Szenenanalyse
Emilia Galotti II, 3
Das
bürgerliche Trauerspiel „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim
Lessing wurde 1772 erstmals veröffentlicht und thematisiert die
willkürliche Herrschaft des Adels im Kontrast zur Tugendhaftigkeit
der Bürger. Es ist ein Drama aus der Epoche der Aufklärung und
handelt von dem Prinzen von Guastalla, der besessen von der
bürgerlichen Emilia Galotti ist und alles dafür tut, um sie für
sich zu gewinnen.
Emilias
Familie besitzt ein Landgut, auf dem Pirro, ein Bediensteter, für
die Familie arbeitet. In der dritten Szene des zweiten Aktes findet
zwischen ihm und dem Verbrecher Angelo ein Dialog statt. Die beiden
waren bei einem Überfall Komplizen und Pirro soll nun dafür von
Angelo mit Geld belohnt werden. Hier erfährt man Einiges über deren
Verhältnis. Doch Angelo, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt wurde, hat
eigentlich nur die Absicht, Informationen über die Hochzeit von
Emilia Galotti und dem Grafen Appiani zu erfahren, da er scheinbar
seinen nächsten Plan geschmiedet hat.
Der Bedienstete Pirro erhält heimlich Geld vom gesuchten Verbrecher Angelo vor dem Landgut.
Wenn
man sich die Sprache in diesem Dialog genauer anschaut, wird
deutlich, dass viele Ausrufe und knappe Sätze verwendet werden
(S.25, Z.12: "So gib nur!). Dadurch kommt einem das Geschehen
eher unruhig und hektisch vor, da Angelo unerwartet erschienen ist
und eigentlich auch gar nicht anwesend sein sollte (S.24, Z.23: "Was
willst du?). Die beiden reden ziemlich vertraut miteinander, sie
kennen sich scheinbar schon länger. Sie kennen auch beide Odoardo,
da Angelo in der Vergangenheit für ihn gearbeitet hat. Doch dieser
redet ziemlich abfällig über Odoardo (S.25, Z.19ff: "Da kam ja
der alte Galotti so ganz allein in die Stadt gesprengt. Was will
der?"). Pirro hingegen bleibt im ganzen Dialog relativ neutral
und fasst sich weitgehend kurz.
Außerdem
gibt es auch einige rhetorische Fragen (S.24, Z.28: "Hast du
vergessen?). Da bei diesen Fragen keine konkrete Antwort erwartet
wird, dient sie eher dazu, das Gegenüber zu beeinflussen. In diesem
Fall ist es Angelos Absicht, Pirro zum Reden über die gemeinsame
Straftat zu bringen, was er auch schafft.
In
diesem Gespräch ist es auch unübersehbar, dass Angelo einen sehr
großen Redeanteil hat. Er redet viel über den Überfall (S.25,Z.2f:
"Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu
hinterlassen.") und schweift dann vom Thema ab (S.25,Z.19: "Eins
muss ich noch fragen."). Als Angelo und Pirro dann über Odoardo
sprechen, hat Pirro ausnahmsweise einen größeren Redeanteil, denn
er warnt unter anderem Angelo vor einer Begegnung mit Odoardo
(S.25,Z.30f: "So bald, dass er dich hier trifft, so du noch
lange verziehest."). Als Angelo erneut vom Thema abkommt und
beginnt, über die Hochzeit zu sprechen, übernimmt er wieder die
größere Gesprächsrolle und Pirro gibt ihm nur knappe Antworten
(S.25,Z.33: "Gegen Mittag.").
Durch
diese Aufteilung der Gesprächsanteile wird deutlich, dass Pirros
Charakter eher zurückhaltend, Angelos eher offen und selbstbewusst
zu sein scheint. Angelo traut sich sogar, zu Pirro zu kommen, obwohl
auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt wurde (S.24,Z.20: "Du bist seit
deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret;"). Dadurch wird aber
auch gezeigt, dass er Pirro vertraut und keine Furcht davor hat, dass
Pirro das Kopfgeld haben will. Angelos Charakter lässt sich
besonders als furchtlos beschreiben. Obwohl er bereits verfolgt wird,
plant er den nächsten Überfall und tritt dazu erneut mit Pirro in
Kontakt, um ihn um seine Hilfe zu bitten (S.26,Z.14f: "Und auch
bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger sein?").
Pirro
hingegen wirkt auf den ersten Blick wie das komplette Gegenteil. Er
äußert vor Angelo nicht einmal seine Meinung zu Odoardo, sondern
bleibt in dieser Situation sachlich, während Angelo ausschweift und
über ihn herzieht (S.25,Z.31: "Wenn darum bei ihm nur viel zu
holen wäre!"). Außerdem kommt es so rüber, als würde er es
bereuen, der Komplize von Angelo gewesen zu sein, denn er will zuerst
das Geld nicht annehmen, bis Angelo ihn dazu überredet (S.25,Z.8:
"Ich mag nicht - behalt alles."). Seine Angst davor, dass
irgendjemand von der Straftat erfahren könnte, ist auch unübersehbar
und lässt sich leicht deuten (S.25,Z.1: "Wenn uns jemand
hörte!").
Obwohl
Angelo und Pirro charakterlich sehr unterschiedlich auftreten, haben
sie dennoch ein scheinbar starkes Verhältnis zueinander. Vermutlich
haben sie auch gar keine andere Wahl dazu, da beide das Geheimnis des
jeweils anderen mit sich tragen und sie sich gegenseitig verraten
könnten. Also muss eine gewisse Vertrauensbasis vorhanden sein, denn
sonst wäre Angelo vielleicht schon tot oder beide im Gefängnis.
Beispielsweise verrät Pirro Angelo alle Fakten über die Hochzeit
ohne zu zögern (vgl. S.25, Z.32-35 und S.26,Z.1-7). Außerdem werden
sie irgendwie auch durch Odoardo verbunden, da Angelo für ihn in der
Vergangenheit gearbeitet hat und Pirro es aktuell tut. Ob beide aber
die gleiche Meinung zu ihm haben, lässt sich nur vermuten, denn nur
Angelos Meinung zu Odoardo ist in diesem Dialog erkennbar (S.25,Z.20:
"der alte Galotti"). Zu Odoardo selbst lässt sich nur
vermuten, dass er Angelo eventuell schlecht behandelt hat, als dieser
für ihn gearbeitet hat. Diese Vermutung lässt sich allerdings nicht
bestätigen, da Pirro, der jetzt für Odoardo arbeitet, seine
persönliche Meinung nicht äußert. Dennoch ist eine Spannung
zwischen den Männern spürbar. Es ist wahrscheinlich trotzdem ein
bisschen Misstrauen vorhanden. Das merkt man zum Beispiel am Anfang
des Dialogs, als Angelo nachfragt, ob Pirro nicht das Kopfgeld haben
wolle (vgl. S.24,Z.22). Außerdem ist Pirro unter anderem für Angelo
ein Mittel zum Zweck, da Angelo von ihm viele Informationen über die
Hochzeit wissen will (S.25,Z.32: "Wenn fahren die junge Leute
nach?") oder erneut versucht, ihn zu einer Straftat zu überreden
(S.26,Z.16: "Du reitest vorauf.").
Pirro
müsste Angelo in dieser ganzen Sitiation aber überlegen sein. Denn
er könnte den Verbrecher jederzeit verraten und das Kopfgeld
bekommen. Auch, dass Pirro einen festen Beruf hat und Angelo sich vor
jedem Menschen verstecken muss zeigt, dass Angelo in gewisser Weise
abhängig von Pirro ist. Denn für Pirros Mithilfe an dem Überfall
sind uns keine Beweise bekannt, also könnte Angelo sich bei einem
Verrat nicht einmal rächen.
Angelos
überzeugende Art macht sich auch durch die Regieanweisungen
deutlich. Als er versucht, Pirro das Geld anzudrehen, gibt er vor,
wieder gehen zu wollen (S.25,Z.18f: "Tut, als ob er gehen
wollte, und kehrt wieder um."). Da Pirros Textanteile wiederum
sogut wie keine Regieanweisungen aufzeigen, könnte man meinen, er
würde die ganze Zeit nur dastehen und nichts tun, was auch seinen
zurückhaltenden und ruhigen Charakter unterstreichen würde.
Die
Regieanweisungen im Allgemeinen unterstreichen also den Charakter der
Personen und machen nur noch deutlicher, was bereits über sie
herausgefunden wurde.
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass Angelo und Pirro sehr unterschiedliche
Menschen sind, aber dennoch durch eine gemeinsame Vergangenheit
zusammengeschweißt sind. Pirro hat aus seinem Fehler gelernt, Angelo
macht trotz Verfolgung genauso weiter wie vorher. Unter anderem
verbindet Odoardo die beiden auch miteinander, da sie ihn beide
kennen und für ihn arbeiten beziehungsweise gearbeitet haben.
Was
diese Szene allerdings für das restliche Drama bedeutet, lässt sich
jetzt noch nicht sagen. Wenn Angelo den Überfall auf Emilia Galotti
und Graf Appiani ausübt, könnte er zum Beispiel gefasst werden.
Angelo könnte aber auch erfolgreich sein und Schmuck stehlen oder
jemand weiteren umbringen.
Jedenfalls
war diese Szene sehr interessant zu lesen, da man erkennt, dass auch
Charaktere, die zuerst unwichtig erschienen, eine größere Rolle im
Drama spielen können. Man ist auch gespannt darauf, zu erfahren,
welche Auswirkungen sich später bemerkbar machen. Allgemein lernte
man über Angelo und Pirro in diesem Dialog schon ziemlich viel und
ich würde gerne wissen, ob sie in der weiteren Geschichte noch eine
größere Rolle spielen werden.