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Rhetorik im Sachunterricht – eine Grundlagenarbeit

Inhalt

Einführung 1

Grundlagen der Rhetorik – eine Sachanalyse 2

Die Redegattungen 2

Die Aufgaben des Redners 2

Die Fragenweisen 3

Die fünf Bearbeitungsphasen 3

Inventio 4

Dispositio 5

Elocutio 6

Memoria 9

Pronuntiatio 9

Pädagogische und didaktische Aspekte und Anwendungsfälle 10

Sach-Texte als Sach-Geschichten (Boy Hinrichs) 10

Der Lehrer als Rhetor (Hans-Jürgen Apel) 11

Verortung im Lehrplan 13

Eigene Betrachtung des didaktischen Komplexes Rhetorik 14

Quellenverzeichnis 18

Erklärung 18


Einführung

Sachgegenstand der nachfolgenden Arbeit sei das Thema Rhetorik und Ihre Bedeutung in der Didaktik von Sachtexten. Grundlage war ein Text von Hinrichs 2005, der Ausgehend von den Erkenntnissen der PISA-Untersuchung 2000 argumentiert, dass eine neue Hinwendung zur Rhetorik die Fähigkeiten insb. im Bereich Lesen und Textsinnverständnis fördern würde. Nachfolgend werden die Grundstrukturen der Rhetorik umrissen, anschließend zwei Betrachtungen aus pädagogischer Sicht wiedergegeben.

Abschließend findet eine kurze Einordnung durch den Autor dieser Arbeit statt, der den Themenkomplex aus der Perspektive eine Sprachheilpädagogen betrachtet und Ableitungen für dieses Klientel vornimmt. Ob des theorielastigen Grundstoffes findet keine konkrete Stundenplanung statt. Auf Grund des Umstandes, dass die Fachterminologie griechisch/lateinisch geprägt ist, werden die originalen Begriffe kursiv gesetzt verwendet.

Grundlagen der Rhetorik – eine Sachanalyse

Die Redegattungen

Aristoteles kanonisierte in seiner Rhetorik drei grundlegenden Redegattungen:

  • Gerichtsrede (genusiudicale)

  • Beratungsrede (genusdeliberativum)

  • Lobrede (genusdemonstrativum)

Diese drei Gattungen sind adressatengerecht zuzuordnen und decken im Kern die Tempora Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart (in Reihenfolge der Auflistung) ab. Da dieses Gerüst recht simplifiziert erscheint, gab es bereits in der Antike Auseinandersetzungen, ob nicht weitere Genera für bspw. Trauerreden sinnhaft seien, die bis dato der Lobrede zugeordnet wurde. Mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches allerdings entfiel die Gerichtsrede in ihrer klassischen Form (z.B. Cicero) und die Dreigliederung verblieb als stagniertes Konzept ohne große Bedeutung (Göttert, S. 21).

In der modernen Rhetorik allerdings wurde das aristotelische Gliederungskonzept wieder aufgegriffen und weiterverfolgt.

Die Aufgaben des Redners

Nachdem die konstituierenden Fragen behandelt wurden, behandelt die nächste Problemstellung die Intention des Redners – möchte er Zustimmung beim Publikum hervorrufen, oder geht es aber eher um affektive Aspekte, soll das Publikum also erregt oder besänftigt werden? Die nachfolgende Tabelle ordnet die drei Formen den zu Verwendenden Mitteln und den Zielen zu:

Intellektuell

Affektiv

Einsicht

Besänftigung

Erregung

Logik

Ethos

Pathos

Belehren (docere)

Beweisen (probare)

Gewinnen (conciliare)

Erfreuen (delectare)

Bewegen (movere)

Aufstacheln (concitare)

Tabelle 1 n. Göttert, S.27

Letztendlich dienen all diese Aufgaben der beförderten Rezeption durch die Zuhörenden. Durch das Erzeugen einer geeigneten Grundstimmung können Rezipienten die zu vermittelnde Botschaft einfacher entgegennehmen und anerkennen. Darüber hinaus bilden diese Aufgaben insbesondere im pädagogischen Kontext das Handwerkzeug, mit dem aus einer Rede Unterricht werden kann.

Die Fragenweisen

Vermutungsfrage

(statusconiecturae)

Definitionsfrage

(statusfinitionis)

Rechtsfrage

(statusqualitatis)

Verfahrensfrage

(statustranslationis)

Ja/nein?

Was?

Zu Recht?

Ob überhaupt

Tabelle 2 n. Göttert, S. 23

Die vier Frageebenen entstammen primär der juristischen Tradition und sind in ihrer Form recht selbsterklärend, da sie letztlich den Argumentativen Prozess für eine juristische Urteilsfindung erfragen. Es gilt also zu klären, ob die belangte Person eine zur Last gelegte überhaupt Tat begangen habe. Anschließend ist die Beschaffenheit der Tat in der Definitionsfrage zu eruieren.

Die Rechtsfrage kontextualisiert das Verfahren im bestehenden Rechtssystem währen zu Letzt die Verfahrensfrage beantworten soll, ob das Verfahren überhaupt notwendig und sinnvoll sei.

Die fünf Bearbeitungsphasen

Gedanken (res)

Sprache (verbum)

inventio

Erfindung der Gedanken

disposition

Gliederung der Gedanken

memoria

Einüben der Rede

elocutio

Sprachliche Darstellung des Gedankens

pronuntiatio

Vortrag der Rede

Tabelle 1 n. Göttert, S. 29

Grundsätzlich liegt der Rhetorik stets die Trennung zwischen res (Gedanke/Sachebene)und verbum (Sprache) zugrunde. Diese Trennung ist als didaktisches Mittel zu verstehen. Die entstehende Dualität verdeutlich die Grundentscheidung, sachlich-argumentative Aspekte von den sprachlich-stilistischen Aspekten zu trennen. Es herrscht Uneinigkeit, ob die memoria Teil des res (Cicero) oder der verba sein sollte (Herennius), unter Betrachtung des Umstandes, dass die Trennung allerdings im finalen Produkt nicht ersichtlich ist, bleibt die Debatte in diesem Punkt eher akademischer Natur.

Auch Lehrwerke weisen in diesem Bereich Differenzen auf (vgl. Göttert S. 30 mit Kolmer & Santer, S. 40). Praktisch ergibt sich, dass die Bearbeitungsreihenfolge weitgehend sukzessiv verläuft, allerdings ist die elocutio naheliegender Weise der memoria vorangestellt, obschon selbige eher der res denn dem verbum zugeordnet wird.

Nachfolgend werden die fünf Phasen der Bearbeitung besprochen und im Detail behandelt. Jede einzelne Phase ist weiter untergliedert.

Inventio

Der Prozess der Gedankenfindung ist mehrteilig (je nach Autor vier bis sieben Teile (Kolmer, S. 42)) gegliedert (Kolmer ebd.):

  • Einleitung (exordium)

  • Gliederung (divisio/partitio)

  • Themenstellung (propositio)

  • Schilderung des Sachverhalts (narratio)

  • Begründung (argumentatio)

  • Schluss (peroratio/conclusio)

Das exordium ist üblicherweise kurz zu halten und dient der Fokussierung der Aufmerksamkeit des Publikums auf die Intentionen des Redners. Ziel ist, dass die Zuhörerschaft Redner und Thematik wohlwollend gegenüber eingestellt sind und die Relevanz des Themas für das Publikum selbst ersichtlich wird. Historisch zeichneten sich exordia oftmals durch die Profilierung des Redners durch unmäßig komplexe Diktion und Gemeinplätze aus – ein Verfahren, dass heute nicht mehr empfohlen wird, da es der Thematik zumeist nicht dienlich ist.

Im Rahmen der Einleitung kann der Redner bereits seine Verbindung zu den zu behandelnden Topoi darstellen. Heutzutage dient im professionellen Kontext die Einleitung oftmals dem Begrüßen etwaiger Gäste und ähnlichen Formalitäten, was sie zu einer zunehmend unbeliebten Etappe der Rede verkommen lässt (Kolmer, S. 43).

Die divisio ist ein primär juristischer Aspekt, der kommende Streitpunkte im gegebenen Fall vorankündigt – in anderen Gattungen ist die Rolle untergeordnet bis nicht existent.

Auch die propositio ist kein allgemeingültig auftretender Teil der Rede, ermöglicht aber die Eingrenzung des Themas und das Ankündigen von Schwerpunktsetzungen innerhalb der Thematik (Kolmer, S. 43-44).

Die narratio soll in kurzer, prägnanter Form den gegebenen konkreten Sachverhalt darstellen, den es zu verhandeln gilt. Dabei ist die übliche Trennung zwischen subjektiver und objektiver Betrachtung nachrangig, da letztlich die Erzählform bestimmt, wie der Sachverhalt rezipiert wird. Beschrieben werden drei Tugendenden der Schilderung von Sachverhalten: Kürze, Klarheit, Glaubwürdigkeit.

Die angesprochene Klarheit (narratio aperta) soll in einer klar ersichtlichen Verkettung der geschilderten Elemente liegen, sodass der Verlauf des Geschehenen sinnvoll nachvollziehbar wird. Dies ist zugleich die Grundlage für die narratio probabilis, der Glaubwürdigkeit der Aussage anhand der Wahrscheinlichkeit für das geschilderte Geschehen. Das Publikum bringt üblicherweise bereits eine vorbestehende Meinung mit, die entsprechen angesprochen und eingeordnet werden sollte, um adressatengerecht zu kommunizieren.

Hierbei kommt der Inventionshexameter als Sammlung konstituierender Fragen zum Einsatz: Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando(„Wer, Was, wodurch, warum, wie (auf welche Art), wann“).

Die argumentatio dient der Begründung der aufgestellten Thesen und ist damit der Hauptteil der Rede. Grundsätzlich sind dabei drei Arten der Argumente bekannt: Zeichen (Indizien), Beispiele (induktive Argumentation) und Gründe (deduktive Arg.). Dieses Gefüge wurde von Aristoteles ausführlich behandelt, wobei jener der Schwerpunkt auf deduktive Argumentationsmuster legte (Göttert, S. 35-37.). Die Beweisführung an sich kann entweder konfirmativ erfolgen, oder aber durch Widerlegung geschehen. (Kolmer, S. 44.)

Final verbleibt die peroratio, das Schlusswort. Diese verbindet zwei Komponenten, nämlich die Sicherung des vorher vermittelten Wissens, sowie die Anregung zum eigenen Handeln.

Dispositio

Die Gliederung der bereits gefundenen Kerngedanken sollte ebenso sinnvoll wie wirkungsvoll erscheinen. Dies kann entweder in der „natürlichen“ Ordnung erfolgen, die in der inventio verfolgt wurde, es kann aber auch als disruptives Element in medias res gegangen werden, sprich, einen eigentlich eingebundenen wirkungsstarken Teil herauszugreifen und daraus die Argumentation zu konstituieren, sodass mit einem beeindruckenden Anfang begonnen wird.
Grundsätzlich sollte geplant werden, welche Argumente den bestmöglichen Effekt zu einem bestimmten Teil der Rede hervorrufen können. Üblich ist ein klimaktischer Aufbau, der den Spannungsbogen kontinuierlich zum Ende der Rede hin steigert. (Kolmer, S.40)

Elocutio

Gemäß der vorab besprochenen Gliederung in res und verba ist die elocutio der Kernbereich letzterer Kategorie. Im Sinne Ciceros geht es dabei um die „Einkleidung“ der in der inventio gefundenen Gedanken – der Stilistik.

Diese Entwicklung traf in der Neuzeit auf starke Ablehnung, da derart schmuckreiche Sprache vom Kern der Sache ablenke. R. Descartes hatte beispielsweise die Absicht, die Wahrheit „nackt“ erscheinen zu lassen (Göttert, S. 42). Die weitere Entwicklung zeigte, dass eine ideale Sprache in diesem Sinne nicht möglich respektive konstruierbar sei, so dass das Bildliche zunehmend zurück in die Betrachtung der Linguisten und Semiotiker geriet. (Göttert, S. 42).

Tugenden sprachlicher Gestaltung (virtutes elocutionis)

Stilgattung / genera

Sprachrichtigkeit

latinitas

Klarheit

perspicuitas

Schmuck

ornatus

Angemessenheit

aptum

hoher Stil

mittlerer Stil

schlichter Stil

Tabelle 2 n. Göttert, S. 41

Die antike Rhetorik trennte zwischen den Tugenden sprachlicher Gestaltung und den Stilgattungen (s. Tabelle 4). Die einzelnen Tugenden sollen nachfolgend beleuchtet werden.

Latinitas

Grundlegend werden vier Richtlinien der Sprachrichtigkeit für Formulierungen unterschieden: ratio, vertustas, auctoritas und consetuedo.

Die ratio, oder auch Gesetzmäßigkeit einer Wendung beschreibt die idiomatisch korrekte Verwendung von Redenwendungen.

Vetustas beschreibt das Alter, bzw. die Verbürgtheit und Geläufigkeit der Wendung. Altertümlichkeiten gelten nur als akzeptabel, wenn sie ironisierend wirken, ansonsten ist zeitgemäße Idiomatik vorzuziehen. (Göttert, S. 43)

Auctoritas, Autorität bezieht sich auf den Umstand, dass Argumentationen oftmals auf Werke vorangegangener Autoren referenzieren, um ihre Validität zu stützen (Kolmer, 202).

Zuletzt verbleibt der consuetudo, der allgemeine Sprachgebrauch, der im Zweifelsfall allen vorangegangenen Kriterien überzuordnen ist. Abweichungen davon gelten als Fehler und können beispielsweise sein: Barbarismen (Verstöße auf Einzelwortebene), Solözismen (syntaktische Abweichungen), Neologismen, Dialekte. Die Grenzen zwischen stilistischer Nutzung und Fehler können dabei fließend sein – ein Pleonasmus ist einerseits ein Solözismus, andererseits ein probates Mittel zu Hervorhebung eines Ausdrucks. (Göttert, S. 43-44)

In der modernen Rhetorik stellt insbesondere fachspezifische Terminologie ein Problem dar, da sie Fachfremden üblicherweise nicht zugänglich ist und das Verständnis des Textes als Preis für Präzision erschwert wird.

Ornatus

Der Bereich des sprachlichen Schmucks ist das mit weitem Abstand am exzessivsten behandelte Gebiet der Rhetorik. Die Fülle an Möglichkeiten, die die Stilmittel bieten, übersteigt den Rahmen einer Seminararbeit um ein Vielfaches. Nachfolgend sollen einige Optionen dargestellt werden, zunächst als Übersicht:

in Einzel-wörtern

in Wortverbindungen

Tropen

Wortfiguren

Sinnfiguren

Wortfügungen

Ersetzung

Hinzufügungen

Auslassung

Umstellung

Lizenz

Apostrophe

rhetorische. Frage

Konzession

Anheimstellung

Evidenz

Personifikation

Allegorie

Rhythmus

Klauseln

Metapher

Katachrese

Metonymie

Synekdoche

Emphase

Hyperbel

Umschreibung

Anapher

Epipher

Paronomasie

Polyptoton

Synonymie

Polysyndeton

Asyndeton

Ellipse

Zeugma

Hyperbaton

Parallelismus

Antithese

Chiasmus

Tabelle 3 n. Göttert, S. 45

Aptum

Das Kriterium der Angemessenheit umfasst sämtliche Arbeitsschritte des rhetorischen Prozesses, sei es die Frageweise, Gedankenauswahl oder sprachliche Ausgestaltung der Rede. Diese Eigenschaft macht das aptum zum Kern der rhetorischen Arbeit, obschon die Formalisierbarkeit kaum möglich ist – letztlich verbleibt als Instanz nur das Fingerspitzengefühl des Verfassenden.

Demgegenüber bestand in der Antike die Annahme, dass Angemessenheit objektivierbar wäre, Cicero behandelte dieses Thema gar in seiner Ethik „Von den Pflichten“. Der zu Grunde liegende Gedanke ist der, dass nur Dinge, die der wahren Ordnung entsprechen, Wirksamkeit entfalten können. Dies sei eine Notwendigkeit, die sich aus der Pervertierbarkeit der rhetorischen Lehre ergäbe.

Genera dicendi / Stilgattungen

Neben den vier Tugenden verbleibt noch der Aspekt der Stilgattungen (nicht zu verwechseln mit den Redegattungen s. S. 2) als übergeordnetes Konstrukt. Die Entwicklung dieser Kategorien wird als außerordentlich kompliziert beschrieben (Göttert, S. 64). Aristoteles kannte noch keine Unterscheidungen, riet also zu einem mittleren Stil für sämtliche Lebenslagen.

Herennius und Cicero hingegen führten eine Differenzierung ein, die von der Menge an Ornat abhängig war: viel Schmuck sollte einem höheren Stil entsprechen als weniger Schmuck es täte. Cicero ergänzte später noch die drei Absichten des Redners (s. Tab. 1) als Kriterien für die Wahl des passenden Stilregisters. Spätere Entwicklungen lösten sich von dem Ornat als distinguierenden Merkmal und proklamierten einzig den Stoff der Rede als Parameter.

Letztlich kam es Ende des 17. Jhd. zu einer Atomisierung des Stilbegriffes, denn Stil wurde immer mehr konkreten Autoren zugeordnet, im Verlauf entstanden über 100 Stilrichtungen. Diese Entwicklung resultierte in der Entstehung des Individualstils der Klassik, in der das Genius des Verfassers im Vordergrund stand. Insgesamt soll das aptum situationsgerechtes Verhalten in der Redesituation sicherstellen (Asmuth in HWRh, Bd.1 S.580)

Die Komplikationen dieser Verfahrensweise können hier nicht hinreichend bearbeitet werden, jedoch liegt nahe, dass bei zunehmend komplexer und abstrakter Metaphorik die Vorortung eben jener Informationen innerhalb dieser imaginären Konstrukte zunehmend kompliziert wird.

Insgesamt wurden unterschiedliche bildgestützte Merkverfahren proponiert. Noch Ende des 16. Jhd. Schlug Francis Bacon Merkbilder vor, die den einzelnen Abschnitten der Rede zugeordnet waren (Göttert, S. 68).

Pronuntiatio

Die pronuntiatio oder auch actio beschreibt den eigentlichen Vortrag der Rede. Quintillian bezeichnet ihn gegenüber Demosthenes Teil als denn alles entscheidenden Aspekt (Göttert, S. 69).

Die Ausgestaltung kann in den Bereichen Stimmlage/-gebung, Körperhaltung, Gestik oder Kleidung angepasst werden. (Kolmer, S. 42). Die historischen Vorgaben divergieren dabei relativ stark – das Spektrum bewegte sich zwischen einer stark deklamatorisch geprägten Vortragsweise, die an das Bühnenschauspiel angelehnt war, bis hin zu bewusst gemäßigten Formen, insgesamt blieb die Nähe zur Bühnensprache aber erhalten.

Pädagogische und didaktische Aspekte und Anwendungsfälle

Nachfolgend soll die Rolle der Rhetorik im Bereich des pädagogischen Handelns betrachtet werden. Zu diesem Zweck wird neben dem Ausgangstext von Hinrichs noch die Bedeutung der Rhetorik für den Lehrenden angesprochen. Eine Anwendung des Lehrplanes findet nachfolgend statt. Abschließend wird eine kurze sonderpädagogische Einordnung des Stoffes im Rahmen des sprachheilpädagogischen Arbeitens vorgenommen.

Sach-Texte als Sach-Geschichten (Boy Hinrichs)

Auf den Ausgangstext zurückgehend sollen nachfolgend unterschiedliche Aspekte der Rhetorik im Bereich des schulischen Arbeitens, insb. Im Deutschunterricht umrissen werden.

Hinrichs beklagt in seinem Defizite im Bereich der Lesekompetenz, die im Rahmen der PISA-Studie (2000) offenbar wurden, um zum einen die Begrifflichkeiten, respektive deren Übersetzungen aus dem Englischen zu bemängeln, um anschließend herzuleiten, dass die Fähigkeit, Sachtext sinnentnehmend zu rezipieren eine stetig abnehmende Fähigkeit sei (S. 172), die letztlich der Kernbereich des Deutschunterrichts zuzuordnen wäre.

Insgesamt beurteilt Hinrichs die Entwicklung nach PISA weg von einer kulturellen Kompetenz im Literaturunterricht hin zu einer Lesekompetenz, die die sozialen und politischen Facetten in den Vordergrund bringt, mit dem Ziel Mündigkeit der SuS zu befördern. Dies sei letztlich ein Ziel, dem sich der Autor doch erbarmen könne (S. 173), einen didaktischen Beitrag zu leisten.

Im Umgang mit Sachtexten wird auf die Eigentümlichkeit hingewiesen, dass insb. in der Deutschdidaktik tätige Menschen über eine besonders hohe Lesekompetenz verfügen, da diese Fähigkeit ein konstituierendes Merkmal ihrer theoretischen Arbeit sei. Gleichzeitig wird die Schreibkompetenz als logische Konsequenz der Lesekompetenz herangezogen, die die gesellschaftliche Partizipation erst ermöglicht – die Lesekompetenz solle so weit entwickelt sein, dass sie sich in Schreibkompetenz manifestiere.

Spätestens im akademischen Kontext sei dies der Normalfall (S. 173). Allerdings wird die Fähigkeit, auch sperrige Fachtexte zu dechiffrieren, ohne explizite Ausbildung dahingehend vorausgesetzt, dass die im universitären Umfeld verwendete Literatur üblicherweise nach inhaltlichen Kriterien, und nicht nach Form ausgewählt wird, obschon dies zu unnötigen Verständnisproblemen führen könne.

Die moderne Aufsatzlehre beziehe sich nur noch rudimentär auf die doctrina, auch ansonsten seinen höchsten Tropen und Figuren Unterrichtsthema, aber nicht in dem Kontext, dem sie entstammen, und ohne die zu Grunde liegende Fundierung zu erläutern.

Als mögliche Didaktik der Rhetorik blickt Hinrichs in die Geschichte der selbigen. Im 19. Jhd. wurde an das Thema vorerst rezeptiv herangeführt, in dem (oftmals) klassische Beispiele behandelt wurden. Anhand derer soll die doctrina / das praeceptum erarbeitet werden. Besagte Beispiele konnte durchaus auch von moderneren Vertretern der Rhetorik stammen; so waren Schiller, Goethe oder Lessing geläufige Optionen.

Auch wurden sowohl Sachtexte wie auch Lyrik berücksichtigt. Rückblickend beschreibt Hinrichs, dass eine mögliche Quelle für die nachlassende Lesekompetenz in der Auslassung des Schrittes der imitatio, dem Nachahmen, zuzuschreiben sei (S. 176).

Nachfolgend umreißt Hinrichs den Schöpfungsprozess eines rhetorischen Textes, wie er vorab beschrieben wurde (s. Tab. 3). Sein Plädoyer kulminiert in der Forderung, dass mit der Hinwendung zum Begriff der Literacy auch wieder ein didaktischer Fokus auf die Rhetorik zu legen sei, da diese das Konstitutivum ersterer sei.

Dabei können jedoch Teile der Rhetorik als Stimulanz herangezogen werden: sprachlich saubere Distinktion, Klarheit der Argumentation zum Zwecke des Herausarbeitens von Zusammenhängen und insgesamt konsequentes Denken.

Eine weitere Gemeinsamkeit findet sich in der Problematik, die Aufmerksamkeit der Zuhörenden zu binden – dabei verfolgen Redner jedoch abweichende Ziele von denen der Lehrenden. Erstere versuchen durch die logische Qualität ihrer Darstellung zu überzeugen, währen Lehrkräfte die Inhalte ihres Faches mit Mitteln der Rhetorik anregender zu vermitteln versuchen und bestenfalls zum Eigenstudium anzuregen (S. 55).

Durch das Ziel, die kritische Denkfähigkeit zu befördern stehen Lehrende vor einer Herausforderung, die Rednern sonst fremd ist: Die Mitverantwortung für Sozialverhalten und das Lernen der SuS.

Apel proklamiert folgende These:

„Lehrer müssen in Schule und Unterricht Klassen führen und Sachverhalte in den Erfahrungshorizont Lernender bringen, um Lernen anzuregen. Sie sollen unterrichten und erziehen, beraten und beurteilen. Zur Bewältigung dieser Aufgaben ist es von Vorteil, auch über rhetorische Qualifikationen zu verfügen und diese in den Dienst des didaktischen Handels zu stellen.“ (Apel, S. 55)

Die rhetorische Situation ist eine, der Menschen im alltäglichen Leben oft begegnen, sei es ein politischer Diskurs, ein Vortrag oder auch nur die Rede im Rahmen eines Festes (Apel, S. 57). Bezugnehmend auf Tab. 1 variieren die Aufgaben des Rhetors je nach Situation deutlich, gilt es in Plädoyers oder wissenschaftlichen Vorträgen doch vorrangig darum, auf Basis der dargestellten Faktenlage zu überzeugen (probare, docere), während das Grußwort auf einem Familienfest oftmals vom Wechselspiel zwischen delectare und movere bestimmt ist.

Im politischen Betrieb sind die Aspekte concitare und conciliare neben probare entscheidend für den Erfolg eine Rede.

Zusammenfassend sind rhetorische Auftritte von dem Rahmen geprägt, der die umgibt, eine Erkenntnis, die schon Isokrates (436-338 v. Chr.) aufzeigte, indem er festhielt, dass Reden nicht gut sein können, „wenn sie weder die Umstände berücksichtigen, noch ihrem Gegenstand angemessen sind, noch etwas Neues sagen“ (Isokrates 1832/35, S. 549). Ähnlich äußerte sich Aristoteles in seiner Kategorisierung der Redegattungen, die bereits behandelt wurden.


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