für ihn an oberster Stelle steht und der er sich verpflichtet fühlt, auch wenn er zum Äußersten gehen muss. Parricida erscheint dagegen als heimtückisch handelnder, neidischer Mensch, der nicht aus Idealismus oder moralischer Verantwortung heraus handelt, sondern der aus Machtstreben und dem Gefühl der Zurücksetzung zum Mörder wird, seine Tat aber nur insofern bereut, als er merkt, dass er dadurch zum Geächteten und Verfolgten geworden ist, der sogar seine Identität verbergen muss und auf keinerlei Unterstützung von Freunden oder Gleichgesinnten bauen kann. Sein Selbstmitleid und die fehlende Erkenntnis, eine moralisch verwerfliche Tat begangen zu haben, lassen ihn in starkem Kontrast zu Tell erscheinen, der mit sich und seinem Gewissen im Reinen ist und der sich daher gegen jegliche Versuche Parricidas wehrt, beide Taten moralisch gleichzusetzen und indem Tell dessen Rechtfertigungsversuche als verlogen entlarvt.

Der Szenenausschnitt ist von Schiller bewusst an dieser Stelle in das Drama eingebaut worden, um die moralisch gerechtfertigte Vorgehensweise Tells hervorzuheben und um eventuellen Vorwürfen von Zuschauern entgegenzuwirken, dass sowohl Tell als auch Parricida Mörder seien, deren Taten es zu verurteilen gelte. Darüber hinaus leitet diese Szene unmittelbar zum Schlussauftritt des Dramas über, in dem die Schweizer zu Tells Haus kommen und ihn als heldenhaften Befreier von der politischen Unterdrückung feiern.

Mir gefällt dieser Szenenausschnitt gut, da er zeigt, dass Tell seine Tat aus ganz anderen Gründen als Parricida begangen hat und aus idealistischen Motiven handelt, die aber auch dazu beitragen, dass mit dem Tod Gesslers ein politisches Signal gesetzt wird, das die Bewohner der Waldstätten dazu ermutigt, sich gegen die Unterdrückung zu erheben und die Befreiung von der Willkür der Vögte zu wagen. Einmal mehr zeigt sich, dass Tell hier eine Heldenfigur ist, die sich selbst treu bleibt und er trotz seiner Verurteilung der Tat Parricidas ein Mensch ist, der helfend eingreift und niemandem seinem Schicksal überlässt, nicht einmal einen Menschen wie Parricida, der schwere Schuld auf sich geladen hat.


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