Szenenanalyse: Iphigenie auf Tauris,
1 Aufzug, 3 Auftritt - Dialog Thoas und Iphigenie
Der Textauszug , V.220-306 (erster Aufzug, dritter
Auftritt), aus dem Drama „Iphigenie auf Tauris“, geschrieben von Johann
Wolfgang von Goethe handelt von einem Dialog zwischen Iphigenie, Tochter des
Agamemnon und Thoas, dem König von Tauris, in welchem Thoas um Iphigenies Hand
anhält und ihre Vergangenheit hinterfragt.
Nachdem Thoas seinen Sohn im Krieg verloren hat und
nun den Fortbestand seiner Familie fürchtet, schickt er Arkas, um Iphigenie
seine Heiratswünsche zu überbringen. Außerdem bittet Arkas sie, ihre Identität,
die sie bisher verheimlicht hat, zu offenbaren. Iphigenie jedoch verschweigt ihre
Abstammung und lehnt den Heiratswunsch Thoas' ab, da sie den bedrohenden
Familienfluch fürchtet. Daraufhin beschließt Thoas persönlich um ihre Hand
anzuhalten.
Durch diesen Dialog entwickelt sich im weiteren
Gesprächsverlauf ein Konflikt, der dazu führt, dass sich die Situation
anspannt. Iphigenie respektiert und vertraut Thoas, jedoch will sie keine
Bindung eingehen, da sie zurück zu ihrer Familie möchte. Um dem Antrag
auszuweichen, erzählt sie ihm von ihrem Fluch. Im Folgenden werden wir dieser
Deutungshypothese nachgehen.
Insgesamt lässt sich der Auszug in vier separate
Sinnabschnitte gliedern. In dem ersten Abschnitt (V.220-225) geht es darum,
dass Iphigenie Thoas den Segen der Göttin, Sieg, Ruhm, Reichtum und das Wohl
seines Volkes wünscht, (vgl. V.220-223).
In diesem Abschnitt wird deutlich, dass Iphigenie
Thoas respektvoll und ehrenwürdig behandelt. Obwohl sie von Thoas'
Heiratsplänen, denen sie negativ gegenübersteht, erfahren hat, versucht sie dennoch
einen positiven Eindruck zu hinterlassen.
Der zweite Abschnitt (V. 220-244) beinhaltet eine
kleine Rede Thoas', in der er seine schweren Zeiten beschreibt. Zunächst
erklärt er, dass er sich in seinem Haus sehr alleine fühlt und bedankt sich für
Iphigenies Unterstützung in seinen schweren Zeiten, als ihm sein Sohn von der
Seite gerissen wurde. Daraufhin verdeutlicht er, dass es nun niemand gäbe, der
Tauris nach Thoas regiert. Mithilfe von Äußerungen, wie diesen, versucht er Mitleid
in Iphigenie zu erwecken und sie somit zu überlisten, sodass sie seinen
folgenden Antrag positiv entgegennimmt. Außerdem nutzt er Wörter, wie „Sorg“
und „Unmut“ (V.241), die dem Versuch zu Mitleid verhelfen sollen.
Im darauffolgenden Abschnitt (V.245-252) kommt es zum
Antrag. „Den alten Wunsch / Trag ich im Busen, der auch dir nicht fremd, …“
(V.246+247). Damit wird deutlich, dass Thoas schon seit längerer Zeit eine
Hochzeit mit Iphigenie plant. Außerdem will er im letzten Teil darauf
anspielen, dass Arkas sie schon über seine Heiratspläne aufgeklärt hat und sie
sich schon entschieden haben sollte. Sie aber entgegnet dem Ganzen negativ, da
sie der Meinung ist, dass er ihr viel zu viel bietet, ohne sie wirklich
kennengelernt zu haben.
Überleitend zum letzten Abschnitt entsteht ein
Wendepunkt, in dem sie das Thema wechselt und nun auf ihre Vergangenheit
anspielt. Hier wird deutlich, dass sie schon vorher bereit war ihre
Vergangenheit offen zu legen. Dieser Abschnitt beginnt mit der Einleitung
Iphigenies in die Diskussion (V.252) und endet wieder mit Iphigenie und ihrer
Aussage: „Ich bin aus Tantalus' Geschlecht,“ (V.306).
Iphigenie versucht Thoas zu erklären, dass sie nur
versucht Schutz und Ruhe zu finden. Darüber hinaus betont sie, dass sie sehr
beschämt vor ihm ist. Das Wortfeld „beschämt“ wird in diesem Abschnitt
besonders oft genutzt, um Iphigenies Haltung gegenüber Thoas noch einmal zu
unterstützen. Thoas dagegen lässt nicht nach und wirft ihr vor, ihn zu behandeln
als sei er wie jeder andere, (vgl. V.256). Außerdem erwähnt er noch einmal,
dass sie nicht wie jeder Fremde, der die Insel betritt, behandelt wurde,
sondern stattdessen als Gast angesehen wurde. Im Weiteren entsteht ein
Missverständnis, da Thoas das Vertrauen von Iphigenie bezweifelt. (vgl
V.263+264). Sie rechtfertigt sich, indem sie behauptet: „... o König, war's Verlegenheit,
/ Nicht Misstrauen.“ (V.266+67). Das Wort „Verlegenheit“ bezieht sich hierbei
auf das Wort „beschämt“ (V.253) und unterstützt noch einmal ihr Scharm, das Geheimnis
aufzudecken. Obwohl er ihr Vorwürfe macht, behandelt sie ihn weiterhin mit Respekt,
was man aus den Versen 266, „o König“, und 270, „Dein großes Herz“ entnehmen
kann. Während „Dein großes Herz“ gleichzeitig eine Hyperbel ist, was unterstreichen
soll, dass Iphigenie Thoas all das, was er getan hat, hoch anrechnet. Iphigenie
leitet schon hier zu dem Fluch hin, indem sie ihr Haupt als verwünscht beschreibt,
(vgl. V.268). Sie versucht zu erklären, dass sie den Antrag gar nicht verdient
hat. Sie behauptet, sie hätte Angst, er stoße sie aus seinem Reich, anstatt ihr
die Seite seines Thrones anzubieten, (vgl. V.271-272). So scheint es zumindest
Thoas, denn Iphigenie versucht ihn mit diesen Übertreibungen zu überlisten. Sie
verfolgt das Ziel, ihm vorzuspielen, sie sei beängstigt verbannt zu werden.
Im Folgenden wiederholt Thoas, dass Iphigenie sehr
gastfreundlich behandelt wurde, (vgl. V.260+ 282). Trotz allem gibt er nicht
nach und bezieht sich auf Iphigenies Aussage, sie hätte ein verwünschtes Haupt,
indem er sagt: „Ich möchte schwer zu überreden sein, / Dass ich an dir ein
schuldvoll Haupt besitze,“ (V.284+85). Nochmals verlangt er, dass sie ihr
Schweigen bricht: „Drum endige dein Schweigen und dein Weigern; / Es fordert
dies kein ungerechter Mann,“ (V. 287+288). Er versucht sie hiermit zu
überreden, indem er wiederholt sagt, dass er es es verdient hat, es zu wissen.
Er argumentiert mit „Die Göttin übergab dich meinen Händen,“ (V.290), sodass
sie nicht sagen kann, sie gehöre der Göttin Diane. Diane hat sie nämlich Thoas
übergeben, wodurch Iphigenie von ihm abhängig ist. Hätte Iphigenie die Möglichkeit,
nach Hause zurückzukehren, so würde er sie gehen lassen. Jedoch ist ihr der Weg
auf ewig versperrt, (vgl. V.295). Er versucht ihr den Gedanken zur Heimat
auszureden, erklärt ihr, dass ihr keine andere Wahl bleibt und sagt “So bist du
mein durch mehr als ein Gesetz,“ (V.298). Endgültig fordert er die Offenheit
Iphigenies, indem er ihr verspricht, sein Wort zu halten. In der Hoffnung, dass
Thoas durch die Preisgabe ihrer Vergangenheit abgeschreckt werde, beginnt sie
zu erzählen, „Ich bin aus Tantalus' Geschlecht,“(V.306).
Iphigenie verhält sich über den gesamten
Gesprächsverlauf in jeder Weise respektvoll und zurückhaltend, um Thoas'
Vertrauen zu stärken. Durch die Täuschung bzw. das Missverständnis in den
Versen 263-267 kommt es zu einer Konfliktentwicklung.
Auffällig ist, dass Thoas' Redeanteil, während des
Gesprächsverlaufs, dominiert, wodurch der Eindruck entsteht, dass Thoas
mächtiger ist. Außerdem wird dem Leser klar, dass Thoas unbedingt mit Iphigenie
heiraten möchte.