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Hausübung
Erziehungswissenschaf­t

Ruhr-Universität Bochum - RUB

2007

Sebastian S. ©
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ID# 15364







Rassismus und Ethnizität bei Männern


1. Einleitung

Männer haben's schwer, nehmen's leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
Wann ist ein Mann ein Mann?

( Grönemeyer 1984)


Wann ist ein Mann ein Mann? Diese Frage stellte bereits Herbert Grönemeyer in dem 1984 erschienenen Song „Männer“. Wer nun aber glaubt eine befriedigende Antwort auf diese Frage in selbigem zu finden liegt sicherlich falsch.

Doch zeichnend für eine solche Annahme ist auch der wissenschaftliche Forschungsstand, der diesem Thema zugrunde liegt. So wurde das männliche Geschlecht als Teil der soziologischen Geschlechterforschung lange Zeit vernachlässigt. (vgl. Baur 2008: 7)

In der folgenden Ausarbeitung soll Männlichkeit im Diskurs um Migration thematisiert werden. Bezugnehmend auf zwei autobiografisch-narrative Interviews[1] soll die Konstruktion von Männlichkeit dargestellt werden. Die Interviews wurden mit George aus Ruanda und Mustafa aus der Türkei geführt.[2] Beide Männer sind aus einer individuellen Motivationslage nach Deutschland migriert um hier ein neues Leben anzufangen.

Beginnen werde ich die Ausarbeitung mit einer Einführung der Begriffe Ethnizität und Migration. Anschließend soll gezeigt werden, wie Männlichkeit in diesem Kontext konstruiert und erlebt wird. In einem abschließenden Resümee werde ich meine Ergebnisse rekapitulieren und ein Fazit ziehen.


2. Ethnizität

Frederik Barth zufolge ist Ethnizität […] nicht schon immer gegeben, sie wird vielmehr erst in sozialen Interaktionen erzeugt, in denen durch konstruierte Selbst- und Fremdbilder kategoriale Abgrenzungen zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen hergestellt werden. Diese Grenzziehungen aber sind wechselhaft, dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen.(Neckel 1997: 265)

Eine ähnliche Definition von Ethnizität gibt auch Martina Weber. Selbst- und Fremdethnisierungen bedingen sich bei ihm wechselseitig, indem sich ethnische Gruppen über ihre kulturellen und historischen Eigenheiten in Abgrenzung zu anderen definieren (vgl. Weber 2007: 308). Ethnizität scheint also vor allen Dingen kulturell konstruiert zu sein.

Interessant dabei ist, dass ‚das Eigene‛ dabei häufig nur in Bezugnahme auf ‚das Fremde‛ definiert werden kann.

Ethnizitätskonzepte dienen somit der Beschreibung des Anderen, Verschiedenen und Fremden und machen dieses in Etnisierungsprozessen deutlich. Sie fungieren als Differenzierungskategorien (vgl. Huxel 2006: 36).

Dies wird später auch anhand der angeführten Interviewausschnitte deutlich, wenn George und Mustafa über Männlichkeit sprechen.


3. Migration

Norbert Wennig versteht Migration als „jede längerfristige, räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes über eine größere Distanz, die ein Verlassen des sozialen Aktionsraumes zur Folge hat“ (Wennig 1996: 13).

Im Gegensatz zum Thema Männlichkeit fällt es George und Mustafa relativ leicht über ihre Migration zu sprechen. Da das Migrant-Sein im Gegensatz zum Mann-Sein an die Handlung der Migration gebunden ist und damit bewusst erlebt wurde, ist es für die Männer einfacher dies zu thematisieren (vgl. Huxel 2006: 95). Die ständige Konfrontation mit der eigenen Identität als Nicht-Deutscher und die daraus resultierenden Probleme und Barrieren, denen sich George und Mustafa seit ihrer Ankunft in Deutschland immer wieder ausgesetzt sehen, machen die Migration zu einem zentralen und fassbaren Gegenstand.

Die Lebensgeschichten beider Männer werden somit zu ethnisierten und kulturalisierten Biographien. Dies geschieht wie bereits in Punkt 2. beschrieben, durch Selbst- und Fremdzuschreibungen, die sich wechselseitig bedingen. So reproduzieren George und Mustafa zum einen das ihnen zugeschriebene Anders-Sein, distanzieren sich aber durchaus auch situationsbedingt davon (vgl. ebd.: 100).

Welche Folgen nun aber die Migration für die Auffassung von Männlichkeit der Interviewten hat, ist Untersuchungsgegenstand des nun folgenden Abschnitts.


4. Zur Konstruktion von Männlichkeit

Aus den Interviews mit George und Mustafa wird deutlich, wie selbstverständlich das Mann-Sein für sie ist. Ihre habituelle Sicherheit wird aber, anders als man erwarten könnte, nicht durch ein ständiges reden über Männlichkeit, sondern im Gegenteil durch die Dethematisierung des eigenen Geschlechts erkennbar.

Meuser beschreibt diesen Umstand sehr treffend indem er sagt, dass die Männlichkeit als „fraglos gegeben“ (Meuser 2006: 197) empfunden wird. Den interviewten Männern ist sehr wohl bekannt, dass die durchgeführten Interviews darauf abzielen, etwas über ihr Empfinden der eigenen Männlichkeit herauszufinden. Dennoch geht zunächst keiner von ihnen explizit darauf ein. Das Sprechen über etwas, das ihnen als selbstverständliche biologische Tatsache erscheint, wird als irrelevant eingeschätzt (vgl. Huxel 2008: 65) .

Erst als George von der Interviewerin direkt auf das Thema Männlichkeit angesprochen wird, startet er einen Versuch sie genauer zu definieren


I: Was bedeutet Mann sein für Sie?

G:Huch, oh ja, da bin ich überfordert. Eh, Mann sein, ja nicht biologisch hoffentlich? Biologisch also ist das, sagt es also Mann-Sein ist man mit den drei Beinen […]. (Huxel 2006: 61).

Diese Aussage verdeutlicht die These Meusers, dass Männer ihre Männlichkeit nicht hinterfragen, weil sie sie als „fraglos gegeben“ betrachten. George ist unmittelbar klar, dass die Frage nicht auf die biologische Behandlung von Männlichkeit abzielt. Er gibt an, mit der Frage überfordert zu sein. Diese Antwort zeigt, wie verwundert er über die Fragestellung ist und dass das Mann-Sein für ihn bisher keiner Erklärung bedurfte. (vgl. Huxel 2006: 62 f.) Wie er im späteren Verlauf des Interviews dann doch noch eine Antwort auf die Frage findet und welche Brücke er schlägt um darüber zu sprechen, wird in Punkt 5. behandelt.

Unabhängig von der Gewichtung der einzelnen Felder, dienen sie aber alle der Konstruktion von Männlichkeit. (vgl. Huxel 2006: 89 f.) Der folgende Interviewauszug soll die Rollenzuweisung Georges verdeutlichen und ein konkretes Beispiel für sein konstruiertes Männerbild geben.

G:Mhm, wenn das Geld nicht ist, der Mann hat Problem, natürlich die Frau auch, aber der Mann noch noch eh, größer. Weil er diese Versorgerrolle. Muss eh, die Familie versorgen. (Huxel 2006: 63).


5. Das ethnisierte Geschlecht

Als ich in der Türkei gelebt habe, da war das für mich kein Thema. Türkin sein, Nationalität so, das war überhaupt kein Thema, ja. […] Das hat für mich kaum eine Rolle gespielt und dann bin ich hierher gekommen, dann bin ich zur Türkin geworden oder gemacht worden […]

(

Dieses Zitat stammt von einer türkischen Migrantin. Es soll verdeutlichen, dass Ethnisierung auf Zuschreibung basiert. Noch deutlicher werden diese Zuschreibungen in ihrer anschließenden Aussage. Hier berichtet die Frau von den Vorurteilen, denen sie in ihrem Alltag immer wieder begegnet.

Ja, eine Kopftuch tragende Türkin, die dem Mann untergeordnet ist und kein eigenes Leben hat. Die Türkei ist ein unterentwickeltes Land, die sind ganz anders.(ebd.)


Sie haben das ihnen von der Mehrheitsgesellschaft aufgesetzte Bild soweit internalisiert, dass sie es zum Teil ihrer Biographie machen (vgl. Huxel 2006: 103). Bemerkenswert daran ist, dass beide Männer Männlichkeit scheinbar nur im Kontext mit Migration thematisieren können.

George und Mustafa differenzieren also binnengeschlechtlich wenn sie über Männlichkeit sprechen. Mit binnengeschlechtlicher Differenzierung sind die sozialen Beziehungen von Männern bzw. von Frauen untereinander gemeint. Diese Perspektive der Geschlechterforschung wurde vor Allem durch die australische Soziologin Raewyn Connell[3] populär. Connell prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der hegemonialen Männlichkeit[4] (vgl. Meuser 2008: 33).

G:Eigentlich, ehm, Mann-Sein ist, wenn ich zurückblicke, in Ruanda Mann-Sein ist, ah, ich mag diese Worte nicht, der Chef von der Familie, eh, das man so sagt, das mag ich nicht, aber, (seufzt) leider ist so, musst sagen ist der Verantwortlich für was ist das Geschehen in Haus, ne. (Huxel 2006: 62).

Im Gegensatz zu George, der sich mit seinem Bild ruandischer Männlichkeit zum Teil identifiziert, distanziert sich Mustafa von dem meist patriarchalisch geprägten Bild türkischer Männlichkeit.

M: […] Einmal erziehen wir unsere Mädchen unselbstständig. […] Und eh, zweitens ist das in Deutschland, die Familien aus den ländlichen Gebieten kommen aus der Türkei, haben sehr große Angst ihre Ehre in Deutschland zu verlieren. […] Eh, für ehm Türken gibt´s eine Sache, bei Mädchens, wenn die dann heiraten müssen die Jungfrau sein. […] Wir haben das eh, ich kann sagen, wir haben das nicht so gemacht. […].(vgl. Huxel 2006: 79).

I: Hast du als Mann was gelernt oder hat sich für dich was verändert, glaubst du, dass es für dich anders war als Mann nach Deutschland zu kommen als vielleicht für deine Frau, oder …

M: Eh, eigentlich nicht, eigentlich wirklich nicht, und ehm wir haben in der Türkei, was uns beide trifft, meine Frau und mich betrifft, und eh, genau so gelebt wie das wir in Deutschland auch leben (mhm), sie was dort auch berufstätige Frau. Also mussten wir auch zu Hause einiges zusammen tun (mhm). Eh ich bin auch ehm von meine Mama so erzogen worden (vgl. ebd.: 82).

Beide Männer beschreiben ihre Männlichkeit indem sie sie zu einer ethnisch-kulturell Anderen in Beziehung setzen. Dass sie die eigene Männlichkeit nur im Zusammenhang mit ihrer Migration thematisieren können, bezeugt ein weiteres Mal die habituelle Sicherheit der Männer.

Sie wird im Gegensatz zu der Ersten bewusst(er) erlebt (vgl. Huxel 2008: 75).


6. Reflexion

George und Mustafa sind zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft. Sie sind aus verschiedenen Gründen nach Deutschland gekommen. Liest man die Interviewausschnitte wird aber deutlich, dass für beide die Migration ein zentrales Ereignis in ihrem Leben war. Beide Männer hatten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, waren Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt. Es scheint kaum fassbar, welche Konsequenzen eine Migration nach sich zieht.

Die vorliegende Ausarbeitung kann dem in keiner Weise gerecht werden, verdeutlicht aber, dass ethnisierenden und kulturalisierenden Zuschreibungen Auswirkungen auf männliche Migranten haben. Sie erleben eine zweite Vergeschlechtlichung.

Weiter gilt festzuhalten, dass beide Männer Männlichkeit anhand ähnlicher Bereiche ausmachen und definieren, sie aber unterschiedlich gewichten. Familie und Beruf stellen dabei entscheidende Konstruktionsmodi dar.

Die Ausarbeitung zeigt, dass Zuschreibungen ethnischer Differenz häufig auch eine geschlechtliche Dimension haben. Dabei sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen, werden aber mit unterschiedlichen Vorurteilen konfrontiert. Zuschreibungen, die soziale Realität sind, müssen identifiziert und thematisiert werden. Nur so kann einer Homogenisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen entgegengewirkt werden.


7. Literaturverzeichnis

Bednarz-Braun, Iris und Heß-Meining, Ulrike (2004): Migration, Ethnie und Geschlecht. Theorieansatz – Forschungsstand – Forschungsperspektiven. Wiesbaden.



Huxel, Kathrin (2008): Ethnizität und Männlichkeitskonstruktion. In: Baur, Nina und Luetke, Jens (Hrsg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Opladen. S. 61-78.


Meuser, Michael (2008): Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer. In: Baur, Nina und Luetke, Jens (Hrsg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Opladen. S. 61-78.


Meuser, Michael (2006): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorien und kulturelle Deutungsmuster. 2. Auflage. Wiesbaden.


Weber, Martina (2007): Ethnisierung und Männlichkeitsinszenierungen. Symbolische Kämpfe von Jungen mit türkischem Migrationshintergrund. In: Geisen, Thomas und Riegel, Christine (Hrsg.): Jugend, ZugehörigkeitundMigration. SubjektpositionierungimKontextvonJugendkultur, Ethnizitäts- undGeschlechterkonstruktionen. Wiesbaden. S. 307-321.



8. Internetquellen

, zugegriffen am 28.04.10


, zugegriffen am 28.04.10


, zugegriffen am 28.04.10




[1] Das Biographisch-narrative Interview ist ein möglichst offener Erzählprozess, bei dem der/die Interviewte die eigene Lebensgeschichte in einer selbstgewählten Struktur wiedergibt. (vgl. Huxel 2008: 62)

[2] Die Interviews wurden von Katrin Huxel durchgeführt. Sie dienten als Forschungsgrundlage für ihre Arbeit „Fremde Männlichkeiten? Zur Konstruktion von Geschlecht in biographischen Erzählungen von Migranten“, erschienen im Jahre 2006 in Münster. Der Text ist wesentlicher Bezugspunkt dieser Ausarbeitung.


[3] bzw. früher Robert W. Connell

[4] Mit hegemonialer Männlichkeit bezeichnet Connell das aktuell weitgehend akzeptierte Konzept der Legitimation des Patriarchats. Dabei ist die hegemoniale Männlichkeit nach Connell gegenwärtig durch technisches Know-how oder Befehlsgewalt, die auch zusammenwirken können, bestimmt. Wichtig ist hierbei, dass Connell keineswegs Hegemonie notwendigerweise mit vollständiger Kontrolle gleichsetzt. (


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