-Spaßfiguren: Hanswurst, Bernardon, Kasperl, Leopoldl, Taddädl u.a.
Joseph Anton Stranitzky (1676-1726)
steirischer Marionettenspieler, Wanderschauspieler und Zahnarzt
1712 Pächter des Theaters nächst dem Kärntnertor
Türckisch-bestraffter Hochmuth (um 1715, Stranitzky Autor?)
-‚Staatsaktion‘: patriotischer Hintergrund mit zeithistorischen Personen
-handlungsmotivierte Integration des Hanswursts
Wiener ‚Hanswurststreit‘
-aufklärerische Forderung nach ‚regelmäßigem‘ Schauspiel (→ Gottsched)
-a-literarische, undidaktische Theaterformen in Österreich stärker verankert:
Institutionalisierung, soziologische und konfessionelle Unterschiede, Ordenstheatererfahrung, Verbindung mit Musik, Förderer in höchsten Kreisen
-1752 ‚Norma-Edikt‘ Maria Theresias: Zugriff des Staats, Extemporierverbot, Internationalität
-richtet sich v.a. gegen Joseph Felix von Kurz’ aktionistisches Stegreiftheater (mit Bernardon)
-Joseph von Sonnenfels plädiert u.a. in Briefen über die Wienerische Schaubühne
für ‚Nationalbühne‘, Staat soll durch Zensursystem Produktion steuern
→ Domestizierung der Spaßfigur, z.B. ‚infantilisierende‘ Variante Kasperl
-1776 Ende des Hoftheaterprivilegs, ‚Spektakelfreiheit‘ mit Theatergründungen
-1791 Uraufführung der Zauberflöte (Emanuel Schikaneder/Mozart)
REGELMÄßIGES DRAMA
Cornelius von Ayrenhoff (1733-1819):
Offizier der k.k. Armee
Kritiker der ‚Shakespearomanie‘ und Sturm und Drang-Ästhetik
Der Postzug oder die noblen Passionen (1769)
Virginia oder das abgeschaffte Decemvirat (1790, vgl. Emilia Galotti)
Johann von Kalchberg (1765-1827)
Grazer Jurist und Historiker, Kurator des Joanneums
Die Ritterempörung (1792, später: Andreas Baumkircher):
-dramatische Fassung der Baumkircherfehde zur Zeit Friedrichs III.
-einst vielgespielte Tragödie
-Anklänge an Sturm-und-Drang und Ritterstücke
PROSA
1781 breitere literarische Öffentlichkeit durch ‚erweiterte Pressefreiheit‘ unter Joseph II.:
freiere Zensurbestimmungen (1784 Verschärfung, Ende 1795):
-Ausnahmen (Pornographica, atheistische Schriften etc.)
-europaweit positives Echo
-etwa 1700 Flugschriften in einem Jahr → ‚Broschürenflut‘
-Beamtenschaft Hauptträger der Literatur ab
-Vorliebe für satirische, parodistische, travestierende Formen
Joseph Richter (1749-1813)
meistgelesener österr. Autor seiner Zeit, Großmeister der Satire
Entwicklung vom Aufklärer zum Systemhelfer
Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran (1785-1821)
-Beginn als Briefromanbroschüre (10 H.):
naiver Blick des Fremdlings legt Schwächen der Gesellschaft bloß
-ab 1792 Periodikum, feuilletonähnliche Kommentierung des Alltags
-am Wienerischen orientierter, aber leicht verständlicher Kunstdialekt
Wienerische Musterkarte (1785)
-satirischer, sozialkritischer ‚Typenkatalog‘
-stark dialogisch inszeniert, teils dialektal zur Charakterisierung
-verkürzte 2. Ausgabe
Johann Pezzl (1756-1823)
Wahlwiener aus Niederbayern, Freimaurer
Faustin oder das philosophische Jahrhundert (1783)
-wirkungsmächtigster Roman der Aufklärung in Österreich nach dem Modell des Candide
-Abrechnung mit Missständen und antiaufklärerischen Kräften v.a. in katholischer Kirche
-positiver Ausblick durch Joseph II. (‚Philosophie auf dem Thron‘)
böhmischer Journalist und Bühnenautor
Der blaue Esel (1786)
-satirischer Roman mit Elementen der Tierfabel (Apuleius’ Goldener Esel)
-Esel als systemexterne Stimme der Vernunft (‚edler Wilder‘)
-experimentelles Spiel mit Erzählhaltungen und Fiktionsebenen
-kritische Reflexion der josephinischen Herrschaft → Ängstlichkeit führt zu autoritärem Verhalten und blockiert Aufklärung
EPOS
Aloys Blumauer (1755-1798)
Ex-Jesuit aus Steyr, Freimaurer, Beamter, Buchhändler
1780 Trauerspiel Erwine von Steinheim, Stelle an Hofbibliothek
Virgils Aeneis travestirt (1784/88, 3 Bde., Fragment)
-erfolgreichstes literarisches Werk der österr. Aufklärung
-Heroismus ironisiert durch Vulgarisierung und Trivialisierung (Form, Inhalt), Stilbrüche, Anachronismen, parodierende Kommentierung
-Überblendung der mythischen Vorwelt mit aktuellem politisch-kulturellen Kontext:
scharfe Angriffe gegen Papst und Kirche, Aufklärung durch (Ver-)Lachen
Joseph Franz Ratschky (1757-1810)
Philosophiestudium, Staatsdienst, Freimaurer, Hg. Wienerischer Musenalmanach
-literarische Satire (vgl. Popes ‚mock-heroic-poems) im Knittel
-Inhalt: Striegels Versuch, Schöpsenheim nach französischem Vorbild umzugestalten
-doppelte Stoßrichtung der politischen Satire:
- Engstirnigkeit jakobinischer Ideen, Fortschrittsschwärmerei, despotische Demokratie
- Autoritätshörigkeit und Repression
LYRIK
Michael Denis (1729-1800)
Ex-Jesuit, Kustos der Hofbibliothek, Korrespondenz u.a. mit Klopstock
1767 Nachdichtungen des Ossian, 1772 Lieder Sined des Barden
Lorenz Leopold Haschka (1749-1827) Ex-Jesuit, radikal-demokratischer Pamphletist, später reaktionärer Staatsdichter:
Gott erhalte Franz, den Kaiser (1797, Vertonung durch Joseph Haydn)
Johann Baptist Alxinger (1755-1797)
Jesuitenausbildung, befreundet mit Blumauer, Haschka, Wieland, Nicolai
Sämmtliche poetische Schriften (1784): Orientierung an norddt. Ästhetik
Franz Hebenstreit (1747-1795)
Offizier, Sozialutopist, Jakobiner und „Kommunist“
Eipeldauerlied (1793)
-dialektales radikales Spott- und Drohgedicht mit Aufruf zum Umsturz
-1794 Verhaftung von etwa 40 Wiener Demokraten, Exekution Hebenstreits
-Dialekt für Zielgruppenansprache, Gemeinschaftsgefühl, Authentizitätssignal
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
POLIT- UND SOZIALHISTORISCHER KONTEXT
Napoleons Eroberung Europas → Rheinbund, Ende des Heiligen Römischen Reichs
Umbau altständischer Feudalsysteme zu neuen Staatsmodellen (→ Code civil)
patriotische Bewegungen: nationaldeutsche Besinnung, kulturelles Selbstbewusstsein
1813 Völkerschlacht von Leipzig → Neuordnung der Macht auf Wiener Kongress
fünf europäische Großmächte: Frankreich, England, Russland, Preußen, Österreich
Restauration: Deutscher Bund, Heilige Allianz
1819 Karlsbader Beschlüsse: antidemokratische Initiativen gegen national-liberale, republikanische Tendenzen, Überwachung, Zensur
sozialökonomische Umwälzungen: Bevölkerungsanstieg, Industrialisierung, Landflucht, Preisdumping, Verelendung (Pauperismus), Alkoholismus, Auswanderungswellen
1830 Juli-Revolution
-‚Juliordonnanzen‘→ Aufstand, Abdankung Karls X.,
Installation des ‚Bürgerkönigs‘ Louis Philippe
-Beseitigung aristokratischer Vormacht, antirepublikanische
-Vorbildwirkung in Polen, Belgien, Deutschland etc.,
Erstarken des Liberalismus, Aufstände (Weber-Aufstand)
1848 März-Revolution:
-Aufstände ausgehend von Italien und Frankreich → liberale ‚Märzregierungen‘ und Wahlen
-Nationalversammlung in Frankfurt (Paulskirche): Ministerpräsident für einheitlichen dt. Staat, republikanisch vs. (konstitutionelle) Monarchie, kleindeutsche vs. großdeutsche Lösung
-Flucht des österreichischen Kaisers nach Olmütz
-1849 Verabschiedung einer Verfassung (kaum ratifiziert), Niederschlagung der Revolution
durch österreichische und preußische Truppen → Restaurationspolitik E. Delacroix: La Liberté guidant le peuple (1830)
1848 politikgeschichtlicher Einschnitt mit folgender Restaurationspolitik und offenen Fragen:
Stellung des Bürgertums in bürgerlich-liberal geprägter (Bildung, Wirtschaft, Medien),
aber aristokratisch dominierter Gesellschaft (Politik, Armee, Staatsdienst)
soziale Bedingungen für breite Masse bei Industrialisierung und Kapitalismus
Einheit und Nationalstaatlichkeit (großdeutsche/kleindeutsche Lösung, Reichsgründung)
1871 Gründung des Deutschen Kaiserreichs (‚Kleindeutschland‘)
-Wirtschaftsboom (Gründerzeit) und Börsenkrach 1873
-Entwicklung der Naturwissenschaften → tiefgreifende soziale Veränderungen
Positivismus, Marxismus, Evolutionstheorie, Milieutheorie, Vererbungslehre
-Säkularisierungsprozess
-Hochschätzung der Geisteswissenschaften (Identitätssicherung, Orientierung, Kulturnation)
MEDIENGESCHICHTLICHE VERÄNDERUNGEN
Verbürgerlichung der Literatur
-beschleunigte Herstellung von Druckerzeugnissen
-billige Massenauflagen, gesteigertes Literaturangebot
-neue Bilddrucktechniken: Lithographie
-modernes Verlagswesen durch Konditionshandel → höhere Honorare
-Vorformen des Urheberrechts → Literatur als geistiges Kapital:
Berufsschriftsteller, Erzeugnisse für Publikumsgeschmack, Rezensentennetzwerke
-bürgerliche Themen und Protagonisten für bürgerliches Publikum
-breite Bevölkerungsschichten als Lesepublikum durch Ausbau des Bildungswesens
-1867 Neuordnung des Urheberrechts: kostengünstige Klassikerausgaben (Cotta, Meyer, Reclam)
Zeitschrift (statt Buch) neues Leitmedium:
-Familienblätter (Gartenlaube, Daheim, Über Land und Meer, Westermanns Monatshefte):
propagieren (indirekt) politische und moralische Wertvorstellungen des liberalen Bürgertums
hohe Auflagezahlen (Gartenlaube 1875: 382.000), Reichweite, bürgerliches Massenpublikum
textuelle ‚Volkshochschule‘: Information, Unterhaltung, Reportagen
-Erstveröffentlichungen: Zeitschriftenhonorare als Existenzgrundlage
→ Publikumsgeschmack, Absatzmöglichkeit, Werbewirksamkeit
-Neue Bild-Text-Formen durch technische Neuerungen (Holzschnitt, Fotographien)
-satirische und humoristische Zeitschriften (Fliegende Blätter, Kladderadatsch)
Ästhetisierung der Lebenswelt
-Abnahme der Exklusivität von Kunst und künstlerischen Lebensformen
-Literatur als Bildungsgut und Signum des Bürgertums
-Prestigegewinn für AutorInnen und Lesepublikum
-Buchhandlungen, Leihbibliotheken, Kolportagehandel
Theaterbauten, Vereine, literarische Salons als Alltagskultur
-stärkere Anerkennung von Frauen in Literaturbetrieb
-Vielschreiber und Vielleser
EPOCHENBEGRIFFE UND POETOLOGISCHE KONZEPTE
ROMANTIK
-Romantik als Lebenskunst → Vereinigung aller künstlerischen Gattungen, wissenschaftlichen Tendenzen, politisch-sozialen Strömungen
-Kritik am Rationalismus, Ablehnung der Naturnachahmung, Hinwendung zum Mittelalter
-Leitkategorien Phantasie, Unmittelbarkeit, Freiheit der Einbildungskraft
-neue Ausdrucksformen: Fragment, kritische Essayistik, Kunstmärchen
-dreistufiges Modell: Einheit Mensch-Natur, Verlust, Wiedergewinnung
Poesie Anstrengung, ‚Ganzheit‘ des Menschen wiederzuerlangen
‚Ganzheitsverweise‘: Gott, Freundschaft, Natur, Liebe, Tod, Kunst etc.
System des Idealismus als philosophischer Überbau:
Reaktion auf Kants erkenntnistheoretische Trennung von ‚Ding an sich‘ und Subjekt
Johann Gottlieb Fichte:
-Wissenschaftslehre → Ich schafft Nicht-Ich (Außenwelt) in unbewusstem Akt
Friedrich Wilhelm Schelling:
-Identitätsphilosophie → Natur als Seinsgrund beseelter Zustand
zwei Sphären der Naturkraft: objektive Wirklichkeit und subjektive ‚Welt im Kopf‘
-Romantik als ‚ästhetische Revolution‘ und universale Lebenskunst
-mit Bruder August Wilhelm Schlegel Hg. der Zeitschrift Athenäum
-Lucinde (1799): provokativer ‚universaler‘ Roman zur freien Partnerwahl
BIEDERMEIER
-L. Eichrodt/A. Kussmaul: Gedichte des schwäbischen Schulmeisters Gottlieb Biedermaier (1855): satirische Bloßstellung der apolitischen Haltung des dt. Kleinbürgers
-Restaurationskunst (Bildende Kunst, Musik, Literatur, Mode …)
-(resignativer) Rückzug ins Private als Reaktion auf Repressionspolitik
nach Wiener Kongress
-konservative Grundhaltung, Beharren auf Objektivierbarkeit
-Interesse für Alltagswelt der ‚kleinen Leute‘
-Detailgenauigkeit, oft idyllisierender Blick
-Vorliebe für kleine Erzählformen (z.B. Dorfgeschichte)
-Positivierung um 1900 (kunsthandwerklicher Impuls)
VORMÄRZ
-Gegensatz zu restaurativ-konservativen Biedermeier
-Epoche vor der Märzrevolution 1848, Beginn 1815/1830/1840
-Politisierungsprozess: initiiert durch ‚Junges Deutschland‘,
radikalisiert durch Junghegelianer
-oppositionelles, liberal- bzw. radikal-demokratisches Schrifttum
-vorwiegend Exilautoren (z.B. Heine, Büchner, Börne)
-sozialkritische Publizistik
-Lyrik als wichtigstes Mittel der Agitation
REALISMUS
Selbstverständnis als nach-revolutionäre Zeit (Restaurationsphase)
Anschluss an europäische (engl., franz., russ.) Literaturen, aber eigene Entwicklung
programmatische Diskussionen ab Jahrhundertmitte:
-Friedrich Theodor Vischer: ‚Ideal-Realismus‘ als subjektive Gestaltung des Naturschönen
-Die Grenzboten, liberale Zeitschrift, hg. von Julian Schmidt und Gustav Freytag:
nationale, patriotisch-bürgerliche Literaturvorstellung (gg. Klassik, gg. Jungdeutschland), versöhnlicher Abgleich von mangelhafter Wirklichkeit und Idealen
-Otto Ludwig: ‚poetischer Realismus‘: Kunst müsse Erfahrungswirklichkeit verklären bzw. zugrundeliegende Gesetzmäßigkeiten herausarbeiten, Hässliches teleologisch überhöhen
-Theodor Fontane: „zwischen dem erlebten und erdichteten Leben kein Unterschied […] als der jener Intensität, Klarheit, Übersichtlichkeit und Abrundung und infolge davon jener Gefühlsintensität, die die verklärende Aufgabe der Kunst ist“