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Risiken und Chancen von deutschen Unternehmen im Rahmen der Expansion in EU-/EWR- und Drittstaaten
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Diplomarbeit
Wirtschaftsrecht

Hochschule Bremen

4,0, Prof. Dr. de Hesselle, Dr. Kollruss, 2011

Cem Demirel ©
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ID# 48012







Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen

Hochschule Bremen


Internationaler Studiengang Steuer- und Wirtschaftsrecht

-Schwerpunkt Wirtschaftsrecht-


Diplomarbeit


zur Erlangung des Grades Diplom-Wirtschaftsjurist (FH)

Sommersemester 2011


Risiken und Chancen von deutschen Unternehmen im

Rahmen der Expansion in EU-/EWR- und Drittstaaten


eingereicht von: Cem


Matrikel Nr.: 235186


aus: 54

Bremen,

8. Semester


  1. Prüferin: Frau de

  2. Prüfer: Herr

Abgabedatum: 14.06.2011

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis I

Abkürzungsverzeichnis III

Abbildungsverzeichnis V

Verzeichnis der Anlagen im Anhang VI

1 Einleitung 1

1.1 Problemstellung und Untersuchungsziele 1

1.2 Statistische Erhebungen 2

1.2.1 Feststellung 4

1.2.2 Ergebnisse der Auswertungen 4

2 Theoretische Grundlagen 8

2.1 Allgemeines 8

2.2 Begriff der Expansion und Expansionsgründe 8

2.3 Arten und Möglichkeiten der Expansion ins Ausland 10

3 Auslandsexpansion 12

3.1 EU-/EWR-Staaten 12

3.1.1 Großbritannien - limited 12

3.1.2 Memorandum of association 13

3.1.3 Articles of association 13

3.1.4 Gründung 13

3.2 Drittstaat 14

3.2.1 USA - incorporation 14

3.2.2 Besonderheiten 14

3.2.3 Gründung 15

4 EuGH-Rechtsprechung und Kollisionsrecht 16

4.1 Inspire Art 16

4.2 Ãœberseering 18

4.3 Centros 19

4.4 Kollisionsrecht 20

5 Chancen im Rahmen der Expansion 23

5.1 Neue Planungsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen durch das MoMiG 23

5.1.1 Verlagerung 25

5.1.2 Verlagerung der Geschäftsleitung ins Ausland 25

5.2 Die Europäische Aktiengesellschaft – SE 27

5.3 SPE – societas privata europaea 30

5.4 Expansionsmöglichkeiten in Drittstaaten 34

5.4.1 Expansionsmöglichkeiten 34

5.4.2 Expansionsmöglichkeiten durch Freundschafts- und Niederlassungsabkommen 34

5.4.2.1 Abkommen zwischen Deutschland und Japan 35

5.4.2.2 Deutsch-Amerikanischer Freundschaftsvertrag 36

6 Risiken im Rahmen der Expansion 39

6.1 Grundlegende gesellschaftsrechtliche Risiken nach EU-Recht 39

6.1.1 Vermögensverwischung 40

6.1.2 Unterkapitalisierung 40

6.1.3 Existenzvernichtender Eingriff 41

6.1.4 Ultra-vires-Lehre 41

6.2 Grundlegende beihilferechtliche Risiken nach EU-Recht 42

6.2.1 Obligatorischen Ausnahmen 43

6.2.2 Fakultative Ausnahmen 43

6.2.2.1 Genehmigungstatbestand - Art. 107 Abs. 3 a) AEUV 43

6.2.2.2 Genehmigungstatbestand - Art. 107 Abs. 3 c) AEUV 44

6.2.3 Durchführungsverbot für Neubeihilfen 45

6.2.4 Bewertung von Altbeihilfen 45

6.2.5 Rückforderung einer Beihilfe 45

6.3 Wettbewerbsregeln für Unternehmen im Binnenmarkt 46

6.3.1 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 46

6.3.2 Anteile am Markt 47

6.3.3 Marktformen 47

6.4 Kartellverbot 48

6.4.1 Art. 101 Abs. 1 AEUV 48

6.4.2 Rechtsfolge 48

6.4.3 Ausnahme des Kartellverbots 49

7 Synopsis 49

7.1 Zusammenfassung der Unternehmensergebnisse 49

7.2 Bewertung 50

7.3 Ausblick und weiterer Forschungsbedarf 51

Literaturverzeichnis VII

Anlagen im Anhang XIII

Eidesstattliche Erklärung XXXIV

Abkürzungsverzeichnis


AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Abl. EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs. Absatz

AG Aktiengesellschaft

AktG Aktiengesetz

Art. Artikel

BB Betriebs-Berater (Zeitschrift)

BGBl. Bundesgesetzblatt

bspw. beispielsweise

bv besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid, niederländische Kapitalgesellschaft

bzw. beziehungsweise

corp. corporation

d.h. das heißt

DStR Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

EG Europäische Gemeinschaft

EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

Eurostat das Statistische Amt der EU

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWR Europäischer Wirtschaftsraum

EWR-Abk. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum

FHSV Freundschafts-, Handels-, und Schifffahrtsvertrag

FKVO Fusionskontrollverordnung

gem. gemäß

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

inc. incorporation

insb. insbesondere

InsO Insolvenzordnung

i.V.m. in Verbindung mit

JuS Juristische Schulung (Zeitschrift)

KMU Kleine und mittlere Unternehmen

KOM Europäische Kommission

ltd. limited, Kapitalgesellschaft

MoMiG Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen

NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

Rn. Randnummer

Rs. Rechtssache

S. Seite/Satz

s.A. siehe Anlage

SE societas europaea, Europäische Aktiengesellschaft

SE-VO Verordnung über die Europäische Aktiengesellschaft

sog. sogenannte/-r/-s

SPE societas privata europaea, Europäische Privatgesellschaft

SPE-VO Verordnung über die Europäische Privatgesellschaft

u.a. unter anderem

UG Unternehmergesellschaft

UK-ltd. limited, Kapitalgesellschaft in Großbritannien

vgl. vergleiche

WFBV Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen,

niederländisches Gesetz über formal ausländische Gesellschaften

z.B. zum Beispiel

ZPO Zivilprozessordnung

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1: Motive für Verlagerungen ins Ausland 5

Abb. 1.2: Auswirkungen der Verlagerungen 6

Abb. 1.3: Verlagerungen von Unternehmensaktivitäten nach Zielregionen 7

Verzeichnis der Anlagen im Anhang

Anlage 1: EU-Förderkarte nach Art. 107 Abs. 3 a, c AEUV XIII

Anlage 2: Abkürzungsverzeichnis der Rechtsformen bezüglich Gesellschaften mit beschränkter Haftung XIV

XIV

Anlage 3: Abkürzungen der Staatenbezeichnungen XV

Anlage 4: Gesellschaftsrechtsformen I. XVI

Anlage 5: Gesellschaftsrechtsformen II. XVII

XVII

Anlage 6: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten I. XVIII

XVIII

Anlage 7: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten II. XIX

Anlage 8: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten III. XIX

Anlage 9: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten IV. XX

Anlage 10: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten V. XXI

Anlage 11: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten VI. XXII

Anlage 12: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten VII. XXIII

XXIV

Anlage 13: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung I. XXIV

Anlage 14: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung II. XXV

Anlage 15: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung III. XXVI

Anlage 16: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung IV. XXVII

Anlage 17: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung V. XXVIII

Anlage 18: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung VI. XXIX

Anlage 19: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung VII. XXX

Anlage 20: Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten - Ergebnisse der Piloterhebung VIII. XXXI

Anlage 21: Unternehmen und Arbeitsstätten XXXII

Anlage 22: Hintergrund zur Piloterhebung XXXIII


1Einleitung

1.1Problemstellung und Untersuchungsziele

Die folgende Diplomarbeit bildet eine (kritische) Untersuchung der Chancen und Risiken von deutschen Unternehmen in EU-/EWR- und Drittstaaten zu expandieren.

Es werden hierbei insbesondere die Aspekte des primären und des sekundären Europarechts dargestellt. Dazu wird beispielsweise auf die EU-Grundfreiheiten sowie auf verschiedene EU-Verordnungen eingegangen. Die Arbeit analysiert und beurteilt die unterschiedlichen Möglichkeiten der Expansion der Geschäftstätigkeit ins Ausland wie z.B. durch Wegzug, Gründung von ausländischen Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften.

Deutsche Unternehmen sollten in EU-/EWR- und Drittstaaten expandieren, um ihre Erfolge international zu verwirklichen. Da viele deutsche Unternehmen nur „im Heimatstaat“ tätig sind, sich aber nicht zumuten auch global zu agieren, stellen die folgenden Untersuchungen deutschen Unternehmen einen Handlungsrahmen, der sie bei konkreten Expansionsvorhaben ins Ausland unterstützen kann und der ihnen aufzeigt, wie sie das Europarecht möglichst optimal nutzen und mögliche Risiken und Gefahren (z.B. Haftung, existenzvernichtender Eingriff, Unterkapitalisierung, Vermögensverwischung) erkennen und ggf. vermeiden können.


Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG1) und die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in der Rechtssache Überseering2, ergeben sich für deutsche Unternehmen völlig neue Planungsmöglichkeiten (auch im Vergleich zu Unternehmen anderer EU-Staaten) durch Verlagerung der Geschäftsleitung ins Ausland oder durch grenzüberschreitenden Formwechsel.

Die Auswirkungen dieser neuen Entwicklungen auf die Auslandsexpansion deutscher Unternehmen werden beleuchtet und bewertet, wobei dann entsprechende Aspekte abgeleitet werden. Dies wird auch in den Kontext der Möglichkeiten gestellt, welche die supranationale Rechtsform der SE bislang schon bietet.

Weiterhin geht die Arbeit der Frage nach, auf welche Kriterien ein deutsches Unternehmen achten muss, damit es gesellschaftsrechtliche, subventionsrechtliche wie auch kartellrechtliche Risiken nach Gemeinschaftsrecht vermeidet und sich so weitgehend wie möglich gegenüber belastendem EU-Recht schützt.


1.2Statistische Erhebungen

Deutsche Unternehmen führen ihre Unternehmenstätigkeit zunehmend außerhalb Deutschlands. Zwar gibt es keine sicheren statistischen Auswertungen über dieses Vorgehen, jedoch führte der Eurostat (das Statistische Amt der EU) in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt zum Fachgebiet International Sourcing eine Befragung bei deutschen Unternehmen durch (s.A. Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten, Hintergrund zur Piloterhebung)3.

Die Untersuchung sollte Aufschluss darüber bringen, warum Unternehmen eine Verlagerung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ins Ausland durchführen. Außerdem wurde danach gefragt, welche Aspekte die Expansion erschweren und welche wirtschaftlichen Folgen sich für die Gesellschaft ergeben4.

Ziel dieser Unternehmen ist es, sich im internationalen Wettbewerb durchzusetzen und die Absatzmärkte für sich zu sichern. Eine Gesellschaft muss die Organisation des Unternehmens ändern, sofern sie eine Verlagerung ihrer Tätigkeit in anderen Staaten vornehmen will. Diese Maßnahmen sind häufig mit hohen Kosten bezüglich der Infrastruktur des Betriebes verbunden. Hierbei werden auch speziell ausgebildete Fachkräfte benötigt, die nicht nur über die wirtschaftlichen, sondern auch die erforderlichen rechtlichen Kenntnisse verfügen5.

Das Kriterium der Kosten spielt für Gesellschaften, die eine Expansion durchführen möchten, eine bedeutende Rolle. Es wird z.B. auf die Kapital- sowie Lohnkosten wie auch Transportkosten geachtet. Wenn ein Betrieb überwiegend lediglich gering qualifizierte und deshalb preiswertere Arbeiter benötigt, wäre es angebracht, eine Verlagerung in solche Staaten durchzuführen, in denen niedrigere Ausbildungsstandards und ein niedrigeres Lohnniveau vorherrschen.

Bedarf es im Gegensatz dazu hochqualifizierter Fachkräfte, beispielsweise für Entwicklungsleistungen, sollte die Internationalisierung in weiterentwickelten Staaten stattfinden6.

Von einer Globalisierung oder Internationalisierung eines Unternehmens kann bereits dann gesprochen werden, wenn zwei Betriebe in unterschiedlichen Staaten die Geschäftsleitung teilen. Diese Betriebe werden dann als verbundenes Unternehmen bezeichnet. Der jeweilige Ort, an dem der ausschlaggebende Gesellschaftszweck dieser Gesellschaften erbracht wird, gilt als Hauptsitz.

Mit einer Verlagerung ist eine komplette oder teilweise Kontinuität der Tätigkeit zur Erreichung des Gesellschaftszweckes durch die neue Gesellschaft gemeint. Sofern es zu einer Verlagerung ins Ausland kommt, wird dies als offshoring bezeichnet. Dabei kann eine Verlagerung zum einen auf ein verbundenes Unternehmen stattfinden wie einer Zweigniederlassung. Dabei spricht man von insourcing zu einer ausländischen Einheit.

Zum anderen kann eine Verlagerung auf eine nicht verbundene Gesellschaft vollzogen werden.

Dies wird als outsourcing zu einer ausländischen Einheit bezeichnet.


Das Ziel der Untersuchung „Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten“ bestand darin, Informationen über die Gründe der Verlagerung von deutschen Gesellschaften zu gewinnen. Hierbei wird auch auf die Auswirkungen des Wettbewerbs dieser Unternehmen eingegangen. Durch diese Erhebung sollen Erkenntnisse über die Auswirkungen bezüglich des Wachstums der Wirtschaft gewonnen werden7.

Die Umfrage bezog sich auf Unternehmen, welche im Sektor der Dienstleistung tätig sind (jedoch nicht Versicherungs- und Kreditgewerbe) sowie Gesellschaften der gewerblichen Wirtschaft des produzierenden Gewerbes. Es wurden solche Unternehmen befragt, die mindestens 100 Arbeitnehmer beschäftigten8.

Es wurde herausgefunden, dass die Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen ins Ausland zu einer Begünstigung bezüglich der im Heimatstaat befindlichen Standorte dieser Gesellschaften führt. Deutsche Unternehmen führen auch deshalb Auslandsexpansionen durch, um von gut ausgebildeten Arbeitskräften im Ausland zu profitieren, wenn hieran im Inland ein Mangel herrscht9.


1.2.1Feststellung

1.2.2Ergebnisse der Auswertungen

Die EU-weite Untersuchung führte zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt nahmen 20.000 deutsche Unternehmen, freiwillig an der Forschung teil10. Die Untersuchung bezog sich auf Gesellschaften, die in der Zeit zwischen 2001 bis 2006 eine Auslandsexpansion vorgenommen haben11 (s.A., Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten, Unternehmen und Arbeitsstätten).

Die Umfrage zeigt, dass für die Gesellschaften der Zugang zu neuen Märkten der wichtigste Grund war, eine Verlagerung durchzuführen (45,3%). Die nächstwichtigsten Gründe waren die Ersparnis von Lohnkosten (39,7%) sowie die Ersparnis anderer Kosten (25,7%). Die Realisierung von Strategischen Vorgaben war der nächste Aspekt von gehobener Relevanz (21,7%) gefolgt von der Durchsetzung der Produktentwicklung (18%).

Des Weiteren erreichte das Kriterium Steueranreize mit 17% den sechsten Platz bei den Motiven für eine Verlagerung. Weitere Kriterien sind geringere Regulierung (15,1%) wie auch die Umsetzung eines neuen Geschäftsmodells (14,5%). Die Motive, Zugang zu neuem Fachwissen (13,7%) sowie Kunden oder Wettbewerbern folgen (8,8%) belegten die nachrangigeren Plätze.

Die in der folgenden Abbildung dargestellte Untersuchung ergibt, dass Gesellschaften ihre Verlagerungen sehr überlegt vornehmen und nur wenige Gesellschaften sich dieser Motive nicht bewusst sind.12


Abb. 1.1: Motive für Verlagerungen ins Ausland


(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Höh, Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten – Ergebnisse der Piloterhebung, S. 9-10, letzter Aufruf 21.05.2011.)


Der Untersuchungsaspekt „Auswirkungen der Auslandsexpansionen“ ergibt folgendes: Insbesondere verbesserte sich die Wettbewerbsfähigkeit von 73% der Gesellschaften gefolgt von der Ersparnis der Lohnaufwendungen für 67% der Unternehmen. Die Auswirkungen Zugang zu neuen Märkten stellte mit 55% den dritten Platz, gefolgt von den anderen Kosten mit 50%. Dagegen ergab sich eine negative Auswirkung für 14% der expandierenden Gesellschaften bezüglich der Logistikkosten in anderen Staaten, für rund ein Viertel der Unternehmen war jedoch hier eine Ersparnis zu verzeichnen.

Eine geringe negative Quote ergab sich für die Auswirkung eigenes Know-how mit 7%. Allerdings belegten 22% der verlagernden Gesellschaften bezüglich dieses Aspektes ein gutes Ergebnis.

Die folgende Abbildung macht vor allem die positiven Auswirkungen der Auslandsverlagerungen deutlich13.


Abb. 1.2: Auswirkungen der Verlagerungen


(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Höh, Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten – Ergebnisse der Piloterhebung, S. 19, letzter Aufruf 21.05.2011.)


Als weiterer Forschungsaspekt kommen die jeweiligen Verlagerungsgebiete in Betracht. Rund 38% der befragten Unternehmen gaben an, dass für sie eine Verlagerung in mehr als einen Staat ausgeführt bzw. geplant wurde. Dabei wurde herausgefunden, dass 38,6% der untersuchten Gesellschaften eine innerdeutsche Verlagerung vorgenommen haben oder diese durchführen wollten. Durch die Untersuchung hat sich ferner ergeben, dass 59,3% der Gesellschaften in den neuen osteuropäischen EU-Staaten expandieren.

An dritter Stelle kommt der chinesische Markt mit 33,7% der Unternehmen gefolgt von den EU-15 Staaten mit 27,6%. Als weiterer beliebter Drittstaat steht Indien mit 16,4% an sechster Stelle der beliebtesten Verlagerungsgebiete14.


Abb. 1.3: Verlagerungen von Unternehmensaktivitäten nach Zielregionen


(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Höh, Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten – Ergebnisse der Piloterhebung, S. 15-16, letzter Aufruf 21.05.2011.)

In Deutschland bewirkten die Expansionen einen Abbau von Arbeitsplätzen. Durch Expansionen deutscher Unternehmen im Ausland wurden insgesamt so 188.600 Stellen im Inland abgebaut, jedoch wurden gleichzeitig rund 105.500 Stellen hierzulande aufgrund von Verlagerungen wieder geschaffen15.


2Theoretische Grundlagen

2.1Allgemeines

Die folgenden begünstigenden wie auch belastenden Vorschriften für Unternehmen in der EU gelten fast uneingeschränkt für Gesellschaften aus dem EWR, sodass Chancen und Risiken von deutschen Unternehmen auch in den Staaten Norwegen, Island sowie Lichtenstein wahrgenommen bzw. eingegangen werden können. Der Zweck des EWR besteht darin, einen homogenen europäischen Wirtschaftsraum zu bilden.

Deshalb werden die gemeinschaftlichen Normen und die des EWR-Abkommens, so weit es geht, einheitlich ausgelegt (Art. 105 EWR-Abk. und Art. 6 EWR-Abk.). So wird das Gesellschaftsrecht für die Mitgliedstaaten des EWR harmonisiert, was sich beispielsweise auf Kapitalgesellschaften unmittelbar auswirkt16.


2.2Begriff der Expansion und Expansionsgründe

Der Begriff der Expansion ist in der Literatur nicht klar niedergelegt, jedoch kann sie als Erweiterung im Sinne einer Vergrößerung und als Internationalisierung einer Gesellschaft definiert werden17.

Das Ziel vieler Unternehmen, den Ausbau des Internationalen Geschäfts zu verwirklichen, gehört zu den wichtigsten Unternehmensstrategien. Sofern sich die Binnenkonjunktur problematisch zeigt, wollen viele Unternehmen der Krise ausweichen. Für deutsche Unternehmen ist daher die wirkungsvolle Ausschöpfung der bedeutsamen Auslandsmärkte von großer Bedeutung18.

Für die meisten Gesellschaften stellt das internationale Geschäft keine Neuerung dar. Betriebe, die einen hohen Bekanntheitsgrad haben, sind seit vielen Jahren international tätig. Insbesondere haben deutsche Textilunternehmen Exportquoten von mehr als 80%. Hieran lässt sich das große Interesse am Export erkennen. Zusammen mit Japan und den USA gehört Deutschland zu den entscheidenden Handelsnationen.

Diese Staaten erreichen zusammen ein Exportvolumen über 30% der Weltexporte. Somit gehört es für viele Unternehmen zum alltäglichen Geschäft, in den Auslandsmärkten tätig zu sein19.

Der Expansionsbegriff meint die Unternehmensentwicklung und die Wachstumsstrategie eines Betriebes. Hierunter versteht man, dass ein Unternehmen durch Ausweitung der Verkaufsflächen und Kauf anderer Handelsunternehmen sowohl im In- als auch im Ausland bestrebt ist, eine gezielte Umsatzausweitung zu erreichen20. Eine internationale Expansion umfasst die Wachstumsstrategie des Betriebes durch Erschließung der im Ausland befindlichen neuen Marktgebiete.

Es gehört zu den Zielen und Aufgaben des Managements, Strategien zu entwickeln, mit denen die bisherigen Erfolge eines Unternehmens erweitert werden können21 .


Um neue Geschäftsbereiche zu entwickeln, treffen viele Unternehmen die Entscheidung, ihre Geschäftstätigkeit auch im Ausland zu entfalten22. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, um eine Internationalisierung vorzunehmen wie beispielsweise die Beschaffungsorientierung zur Aufrechterhaltung von Vorräten und die Produktionsorientierung zur Kostenoptimierung. Als weiterer Grund für die Internationalisierung spricht der Versuch einer Absatzsteigerung mittels Durchsetzung von Wettbewerbsstrategien auf ausländischen Märkten.

Wenn ein Unternehmen eine Produktionsverlagerung ins Ausland durchführt, stellt dies bei Fehlen des dortigen Markteintritts keine Internationalisierung dar23.

Man hat durch Unternehmensbefragungen herausgefunden, dass insbesondere kleine Unternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit den Export aufgenommen haben, wobei diese Tätigkeit erst durch persönlichen Kontakt zustande gekommen ist. Der Ursprung der Aufnahme ihrer Auslandstätigkeit liegt oft in Urlaubsreisen der Geschäftsführer und deren Teilnahme an Auslandskongressen.

Ebenso kamen die ersten Auslandsgeschäfte durch Weiterleitung von Auslandsanfragen durch Branchenverbände zustande. Weitere Gründe die für eine Internationalisierung, die durch Befragung der Unternehmen herausgefunden wurde, waren die Sicherung der Marktanteile vor allem in der wachsenden EU und Erweiterung und Aufrechterhaltung des Ursprungsmarktes24. Ein anderer Aspekt besteht darin, dass das Unternehmen dazu veranlasst worden ist, seine Geschäfte ebenfalls auf ausländische Märkte auszudehnen, da seine Kunden oder Wettbewerber eine Internationalisierung vorgenommen haben.

Vieles spricht auch dafür, eine Tätigkeit auf diesen Märken vorzunehmen, um das Unternehmensimage zu verbessern. Daneben bestehen auch Kostengründe wie niedrigere Transportkosten und Lohnkosten und ein günstigeres Steuersystem sowie das Streben nach einer effektiveren Rendite oder eine günstigere Kapitalbeschaffungsmöglichkeit auf dem jeweiligen Auslandsmarkt25.

Ebenso kann es sein, dass ein Unternehmen in seinem Heimatstaat den Markt durch seine Produkte schon gesättigt hat und sich deswegen zu einer Internationalisierung entschließt.

Durch die Entwicklung der EU wurde das Wirtschaftsrecht vieler Mitgliedstaaten angepasst, sodass die Wirtschaftsgesetze der Staaten Ähnlichkeiten aufweisen. Außerdem brauchen viele Unternehmen keine Währungsumrechnung durchzuführen, weil viele Mitgliedstaaten den Euro eingeführt haben, was die Internationalisierung von Gesellschaften begünstigt26.

2.3Arten und Möglichkeiten der Expansion ins Ausland

Unternehmen haben die Möglichkeit, durch die Errichtung einer Niederlassung zu expandieren. Die Niederlassung ist der Ort, an dem das Unternehmen seinem Gesellschaftszweck tatsächlich nachkommt und die überwiegende wirtschaftliche Tätigkeit ausführt. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Merkmale der Kontinuität und eine eigenständige Handelskompetenz der Gesellschaft bestehen27.

Die Niederlassung für Unternehmen richtet sich primär nach dem Sitz der Geschäftsleitung, auch Verwaltungssitz genannt28. Soweit eine Zweigniederlassung einer Gesellschaft die Merkmale bezüglich einer Niederlassung erfüllt und zu diesem Ort die engste wirtschaftliche Verbindung besteht, so ist dieser Ort ausschlaggebend. Zwar bedarf die Außenstelle keiner Geschäftsleitung, jedoch kann sie einen solchen Posten haben.

Wenn die wirtschaftliche Tätigkeit komplett bei der Hauptniederlassung liegt, dann ist dieser Sitz bedeutend. Eine Gesellschaft mit Sitz in einem EU-Staat hat zudem die Möglichkeit, eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu gründen29. Für die Tochtergesellschaft braucht die Muttergesellschaft nicht zwingend zu haften und die erstgenannte Gesellschaft genießt Entscheidungskompetenz bezüglich des Innenrechts30.

Bei der Tochtergesellschaft handelt es sich um eine eigenständige Personenvereinigung, wobei ihre Niederlassung von gehobener Relevanz ist und nicht die Niederlassung der Muttergesellschaft31.

Eine weitere Option der Muttergesellschaft wäre, eine Expansion in der Form von Agenturen sowie Zweigniederlassungen zu wählen. Bei diesen Formen der Expansion handelt es sich um abhängige Posten gegenüber der Muttergesellschaft32. Mit einer Agentur sind Büros gemeint, die eingerichtet werden mit dem Ziel, eine Absatzsteigerung zu erreichen, oftmals auch außerhalb des Staates, in dem die Zentralverwaltung der Gesellschaft besteht33.

Zweigniederlassungen kommt im Vergleich zu Agenturen eine größere Entscheidungskompetenz zu. Sie haben eine höhere Eigenständigkeit und können selbst Agenturen gründen34.

Nach Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV gilt eine Niederlassung dann als gegeben, wenn der Vorgang einer Übersiedelung besteht und an diese eine erneute wirtschaftliche Tätigkeit anschließt. Unternehmen haben die Möglichkeit eine Auslandsexpansion in der Form der primären Niederlassung durchzuführen. Dies ist immer dann gegeben, wenn die Gesellschaft im Heimatstaat keine oder nur eine Betriebsstätte von nachrangiger Bedeutung unterhält35.

Viele Unternehmen nutzen die primäre Niederlassung, um eine Standortverlagerung durchzuführen mit dem Ziel der Kostenreduzierung.

Eine andere Möglichkeit für Unternehmen, eine Auslandsexpansion in einen anderen EU-Staat durchzuführen, ist die Form der sekundären Niederlassung. Diese Form der Niederlassung kommt immer dann in Betracht, wenn eine Außenstelle von der Muttergesellschaft abhängig ist. Diese Außenstellen können z.B. Servicestellen für Kunden, Lager für Auslieferung oder Zweigunternehmen sein36.

Die Hauptniederlassung bleibt somit an ihrem ursprünglichen Ort weiter bestehen.

Die Voraussetzungen einer sekundären Niederlassung sind immer dann gegeben, wenn ein gegründetes Unternehmen (Recht des Sitzstaates) seinem Gesellschaftszweck durch eine in einem anderen EU-Staat gegründete Zweigniederlassung nachkommt37.


3Auslandsexpansion

3.1EU-/EWR-Staaten

3.1.1Großbritannien - limited

Ein Unternehmen in Deutschland, das eine Auslandsexpansion durchführen möchte hat die Möglichkeit sich für die limited in Großbritannien zu entscheiden38. In Großbritannien braucht man kein Mindestkapital einzuzahlen. Eine Einlage kann entweder als Bar- oder als Sacheinlage erfolgen (s.A., Gesellschaftsrechtsformen II).

Die UK-ltd. erlangt die Rechtsfähigkeit durch die Eintragung. Im Gegensatz zu Deutschland, wo ein Notar benötigt wird, damit die Eintragung im Handelsregister erfolgen kann, ist dies in Großbritannien nicht der Fall39. Es werden nur die Eintragungskosten von rund 50,00 Euro für das Handelsregister – Registrar of Companies - fällig. Die Gründungsdauer beträgt ca. zwei Wochen.

Es müssen bestimmte Dokumente eingereicht werden (siehe hierzu im Folgenden 3.1.2, 3.1.3). Im Vergleich dauert der Gründungsprozess in Deutschland für die GmbH ca. zwölf Wochen. Die UK-ltd. kann durch natürliche wie auch juristischen Personen gegründet werden und die Mindestanzahl von Gesellschaftern liegt bei einer Person40.

Das Unternehmen muss eine Satzung haben. Sie besteht aus den sog. articles of association sowie dem memorandum of association41.


3.1.2Memorandum of association

Diese Bescheinigung braucht jedes Unternehmen in Großbritannien. Es dient u.a. zur Darlegung von Besonderheiten und Bevollmächtigungen der Gesellschaft. Dieses Dokument enthält Angaben über den Gesellschaftszweck, den Namen der Gesellschaft und den Ort des Sitzes42.


3.1.3Articles of association

Das Dokument bestimmt interne Regelungen des Betriebes und die Gesellschafterbefugnisse. Hierzu gehören insbesondere Bestimmungen über Stimmrechte, Gesellschafterversammlungen und über den Transfer der Gesellschaftsanteile43.


3.1.4Gründung

Die genannten Dokumente müssen zudem die Adresse, den Namen, den Beruf, die Staatsangehörigkeit wie auch das Geburtsdatum der directors und der secretary enthalten, welche zwingend als Organ der Gesellschaft vorhanden sein müssen44. Weiteres Organ ist die Gesellschafterversammlung, die auch nur aus einem Gesellschafter bestehen kann45. Wie die GmbH ist auch die UK-ltd. nicht an der Börse zugelassen.


Das Stammkapital variiert von Bundesstaat zu Bundesstaat, wird aber in vielen US-Bundesstaaten gar nicht benötigt (s.A. Gesellschaftsrechtsformen II). Eine Einlage kann durch Sach- oder Bareinlage erfolgen. Die Gesellschaft wird erst in dem Moment rechtsfähig, in dem die Eintragung erfolgt. Für den Gründungsprozess wird kein Notar benötigt47. Die Eintragungsgebühren belaufen sich auf rund 1000,00 Euro und nach ungefähr drei Wochen ist die Gesellschaft startbereit zu wirtschaften.

Sie kann gegründet werden durch natürliche und/oder juristische Personen. Es werden mindestens zwei Gesellschafter benötigt48.


3.2.2Besonderheiten

Das Gesellschaftsrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht einheitlich, die jeweiligen Bundesstaaten können unterschiedliche Ansätze verfolgen. Jedoch gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Gebieten, sodass keine großen Regelungsdifferenzen bestehen49. Rechtsangleichungen finden statt auf Grundlage der Modellgesetze. Manche Bundesstaaten übernehmen diese Modellgesetze ohne Veränderungen in ihr Rechtssystem.

Viele Staaten folgen den Regelungen des Bundesstaates Delaware aufgrund seines liberalen und praxisorientierten Gesellschaftsrechtssystems50.


3.2.3Gründung

Zur Gründung müssen die articles of incorporation unterzeichnet werden. Diese müssen beglaubigt und im jeweiligen Bundesstaat, in dem die Gründung erfolgen soll, beim Secretary of State eingereicht werden. Die Einhaltung der formellen Gründungsbedingungen wird geprüft und ein sog. certificate of incorporation erstellt51.

Die Organe der corporation werden durch directors, officers und shareholders gebildet. Der Aufgabenbereich der directors umfasst die Geschäftspolitik sowie die Managementüberwachung. Gegenüber den Aktionären sind sie nicht weisungsgebunden, aber sie werden von ihnen gewählt52. Den officers obliegen die Gesellschaftsleitung und die Vertretung des Betriebs. Im Gründungsprozess der Gesellschaft werden die Zuständigkeitsbereiche dieser Personen bestimmt.

Im Übrigen haben die Gründer des Unternehmens für die Verteilung der Aufgaben zu sorgen53.

Die shareholders, also die Aktionäre, können in der jährlichen Hauptversammlung die directors wählen. In Hauptversammelungen, die außerordentlich stattfinden, wird beispielsweise über Verschmelzungen entschieden, welche die Aktionäre ebenfalls beeinflussen können54.


4EuGH-Rechtsprechung und Kollisionsrecht

4.1Inspire Art

Die EuGH-Entscheidung Inspire Art55, welche am 30.09.2003 verkündet wurde, weist Ähnlichkeiten zu den EuGH-Entscheidungen Überseering (Abschnitt 4.2) und Centros (Abschnitt 4.3) auf. Aus deutscher Sicht bedeuteten die Urteile eine „Revolution“ im internationalen Gesellschaftsrecht56. Nach Inspire Art können nun Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet wurden, zulässige Briefkastengesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat gründen und ihre unternehmerischen Tätigkeiten im jeweiligen Heimatstaat fortsetzen57.

Dem internationalen Privatrecht ist auch das internationale Gesellschaftsrecht zugeordnet. Hier geht es darum, welche Rechtsbestimmungen auf ein Unternehmen Anwendung finden. Aus ihnen ergibt sich das Gesellschaftsstatut auch lex societatis genannt58.

Bei der Entscheidung Inspire Art ging es um eine niederländische Angelegenheit59. Dabei stellte sich die Frage, ob das niederländische Gesetz über formal ausländische Gesellschaften (WFBV) EU-rechtskonform ist. Dieses Gesetz betrifft Kapitalgesellschaften, welche nicht in den Niederlanden gegründet wurden, sondern außerhalb dieses Territoriums, aber der gegründete Betrieb keine Verbindung zum jeweiligen Gründungsstaat innehat, sondern zu 100 Prozent oder fast ausschließlich in den Niederlanden tätig ist60.

Bei dem WFBV handelt es sich um eine einseitige Kollisionsvorschrift. Danach bestimmt das niederländische Recht, dass eine ausländische Briefkastengesellschaft in den Niederlanden zwar nach Gründungsrecht anerkannt wird, jedoch müssen neben den Vorschriften des Gründungsrechtsstaates auch die Normen des WFBV beachtet werden. Danach sind die Geschäftsführer der Scheinauslandsgesellschaft gem.

Art. 2 WFBV verpflichtet, diese Scheinauslandsgesellschaft im niederländischen Handelsregister als formal ausländische Gesellschaft eintragen zu lassen61. Die Scheinauslandsgesellschaft muss mit dem Zusatz formal ausländische Gesellschaft firmieren (Art. 3 WFBV). Hierdurch soll der Rechtsverkehr geschützt werden. Die Gesellschaft muss gem. Art. 4 WFBV einen Stammkapitalnachweis vorlegen, aus dem sich ergibt, dass das Stammkapital mindestens dem in den Niederlanden notwendigen Nennkapital von 18.000 Euro entspricht62.

Sofern dieses Unternehmen seine wirtschaftliche Tätigkeit beginnt, ohne die genannten Bedingungen zu erfüllen, haften die Geschäftsführer gem. Art. 4 Abs. 4 WFBV für alle durchgeführten Rechtsgeschäfte gesamtschuldnerisch persönlich63.

Es handelte sich um die Gesellschaft Inspire Art ltd., die in England gegründet wurde und über eine Zweigniederlassung in den Niederlanden ihre wirtschaftliche Tätigkeit ausübte. Gründe für eine Gesellschaftsgründung in England waren, dass dort erleichterte Gründungsvoraussetzungen bestanden und eine Gesellschaft viel schneller eingetragen werden konnte als in den Niederlanden64.

Der EuGH hat die Regelung des WFBV mit der Niederlassungsfreiheit als unvereinbar bewertet. Das Gericht hat das Urteil aus den zuvor verkündeten Entscheidungen Centros und Überseering abgeleitet. Nach dem Urteil Überseering darf der Aufnahmestaat sein nationales Gesellschaftsrecht nicht in der Weise anwenden, dass die Niederlassungsfrei-heit behindert wird. Auch dürfen nicht weitere Gründungsbedingungen des Zuzugsstaates angeordnet werden, welche nicht unbedingt eine Notwendigkeit darstellen65.

Beim Urteil Inspire Art darf die Gesellschaft somit nicht als Briefkastengesellschaft dargestellt werden. Außerdem darf keine Offenbarung im Handelsregister als eine Gesellschaft mit Briefkastencharakter verlangt werden. Folglich braucht die Scheinauslandsgesellschaft in den Niederlanden nicht das notwendige Stammkapital von 18.000 Euro zu erbringen. Den Geschäftsführern der Briefkastengesellschaft dürfen keine strengeren Bestimmungen auferlegt werden als den Geschäftsführern einer normalen Gesellschaft im Inland66.


4.2Ãœberseering

Durch das Urteil Überseering67, welches vom EuGH am 05.11.2002 verkündet wurde, wurde die Niederlassungsfreiheit weiter liberalisiert. Nun können Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft ihren Verwaltungssitz verlagern, ohne dass der Aufnahmestaat dies verhindern kann68.

Eine Parteifähigkeit wurde der Gesellschaft zugesichert und die Aberkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft ist in Deutschland und europaweit seit 2002 unzulässig70. Beim Überseering-Urteil ging es nicht um die Problematik des Wegzuges. Es handelte sich bei dieser Rechtsangelegenheit um das Problem des Zuzuges nach Deutschland71. Nach dem Wortlaut der Art. 49 und 54 AEUV (Niederlassungsfreiheit) kann eine Beschränkung der Rechtsfähigkeit im Zuzugfall in einen Gemeinschaftsstaat nicht als EU-rechtskonform angesehen werden72.

Fraglich ist, ob die Rechts- bzw. Parteiunfähigkeit gerechtfertigt sein könnte, um Gläubiger, Minderheiten, Arbeitnehmer und das Gemeinwohl zu schützen.

Der EuGH vertrat die Rechtsauffassung, dass diese Schutzgedanken keine ausreichende Argumentationsgrundlage bieten, um einer Gesellschaft, welche in einem EU-Staat gegründet wurde und ihren Verwaltungssitz in einen anderen Staat der EU verlegt, die Rechtsfähigkeit zu entziehen73.

Der EuGH hat in dem Urteil entschieden, dass die Überseering BV, welche in den Niederlanden tatsächlich gegründet wurde und ihren Satzungssitz in diesem Staat hat, gem. den Art. 49 sowie 54 AEUV die Befugnis hat, durch die Niederlassungsfreiheit in Deutschland nach niederländischem Recht zu agieren. Damit konnte Deutschland eine Entziehung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nicht durchsetzen und musste die Gesellschaft anerkennen74.


4.3Centros

Das Urteil Centros75 hat im internationalen Gesellschaftsrecht eine große Bedeutung, da von diesem Zeitpunkt an die Verweigerung einer Eintragung einer ausländischen Zweigniederlassung in einem Gemeinschaftsstaat im Normalfall europarechtswidrig ist76.

Bei der Rechtssache Centros ging es darum, dass die Ehegatten Bryde als dänische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Dänemark als Gesellschafter der in Großbritannien gegründeten Centros ltd. wirtschaftlich tätig sind. Diese Gesellschaft ist in Wales und England eingetragen als ltd. Die Ehefrau ist für die Gesellschaft als Direktorin tätig77.

Mit der Centros ltd. wollten die Ehegatten in Wales und England zu keiner Zeit wirtschaftlich tätig sein. Ziel der Unternehmer war es, das dänische Gesellschaftsrecht und damit die Zahlung der Stammeinlage zu umgehen. Für eine entsprechende dänische GmbH war eine Stammeinlage von umgerechnet rund 60.000 DM notwendig. Damals betrug das Mindeststammkapital in England rund 100 Pfund78.

Die Ehefrau wollte 1992 im dänischen Handelsregister die Zweigniederlassung der Centros ltd. eintragen lassen. Eine gesetzliche Grundlage dieser Eintragung war der § 117 des dänischen GmbH-Gesetzes, wodurch ausländische Gesellschaften die Möglichkeit hatten, ihre Zweigniederlassung in Dänemark registrieren zu lassen79.

Das dänische Handelsregister verweigerte die Eintragung, weil es der Auffassung war, dass die Eheleute das dänische Gesellschaftsrecht zu umgehen beabsichtigten, um die Zahlung des Stammkapitals zu verhindern. Das Verfahren durchlief die nationalen dänischen Gerichtsinstanzen bis hin zur Vorabentscheidung beim EuGH über die Frage, ob die Verweigerung der Eintragung mit den Art. 49 i.V.m. 52 und 54 AEUV vereinbar und damit europarechtskonform sei80.

Das EuGH hat entschieden, dass eine Eintragung der Zweigniederlassung in Dänemark nicht hätte verweigert werden dürfen, da diese Maßnahme gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen würde. Auch wenn die Eheleute in England die Centros ltd. gegründet haben und tatsächlich doch nur in Dänemark beabsichtigen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit durchzuführen, so kann das dänische Handelsregister die Eintragung nicht mit der vorgenommenen Begründung ablehnen.

Das Centros-Urteil ist auch aus deutscher Sicht für Zuzugsangelegenheiten bedeutend, sodass ausländische EU-/EWR Gesellschaften die Befugnis erlangen, in Deutschland ihre wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben82.


4.4Kollisionsrecht

Beim internationalen Gesellschaftsrecht geht es darum, welches Recht eines Staates bezüglich der Gesellschaften, die in diesen Staaten ihren Sitz verlegt haben, zur Anwendung kommt. Das jeweilige in Betracht kommende Recht wird als Gesellschaftsstatut bezeichnet. Der deutsche Gesetzgeber hat die Bestimmung des Gesellschaftsstatutes nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, sondern der Lehre und der Rechtsprechung überlassen83.

In diesem Zusammenhang stellt sich beispielsweise die Frage, ob eine deutsche GmbH überhaupt im Ausland agieren kann, ob dieses Unternehmen auch im Ausland eine beschränkte Haftung aufweist und im Ausland rechts- und parteifähig ist, d.h. aktiv klagen kann und die Möglichkeit hat, wirksam Verträge im Ausland abzuschließen.

Zur Lösung dieser Problematik gibt es zwei Theorien: die Sitztheorie und die Gründungstheorie. Eine dieser beiden Theorien findet in einem Staat Anwendung zur Klärung, wie mit solchen fremden Unternehmen im Hoheitsgebiet umzugehen ist84.

Die Gründungstheorie hat den Vorteil, dass das Gesellschaftsstatut relativ schnell und einfach ermittelt werden kann87. Im Falle einer Gründung einer Gesellschaft führen zukünftige Modifikationen z.B. bezüglich des Gesellschaftszwecks oder der Verlegung des Sitzes zu keiner Abänderung des Gesellschaftsstatutes88.

Da das Gesellschaftsstatut bei der Gründungstheorie einfach zu bestimmen ist, ergibt sich, dass gegenüber der Sitztheorie eine erhöhte Rechtssicherheit besteht, weil es sich um den Aspekt des Ortes der Gründung handelt89. Der Nachteil der Gründungstheorie ist, dass den Interessenten die Möglichkeit geschaffen wird, Unternehmen nach der Rechtsordnung eines Staates zu gründen, zu dem außerhalb der Gründung keine Beziehungen bestehen.

Die Gründer haben danach die Option, international die vorteilhafteste Gesellschaftsform zu wählen, egal in welchem Hoheitsgebiet das Unternehmen tatsächlich seinem Gesellschaftszweck nachkommt90. So besteht die Möglichkeit, das Recht des Staates, in dem die Betriebstätigkeit entfaltet werden soll bezüglich des Gläubigerschutzes wie auch Bestimmungen über Minderheitsgesellschaftern leicht umgangen werden können.

Die Sitztheorie hat somit das Ziel, den Handelsverkehr im jeweiligen Staat vor mit zweifelhafter Motivation gegründeten Auslandsgesellschaften zu schützen93.

In Deutschland findet nach der herrschenden Meinung die Sitztheorie Anwendung, um die Missbrauchsmöglichkeiten, die sich durch die Gründungstheorie ergeben können, zu verhindern94. Es soll nicht die Rechtsordnung zur Anwendung kommen, welche den niedrigsten Sicherheitsstandard im Gesellschaftsrecht z.B. für die Beschäftigten oder die Gläubiger eines Unternehmens bietet95.


5Chancen im Rahmen der Expansion

5.1Neue Planungsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen durch das MoMiG

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechtes und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ist das GmbH-Recht zum 01.11.2008 reformiert worden96.

Es handelt sich dabei um die größte Neugestaltung seit Inkrafttreten des GmbH-Gesetzes im Jahre 1892. Ziel des MoMiG ist die Modernisierung des GmbH-Gesetzes durch Deregulierung sowie die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit für die GmbH97. Ein weiteres Ziel besteht in der Bekämpfung von Missbrauchsfällen durch Verschärfung der Insolvenznormen. Damit werden im Falle einer Führungslosigkeit der GmbH auch die Gesellschafter verpflichtet, den Insolvenzantrag zu stellen.

Durch die Reform sollte die Attraktivität der GmbH als Rechtsform gesteigert werden, denn seit der EuGH-Rechtsprechung (insb. Inspire-Art) im Jahre 2003 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaftsrechtsformen steht die GmbH mit anderen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsformen u.a. in Bezug auf die Gründungsvoraussetzungen im Wettbewerb99.

Nach der Reform ist es nun möglich, sich für eine Unterform der GmbH, die Unternehmergesellschaft (UG) zu entscheiden. Im Gegensatz zur GmbH, bei der ein Stammkapital von 25.000 Euro notwendig ist, wird dies bei der UG zur Gründung nicht benötigt100.

Auf die UG finden die gleichen gesetzlichen Normen Anwendung wie für eine normale GmbH - § 5a GmbHG bildet ihre rechtliche Grundlage. Die Stammeinlage muss mindestens 1 Euro betragen und anders als in § 4 GmbHG für die eigentliche GmbH bestimmt, muss die Firma die Benennung UG (haftungsbeschränkt) oder Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) aufweisen101.

Eine Abkürzung des Zusatzes haftungsbeschränkt darf nicht vorgenommen werden. Abweichend von § 7 Abs. 2 GmbHG muss für die UG das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt werden, erst dann darf die Anmeldung der Gesellschaft erfolgen. Das festgelegte Stammkapital sowie Kapitalerhöhungen sind in bar zu leisten, sodass Sacheinlagen ausgeschlossen sind102.

Eine Ausschüttung der Gewinne darf bei der UG nicht in voller Höhe vorgenommen werden, sondern es muss ein Viertel des Gewinnes in eine gesetzliche Rücklage eingestellt werden bis zu dem Zeitpunkt, in dem 25.000 Euro als Mindeststammkapital erreicht werden. Hierbei gibt es keine bestimmte Frist. Wird die Steigerung des Stammkapitals auf 25.000 Euro erreicht, besteht die Möglichkeit einer Umfirmierung104.

Danach kann entweder die Bezeichnung als UG (haftungsbeschränkt) beibehalten werden oder eine Entscheidung für eine normale GmbH getroffen werden. Die Umfirmierung von der UG (haftungsbeschränkt) zur typischen GmbH bedarf allerdings der notariellen Form und Eintragung ins Handelsregister105.


5.1.1Verlagerung

5.1.2Verlagerung der Geschäftsleitung ins Ausland

Nach § 4a GmbHG ist der Sitz der Gesellschaft der Ort im Inland, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt. Diese Norm wurde durch das MoMiG neu gestaltet, der 2. Abs. wurde gestrichen106. Vor der Reform musste der Satzungssitz (Registersitz) regelmäßig der Ort sein, an dem sich die Verwaltung, der Betrieb oder die Geschäftsleitung der Gesellschaft befand.

Der Standort, in dem die Verwaltung der Gesellschaft tatsächlich geführt wird, ist der Verwaltungssitz (Sitz der Geschäftsleitung). Dies ist der Ort, an dem die Gesellschafterversammlungen stattfinden, an dem die Geschäftsführer zusammenkommen, an dem die bedeutenden Entscheidungen der Gesellschaftsleitung tatsächlich in laufende Geschäftsführungsakte realisiert werden109.

Bei einer GmbH besteht die Möglichkeit den Satzungssitz frei zu wählen. Jedoch muss dieser im Hoheitsgebiet Deutschlands liegen im Gegensatz zum Verwaltungssitz, welcher entweder im In- oder im Ausland liegen kann. Nur in Ausnahmefällen ist es zulässig, dass eine GmbH einen Doppelsitz unterhält. Daher kann sie grundsätzlich nur einen Satzungssitz haben und zwar unabhängig davon, ob mehrere Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen bestehen110.

Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann bei einer Verlegung des Satzungssitzes einer GmbH in ein anderes, ausländisches Territorium keine Eintragung erfolgen, auch wenn es sich um einen anderen EU-Staat handelt111. Es bestehen keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung. Im Falle einer Verlegung des Satzungssitzes der GmbH ins Ausland, würde die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verlieren und sich auflösen müssen112.

Art. 49 i.V.m. Art 54 AEUV den Unternehmen aus EU-Staaten bereits die Möglichkeit eröffnet, den Verwaltungssitz in andere Gemeinschaftsstaaten zu verlegen. Somit konnte kein Staat der Gemeinschaft gegenüber einer Zweigniederlassung, welche in einem anderen EU-/EWR-Staat wirksam gegründet wurde, die Erfüllung weiterer Bedingungen verlangen beispielsweise hinsichtlich der Haftung oder des Mindestkapitals der Gesellschaft114.

Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften wird verletzt, sofern ein Staat der EU/EWR sein Gesellschaftsrecht so gestaltet, dass die Verlegung der Hauptverwaltung nicht möglich ist. Nach der Neufassung des § 4a GmbHG, können die Tätigkeiten einer deutschen GmbH über eine ausländische Zweigniederlassung durchgeführt werden, sodass z.B. eine Muttergesellschaft eines deutschen Konzerns in der Gemeinschaft weiterhin die Rechtsform der GmbH für ihre Tochtergesellschaften beibehalten kann.

Damit kann die Nutzung der GmbH auch in Form einer Briefkastengesellschaft erfolgen115. Für die deutschen Gerichte sowie die Behörden würde ein ausländischer Satzungssitz eine Erschwernis bzw. Verhinderung für die Durchsetzung des deutschen Gesellschaftsrechts bedeuten116.


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