→ keine christlichen Motive, Selbstmord wegen Wertekonflikts (Kompromiss oder Freiheitsideal)
-Cato doppeltes Exempel: ‚constantia‘ → Bewunderung / übertriebener Starrsinn → Belehrung
-Problemfelder: Fehler Konsequenz der Beständigkeit
Cäsar sympathisch(er) : rational und empfindsam → bürgerliche Tugenden
Johann Elias Schlegel: Canut (1746)
-inszeniert Wertkonflikt zwischen Machtambitionen und Loyalität
-Personen‘konflikt‘ zwischen Ulfo (Schwager des Dänenkönigs, strebt kompromisslos nach Macht) und Canut (integrer Herrscher, garantiert Stabilität, altruistisch und mitfühlend)
-Modifikation des klassischen Heldentyps, Titelheld ohne tragische Tiefe (keine ‚Hamartia‘),
Canut altes Heldenideal (Brutalität, List, Gewalt), Bösewicht oder revoltierender ‚Selbsthelfer‘?
BÜRGERLICHES TRAUERSPIEL
-dramatische Form zur Darstellung standesspezifischer Problemfelder
-Vorbilder: Lillos The London Merchant (1731), ‚genre sérieux‘ (Diderot)
-Elemente: - Handlung in Mittelschicht (gegen Ständeklausel)
- poetische Erfindung (keine mythologisch-historischen Quellen)
- Prosa, unprätentiöse Sprache
-Ausdruck bürgerlicher Gefühlskultur:
Anteilnahme durch Identifikation, nicht Bewunderung, schichtenübergreifende Humanität als Ideal,
Mitleidspoetik (Lessing):
1. dt. bürgerliches Trauerspiel: Lessings Miß Sarah Sampson (1755)
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti (1772)
-Virginia-Motiv (Livius)
-Prinz Gonzaga will Emilias Hochzeit mit Appiani verhindern, Marinelli inszeniert Überfall und lässt Emilia entführen, Odoardo wird von Orsina informiert, von Emilia zum Mord ermutigt
-doppelter Konflikt:
- bürgerliche Moralvorstellungen vs. adelige Verderbtheit (vgl. auch Schillers Kabale und Liebe)
- Tugendrigorismus vs. Sinnlichkeit
→ Problem: in Unmündigkeit ausartende bürgerliche Sittlichkeit
moralische Integrität wichtiger als Umsturz
STURM UND DRANG
-Tragödie bevorzugte Gattung der Geniezeit: offene Form mit Episodenreihung, kurzen Szenen, Ortswechseln und Zeitsprüngen (→ Shakespeare-Rezeption)
-Themen: Dilemma zwischen Freiheitsanspruch und gesellschaftlichen Zwängen, Zerrissenheit zwischen Gefühl und Verstand, Standeskonflikt
-historischer Stoff: Ritter Götz unterstützt Bauern, unterliegt aber in seinem Autonomiestreben und stirbt in Gefangenschaft
-Handlung gedehnt, Orte im gesamten Reich, Parallelhandlung um Weislingen
-in Götz’ Freiheitsstreben Identifikationsangebot für bürgerliches Publikum
Friedrich Schiller: Die Räuber (1781)
-als Lesedrama konzipiertes Debütstück: Familiendrama, Räuberstück und Rührstück
-Karl, durch Intrige seines Bruders Franz enterbt, wird aus idealistischen Gründen Räuber, rächt sich an Bruder, der Amalie nachstellt, bricht Vater das Herz und ersticht Amalie
-Bühnenerfolg durch emotionale Sprache, pathetische Szenefolge
KLASSIK
-Abwendung vom Genieparadigma, thematische und formale Hinwendung zur klassischen Antike
-Bändigung der Gefühlskults, Ideal einer harmonischen Persönlichkeit → Menschlichkeit
Johann Wolfgang Goethe: Iphigenie auf Tauris (1779/1787)
-programmatisches Werk der Klassik, Vorlage Euripides
-Iphigenie ideale Priesterin der Humanität, die sich Thoas gegenüber für Wahrhaftigkeit entscheidet, um Orest und Pylades zu retten, vertraut im Dilemma Pflicht vs. Menschenliebe innerer Stimme
Schiller: Don Karlos (1787)
-an klassizistischer Poetik orientiert, aber Modifikationen bei Ort und Zeit (5 Tage)
-geschlossene Handlungsstruktur (Pyramidenschema), komplexe Intrige
-komplexe Charaktere: Don Karlos (jugendliche Empfindsamkeit vs. politische Ambitionen) König Philipp (kaltherziger Despot / Opfer absolutistischer Konventionen), Marquis Posa (altruistisches Engagement für Freiheit mit fragwürdigen Mitteln)
PROSA / EPIK
-ab 1700 Verfall zentraler barocker Gattungen:
Schäferdichtung, heroisches Epos, Lob- und Gedächtnisrede, Erbauungsprosa, Predigt etc.
-Ausdifferenzierung der Prosagattungen mit Auswirkungen bis in die Moderne Fabel, Idylle, Prosasatire, Roman (paradigmatische Erzählform des 18. Jh.)
-Modifikationen bestehender Formen:
moralisch-didaktische Erzählung → Fabel
Ekloge → (sozialkritische) Idylle
exemplarisches Modell der Lebensführung → autobiographische Formen
-neue Strategien des Erzählens → Auflösung normativer gattungspoetischer Systeme
FABEL
wirkungspoetische Beliebtheit bis etwa 1770
Kennzeichen: Spannungsbogen mit Pointe für allgemeingültige Moral,
antithetische Handlungsführung, Einhaltung der Einheiten
Charaktere: Personifizierungen (Tiere, Pflanzen, Mischwesen etc.) mit typisch menschlichen Eigenschaften und Handlungen → Tiertypologie (Lampe, Reineke, Isegrimm, Petz, Adebar etc.)
Aufbau: moralische Sentenz – Ausgangssituation – Handlung – Reaktion des Betroffenen/Gegenhandlung – Ausgang
Fabelsammlungen:
Daniel Wilhelm Triller: Neue Aesopische und moralische Fabeln (1740)
Gellert: Fabel und Erzählungen (1748): zweigliedrige Varianten mit Auslegung
Lessing: Fabeln (1759): Prosa, pointierte Schemabrüche
IDYLLE
-wie Fabel Orientierung an antikem Vorbild: Theokrit, Vergil
-Landlebendichtung: Phantasiebild unentfremdeten Lebens
später stärkere sozialkritische Züge
Salomon Gessner (1730-1788): Idyllen (1756/1760)
-Schweizer Dichter, Maler, Gründer der Zürcher Zeitung
-im arkadischen Stil der barocken franz. Hofpoesie
Johann Heinrich Voß (1751-1826): Die Leibeigenschaft (1775)
-meisterhafte Hexameter
-Kritik an vorrevolutionären sozialen Bedingungen
EPOS
Johann Wolfgang Goethe: Reineke Fuchs (1794)
-Hexameterepos in 12 Gesängen
-Tierfabel Handlungsgerüst für Satire auf höfisches Leben
-amoralische List als Selbsthilfe gegen Amoralität der Macht,
Scheinheiligkeit des Klerus, feudalrechtliche Strukturen
PROSASATIRE
Personalsatire
-Thema: individuelle Gegner, Polemik mit persönlichen Invektiven, Ziel: Vernichtung des Gegners
-Christian Ludwig Liscow: lit. Feldzug gegen Hallenser Rhetorikprofessor J. E. Philippi (1732-37)
allgemeine Satire
-Thema: Berufsstände, menschliche Torheiten, Modeerscheinungen, Ziel: moralische Unterweisung
-Gottlieb Wilhelm Rabener: Sammlung satyrischer Schriften (1751-55)
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799):
Mathematiker und Experimentalphysiker, Pionier des dt. Aphorismus
Gedankensplittersammlung in ‚Sudelbüchern‘ → Erkenntnis sprachbedingt
Timorus (1773):
-Anlass: Versuche Joh. Caspar Lavaters, Moses Mendelssohn zu bekehren
-‚Proselyten-Rechtfertigung‘ des fingierten Theologen Conrad Photorin
antiaufklärerischer, vorurteilsverhafteter Spekulation → Pathognomik
ROMAN
-normpoetische Missachtung aufgrund ungeregelter Form, alltagssprachlicher Gestaltung, Länge, sittlicher Zweifelhaftigkeit, Fiktionalität (Gottsched)
-Mitte des 18. Jahrhunderts gattungspoetische Neubestimmung
-Aufwertung durch Christian Friedrich von Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774):
-Orientierung an internationalen Beispielen (Tristram Shandy, Tom Jones, Julie)
-Roman Medium allgemeinmenschlicher Themen ohne ständische Fixierung
-Vergleich mit dramatischen Arbeiten (u.a. Shakespeares und Lessings)
-modellhafter Lebensweg einer fiktiven Gestalt
-Formen:
Robinsonade, aufgeklärter Staatsroman, empfindsamer Familienroman, satirischer Roman, Bildungs- und Entwicklungsroman, autobiographischer Roman, psychologischer Roman
Robinsonade
Romantradition aus England (Defoe: Robinson Crusoe, 1719)
utopische Dimension, intellektuelles Spiel mit Möglichkeiten
bis 1750 bereits 45 dt. Robinsonaden
Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg (1731-1743)
Vorrede der Herausgeberfiktion
Rahmenhandlung mit Erzählerfigur Eberhard Julius
-paradiesisches Inselmodell vs. europäische Verhältnisse
-Gesellschaftsutopie: Gemeinschaft über Toleranz,
Tugendlehre, moralisches Leben, fehlendes Besitzdenken
Empfindsamer Familienroman
Vorbilder u.a. Richardsons Pamela, or Virtue Rewarded (1740), rührende Sujets im Kontext von Familien- und Privatschicksalen, Konzentration auf Innenwelt der Protagonisten
Moralvorstellungen: Altruismus, Humanität, Mitleidsvermögen
Marie Sophie von La Roche (1730-1807)
erste unabhängige Berufsschriftstellerin in Deutschland
Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771)
-anonym, von Wieland herausgegeben
-für Frauen des Bildungsbürgertums
-multiperspektivischer Briefroman (mehrere Schreiber/innen): erzählte Welt aus individuellen Einzelperspektiven
-Leben der Sophie von Sternheim als Beispiel der Vervollkommnung → starker (frauen)erzieherischer Impuls: intellektuelle Bildung und häuslicher Nutzen
-Ausbildung eines neuen Weiblichkeitsideals
Satirischer Roman
in Traditionslinie mit Schelmenroman: Realismus der Darstellung, Kritik an Dogmatismus,
Spott über soziale Rollenmuster, ironische Entlarvung von Selbstinszenierungen
Christoph Martin Wieland (1733-1813) Weimarer Dichter, Übersetzer und Herausgeber, Hofrat
1772 Der goldene Spiegel (Staatsroman) → Weimar als Prinzenerzieher
Die Abentheuer des Don Silvio von Rosalva (1764)
-Einflüsse von Cervantes, Sterne und Fielding
-in Traum- und Feenwelt verfangener Schwärmer → Wirklichkeitserkenntnis
-Wendepunkt: Literaturinterpretation des absurden Märchens Prinz Biribinker
-Erzählfigur als Vermittler zwischen Leser und Romangeschehen
Bildungs- und Entwicklungsroman
intellektuell-seelische Entwicklung, Reflexion der Erlebnisse für Persönlichkeitsbildung
negative Erfahrungen als Hilfe zur Selbstorientierung, Entdeckung der Individualität, Eingliederung in Gesellschaft
Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre (1796)
-Entfaltung von Individualität in hemmender/fördernder Umwelt
-musischer Kaufmannssohn, Liebe zu Schauspielerin Marianne
-Theater nicht zur Selbstverwirklichung, sondern -darstellung
-Weg zur Lebenserfahrung durch ‚Turmgesellschaft‘: Notwendigkeit der Selbstbegrenzung und sozialer Tätigkeit
-kein paradigmatischer Bildungsweg → verschiedene Konzepte
Autobiographischer Roman und Autobiographie
aus authentischem Material gestaltete Lebensgeschichte
retrospektiv durch auto- oder homodiegetischen Erzähler (Autor = Erzähler = Protagonist)
→ Grenzziehung zwischen Fiktion und Realität schwer
Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817): Henrich Stillings Jugend (1777)
-Lebensgeschichte des Augenarztes und Wirtschaftswissenschaftlers
-Schilderung der pietistischen Kindheit auf dem Land
Ulrich Bräker (1735-1798): Lebensgeschichte und Ebentheuer des
armen Mannes im Tockenburg (1789)
-Lebensdarstellung eines naiven Autodidakten aus Schweizer Kleinbauern- und Händlerschicht, sukzessive Bildungsaneignung
-einzigartiges Dokument der Alltagskultur aus plebejischer Perspektive
Psychologischer Roman
kritische Seelenanalyse, Darstellung psychischer Krisen und Deformationen
Karl Philipp Moritz (1756-1793)
Musikersohn, Hutmacherlehrling, Autor, Philosoph, Kunsttheoretiker
1783 Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
Anton Reiser (4 Tle., 1785-90)
-(Anti-)Entwicklungsroman mit autobiographischem Material
-psychologisch begründende Darstellung einer Leidensgeschichte
→ pietistisches Selbstbeobachtungsverfahren
Realitätsflucht, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstentfremdung
-Protagonist führt Leiden auf unglückliche Veranlagung zurück, Leser erkennt soziale Ursachen
Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (1774)
-monologischer Briefroman, internationaler Bestseller
-Briefe v.a. an Freund Wilhelm:
einseitige, unkontrolliert subjektive Wirklichkeitsdarstellung
Kommentar der Herausgeberfiktion
-Motive: Liebe zu Charlotte Buff
Suizid Karl Wilhelm Jerusalems
-kathartischer Effekt für Autor
-erstaunliche wirkungsgeschichtliche Konsequenzen:
Werthermode, Wertheriaden, Lieder, Trauerspiele, Diskurse zwischen Gegnern (Aufforderung zum Selbstmord) und Befürwortern, angeblich auch reale Selbstmorde
-Stabilisierung durch Erfolge in Türkenkriegen, Erbfolgekriegen → multinationales Imperium
-Modernisierung des Staatsgebildes in Allianz von Landesfürstin/Kaiser und Kirche:
stehendes Heer, Ausbau der Bürokratie, Etablierung des Merkantilismus, Währungsreform
-ab 1749 Staatsreform nach aufklärerischen Prämissen: Seelenkonskription (1770-1772), Überwachung (Zensur, Polizei), Aufhebung des Jesuitenordens (1773), Schulpflicht (1774), Abschaffung Folter/Leibeigenschaft/Todesstrafe, Beschränkung der Grundherrschaften
-1781/82 Toleranzpatent für Griechisch-Orthodoxe, Protestanten und Juden
-Entwicklung des Bürgertums v.a. über Beamtenschaft
-obrigkeitlich verordnete Aufklärung nicht gegen absolutistischen Staat und Kirche → katholische Aufklärung
DRAMA
WIENER ‚VOLKSTHEATER‘
-Übergang von Wanderbühne zu stehender Bühne, Institutionstheater von internationaler Bedeutung
-‚Hanswurstiaden‘: Mischspiele mit integrierter Komik des Hanswurst figural: Verkörperung der ‚Komik der Heraufsetzung‘ mit inszenierter Kreatürlichkeit funktional: Kontrast- und Komplementärfigur zur Herrschaftsschicht