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Seminararbeit
Theologie

Universität Göttingen

2, Prof. Müller, 2010

Anna H. ©

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ID# 44626







Synchrone Analyse: Fastensitte als Streitfrage

Abgrenzung und Kontext

Die Perikope Markus 2, 18-22 befindet sich in einer Gruppe von Streitgesprächen. Die Streitgespräche beginnen bei Mk 2,1 und enden bei Mk 3,6 (Schweizer, 1975, S.28). Insgesamt handelt es sich um 5 Streitgespräche. Thema des 1. und 2. Streitgespräches sind die Sündenvergebung sowie der Umgang mit Sündern. Das 3. Streitgespräch behandelt die Fastenfrage und das 4. und 5. Gespräch die Funktion des Sabbats. Die Sammlung der 5 Streitgespräche versucht, den Eindruck von der allmählichen Herausbildung des Konflikts Jesu mit seinen Gegnern zu geben, indem er diesen zuerst in den Herzen entstehen lässt 2, 6-8. Sodann führt der Konflikt zu einer Interpellation der Jünger über Jesu 2,16, dann zu Jesus selber 2,18, bis dann schließlich die feindselige Gesinnung gegen Jesu so stark geworden ist, dass der Befehl gegeben wird, Jesus zu töten 3,6 (Albertz, 1947, S.172). Der sachliche Zusammenhang besteht darin, dass in allen 5 Streitgesprächen Jesu Vollmacht erwiesen wird. Er hat die Vollmacht zur Sündenvergebung, die Vollmacht die Sünder zu rufen und die Vollmacht Fastensitten und Sabbatsatzungen außer Kraft zu setzen. Schweizer sagt hierzu, Jesus hat die Vollmacht über Sünde und Gesetz (Schweizer, 1975, S.28).


Aufbau und Struktur

Formaler Aufbau

Vers 18 Einleitung: Situationsschilderung und Streitfrage

Vers 19a Antwort als Gegenfrage

Schluss des eigentlichen Streitgesprächs

Vers 19b 2. Antwort

Vers 20 Bekräftigung der 2. Antwort

Vers 21+

Vers 22 2 Bildworte


Inhaltlicher Aufbau

1.Teil: Vers 18+19a Fastensitte als Streitfrage und Rechtfertigung des Nichtfastens

durch Jesus

2.Teil: Vers 19+20 Zeitliche Begrenzung des Nichtfastens

3.Teil: Vers 21+22 Unvereinbarkeit zwischen alt und neu



Schlüsselbegriff

Ein sehr wichtiger Schlüsselbegriff ist der des Bräutigam. Es gilt gemeinhin als selbstverständlich, dass in den Bildreden Jesu der Bräutigam die allegorische Bezeichnung für den Messias ist. Es wird übersehen, dass das Bildwort in 19a ein Gleichnis sein will. Würde Jesus sich mit dem Bildwort selbst meinen, wäre das Logion echt, denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Jesus sich vor dem Verhör in der Nacht zu Karfreitag (Mk. 14,62) öffentlich zu seiner Messianität bekannt hat (Kittel, 1957, S.1096). Da dem AT und dem Spätjudentum die Allegorie Bräutigam/Messias unbekannt gewesen ist, auch wenn das AT von der Ehe zwischen dem Volk und Jahwe spricht, kann die allegorische Deutung Bräutigam/Messias auf 19a nicht angewandt werden. Ab 19b wir die Aufhebung des Fastens auf die Erdentage Jesu beschränkt. Das Bild von der Hochzeit wird verlassen. Über den Bräutigam wird gesagt, dass Tage kommen werden, an denen er von den Hochzeitsgästen weggenommen sein wird.

Die hier anklingende Leidensankündigung bezieht Markus dann auf jenen Tag, den Tag der Kreuzigung. Hier liegt eine allegorische Deutung des Bräutigams durch die Gemeinde vor. Sie sah in dem Bildwort vom Bräutigam Jesus als den Messias. Die Zeit des Nichtfastens verstand sie auf die irdische Zeit Jesu begrenzt. Darum führte sie das Fasten wieder ein.


Synoptischer Vergleich

Matthäus sowie Lukas haben Markus als Vorlage benutzt. Beide haben den Text umgestaltet. Matthäus verknüpft die Fastenperikope (Mt 9,14-17) mit der vorhergehenden Berufungsgeschichte durch das Wort „Da“. Lukas leitet seinen Text (Lk. 5,33-39) mit „Sie“ ein. Er versucht einen Bezug zu den Fragenden in Vers 30 herzustellen. Konsequent aber hat Lukas diese Verknüpfung nicht durchgeführt. Die Pharisäer als die Sprecher müssten sagen: „Die Johannesjünger und unsere Jünger fasten häufig und verrichten Gebete.“ Hier nimmt Lukas die Personen in der Frage bei Markus auf. Anders macht es Matthäus: Er lässt die Johannesjünger von ihrer Fastengewohnheit und der der Pharisäer sprechen. Die Fastensitte der Jünger des Johannes und der Pharisäer erweitert Lukas mit der Gebetssitte. Matthäus verändert das Fasten in der Gegenfrage Jesu in das Trauern. Hiermit wird der Sinn des Fastens näher bestimmt. Das Fasten wird als Trauern erklärt. Matthäus und Lukas lassen die Antwort Jesu (Mk. 2,19b) aus. Die Gegenfrage Jesu wird bei Matthäus schon zeitlich begrenzt, durch „solange“. Die zeitliche Bestimmung, bei Markus auf einen Tag, festgelegt, wird bei Matthäus und Lukas allgemein gehalten und nicht auf einen bestimmten Tag festgelegt. In Vers 36 fügt Lukas als Erläuterung der Form der beiden Einzelsprüche ein Gleichnis ein. Auch ohne die Ergänzung kann man die Markussprüche 21-22 als Gleichnisse ansehen, die beide die Aussage haben: Das Neue und Alte passen nicht zusammen. Die beiden Einzelsprüche werden bei Matthäus und Lukas geringfügig verändert, der Sinn bleibt aber der Gleiche.

Lukas setzt den beiden Einzelsprüche einen anderen Einzelspruch hinzu (Lk. 5,39). Dieser Spruch rechtfertigt im Gegensatz zu den beiden Sprüchen in V.36 und 37 allein das alte und lobt es sogar.

Als bemerkenswerte Ergebnisse des synoptischen Vergleichs müssen zum Schluss festgehalten werden:

  1. das Wegfallen der Situationsangabe von Markus 18a bei Lukas und Matthäus

  2. die Verschiebung von „an jenem Tag“ bei Markus auf „dann werden sie fasten“ bei Matthäus und „werden sie fasten an jenen Tagen“ bei Lukas.


Aussageintention

Die Aussage des Textes innerhalb der Theologie des Verfassers und im Ganzen der Schrift

Das Markusevangelium ist von einer starken Spannung durchzogen. In seiner Darstellung werden zwei kontrastierende Bilder von Jesus miteinander verbunden. Zunächst erscheint Jesus als der mit göttlicher Vollmacht ausgestattete Gottessohn. In drei Szenen fixiert Markus den Rahmen dieses Bildes. Sie kreisen um den Titel Gottessohn: Bei der Taufe wird Jesus in die Würde des Gottessohnes eingesetzt; in der Verklärung enthüllt er das Geheimnis seines Wesens, und unter dem Kreuz schließlich erkennt der römische Hauptmann wer er wirklich ist. Das Bild wird im ersten Teil des Evangeliums durch Wundergeschichten ausgefüllt. Für Markus sind diese Wunder Vollmachtserweise des endzeitlichen Heilsbringers, also Heilszeichen.

Andererseits stellt Markus den Weg Jesu als Leides- und Todesweg dar. Schon in Markus 2,20 deutet er mit seinem Zusatz „an jenem Tage“ auf das Kreuz hin.

Die Sammlung von Streitgesprächen von MK. 2,1-3,6 geben einen Eindruck von der allmählichen Herausbildung des Konflikts Jesu mit seinen Gegnern. Die Konfliktszenen in den Streitgesprächen schließen mit dem Satz: “Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.“(3,6)

Markus will Jesus als den machtvollen Heilbringer der Endzeit verkünden, zugleich aber herausstellen, dass er als solcher vom Kreuzesgeschehen her begriffen werden will. Erst dort wird offenbar, wer Jesus wirklich ist. Der markinische Jesus tut alles, um das Geheimnis seiner Person und Würde zu wahren, weshalb man die genannten Züge und Motive unter dem Begriff des Messiasgeheimnis zusammenfasst (Wrede, 1963, S.66). Jesu Herrlichkeit erschließt sich erst vom Kreuz her und durch das Kreuz hindurch. Der Hauptmann, der unter dem Kreuz steht, der begreift mit einem Mal, das Jesus Gottes Sohn ist. Nur im Glauben an den Gekreuzigten kann die Bedeutung Jesu erfasst werden.

Somit fügt sich die theologische Aussage des Markus in der Perikope 2,18f in die theologische Aussage der gesamten Schrift des Markus ein: Für ihn ist der Gottverlassene, Gekreuzigte und Auferstandene der Schlüssel zum Verständnis der Gottessohnschaft und Messianität Jesu.


Die Aussage des Textes für die Gegenwart

Der Text berichtet von der neuen Situation der Menschen damals, in deren Leben Jesus getreten ist. Dieses neue Situation heißt: Angenommen durch die Gnade Gottes. Dies ist Grund zur Freude, wie Paulus in Philipper 4,4-5 deutlich macht: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!“

Wir brauchen uns nicht mehr um uns selber drehen, müssen nicht mehr schauen, ob wir genug religiöse Leistung vollbringen. Durch die Gnade Gottes sind wir befreit von dem Blick auf uns selbst, zum Blick auf die anderen. Jetzt noch zu schauen, ob ich besser bin, als der andere neben mir, würde bedeuten: Die Anwesenheit Jesu in meinem Leben nicht zu sehen. Alt und neu passen nicht zusammen. Mit dem Neuen meint Jesus die neue eschatologische Wirklichkeit, die sich mit dem Alten nicht verträgt. Die Jüngerschaft Jesu verträgt sich nicht der jüdischen Fastenpraxis.

Fasten der Christen heute darf nicht als religiöse Leistung verstanden werden. Sondern das Fasten ist eine von Gottes Gnade unabhängige Handlung. Fasten heute kann ein Mittel sein, still zu werden, in sich zu gehen und über sich nachzudenken.




Diachrone Beobachtungen: Paradigma in beträchtlicher Reinheit

Formgeschichte

Dibelius sieht Mk. 2,18f. als ein Paradigma in beträchtlicher Reinheit an. Unter dem Paradigma versteht er eine Erzählform, die die ältesten Erzähler bzw. Prediger als Manuskript bei sich getragen haben. Hier konnten sie Material finden, das sie nach eigener Wahl ihrer Verkündigung als Beispiel einfügen konnten (Dibelius, 1971, S.39,40ff.). Die Antwort, was Anstoß für die Predigt aus der Perikope gewesen ist, sieht Dibelius in der Rechtfertigung des Fastens. Darum haben sie die Rechtfertigung des Fastens (V. 19b+20) dem Jesuswort beigefügt (Dibelius, 1971, S.62ff.). Als paradigmatischer Abschluss kommt dann erst Vers 20 in Frage (Dibelius, 1971, S.62ff.). Für das Paradigma spricht nach Dibelius, dass es ursprünglich isoliert war. Dieses trifft bei Markus 2,18f. zu. Eine Verbindung zu der vorhergehenden Perikope ist nicht festzustellen. Nach Dibelius wären dann die Verse 19b und 20 gültig für die Verkündigung der Gemeinde. Es bestände so eine Konkurrenz zwischen der Predigt der Gemeinde und der Rede Jesu.

Mit dieser Problematik setzt sich Bultmann auseinander. Er bezeichnet die gesamte Perikope als ein Apophthegma (Bultmann, 1970, S.17ff.). Das Apophthegma enthält das ursprünglich isolierte Logion und den Rahmen, der von der Gemeinde und Markus gebildet wurde. Das Logion zeigt die Form des eingliedrigen Maschal. Beleg dafür ist für ihn ein indisches Sprichwort: „Wer isst am Divali-Tag (d.h. Freudentag) Mehlsuppe?“ (Bultmann, 1970, S.82,). Dieses indische Sprichwort klingt dem Maschal in Vers 19a sehr ähnlich. Es handelt sich bei dem Logion um ein echtes Jesuswort (Bultmann, 1970, S 84f.). Bultmann versteht das Logion als ursprünglich isoliertes Jesuswort, das vielleicht einen anderen Sinn als den jetzigen im Zusammenhang der Markusperikope hatte. Er meint, dass dieses Wort nicht nur das törichte Fastenverhalten oder irgendwelches „Trauern und Bangen“ aussagt, sondern vielleicht auch aussagen wollte, dass es töricht sei, beim Anbruch des Gottesreiches noch irdische Schätze zu sammeln (Bultmann, 1970, S.182ff.). Die Verse 19b und 20 sind nach Bultmann redaktionelle Einarbeitung von Markus (Bultmann, 1970, S18).


Redaktionsgeschichte

Die Schilderung der Situation in Markus 2,18a stammt von Markus (Bultmann, 1970, S.54). Matthäus und Lukas haben die Situationsschilderung weggelassen. Sie haben wahrscheinlich den Unterschied von 18a, die Pharisäer haben Fasttag und 18b, die Jünger der Pharisäer fasten, festgestellt. Es ist anzunehmen, dass Markus 18a als Einleitung der Perikope vorweggestellt hat. Weitere Redaktion ist der Schluss in Vers 20 „an jenem Tag“. Diese Formulierung kann ich nicht als Gemeindebildung ansehen. Nach Did. 8,1 „Euer Fasten seien nicht mit den Heuchlern, denn die Fasten Montag und Donnerstag, ihr aber fastet Mittwoch und Freitag!“ (Apostellehre) müsste gefragt werden, warum wird der Singular benutzt, wo doch an zwei Tagen in der Woche das Fasten üblich war?

Bei Vergleich, aufgrund dieser Wortgruppe, von Matthäus, Lukas und Markus ergibt sich folgendes Bild:

Matthäus gebraucht diesen Ausdruck an drei Stellen (Mt. 7,22; 13,1; 22,23) und versteht „an jenem Tage“ einmal eschatologisch und zweimal als Tageszeitenzählung. Lukas versteht „an jenem Tage“ immer eschatologisch (Lk. 6,23; 10; 12; 17,31). Markus kennt die eschatologische Deutung nicht, da sämtliche Perikopen mit eschatologischer Deutung „jenes Tages“ aus der Quelle Q stammen. Er verwendet nur einmal in Kap. 4,35 „an jenem Tag“ als Tagaufteilung. Nur Kap. 2,20 kennt den Todesbezug dieser Tagesangabe.

Die Auseinandersetzung um das Fasten oder Nichtfasten diente Markus als äußerer Rahmen, seine Theologie zu verkünden: Der Messias erweist sich am Kreuz. Die markinische Grundaussage, die er hier durch den Zusatz „an jenem Tage“ deutlich gemacht wissen will, ist etwa: Der Bräutigam kann als Messias verstanden werden, wenn man in ihm den am Kreuz gestorbenen und auferstanden Jesus sieht.




Literaturverzeichnis

Allgemeine Hilfsmittel

Die Bibel nach der Ãœbersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984, Stuttgart 2006.

Kittel, G. (1979). Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Stuttgart: Kohlhammer.



Kommentare

Gnilka, J. (1978). Das Evangelium nach Markus. In: EKK 2/1. Zürich: Neukirchen.

Pesch, R. (1976). Das Markusevangelium, 1.Teil: Einleitung und Kommentar zu Kap. 1,1-8,26. In: HThK II/1. Freiburg: Herder Verlag.

Schweizer, E. (1989). Das Evangelium nach Markus. In: Das Neue Testament Deutsch. Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht.





Monographien

Albertz, M. (1947). Die Botschaft des Neuen Testaments. Zürich: Evangelischer Verlag.

Bultmann, R. (1970). Die Geschichte der synoptischen Tradition, 8. Auflage. Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht.

Dibelius, M. (1971). Die Formgeschichte des Evangeliums. Tübingen: J. C. B. Mohr.

Iber, G (Hrsg.) (1972). Das Buch der Bücher. Neues Testament. München: R. Piper.

Jeremias, J. (1998). Die Gleichnisse Jesu, 11. Auflage. Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht.

Trilling, W. (1969). Christusverkündigung in den synoptischen Evangelien. München: Kösel.

Wrede, W. (1969). Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht.



Worterklärungen

Maschal: Ein Maschal ist ein Bildwort, das seinen Sinn durch den Zusammenhang erhält (Erich Fascher, Die formgeschichtliche Methode)

vaticinium ex eventu: Weissagung (von etwas) aus dessen Ausgang; erfundene Vorhersage über ein bereits eingetretenes Ereignis (Hubertus Kudla, Lexikon der lateinischen Zitate)




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