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Aufsatz
Geschichte / Historik

Goethe Universität Frankfurt am Main

Wintersemester 2014/2015

Jacob W. ©
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ID# 59612







Porsche, Prada und der Antikapitalismus: Die RAF zwischen ideologischem Anspruch und den Versuchungen der kapitalistischen Wirklichkeit


Die Rote Armee Fraktion (RAF) war eine linksextremistische Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland (BRD), die von 1970 bis 1998 existierte. Die RAF ist verantwortlich für 34 Morde, diverse Attentatsversuche, Entführungen, Brand- und Bombenanschläge, Banküberfälle und Diebstähle.1 Gegründet wurde die RAF von Mitgliedern der sogenannten ersten Generation, unter anderem Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler, die sich von der Zusammenarbeit in der außerparlamentarischen Opposition, unter Führung des sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), kannten.2 Nach dem Zerfall der außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegung im Jahr 1969 formierten sich zuerst in West-Berlin, später in der gesamten Bundesrepublik Deutschland, linksradikale Vereinigungen.

Diese hatten das Ziel, gegen den weltweiten Imperialismus, gegen den Kapitalismus und gegen die „faschistische deutsche Bunderegierung“ unter der Führung der großen Koalition vorzugehen.3 Viele Mitglieder der ersten Generation, unter anderem Baader, Ensslin, Raspe und Meinhof, wurden nach der Mai-Offensive, einer Reihe von terroristischen Anschlägen auf öffentliche Gebäude in der BRD 1972, festgenommen.4 Die neuformierte zweite Generation versuchte durch Entführungen und Geiselnahmen die inhaftierten Mitglieder der RAF freizupressen.

Dies gipfelte im Deutschen Herbst 1977, in dessen Verlauf der Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer von der RAF und die Lufthansamaschine „Landshut“ von palästinensischen Terroristen entführt wurde. Die Flugzeuggeiseln wurden durch eine Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes, der Grenzschutzgruppe 9, befreit, woraufhin die inhaftierten Mitglieder der ersten RAF-Generation Baader, Enslin und Raspe Selbstmord begangen.5 Die dritte Generation agierte nach einer Phase der Neuorientierung bis zu ihrer Selbstauflösung 1998 weiter durch Attentate und Anschläge auf öffentliche Personen und Einrichtungen der Wirtschaft und Politik in der BRD.6


Dieser wissenschaftliche Kurztext befasst sich mit der Frage, warum die Mitglieder der ersten Generation der RAF trotz ihres Kampfes gegen den Antikapitalismus einen exponierten und extravaganten Lebensstil pflegten, der theoretisch nicht mit der eigenen Ideologie vereinbar war.

Dazu werden exemplarisch die sozio-ökonomischen Hintergründe der RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof betrachtet und in einem weiteren Schritt die Machtansprüche innerhalb der linksextremistischen Szene in der BRD zwischen 1968 und 1972 untersucht.

Das Ziel dieses wissenschaftlichen Kurztextes ist es, die Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit an den oben genannten Beispielen zu analysieren.

Ulrike Meinhof, geboren 1934 in Jena, wurde nach dem Tod ihrer Mutter Ingeborg Meinhof von der Geschichtsdozentin Renate Riemeck in Oldenburg und Weilburg aufgezogen.7 Sie war vor ihrer Zeit als Mitglied der RAF ab 1960 Chefredakteurin der linksgerichteten Zeitschrift „konkret“ in Hamburg und beschäftigte sich laut Freunden und Bekannten schon sehr früh mit Themen wie Menschenrechten und Ungerechtigkeit in der ganzen Welt.8 1961 heiratete sie den Herausgeber der Zeitschrift „konkret“, Klaus Reiner Röhl.

Im Laufe der Radikalisierung der Studentenbewegung durch die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 und den Attentatsversuch auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968 verschärfte Ulrike Meinhof den Duktus in ihrer weiter publizierten Kolumne in der „konkret“.10 Nachdem sie zusammen mit Gudrun Ensslin und weiteren späteren Mitgliedern der RAF die Baaderbefreiung geplant und durchgeführt hatte, ging sie in den Untergrund.

In der Gesamtbetrachtung war Ulrike Meinhof von ihrer Jugend bis zu ihrem Schritt in den Untergrund nie von Armut oder Unterdrückung betroffen, entwickelte aber schon früh ein reges Interesse am Leid anderer Menschen. Im Zuge der Radikalisierung der Studentenbewegung und dem Aufeinandertreffen mit Baader und Ensslin entwickelte sich ihr opportunistischer Ansatz zu einer radikalen Auslebung ihrer Gedanken.

Im Verlauf der Studentenbewegung nahm Ensslin eine immer größere Rolle im SDS ein und lernte Andreas Baader, mit dem sie am 2. April 1968 zwei Frankfurter Kaufhäuser mit selbstgebauten Brandsätzen beschädigte13, und Ulrike Meinhof kennen. Auch Gudrun Ensslin stammte aus gutsituierten familiären Verhältnissen und erhielt durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes finanzielle Unterstützung bei ihrem Promotionsstudium.

Bekannte und Weggefährten beschreiben Gudrun Ensslins in der Vorzeit der RAF, ebenso wie Ulrike Meinhof, als emphatische, mit dem Leid anderer Menschen mitfühlende, Person, die im Laufe der Radikalisierung der linksextremen Vereinigungen zunehmend Gewalt als einzige Möglichkeit zur Befreiung der unterdrückten Menschen in der dritten Welt sah.14

Seine Mutter, die in seiner gesamten Jugendzeit stets auf den Moment wartete, dass die verborgenen, von vielen erwarteten, Fähigkeiten sich endlich zeigen würden, lies dem jungen Andreas Baader alle Freiheiten.16 Nach einer Verurteilung wegen Autodiebstahls und der Ableistung der Strafe zog es ihn nach Berlin.

Dort arbeitete Baader zunächst als Bauarbeiter und Modell. Er besaß keine Bekannten im studentischen Milieu. Mit dem zunehmenden medialen Interesse an den studentischen Protestbewegungen stieg auch das Interesse Baaders an der Kommune I.17 Dort begegnete er auch Gudrun Ensslin und beide wurden ein Paar.

Nach den Warenhausbrandanschlägen tauchten Ensslin und Baader zusammen unter und lebten ab diesem Zeitpunkt im Untergrund.

Nach dieser biografischen Zusammenfassung und der Beleuchtung der sozio-ökonomischen Verhältnisse der drei Führungspersonen der ersten Generation der RAF, muss die Frage aufgegriffen werden, warum sie trotz ihres Kampfes gegen den Antikapitalismus einen exponierten und extravaganten Lebensstil pflegten, der theoretisch nicht mit der eigenen Ideologie vereinbar war.

Andreas Baader hatte schon in seiner rebellischen Jugendzeit eine Vorliebe, teure und sportliche Fahrzeuge zu stehlen und übernahm diese Neigung auch in späteren RAF-Zeiten.18 Das Geld, das aus den verschiedenen Banküberfällen stammte19, wurde überwiegend für die eigenen Bedürfnisse, wie zum Beispiel Kleidung und Wohnungen, ausgegeben.20 Jedoch reicht es nicht aus, allein die sozio-ökonomischen Verhältnisse der RAF-Mitglieder als Grund für ihren bewusst teuren Lebensstil heranzuziehen.

Sara Hakemi formulierte in ihrem wissenschaftlichen Artikel „Terrorismus und Avantgarde“21 und in ihrer Monographie „Anschlag und Spektakel“22 die These, dass insbesondere die Mitglieder der ersten Generation der RAF sich in einer Tradition der kulturellen Avantgarde sahen und aus diesem einen Machtanspruch innerhalb der linksextremistischen Szene ableiteten.23 Als intellektuelle Führer einer inaktiven nationalen Bewegung hätten sich die Gründungsmitglieder der RAF als Speerspitze einer internationalen Revolutionsbewegung gesehen, die nicht mehr die Diskussion, sondern den „Primat der Praxis“ postulierten und diesen auch aktiv einsetzten.

Dies wird auch aus einem Zitat von Bommi Baumann deutlich, einem Mitglied der Bewegung 2. Juni, aus dem Jahr 1975: „Wer die knallhärtesten Taten bringt, der gibt die Richtung an.“25 Als Avantgarde der linksradikalen Bewegung war es damit auch unumgänglich, dass man einen gewissen Lebensstil pflegte, um sowohl durch Taten als auch durch persönliches Auftreten den Machtanspruch innerhalb der Bewegung zu manifestieren.

Eine Diskrepanz zwischen theoretischem Antikapitalismus und praktischer extravaganter und kapitalistischer Lebensweise ist damit nicht bewiesen, da der Machtanspruch nicht nur durch die ideologische Überlegenheit und der Durchführung von Terrorakten, sondern eben auch, aus der Sicht der Gründungsmitglieder der RAF, durch das persönliche Auftreten gesichert werden musste.

Die ideologische Diskrepanz bestand also nicht direkt in der kapitalistisch-extravaganten Lebensweise und dem ideologischen Antikapitalismus der Mitglieder der RAF, sondern vielmehr darin, dass man einen Führungsanspruch innehaben wollte, der für weite Teilen der Bewegung anfänglich nicht vorhanden war.

Die RAF erklärte sich damit zur Avantgarde einer heterogenen Bewegung und konnte dadurch nie flächendeckend die Personen erreichen, nämlich die gesamte deutsche Bevölkerung, die man repräsentieren und für die man kämpfen wollte. Die große Diskrepanz zwischen Bevölkerung und RAF lag somit in einer fehlerhaften Selbst- und Fremdwahrnehmungsannahme, die von Seiten der RAF nie ausgeräumt werden konnte.


1 Winkler, Willi: Die Geschichte der RAF. 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2008. Seite 35 ff

3 Das Konzept Stadtguerilla. In: ID-Verlag (Hrsg.). Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF. Berlin 1997. Seite 27-49.

4 Peters, Butz: Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF. 4. Auflage, Frankfurt am Main 2008. Seite 285 ff

5 Winkler: Die Geschichte der RAF. Reinbek bei Hamburg. Seite 334 ff

6 Peters: Tödlicher Irrtum. Frankfurt am Main. Seite 593 ff

7 Seifert, Jürgen: Ulrike Meinhof. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 1, Hamburg 2006. Seite 351.

8 Seifert: Ulrike Meinhof. Hamburg 2006. Seite 354 ff

9 Peters: Tödlicher Irrtum. Frankfurt am Main 2008. Seite 156 f

10 Seifert: Ulrike Meinhof. Hamburg 2006. Seite 366.

11 Ebenda.

12 Peters: Tödlicher Irrtum. Frankfurt am Main 2008. Seite 69 f

14 Bressan: Gudrun Ensslin. Hamburg 2006. 409 f

15 Wieland, Karin: Andreas Baader. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 1, Hamburg 2006. Seite 332.

16 Wieland: Andreas Baader. Hamburg 2006. Seite 333.

17 Wieland: Andreas Baader. Hamburg 2006. Seite 337.

18 Wieland: Andreas Baader. Hamburg 2006. Seite 333.

19 Aust: Der Baader Meinhof Komplex. München 2008. Seite 138 ff

20 Peters: Tödlicher Irrtum.

21 Hakemi, Sara: Terrorismus und Avantgarde. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 1, Hamburg 2006. Seite 604 – 620.

22 Hakemi, Sara: Anschlag und Spektakel. Flugblätter der Kommune I, Erklärungen von Ensslin/Baader und der frühen RAF. Bochum 2008.

23 Hakemi: Terrorismus und Avantgarde. Hamburg 2006. Seite 605 ff.

25 Winkler: Die Geschichte der RAF. Reinbek bei Hamburg 2008. Seite 177.

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