Rollenbiografie von Gregor
(Sansibar oder der letzte Grund)
Hallo, mein Name ist Gregor, oder auch Grigorij. Wenn es um
meinen Namen geht, bin ich nicht so genau, denn Gregor ist immerhin schon mein
dritter Name.
Den Namen davor konnte ich mir - fast wie in einem Kloster -
frei aussuchen, als ich an die Lenin-Akademie in Russland kam. Ich wünschte,
man hätte mich dort nie hingeschickt, denn nur deswegen bin ich jetzt hier in
Rerik und helfe bei der Rettung einer Statue.
Aber man meinte, ich hätte mich in Berlin durch meine
organisatorischen Fähigkeiten so verdient gemacht, dass es gut wäre, wenn ich
nach Russland geschickt würde. Dort war ich dann also zur Lenin-Akademie
gegangen und hatte später sogar in Tarasovka gekämpft.
Doch die Genossen im Zentralkomitee waren nicht zufrieden
gewesen, ihrer Meinung nach war ich flau, und ich wurde wieder - über
Wien - zurückgeschickt, mit einem neuen Pass und einem neuen Namen.
Nach Rerik kam ich mit meinem letzten Auftrag als
Instrukteur : Ich sollte mich mit Knudsen treffen, der auch Kommunist war und
zu der Gruppe gehörte, die ich leitete (Er war übrigens der einzige in dieser
Gruppe, denn in Rerik war er der einzige Parteianhänger).
Nach einer langen, beschwerlichen Fahrt mit dem Fahrrad kam
ich dort an und traf mich in der Kirche mit ihm (Dank meinen Fahrradklammern
überstand mein grauer Anzug diese Fahrt sogar ohne Flecken).
Ich weiß nicht genau warum, aber ich fühlte mich wohl dort.
Die Kirche war für mich wie ein weißer Mantel - sie gehörte nicht den Anderen.
Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie als Treffpunkt ausgewählt
wurde. Aber Knudsen kam zu spät, und mit jeder Minute, die ich auf ihn warten
musste, wurde ich immer nervöser, und die Angst, die ich immer - besonders an
Treffpunkten - empfand, wuchs an.
Außerdem wurde mein Wunsch, einfach zu gehen und damit
meinen Auftrag nicht auszuführen, immer größer, denn ich hatte einfach schon
genug getan für eine Partei, die sowieso schon am Ende war.
Knudsen kam aber, und während unserem Gespräch wurde immer
deutlicher, dass wir beide fliehen wollten - nach Schweden, nur das Knudsen
weder konnte noch wollte, weil seine Frau behindert war und er Angst um sie
hatte. In dem Moment war ich wieder einmal froh, dass ich keine Frau hatte. Ich
war einfach zu kalt, ich ließ mich nicht so leicht von einer Frau verführen,
ich dachte zu viel nach. Natürlich nahm ich mir manchmal eine Frau, aber ich
hatte schon seit Jahren keine mehr geliebt. Es war zu riskant, jeder einzelne
Kuss würde mein Gehirn schwächen und wie sollte ich es dann verhindern von den
Anderen gefunden zu werden?
Und nicht nur wir wollten nach Schweden fliehen, sondern
auch eine kleine Figur, die Klosterschüler genannt wurde, sollte
mitkommen. Sie stand in unserer Treffpunkt-Kirche und dem Pfarrer lag sehr
viel an ihr.
Das konnte ich verstehen, sie war besonders, sie war nicht
einfach nur ein Klosterschüler, der in seinen Büchern liest; sie hatte etwas an
sich, das einen glauben ließ, dass sie einfach aufstehen konnte und fortgehen,
oder mit dem Finger auf eine Textstelle zeigen und sagen: das ist nicht wahr.
Und ich bewunderte diese Figur, ja, ich war sogar neidisch.
Sie war frei und hatte keinen Auftrag, sie könnte denken und sagen, was sie
wollte.
Eins wusste ich: Ich musste diese Figur retten, damit sie
auch in Zukunft noch lesen und denken und sagen konnte, was sie wollte. Und die
einzige Möglichkeit war Knudsen. Er hatte ein Schiff und genug Kenntnisse, um
uns die Flucht zu ermöglichen. Aber er weigerte sich, denn er konnte ja seine
Frau nicht alleine lassen. Die einzige Möglichkeit, ihn dazu zu bewegen, war,
es als einen Parteibefehl auszudrücken.
Nachdem wir also beschlossen hatten, die Figur mitsamt mir
rüberzubringen, ging ich aus der Kirche. Dort fiel mir sofort ein Mädchen auf.
Sie war eine Jüdin, das war klar und ich wunderte mich darüber, wie sie nach
Rerik gekommen war und was sie hier wollte. Ich fing an, sie zu beobachten und
ich hatte den Eindruck, dass auch sie fliehen wollte.
Also fing ich ein Gespräch mit ihr an und das Ergebnis war,
dass auch sie Teil der Flucht werden würde, denn sie hatte keine Wahl: sie
würde fliehen oder sterben. Sie war eine Ausgestoßene.
Ich weihte sie also in unseren Plan ein, aber ich erzählte
Knudsen nichts davon. Ich nahm sie einfach mit zu unserem nächtlichen
Treffpunkt.
Knudsen stellte sich absolut krumm und wollte zu erst nicht,
dass sie mitkommt, weil er dachte, ich täte das nur, weil er mich dann auf alle
Fälle mitnehmen müsse. Das war aber nicht der Grund. Ha, als ob ich ihn
brauchen würde, um zu fliehen. Nein, es ging mir um Judith; ich hatte mich in
sie verliebt und ich musste sie schützen - in dem ich ihr half zu fliehen.
Ich war ein guter Boxer - lange brauchte ich nicht um
Knudsen zu überzeugen sie mitzunehmen.
Es war sehr dunkel, doch Knudsen stellte trotzdem seine
Bordlichter nicht an und ich wartete so lange, bis ich nichts mehr von dem Boot
sehen konnte und trat dann meinen Rückweg an.