Szenenanalyse : „Iphigenie auf
Tauris“
Im Folgenden wird der zweite
Auftritt des vierten Aufzugs aus dem Drama „Iphigenie auf Tauris“
von Johann Wolfgang von Goethe analysiert. Die Erstaufführung fand
1779 in Weimar statt. In der eben genannten Szene geht es um ein
Konfliktgespräch zwischen Iphigenie und Arkas.
Der zweite Auftritt des vierten
Aufzugs ist das retardierende Moment des Dramas. Danach muss sich
Iphigenie (im darauffolgenden Monlog) entscheiden, ob sie den
Fluchtplan Orest und Pylades unterstützt oder nicht.
Zuerst werde ich den Inhalt der
Szene erfassen. Anschließend den Dialog, die Rollen der
Gesprächspartner und die Gesprächsstrategie analysieren. Danach
folgt abschließend ein Resumee der Auseinadersetzung.
In dem zweiten Auftritt des vierten
Aufzugs erscheint Arkas als ein Bote des Königs Thoas. Er informiert
Iphigenie darüber, dass die Opfergabe von Pylades und Orest
beschleunigt werden soll. (V. 1421) Iphigenie erwidert darauf
unehrlich, das aufgrund des Fluches, der auf Orest liegt, der Tempel
verunreinigt sei und, dass sie das Götterbild erst reinwaschen
müssen bevor die Opfergabe stattfinden kann. (V.1427ff) Sie musste
sich überwinden und Arkas anlügen, da so der Fluchtplan Pylades und
Orest nur funktionieren kann. Danach redet er nochmal über den
Antrag des Prinzen und die schlechten Folgen, wenn sie wieder
ablehnt. Nach einer Diskussion geht Arkas davon und eilt zum König,
um ihn die schlechten Neuigkeiten zu überbringen. (V. 1499ff)
Anfangs ist Arkas in dienstlicher
Absicht zu Iphigenie gekommen und befehlt ihr im Sinne des Königs im
Imperativ, dass Opfer zu beschleunigen. (V. 1421) Damit versucht er
sie zu überzeugen und etwas einzuschüchtern. Außerdem spricht er
sie formell mit ihrem Titel „Priesterin“ (V.1421) an. Das zeigt,
dass er Respekt vor ihr hat. Allgemein fällt auf, dass beide
Gesprächspartner eine gehobene Wortwahl haben.
Iphigenie erwidert, dass es einen
Zwischenfall gab und damit die Opfergabe verschoben werden müsse:
„(…) Wenn unvermutet nicht ein Hindernis sich zwischen mich und
die Erfüllung stellte.“ (V.1424) An dieser Stelle muss Iphigenie
lügen, um Orest und Pylades mehr Zeit für ihre Flucht zu
verschaffen. Darauf erwidert Arkas, noch in der Rolle des Boten, dass
er den Grund der Verzögerung dem König direkt mitteilen wird: „Ich
melde dieses neue Hindernis dem König geschwind“ (…) (V.1441)
Dort merkt man, dass er dem König hörig und unterlegen ist. Doch
Iphigenie ist sich bewusst, dass sie sich Arkas widersetzen kann und
erwidert, dass dies allein der „Priesterin überlassen“ (V. 1444)
sei. Mit dieser Einwendung wird das Gespräch vertrauter und
energischer, da Iphigenie und Arkas verschiedene Positionen vertreten
(Iphigenie denkt, dass der Zwischenfall nicht gemeldet werden sollte,
da dies ihre Sache ist. Arkas denkt, dass er den Grund der
Verzögerung dem König direkt mitteilen muss) Man merkt, dass
Iphigenie nun sauer wird. Sie macht Arkas einen Vorwurf: „Ich gebe
nach, wenn du nicht säumen willst.“ (V.1450) Doch er lässt sich
nicht beirren den König darüber zu informieren. Anschließend
wechselt Arkas das Thema und versucht noch einmal Iphigenie auf
vertraute Art zu überzeugen, den König zu heiraten und damit die
Menschenopfer zu verhindern. (V.1465ff) Er gibt ihr die Verantwortung
über die Zukunft von Tauris : „Ich sage dir, es liegt in deiner
Hand“ (V.1465) Dieser Einwand erschüttert Iphigenie, was sie mit
einem Imperativ zeigt: „Erschüttere meine Seele nicht, die du nach
deinem Willen nicht bewegen kannst.“ (V.1483f) Dies ist der
Wendepunkt im Gespräch, welcher die Spannung erhöht. Iphigenie ist
verunsichert. Sie weiß nicht, wie sie handeln soll. Ihr innerer
Konflikt plagt sie nun noch mehr. Soll sie in die Heimat mit ihrem
Bruder und ihrem Cousin zurückkehren und sie damit retten? Oder soll
sie den König heiraten, damit die Menschenopfer für immer ein Ende
haben? Sie trägt eine hohe Verantwortung und weiß momentan nicht,
wie sie damit umgehen soll.
Durchgehend wird eine Stichometrie
verzeichnet, was bedeutet dass sich Iphigenie und Arkas in einem
Konfliktgespräch mit darauffolgenden Lösungsansätzen befinden.
Um nun weiterhin auf die Rolle der
Gesprächspartner und die Strategie einzugehen, ist anfangs zu sagen,
dass Arkas versucht mit autoritären Befehlen Iphigenie zu
überzeugen. Er denkt, dass er als Mann der Starke ist und das Recht
hat die Frau(en) herumzukommandieren. Doch er hat sich getäuscht,
denn Iphigenie übermittelt ihm in genauso gehobener Wortwahl, dass
die Opfergabe noch warten muss. Sie ist selbstsicher und
willensstark. Damit übernimmt sie die Gesprächsführung. (V.1430ff)
Die Meinungsverschiedenheit der beiden endet in einem Konflikt.
Anschließend übernimmt Arkas einen klugen Zug, indem er auf
Iphigenies „wunden Punkt“ trifft. Er spricht die Menschenopfer an
für die nur sie allein verantwortlich ist, wenn sie den König nicht
zum Mann nimmt. „Des König aufgebrachter Sinn allein, bereitet
diesem Fremden bitteren Tod.“ (V.1466f) Das war ein kluger Zug
Arkas, da Iphigenie nun verunsichert ist. Sie befindet sich in einem
moralischen Dilemma. Sie ist nun wieder unentschlossen und weiß
nicht, ob die Flucht ein so guter Plan ist. Arkas ist derjenige, der
das Gespräch beendet. Er informiert den König jetzt über die
Verzögerung. „Dem Fürsten sag ich an, was hier geschehn.“
(V.1499) Am Ende macht er ihr noch ein schlechtes Gewissen mit den
Worten: „ Wie edel er (der König) sich gegen dich betrug. Von
deiner Ankunft an bis diesen Tag.“ (V.1500f)
Man merkt, dass Iphigenie trotz der
gleichwertigen Redeanteile, die Siegerin der Auseinandersetzung ist.
Sie stellt eine emanzipierte Frau dar, welche auf ihrer Meinung
beharrt und damit sich selbst bestimmen kann. In diesem Gespräch
hört sie zum ersten Mal auf ihren eigenen Willen und nicht den der
Götter. Doch im Laufe dieser Szene merkt man, dass sie immer
schwächer wird, da Arkas ihr ein schlechtes Gewissen einzureden
versucht hat. Das hat er auch geschafft und damit sinkt ihre
Sicherheit in Bezug auf den Fluchtplan etwas.
Arkas tritt
zuerst als pflichtbewusster, strenger Bote des Königs auf. Er ist
auch willensstark, aber dem König unterlegen. Denn er vertritt immer
seine Meinung, und hilft dem König bei seinen Taten. Zum Beispiel
versucht er Iphigenie von der Hochzeit zu überzeugen. Man erkennt,
dass er listig und feinfühlig ist, da er auf ihren „wunden
Punkt“,die Menschenopfer, trifft und sie damit verunsichert.
Diese Auseinandersetzung hat
Iphigenie sehr durcheinandergebracht und verunsichert. Sie befindet
sich jetzt noch stärker in dem Konflikt: Lüge und Rettung oder
Wahrheit und Tod. Alles hängt von ihrer Entscheidung ab. Das
belastet sie, wie man schließend im dritten Auftritt sieht sehr. Auf
Arkas Seite wächst ein deutliches Misstrauen Iphigenien gegenüber.
Er durchschaut langsam, dass sie nur Ausreden sucht, um den König
nicht heiraten zu müssen. Jedoch ist ihm immer noch unklar welcher
Grund dahintersteckt.