--- WS 2011/12
Schutz der Minderheitenrechte in Westthrakien
1. Einleitung
Im Folgenden geht es um den Schutz der muslimischen Minderheit in Westthrakien, mit dem Versuch, einen möglichst aktuellen Einblick in die gegenwärtige Situation zu geben. Die Ausführungen sind in insgesamt vier Unterkapitel gegliedert, in denen ausgewählte Spannungsfelder zwischen dem Staat Griechenland und seiner Minderheit thematisiert werden.
Aufgrund des hier limitierten Raumes für dieses Thema können nur einzelne Punkte detailliert behandelt und somit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Die vier Punkte zielen darauf ab, zu klären, wie es um die griechische Minderheitenpolitik bestellt ist und welchen Einfluss dabei Menschenrechtsorganisationen, Petitionen, Europa und nicht zuletzt auch Mitglieder der westthrakischen Minderheit auf das Land mit der ältesten Demokratie der Welt ausüben.
Das erste Unterkapitel soll als Einführung Klarheit darüber schaffen, welchen Personengruppen in Griechenland das Recht auf Minderheitenschutz zusteht. Dabei wende ich mich auch der brisanten Frage zu, ob neben der durch ihre Religionsangehörigkeit definierten Minderheit auch eine ethnische, türkischstämmige Minderheit in Westthrakien existiert.
Zweitens werden die Auswirkungen des im Jahre 1955 eingeführten Artikels 19 des griechischen Staatsbürgerschaftsgesetzes auf die heutige Zeit genauer unter die Lupe genommen.
Bis zur nicht-rückwirkenden Abschaffung im Jahr 1998 kam es infolge dieser Änderung im Staatsbürgerschaftsgesetz zu ca. 60.000 Ausbürgerungen türkischstämmiger Griechen.
Der dritte Punkt legt sein Hauptaugenmerk auf die Problematik der Gerichtsbarkeit durch die Muftis, der offiziellen Erteiler islamischen Rechts, mit deren Hilfe in Westthrakien eine spezielle Form des osmanischen Millet-Systems überleben konnte.
Dabei steht die Frage im Zentrum, wie sich die muslimische Rechtsprechung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen internationalen Abkommen vereinbaren lässt.
Das vierte Unterkapitel beschäftigt sich mit dem Thema Bildung und geht der Frage nach, warum griechischstämmige Staatsbürger einen durchschnittlich deutlich höheren Ausbildungsgrad erreichen als Angehörige der muslimischen Minderheit.
2. Charakteristika der Minderheit in Griechenland
Dieses erste Kapitel hat zum Ziel, die große Diskrepanz zwischen dem Eigenbild der Minderheit in Westthrakien und dem Fremdverständnis Griechenlands genauer unter die Lupe zu nehmen. Im Zentrum steht hierbei die Frage, ob die Minderheit nur aufgrund der muslimischen Religionszugehörigkeit definierbar ist oder, ob darüber hinaus auch eine türkischstämmige Volksgruppe in Westthrakien existiert, welche sich nur mit Hilfe ihrer gemeinsamen nationalen Identität beschreiben lässt.
Um die heutige Situation in Westthrakien besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen, und zwar in das Jahr 1923, in dem kurz nach dem Ende des griechisch-türkischen Krieges von Griechenland, der Türkei sowie weiteren verbündeten Staaten der Vertrag von Lausanne unterzeichnet wurde.
Einen elementaren Aspekt dessen Inhalts stellt dabei die Konvention zum Bevölkerungsaustausch (gem. Art. 142) dar, die zum Ziel hatte, in Griechenland und der Türkei jeweils eine nationale Homogenität herzustellen.
Explizit ausgenommen von dieser zwanghaften „Umsiedlung“ waren lediglich die Muslime in Westthrakien und orthodoxe Griechen in Istanbul. Mit dem Vertrag von Lausanne wurde das Recht auf Schutz der beiden Minderheiten festgehalten. So ergibt es sich, dass heute von offizieller griechischer Seite nur die muslimische Minderheit in Westthrakien offiziell als solche anerkannt wird.
Aus einem Report Griechenlands an das UN Menschenrechtskomitee wird ersichtlich, dass es sich hierbei keineswegs um eine streng homogene Einheit handelt, sondern die Minderheit aus drei unterschiedlichen Gruppen besteht.
„This minority consists of three groups whose members are of Turkish origin (50% of the minority population), Pomaks, a native population that speaks a Slavic dialect and espoused Islam during Ottoman rule (35% of the minority) and Roma (15% of the minority population).”
Griechenland akzeptiert weiters, dass die islamische Religionsangehörigkeit als einziger Parameter für die Definition der westthrakischen Minderheit dient und beruft sich dabei auf die Vereinbarungen des Vertrags von Lausanne, wonach dieser Gruppe verschiedene Rechte zustehen, wie unter anderem ein türkischsprachiger Schulunterricht, muslimische Rechtsprechung und politische Partizipation. Auf die einzelnen Punkte werde ich im Verlauf meiner Arbeit noch genauer eingehen.
Nach diesem geschichtlichen Input widme ich mich nun der oben bereits aufgeworfenen Frage nach der Existenz einer türkischen Minderheit in Westthrakien. Welche Position die Angehörigen der Minderheit dabei vertreten, wird aus einer Petition von Johan Candelin ersichtlich.
In dieser beklagt das Mitglied der „Western Thrace Minority University Graduates Association“ den Umstand, dass „in Westthrakien 150.000 türkischstämmige Personen leben, welche sich selbst als ethnische Türken verstehen würden, dies aber nach außen nicht frei leben und zeigen dürften. Candalin unterstellt der griechischen Regierung, zwar offiziell als ein Staat aufzutreten, der sich für die ‚Gleichheit aller Bürger‛ vor dem Gesetz einsetzt, jedoch in der Realität der eigenen Minderheit im Land das ‚Recht auf den freien Zusammenschluss‛ verwehrt.“
An dieser Stelle muss betont werden, dass Griechenland, mit einer kurzen Unterbrechung während der siebenjährigen Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974 , seit dem Jahr 1949 eines der mittlerweile 47 Staaten des Europarates ist und somit auch die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, welche für alle Mitglieder eine völkerrechtlich verbindet ist.
Er bestätigt darin, dass Griechenland in seinem Umgang mit den türkischstämmigen Bewohnern Westthrakiens gegen internationales Menschenrecht verstoße. Er erinnert daran, dass schon 1998 der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Urteilen der griechischen Gerichte, welche Zusammenschlüsse auf Basis der gemeinsamen türkischen Ethnie verboten, entschieden widersprach.
Der Europäische Gerichtshof verweist in seiner Urteilsfindung dabei auf den Artikel 40 des Vertrages von Lausanne.
„Turkish nationals belonging to non-Moslem minorities shall enjoy the same treatment and security in law and in fact as other Turkish nationals. In particular, they shall have an equal right to establish, manage and control at their own expense, any charitable, religious and social institutions”.
Der Kommissar bemängelt, dass der griechische Staat bis zum Zeitpunkt der Verfassung seines Berichtes im Jahr 2009 in keinster Weise auf die bindenden Gerichtssprüche reagiert habe.
Griechenland rechtfertigt sich gegen diese Vorwürfe unter Heranziehung des Artikels 11 der Europäischen Menschenrechtkonvention, in dem verlautbart wird, dass ein Zusammenschluss von Personen untersagt werden kann, falls diese eine Gefahr für die nationale und öffentliche Sicherheit darstellen würde.Es macht den Anschein, als habe der Staat die Befürchtung, die türkischstämmige Minderheit verfolge das Vorhaben, einen Staat im eigenen Staat zu verankern.
Für Anagnostou und Anna Triandafyllidou, die beiden Mitglieder von der Hellenic Foundation for European & Foreign Policy” (ELIAMEP), spiegelt diese Ansicht nicht die Realität wider und sie sehen den Grund für die Befürchtung in der fälschlichen Gleichstellung von ethischer und nationaler Identität: Die griechische Bevölkerung würde die beiden Begriffe oft miteinander vermischen.
Die beiden Wissenschaftlerinnen versichern, dass die große Mehrheit der türkischstämmigen Bevölkerung in Westthrakien lediglich das Ziel verfolge, als ethnische Minderheit anerkannt zu werden und nicht darüber hinaus auch als nationale.
Wenn es um die Interessen der türkischstämmigen Minderheit in Westthrakien geht, kommt man nicht daran vorbei, Sadik Ahmet ins Spiel zu bringen, welcher in seiner Wirkungszeit entscheidende Impulse im Konflikt mit der griechischen Regierung gesetzt hat. Anhand seiner politischen Biographie lässt sich gut erkennen, wie schwierig es für die Minderheit Westthrakiens ist, sich in Griechenland Gehör für die eigenen Anliegen zu verschaffen.
Der 1995 bei einem Autounfall verstorbene Politiker setzte sich für die Anerkennung einer türkischen Minderheit ein und wurde für die namentlichen Nennung dieser, auf die türkische Ethnie verstandenen Volksgruppe, in seinem Wahlkampf trotz heftiger internationaler Proteste zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt, von der er schlussendlich zwei Monate absitzen musste.
Aus der Sicht von Human Rights Watch versuchten damals die griechischen Behörden alles zu unternehmen, um Sadik Ahmet in seinem Bestreben, der muslimischen Minderheit in Westthrakien eine starke Stimme zu verschaffen, zu blockieren. Dieser Verdacht wurde dadurch verstärkt, dass die griechische Regierung 1992 ein neues Wahlgesetz einführte, wodurch von diesem Zeitpunkt an eine Drei- Prozent-, statt der bisherigen Ein-Prozent-Hürde von Parteien übersprungen werden musste, um ins griechische Parlament einzuziehen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich Griechenland bei der Frage der Identität seiner Minderheit strikt an das nun schon fast 90 Jahre alte Abkommen mit dem türkischen Staat im Vertrag von Lausanne hält und trotz des hohen Drucks aus dem In- und Ausland nicht den Anschein vermittelt, von der eigenen Position einen Schritt abzukommen und die restriktive Minderheitenpolitik zu lockern.
Gerade in den heutigen Tagen, in denen Griechenland in einer großen wirtschaftlichen Krise steckt, wäre es für das gesamte Land von Vorteil, wenn durch die Respektierung der Interessen der westthrakischen Minderheit für etwas mehr Stabilität im eigenen Land gesorgt würde.
2.2 Artikel 19 des griechischen Staatsbürgerschaftsgesetzes
Dieser Abschnitt meiner Arbeit richtet den Fokus auf eine zwar im Jahr 1998 abgeschaffte Rechtsbestimmung, deren Bestimmungen jedoch bis heute noch nachwirken, insofern als diese die griechisch-türkischen Beziehungen langfristig geschädigt hat: Die Rede ist von dem im Jahr 1955 in das griechische Staatsbürgerschaftsgesetz integrierten Artikel 19, welcher den Behörden den Handlungsspielraum bot, einen Bürger/eine Bürgerin mit nicht-griechischer ethnischer Abstammung auszubürgern.
Schlussendlich kam es Ende der Neunziger zur Abschaffung des Artikels, da Griechenland auf Druck von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen die Gesetzwidrigkeit dieser Rechtsbestimmung vor Augen geführt wurde. Zum Beispiel widerspricht der Artikel dem Gleichbehandlungsgrundsatz der griechischen Verfassung.
Dennoch birgt das Thema nach wie vor reichlich Zündstoff, da die Beseitigung des Artikels zwar einerseits zur Folge hatte, dass keine weiteren griechischen Staatsbürger ausgebürgert wurden, andererseits aber keine rückwirkende Wirkung hatte.
Auf der Homepage des Außenministeriums der Republik Türkei findet sich ein Bericht, in dem die Regierung Stellung zu der besprochenen Thematik bezieht. Die Türkei beschuldigt darin Griechenland, mit Hilfe von Artikel 19 den Versuch unternommen zu haben, die türkische Bevölkerung zum Auswandern zu zwingen.
Des Weiteren wird bemängelt, dass das Nachbarland nach der Abschaffung des Gesetzes seinen Fehler bis heute nicht gutgemacht habe, da die bereits ausgebürgerten türkischstämmigen Griechen ihre verlorene Staatsbürgerschaft nicht automatisch zurückerhielten, sondern sich als „Heimatlose“ in Griechenland mit dem Status eines Ausländers zufriedengeben mussten.
Einen ähnlichen Standpunkt nimmt auch Sinan Kavaz, Mitglied der „University Graduates Association“ der westthrakischen Minderheit, in einer Petition ein, in der er darüber hinaus auch darauf aufmerksam macht, dass nicht nur jene Menschen durch den Artikel 19 ihre Staatsbürgerschaft verloren haben, die freiwillig eine Zeit lang im Ausland verbrachten, sondern auch Minderjährige, welche zwar von griechischen türkischstämmigen Vätern und Müttern stammen, jedoch außerhalb Griechenlands aufgewachsen sind.
Wenn also Eltern ihre Staatsbürgerschaft verloren, konnte das auch die gleiche Folge für ihre Kinder haben. Kavaz vermutet, dass Griechenland dies so handhabte, um die demographische Balance in Westthrakien zu Gunsten der griechischstämmigen Bevölkerung zu verschieben.
An dieser Stelle muss klarerweise angemerkt werden, dass sich die Türkei durch die gewalttätigen Ausschreitungen gegen die christlich griechische Minderheit, im Zuge des Pogroms von Istanbul 1955, ebenfalls nicht an die bilateralen Vereinbarungen des Vertrages von Lausanne gehalten hat.
Meiner Einschätzung nach sprechen die oben genannten Gründe jedoch sehr wohl dafür, den Artikel 19 als Vertragsbruch Griechenlands einzustufen. Ein Hauptargument dafür wurde in den angegebenen Quellen nicht zentral behandelt. Für mich wäre ein weiterer Anklagepunkt daher jener, dass Griechenland das neue Gesetzänderung im Jahr 1955 nicht klar und eindeutig an seine Bevölkerung kommuniziert hat und daher ein relevanter Teil der „Ausgebürgerten“ erst beim Einreiseversuch mitbekam, dass durch Fernbleiben die Staatsbürgerschaft verloren gegangen war und man von nun an als „Heimatlose/r“ gelten würden.
Hierin liegt wohl ein Fehlverhalten, das schwer zu leugnen ist und den Verdacht erhärtet, Griechenland wollte mit dem Artikel 19 grundsätzlich seine türkischstämmigen Bürger loswerden und nicht nur „Dateileichen“ löschen.
2.3 Scharia als Basis des Rechts
Die Religion nimmt für die muslimische Minderheit in Westthrakien eine entscheidende Rolle ein. Um die gegenwärtige Situation besser zu verstehen, ist es nützlich, einen kurzen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen.
Im Artikel 42 verpflichteten sich Griechenland und die Türkei, die traditionellen Familienrechte der jeweiligen Minderheit im eigenen Land zu respektieren und zu schützen. Für die türkischstämmige Minderheit in Westthrakien bedeutete dies von diesem Moment an, dass der muslimischen Tradition nach bei Familienangelegenheiten die Scharia als Basis des Rechts herangezogen werden kann.
Zur Urteilsfindung werden dabei sogenannte Muftis, Erteiler islamischer Rechtsgutachten, herangezogen.
Damit ist Griechenland das einzige Mitglied der Europäischen Union, indem das islamische Recht seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs offiziell überleben konnte.
Wie ohne weiteres großes Hintergrundwissen leicht vorstellbar ist, birgt eine auf religiöse Gesetze aufbauende Rechtsprechung innerhalb eines modernen, demokratischen europäischen Staates, erheblichen Zündstoff.
Der Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg bringt es auf den Punkt, wenn er zu bedenken gibt, dass sich die Scharia als Basis des Rechts weder mit der griechischen Verfassung noch mit internationalen Menschenrechtsabkommen in Einklang bringen lässt. Unter anderen nennt der Kommissar als Beispiel hierfür die Möglichkeit des Mannes, nach islamischen Recht eine Frau ohne deren Zustimmung zu heiraten.
Ein zweites großes Problem birgt die Frage, wer überhaupt dazu befähigt ist, Muftis in Westthrakien einzusetzen. Offiziell macht dies nach wie vor die griechische Regierung, die die muslimischen Rechtsgelehrten als Staatsdiener beschäftigt. Dadurch ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein beträchtlicher Teil der türkischstämmigen Bevölkerung in Westthrakien ihren Unmut über die fehlende Partizipationsmöglichkeit äußert, indem jedem offiziellen Mufti ein eigenes religiöses Oberhaupt entgegengestellt wird.
Der Human Rights Report aus dem Jahr 1999 nimmt diesen Konflikt genauer unter die Lupe und ruft Griechenland dazu auf, der „Turkisch minority“ das Recht zu gewähren, ihren Rechtsgelehrten selbst zu wählen.
Dabei wird auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus dem Jahr 1997 verwiesen, indem verlautbart wird, dass Griechenland, mit der „Nichtanerkennung“ der von der Minderheit gewählten Muftis, den Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzte, welcher besagt, dass „jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ hat.
Solange sich die Muftis in ihrer Urteilsfindung auf die Scharia berufen und damit in Griechenland de facto der Staat in Rechtsfragen nicht einmal theoretisch von der Religion getrennt ist, ist es schwer vorstellbar, dass die Probleme dieses Thematik gelöst in der Zukunft gelöst werden können. Unabhängig davon, ob die Rechtsgelehrten von den Behörden oder von der Minderheit selbst eingesetzt werden.
Religionsfreiheit ist ein wichtiges Menschenrecht, jedoch darf kein religiöses Gesetz über einem durch die menschliche Vernunft entstandenen Gesetz stehen.
2.4. Die Macht der Bildung
Aus eigener, in Österreich gesammelter Erfahrung, ist nicht unbekannt, dass das Thema Bildung polarisiert und in der Politik meist ideologisch und emotional geladen diskutiert wird. Die Entwicklung eines Heranwachsenden wird keineswegs nur durch das eigene, aktive, individuelle Streben beeinflusst, sondern auch massiv durch seine Umwelt.
Bei Bildungsfragen wird meist darüber gestritten, wer diesen äußerlichen Einfluss steuern darf und somit in der Lage ist, die Einstellung und Denkweise von Heranwachsenden zu prägen.
In Westthrakien ist dieser Konflikt besonders stark zu spüren, geht es doch darum, ob die Sprösslinge der Minderheit nach den Idealen ihrer eigenen Volksgruppe oder nach den Vorstellungen des griechischen Staates erzogen werden. Dies entscheidet schlussendlich mit, zu welcher Gruppe sie sich später zugehörig fühlen. Ganz nach Georg W. F. Hegel: „Der Mensch ist, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung“.
Im Artikel 40 des Vertrages von Lausanne verpflichtete sich Griechenland dazu, der muslimischen, türkischstämmigen Minderheit in Westthrakien das Recht zuzugestehen, mit eigenen finanziellen Mitteln Bildungseinrichtungen errichten zu dürfen und darin, die türkische Sprache und Religion unterrichten zu dürfen.
Aus mehreren Beschwerden wird ersichtlich, dass die Minderheit selbst diese Rechte als nicht erfüllt sieht. Zu diesem Schluss kommt auch der Human Rights Report aus dem Jahr 1999, in dem die Position vertreten wird, Griechenland habe nicht zum Ziel, den Bildungsstandard in türkischen Schulen in Westthrakien zu verbessern, sondern die heranwachsende Generation durch Senkung des Niveaus effizienter zu kontrollieren.