Reflexionsaufsatz
zu dem Roman „Engel und Joe“
Ein
sehr emotionales Buch, welches Kai Hermann verfasst hat und von dem
dann im Jahr 2002 die Erstauflage erschien ist der Roman `Engel und
Joe´. Er beruht auf einer wahren Begebenheit und ist wahrscheinlich
unteranderem deswegen ein lyrisches Werk, das einen sehr zum
nachdenken bringt und ziemlich mitnimmt.
Das
Buch handelt von zwei Teenagern, Joe (15) und Zorro (17, auch Engel
genannt) aus Berlin, die in ihrer Liebe zueinander scheinbar die
größte Leidenschaft im Leben finden. Joe hat die Nase voll von
ihrer sowieso sehr unfürsorglichen Mutter und deren Liebhaber,
welcher versucht Joe Vorschriften zu machen, was sie sich auf keinen
Fall gefallen lässt. Sie beschließt für unbestimmte Zeit erstmal
von zu Hause abzuhauen, wobei sie auf den ehemaligen Junkie und nun
Punker Zorro trifft. Es ist sowas wie Liebe auf den ersten Blick
zwischen den beiden und Joe gefällt es sogar, dass Zorro in einer
alten vermoderten Gartenlaube wohnt, sowie frei von Pflichten zu sein
scheint und ein stur köpfiges, rebellisches, eigenes Leben führt.
Zwar ist es ein Traum der beiden so unbeschwert und dazu am besten
noch mit einem Sohn weiterleben zu können, aber immer wieder werden
neue Konflikte aufgeworfen, die ihnen ihr Wunschleben verübeln. Als
Joe dann wirklich schwanger wird, jedoch vermeintlich von einem
Bekannten namens Alex, der sich in Joe verliebt hat und die
Gelegenheit nutzte sich an sie ranzumachen, als Joe mit Zorro mal
wieder zerstritten war, fühlt sich Zorro aber im Nachhinein dann
trotzdem verantwortlich und übernimmt die Pflicht als Vater. Sobald
das Kind dann auf der Welt ist müssen sich die beiden allerdings nur
noch weiteren Hürden stellen: sie haben keinen festen Wohnsitz, denn
auch aus dem Mutterprogramm des Jugendamtes sind sie rausgeflogen,
Zorro behält einen Job nie länger als zwei Tage, somit verdient
auch niemand ihren Lebensunterhalt. In seiner Verzweiflung überfällt
Zorro eine Tankstelle, wird jedoch am nächsten Tag in der Zeitung
enttarnt und kurze Zeit später auch von der Polizei verhaftet. Joe
wird in einem betreuten Mutter-Kind-Wohnheim untergebracht, wo sie
und Alex sich wieder näher kommen. Als die Mutter, ihr Freund, Joe,
Alex und deren Sohn dann Weihnachten gemütlich zusammen sitzen
taucht plötzlich Zorro aufgrund seines Gefängnisurlaubes total
zugedröhnt wieder auf. Joe schnappt sich ihr Kind und die drei
wollen gemeinsam abhauen, doch die Ereignisse überschlagen sich.
Während sich der wieder heroinabhängige Zorro einen Schuss setzen
will, taucht das inzwischen alarmierte Jugendamt auf und nimmt Joe
ihren Sohn weg. Ab hier beginnt der Abstieg der beiden. Sie wollen
nach Hamburg, wo sie dann nur noch weiter absacken, Zorro in den
totalen Drogenhandel gerät und es sogar soweit kommt, dass Joe
anschaffen gehen will, weil sie denkt ihren Freund dadurch
möglicherweise zu retten. Doch dank eines Traumes sieht Joe ein,
dass es mit den beiden zusammen nie wieder so laufen wird wie früher,
weswegen sie Zorro verlässt, um sich ihrem Leben in Berlin zu
stellen.
Sofort
nach nur einer Zusammenfassung fällt einem auf, dass das Buch viele
verschiedene Themenschwerpunkte behandelt. Es geht meiner Meinung
nach vordergründig um das Leben auf der Straße, Familienprobleme,
Außenseiter, Drogensucht und jugendliche Schwangere. Da dies alles
kritische Gesellschaftsthemen sind, mit denen man sich nicht
tagtäglich auseinander zu setzen hat, war dieses Buch doch eine ganz
schön schockierende Geschichte, vor allem wenn man bedenkt, dass es
Jugendliche in Deutschland gibt, deren Lebensverlauf dieser Roman in
etwa beschreibt!
Bei
dem Buch hatte ich durchgehend den Willen weiterzulesen, um zu
erfahren was als nächstes geschieht. Anfangs wurde die ganze Story
meiner Meinung nach ein bisschen breit geredet und in den letzten
Kapiteln stieg die Spannung dann erst enorm. Was mir an dem Buch sehr
gefiel, war die an „meine Zeit“ angepasste Umgangssprache, die
der Autor durchweg benutzte. Der Inhalt war leicht verständlich.
Ebenso das Wechseln der Perspektiven von Joe und Zorro aus denen das
Geschehen wiedergegeben wird, wirkte sich positiv auf das Lesen aus.
Desweiteren ermöglicht es sowohl weiblichen als auch männlichen
Lesern sich mit den Protagonisten zu identifizieren und ihr Schicksal
nachzuvollziehen.
Jedoch:
was heißt nachvollziehen!? Beim Lesen des Buches warfen sich mir
Fragen auf, beziehungsweise für mich persönlich unnachvollziehbare
Schritte ihrer beider Handlungsweisen. Während des gesamten Lesens
fragte ich mich ob und warum Joe bewusst diese „absturzgefährdete
Richtung“ einschlägt, hin zu Junkies, auf die Straßen, mit 15
Jahren. Natürlich kann man es mit der Liebe zu Engel begründen,
aber auch hier hätte Joe sich doch selbst die Frage stellen müssen:
Was will ich von meinem Partner im Leben? Spätestens als klar wurde,
dass Alex, der sich ja als vermeintlicher Vater von Joes Kind
herausstellte, in wohlhabenderen Verhältnissen lebt, hätte sie doch
darüber nachdenken müssen, dass sie Optionen hat. Denn wenn es eins
gibt, was ich an der Geschichte am wenigsten verstehe, dann ist es
die Tatsache, dass sie sich innerhalb von Tagen Hals über Kopf in
Engel verlieben konnte. Was machte diesen Jungen so attraktiv für
sie? Wenn sie das Beste für ihren Sohn gewollt hätte, wäre es dann
nicht „cleverer“ gewesen Alex zu lieben? Oder dachte sie der
gemeinsame Weg mit Zorro wäre tatsächlich der beste? Abgesehen
davon, dass Joe am Ende noch die Kurve kriegt, frage ich mich auch:
Wer trägt alles Mitschuld an ihrer beider Abstieg in die
Asozialität?
Natürlich
nach dem Einwand des Grenzeneinschätzungsvermögens und der
Eigenverantwortung sollte man beim Versuch logische Antworten auf all
die Fragen zu finden vielleicht im Elternhaus beginnen. Die Mutter
lebt ihrer Tochter sozusagen auch schon eine eher ungute Art und
Weise vor: sie sucht sich irgendwelche Typen, nur um nicht alleine zu
sein, sie hat ein Kind, um das sie sich nicht richtig kümmern
kann/will und dem sie zu viele Freiheiten lässt etc. Also kurz
gesagt, sie lebt nach niedrigen Ansprüchen, die sich möglicherweise
auf Joe mit übertragen. Höchstwahrscheinlich möchte auch die
Mutter nur das Beste für Joe, was sie ihr allerdings nicht so
richtig zeigen kann und Joe es deswegen nicht versteht. Sie versucht
daraufhin rebellisch und frei zu sein und probiert Neues aus. Sie
stürzt sich einfach kopfüber in die Liebe zu einem gerade erst
kennengelernten Jungen, ohne Vorkenntnisse über seinen
Lebenshintergrund zu haben. Auch Joe muss ja Erwartungen an ihren
Beziehungspartner hegen, wo ich mir nicht vorstellen kann, dass Engel
diese erfüllt. Alles was die beiden verbindet und ihre Liebe
ausmacht ist ihr Außenseiterdasein und ihr gemeinsames Interesse
nach Unabhängigkeit. Dies sind auch die einzigen Gründe, die ich
mir vorstellen könnte, weswegen Joe bis zum „bitteren Ende“ zu
Engel hält und nicht einsieht, dass er ihrem Leben nicht gut tut.
Was auch Grund dafür ist, dass sie sich nicht auf Alex und somit ein
„besseres“ Leben einlässt. Nur eine falsche Entscheidung im
Leben und es kann so schnell bergab gehen. Am Anfang mag ja alles
noch sehr aufregend sein, harmlos scheinen und sie mögen sich
gegenseitig gut tun, ergänzen und der wichtigste Gegenstand im Leben
des anderen sein, aber wie man merkt ist Engel der Faktor in ihrem
Leben gewesen, der am meisten dazu beitrug, dass sich ihre Lage
verschlechterte. Ein wenig Vernunft hätte man an allen möglichen
Stellen einbringen sollen: beispielsweise sollten sie ein Kind
möglichst vorher planen und sich erstmal einen gewissen
Lebensstandard sichern. Dann hätte Joe ihren Freund vielleicht nur
zu seinem besten in eine Entzugsklink einweisen lassen können. Die
Mutter hätte sich Sorgen machen müssen, nachdem Joe ihr Sohn
weggenommen wurde was ihre Tochter jetzt unternehmen wird. Auch
Engels Eltern geben vor die glücklichste Familie zu sein während er
sie besucht, sie fragen ihn aus wie es ihm geht und schwatzen davon,
dass sie ihn vermissten, aber anrufen und nachfragen als er wieder in
Berlin ist beziehungsweise sogar finanziell unterstützen können sie
ihren Sohn dann doch nicht.
Ich
finde es bestehen so viele Unklarheiten nach dem Lesen dieses Buches,
wenn man mal darüber reflektiert, was aber auch daran liegt, dass
ich die Gefühle und Gedankengänge der Protagonisten nicht
nachvollziehen kann. Ich kann mich nämlich nicht wirklich mit ihnen
identifizieren und mir fällt es deswegen auch schwer selbst
Antworten auf meine Fragen heraus zu interpretieren. Das Ende des
Buches gefiel mir ziemlich gut. Es war sozusagen ein halbes Happy
End. Von Joe weiß man, dass sie ihr Leben doch noch auf die Reihe
brachte, von Engel denke ich, dass er gestorben ist. Und eine weitere
Frage meinerseits hier wäre, warum Joe es am Ende, wo schon alles zu
spät war dann endlich eingesehen hat, dass ihr beider Leben zerstört
ist. War es ihr dann mit einem Mal egal ob sie Engel noch hat oder
nicht –ihre große Liebe? War es ihr Wunsch ihn los zu sein oder
fiel ihr der „Abschied“ schwer? Ob Engel es noch mitbekam, dass
Joe ihn verlassen hatte, ob er sich deswegen umbrachte oder ob er es
gar nicht realisierte und es ihm irgendwann einfach „aus Versehen“
passierte?
Nach
dem Lesen der Geschichte ist mein Eindruck etwas zwiegespalten in ein
Erwachsenen-Ich, welches denkt: wie verantwortungslos und rebellisch
diese beiden Teenager doch sind und in ein freies-Jugend-Ich, welches
die Protagonisten bewundert, für ihre Selbstüberzeugung und ihren
Mut das zu tun, was sie wollen und mir wie mögliche Helden vorkommen
lässt. Vielleicht war es die schlimmste Zeit im Leben der zwei
Teenager, deren Geschichte mit diesem Buch nacherzählt wurde.
Vielleicht war es aber auch die beste Zeit ihres Lebens, in der sie
frei waren, in der sie ihre Träume lebten, in der sie einfach nur
von der Liebe zueinander lebten, die sie wohl oder übel letzten
Endes beide kaputt machte. Das Reflektieren über diese Lektüre hat
mir dann schlussendlich nochmal deutlich gemacht wie gut ich es doch
eigentlich habe, ohne gleich mal Dritte-Welt-Vergleiche aufzustellen.
Angefangen hier in Deutschland, in Berlin gibt es Jugendliche, die
weitaus größere Probleme haben, auch wenn einem die eigenen
manchmal unübertrefflich vorkommen.