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Soziologie des Konflikts - Krysmanski Hans Jürgen

Ansätze der Konfliktsoziologie

Das größte Problem der sog. „Konfliktsoziologie“ besteht darin, dass es keine einheitliche Definition dessen gibt sondern lediglich ein Bestehen von Modellen und Materialien. Lange wurde Gesellschaft nur als ein System von Alltagsroutinen, rechtlichen Parametern, Normen und dergleichen betrachtet, indem gelegentlich „Unfälle“ passierten.

An diesem Punkt setzen moderne soziologische Theorien an: Ein Anstieg an Unfällen, der sich in Krisen, Kriegen und Revolutionen wiederspiegelt, verlangt eine Neubewertung der Gesellschaftstheorien. In diesem Zusammenhang haben sich vor allem seit den 50er Jahren Konflikttheorien stetig weiterentwickelt bzw. neuerfunden.

(Vorläufer der Konflikttheorie: Heraklit, Kaldun, Machiavelli, Hobbes, Hume, Locke, Kant, St. Mill, Hegel und Darwin. Auch Pareto, Simmel, Weber, Freud

In den letzten Jahren: Lewis Coser und Ralf Dahrendorf, auch Becker, Simmel, Tarde, Ward)

1.      Einige Konfliktbegriffe

Um die wichtigsten Konfliktbegriffe zu definieren, ist es notwendig, sich im Vorhinein einen Fragenkatalog zuzulegen, der langsam auf diese Begrifflichkeiten hinarbeitet (bspw.: Welche Konflikttypen gibt es? Welche Prozesse führen zu Konfliktsituationen, Welches Kategorienschema zur Erforschung? Entwicklungsprozesse/-stadien? Auswirkungen? Welche äußeren Faktoren beeinflussen Konflikte? Alternative Formen der Beendigung von Konflikten?

Wichtige Schwerpunkte: Konfliktstruktur, Beziehung von Konfliktgegnern, Subjekt-Objekt-Problematik

1.a) Konfliktgegner und Konfliktstruktur

Konfliktgegner und Konfliktstruktur nach St. Chase (Konfliktebenen)

-         Persönliche Streitigkeiten

-         Familie gegen Familie

-         Fehden

-         Streitigkeiten zw. Gemeinden, Gemeinwesen

-         Streitigkeiten zw. Regionen

-         Arbeiter gegen Manager

-         Polit. Parteien

-         Rassenkonflikte

-         Antisemitismus

-         Relig. Konflikte

-         Ideolog. Streitigkeiten

-         Konflikte zw. Berufen

-         Konkurrenz innerhalb einer Industrie

-         Konkurrenz zw. Versch. Industrien

-         Nationale Rivalitäten

-         Konflikte zw. Versch. Kulturen

-         Kalter Krieg

-         Ost gegen West

LeVine (1961) Ethnosoziologische Vorstellungen:

-         Intrafamiliäre Konflikte

-         Konflikte innerhalb von Gemeinwesen

-         Konflikte zw. Gemeinwesen

-         Interkult. Konflikte

Im Mittelpunkt der Konflikttheorie stehen immer industrialisierte Gesellschaften.

Dahrendorf stellt eine Schematik auf, die sich in Konflikteinheiten und Konfliktstrukturen klassifiziert (Konflikteinheit = Soziale Einheit: Rollen, Gruppen, Sektoren, Gesellschaften, Übergesellschaftliche Verbindungen – Konfliktstruktur = Rang der Beteiligten: Gleicher contra.

Gleichen, Übergeordneter c. Untergeordneter, Ganzes c. Teil) à impliziert allgemeine. Theorie des Zusammenhangs zw. Konfliktgegnern und Konfliktstruktur à Theorien des Rollenkonflikts, der Konkurrenz, des Klassenkampfes, des abweichenden Verhaltens, der Minderheiten und der internationalen.

Beziehungen.

Bsp. Für Schema nach Dahrendorf: Fußballabteilung vs. Leichtathletikabteilung (Soziale Einheit: Gruppe, Rang der Beteiligten: Gleicher gegen Gleichen), Vorstand vs. Mitglieder (Soziale Einheit: Gruppe, Rang der Beteiligten: Übergeordneter contra Untergeordneter), Altbelegschaft vs.

Neuling (Soz. Einheit: Gruppe, Rang der Beteiligten: Ganzes contra Teil) s.S. 11

Konfliktuelles Handlungsnetz: Verbindung zw. Struktureller (objektiver) und auf Akteure bezogener (subjektiver) Dimension

è   Klassifikation von Konfliktarten

K.E. Boulding: ausgehend v. theoretischer Ökonomie

Problem der „Natur“ von Konfliktpartnern (3 Haupttypen: Person, Gruppe, Organisation) – weiters klassifiziert nach: unfreiwilliger (Rasse, Geschlecht etc.) od. freiwilliger Charakter (relig., polit. Gruppen) – sowie der Angehörigkeit zu 2 anderen Haupttypen (1. Erlauben bestimmte Gruppierungen die Zugehörigkeit zu anderen Gruppen? 2. Gibt es ein genau bestimmtes physikalisches Territorium oder vermischen sich mehrere Gruppen am gleichen Ort?) à Unterscheidung folgender Konflikte:

-         Konflikte zw. Personen

-         Grenzkonflikte zw. Gruppen (die räuml. Getrennt sind)

-         Ökolog. Konflikte zw. Gruppen (die den gleichen Raum einnehmen)

-         Homogene Organisationskonflikte (Staaten, Sekten, Gewerkschaften,…)

-         Heterogene Organisationskonflikte (zw. Ungleichen Organisationen: Staat und Kirche,…)

-         Konflikte zw. Einer Person und einer Gruppe

-         Konflikte zw. Person und Organisation

-         Konflikte zw. Einer Gruppe und einer Organisation

J. Galtung (1965) unterscheidet nur noch zw. 2 Konfliktpartnern: individuelle und kollektive Einheit; sowie zw. 2 Typen von Konfliktstrukturen: entweder gehören die Konfliktpartner dem gleichen System oder verschiedenen an. Daraus ergibt sich folgendes Modell, dass sowohl das Binnen-System wie auch das Außen-System miteinbezieht:


Intra-System-Konflikt

Inter-System-Konflikt

Individuelle Ebene

z.B. intrapersonale Konflikte

z.B. interpersonale Konflikte

Kollektive Ebene

z.B. intranationale Konflikte

z.B. internationale Konflikte

Es scheint daher die Tendenz zu geben, dass alle Konfliktparteien als sehr uranfängliche individuelle oder auch kollektive Wesen betrachtet werden, die ihren naturgeschichtlichen Hintergrund nicht loswerden können (Viability Theorie) und prinzipiell mit der Absicht der gegenseitigen Vernichtung in einen Konflikt eintreten.

Die Konfliktstrukturen hingegen agieren streng rational und sollten demnach am Ehesten zu einer „Weltsteuerungswissenschaft“ ausgebaut werden.

Bezugnehmend darauf stellte SENGHAAS fest, dass es drei Unterscheidungen innerhalb von Konflikttheorien gibt. 1. Die Ableitung sozialer Konflikte aus der biologischen Naturgeschichte des Menschen (Ursachen sozialer Konflikte rein biologisch-psychologischer Natur, dadurch wird die Suche nach sozialen Bedingungen verhindert) 2. Der Konfliktbegriff der systemanalytischen Konfliktforschung (Erweiterung des naturgeschichtlichen Konfliktbegriffs um rationale Kontrollmechanismen) 3. Der strategische Konfliktbegriff (soz.

1.b) Mögliche disziplinäre Zugänge zur Konfliktforschung

Jessie Bernard appellierte in den 50er Jahren auf die Notwendigkeit, Konfliktphänomene intensiver zu berücksichtigen. Sie selbst führte Untersuchungen durch und zeigte, dass soziale Konflikte von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen können.

Das Problem hierbei ist, dass die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen ihren Blick sehr verengen und daher schwer allgemein-gültige „Kriterien“ gefunden werden können (s. Graphik S. 16).

Rapoport (1960) entwickelte diesbezüglich ein Modell zur Konfliktdynamik. (Kurze Beschreibung des Modells: Tabelle bestehend aus 4 Zeilen und 3 Spalten, in den Spalten sind die Begriffe „Kämpfe“, „Spiele“ und „Debatten“ aufgelistet, in den Zeilen befinden sich mit jeder Stufe steigend die einzelnen Prozesse eines Konflikts von „Beginn des Streits“ bis zu „Form der Interaktion“).

1.c) Die Diskussion um Enge oder Weite des Konfliktbegriffs

Mack und Snyder hatten einen sehr engen Konfliktbegriff mit deutlich marxistischen Zügen. Ihre Ausführungen führten zu einem Streit, ob nur die tatsächlichen beobachten Ausbrüche von Konflikten soziologisch erfasst werden sollen oder auch eine Analyse unter Berücksichtigung latenter Ursachen erfolgen sollte.

Fink schlägt diesbezüglich vor, unter einem sozialen Konflikt „jede soziale Situation/Prozess zu verstehen, indem zwei oder mehr soziale Einheiten wenigstens durch eine Form antagonistischer psychologischer Beziehung verbunden sind…“ [Anm.: Antagonismus: Widerspruch, Gegensatz]

1.d.) Subjekt und Objekt

Tolstoi insistiert darauf, dass beispielsweise Krieg einen naturhaften, objektiven Ausbruch aufgrund historischer Kräfte darstellt und nichts mit Strategien zu tun hat à dynamische/kataklysmische Konflikttheorie. Clausewitz hingegen bezeichnete Krieg als einen bewussten politischen Akt zur Erreichung bestimmter Ziele.

(Für Rapaport können Konfliktforschung/-theorie nur im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung von Kapitalismus und Sozialismus betrachtet werden)

2.      Konflikthandeln

Annahme: Jeder Laie weiß mehr über Konflikte, als er glaubt.

Dazu betrachtet man das Modell von Elizabeth Converse, die von der Annahme ausgeht, dass ein Konflikt von 2 Seiten betrachtet werden kann. Jede dieser Seiten/Teile will die andere kontrollieren à der Handelnde will die Situation kontrollieren.

è   Soziales Leben besteht zu großem Teil aus Kontrolle (schwierig ist hierbei das Zusammenspiel von Passivität und Aktivität: Wer ist der Kontrollierte? Wer Kontrolliert?)

Aber: im sozialen Konflikt gibt es keine Subjekt-Objekt-Situation sondern 2 Subjekte, die einander gegenüber stehen. à INTERSUBJEKTIVITÄT (Personen in Konfliktsituationen schätzen die Vorgänge auch unter Berücksichtigung des Bewusstseins der Gegner ein) durch diese Intersubjektivität wird aus Subjekten historische Subjekte (Subj.

Mit Erfahrung). Die anderen objektiven Elemente (bspw. Gesellschaft) in einer Konfliktsituation befinden sich dann in einer ähnlichen Beziehung wie die Subjekte, man nennt dies INTEROBJEKTIVITÄT. Fazit: Grundbaustein eines soz. Konfliktes ist nicht die Subjekt-Objekt-Beziehung (Kontroll-Paradigma) sondern die Beziehung zwischen historischem Subjekt und historischem Objekt.

In diesem Zusammenhang zwei Begriffe sehr wichtig: Leistung und Problem

Subjektive Leistungsfähigkeit erhält oft die Möglichkeit zur Selbstbestimmung gegenüber gesellschaftlicher Objektivität, was zu Problemen führen kann. Der Mensch muss Probleme lösen, um mit Geschichte überleben zu können à Problemlösungsaktivität.

Konflikthandeln: Form der Interaktion, „in der Handelnde sich über ihre Problemlösungsaktivität begegnen und sich sozusagen für die Aktivität des anderen deshalb brennend interessieren, weil sie der eigenen ähnelt, aber nicht gleicht“ (S. 26). Wenn es komplett gleich wäre, hätte man es mit dem Phänomen der Kooperation zu tun.

3.      Herrschaftskonflikte: Adäquanz und Äquivalenz

1.      Reproduktionsleistungen (Fähigkeiten zu Überleben, Status quo),

2.      Kombinationsleistungen (bspw. Bedürfnissystem, menschliche Arbeit)

3.      Kommunikationsleistungen (Interaktion von Zeichen, Symbolen)

4.      Kontrollleistungen (Fähigkeit, Bewegungen des gesellschaftlichen Bewusstseins zu stabilisieren)

5.      Reflexionsleistungen (innere, geistige Abbildung kombinatorischer Prozesse)

6.      Produktionsleistungen (Fähigkeiten zur Änderung des Status Quo)

1.      Überlebensprobleme

2.      Bedürfnis- und Interessenswidersprüche (egoistische Interessen im Widerspruch mit gesellschaftlicher Ordnungsfunktion)

3.      Kommunikationsprobleme

4.      Systemspannungen (bestimmte Probleme der Leistungssteigerung nicht gelöst)

6.      Produktionsprobleme (Schwierigkeiten einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung)

Durch diese 6 Leistungs- bzw. Problemklassen kann man ein einfaches System zur Problemlösungsaktivität kreieren. Dieses beruht beispielsweise darauf, dass zuerst Überlebensprobleme gelöst werden müssen, dann erst Interessensprobleme etc…) Dieses System vernachlässigt jedoch einen Punkt: Den Intensitätsgrad von Problemlösungsaktivitäten.

Dies kann anhand eines Beispieles erklärt werden: Eine Gruppe möchte ihr Überlebensproblem lösen, dies geht über drei Möglichkeiten: adäquat (Arbeit finden), Askese (nach Innen gerichtet, Aggression gegen sich selbst), Aggression (nach Außen gerichtet).

Es gibt auch Leistungskonflikte und Problemkonflikte. Leistungskonflikte entstehen, wenn die Handelnden ein gleiches Problem mit unterschiedlichen Leistungen angehen. Ein Problemkonflikt tritt dann auf, wenn es eine Differenz in den Problemen bei gleicher Leistung gibt (à Konkurrenz).


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