Zusammenfassung
Schmitz,
Gerhard: Ein Narr, der da lacht … Überlegungen zu einer
mittelalterlichen Verhaltensnorm. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf
der Spur. Hrsg. V. Thomas Vogel. Tübingen: Attempo 1992. (=Attempo
Studium Generale.) S. 129-153.
FB für
Theologie (BF 670:V944)
gelesen am
3.März 2012
Die mittelalterliche Bevölkerung führte ein Leben im Spannungsfeld
zwischen kirchlicher Verhaltensnorm und freier, emanzipatorischer
Kunst des Lachens.
In die Betrachtung der Verhaltensnorm das Lachen, wird auch das
Gegenteil, das Weinen miteinbezogen. Die frühe Kirche und die
Kirchenväter, wie Hieronymus, Augustinus,… prägen die Auffassung
des Lachens als Unwert und verstehen Weinen als wertvoll. Sämtliche
Belege aus den Quellen fließen in das Verständnis der
mittelalterlichen Verhaltensnorm ein. So ist das Lachen dem
Vergänglichen, aber auch der Sünde zugeordnet. Das Weinen hingegen
ist eine Gnadengabe. Exemplarische Lebensweisen demonstrieren nicht
nur die Heiligen, sondern auch weltliche Autoritäten. Spaßmacher
und Spielleute, sie entsprechen nicht der Norm, werden von der Kirche
missachtet.
Dem Geltungsanspruch der kirchlichen Lehre steht die mittelalterliche
Realität gegenüber. Eine Generalisierung des mittelalterlichen
Humors ist unmöglich. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die
mittelalterliche Bevölkerung über Schwankerzählungen lachte. Neben
dem physiologischen Aspekt des Lachens, spielen psychosoziale
Phänomene eine Rolle. Leid und Elend wird von der mittelalterlichen
Bevölkerung als Strafe Gottes angesehen. So gehört auch das Lachen
dem Sündhaften an. Ein gemäßigtes, anständiges Lachen dient der
mittelalterlichen Bevölkerung jedoch als Erholung und
Gemütserleichterung. So aktivieren Kleriker ermüdete
Kirchenbesucher mit Schwänken und Witzen. Beispielsweise vergnügt
sich die mittelalterliche Bevölkerung auch am Spott anderer.
Im Mittelalter sind neben der Verchristlichung der Welt
Emanzipationsentwicklungen erkennbar. Man redet nicht zu Unrecht von
einer „Renaissance des zwölften Jahrhunderts“.
Die Bipolarität des Lebens wird durch das Bild der „Frau Welt“
symbolisiert. Einerseits parodieren herumziehende Studenten und
Schüler die Kurie, kirchliche Lehren und Bibelinhalte, andererseits
ist die Kirche selbst für die Distribution schwankhafter Erzählungen
verantwortlich.
Die Kunst des Lachens wird bei Michael Bachtin anhand einer
Zwei-Welten-Theorie erklärt, welche stark auf Belegbarkeit und
Begrifflichkeit kritisiert wird. Der mittelalterliche Mensch lebe
gewissermaßen zwei unterschiedliche Leben. Diese Theorie wird mit
dem prägnanten Zitat dementiert: „Die Welt des Mittelalters, so
hat es Jan Huizinga formuliert, war ‚so grell und bunt’, daß sie
‚den Geruch von Blut und Rosen in einem Atemzug ertrug’.“
Zusatz
S. 132f.
(Auffassung
Jenseits und Diesseits)
Das
Bestreben der Menschen im Mittelalter nach dem endgültigen und
wahren Leben im Jenseits sei von dem vergänglichen Leben in dieser
Welt abhängig. Die vorläufige Existenz bestimme über Konditionen
im Jenseits, entweder im glorreichen Himmel oder der verdammten
Hölle. „Hier war die Zeit der Buße und der Saat.“
So heißt
es z.B. bei Anselm von Canterbury: ‚Hier das Lachen, dort das
Weinen, hier der Gesang, dort das ewige Feuer […].’ Thema dieser
Welt war also Verachtung und Ertragen, nicht Heiterkeit oder gar
Freude. [Wechsel
S. 133] Diese Haltung bestätigen auch unzählige
Traktate der Kirche.
S. 133
(Einflussreiche
Schriften)
Das von
Papst Innozenz III weit verbreitete mittelalterliche Werk „De
miseria conditionis humanae“ beschreibt das Elend des
menschlichen Daseins.
[Kursivsetzung im Original]
„Diese
Welt war nicht beschaffen, daß man in ihr Freude haben und in ihr
Lachen könnte.“
S. 133f.
(Vorbildliche
Haltung der Heiligen)
Heilige
haben niemals gelacht. Nicht nur der heilige Martin, der fränkische
Reichsheilige auch die heilige Wiborada seien Zeugen, dass Heilige
nur unter Martyrium, Pein und Folter lachen. Das Lachen der Heiligen
habe nichts mit Humor zu tun, es bringe die Belanglosigkeit der
vergänglichen Existenz zum Ausdruck.