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Seminararbeit / Hausarbeit

Poeti­scher Humor bei Hoffmann am Beispiel: Der goldene Topf

5.772 / ~23 sternsternsternsternstern_0.2 Reinhard M. . 2013
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Seminararbeit
Literaturwissenschaft

Universität Duisburg-Essen - UDE

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Reinhard M. ©
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Poetischer Humor bei Hoffmann am Beispiel: Der goldene Topf

1. Einleitung


„ . die phantastischen Geburten eines humoristischen Schriftstellers und poetischen Gemüts, der die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraktion des Humors wie in einem Spiegel auffasst und reflektiert.“1 so äußert sich Hoffmann über seine Märchendichtungen. Bereits dieses Zitat verdeutlicht, dass Hoffmann sich nicht nur selbst als einen humoristischen Schriftsteller bezeichnet, er bindet auch den Humor ganz konkret an die Gattung des Märchens und gibt überdies Auskunft über seine dichterische Tätigkeit.

Er bedient sich des Humors als Mittel zur Reflexion, insbesondere der Reflexion von Wirklichkeit. Die „phantastischen Geburten“ sind demnach nicht außerhalb der Realität anzusiedelnde Phantasieprodukte, sondern sie sind aufs engste mit der faktisch erfahrbaren Realität zu verknüpfen.

Um sein Weltverständnis, aber vor allem sein Verständnis von Kunst darzulegen, bedient sich Hoffmann insbesondere der Gattung des Märchens. Er berichtet in geradezu virtuoser Art und Weise von Phantastischem und Alltäglichem. Ein Selbstporträt Hoffmanns von 1816 verdeutlicht dies durch die Beifügung einer humorigen physiognomischen Erläuterung.

In diesem Porträt bezeichnet Hoffmann seine Mundwinkelpartie unter e als „der Ironische Zug oder die Mährchen Muskel“.2 Dass Hoffmann zum einen von sich als humoristischem Schriftsteller spricht und zum anderen auf seinen ironischen (Märchen-) Zug verweist zeigt, dass die Begrifflichkeit von Kategorien wie Humor und Ironie schon in der Romantik nicht klar bestimmt werden konnten.

Auch in der heutigen Romantikforschung gibt es trotz größter Bemühungen kein eindeutiges Definitionsschema, mit dem man die romantische Ironie oder den Humor adäquat bestimmen könnte. Dies liegt – wie eben gezeigt – zum einen an der Begriffsverwendung der Romantiker selbst, zum anderen aber auch in der Tatsache begründet, dass sich der Gegenstand der Ironie bzw. des Humors begrifflich schwer bestimmen lässt.

In dieser Arbeit den Versuch zu unternehmen, auch nur eine einigermaßen ausreichende Definition anzustreben, wäre illusorisch, nichts desto trotz soll auf dieses Phänomen hingewiesen werden. Aus diesem Grund bildet das erste Kapitel den Versuch, eine theoretische Grundlage darzustellen, die das Aufkommen der romantischen Ironie beleuchtet und zeigt, was die Romantiker unter Ironie und Humor weitestgehend verstanden haben.

Mit dem Wissen um Unvollständigkeit und gröbster Straffung wird der Versuch unternommen, eine in knappster Form dargestellte Einordnung des Begriffs der romantischen Ironie herzustellen. Hierbei sind die Gedanken Friedrich Schlegels von zentraler Bedeutung. Gilt er als Begründer der romantischen Poetik und hat er vor allem in seinen Athenäums-Fragmenten den Begriff der Ironie geprägt.

Solger folgt inhaltlich der Einordnung Schlegels, indem er dessen fragmentarischen Stil systematisiert hat.3 Für Schlegel wie für Solger handelt es sich bei der Ironie um nichts Geringeres als das künstlerische Mittel von Schaffen und zugleich der Infragestellung des Geschaffenen.4 Solger folgt auch insofern Schlegels Forderung, dass Poesie überall zugleich Poesie der Poesie sein müsse, indem die romantische Ironie aber auch ein Mittel der Selbstrepräsentation von Kunst5 sei.6

In diesem Teil der Arbeit ist die gut durchdachte Untersuchung von Preisendanz „Humor als dichterische Einbildungskraft“ von enormem Nutzen. Er interpretiert den Humor aus seiner spezifischen dichtungsgeschichtlichen Situation heraus und schlussfolgert, dass die Funktion des Humors als „plastisches Gesetz des Erzählens“7, also nicht ausschließlich des Erzählten verstanden sein will.

Damit verortet Preisendanz den dichterischen Humor ganz gezielt in den Bereich der „Darstellungsproblematik8

Wie Hoffmann die theoretischen Ausführungen seiner Zeitgenossen ins poetische überführt und in seinem Märchen „Der goldne Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit.9 zum Ausdruck bringt, ist Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit.

Der Goldne Topf wurde dabei als Beispieltext aus ganz bewussten Gründen gewählt. Zum einen ist es das erste Märchen Hoffmanns und kann gewiss auch mit einigem Recht als das vollendetste betrachtet werden: „Es wird im allgemeinen als Hoffmanns gelungenste Erzählung und als enthüllendster Zugang zu seiner Gedankenwelt angesehen.“10 Alle angewandten künstlerischen Mittel sowie die dargestellte Wirklichkeitsschichtung finden sich fortan – wenn auch in abgewandelter Form – in seinen Werken immer wieder.

In Dergoldne Topf zeigt sich deutlich, mit welcher Virtuosität Hoffmann scheinbar spielerisch die Ironie und den Humor anwendet, sei dies auf der Inhaltsebene oder und gerade auf der Ausdrucksebene.

Daher beschäftigt sich dieses Kapitel nur am Rande mit den in Ironie getränkten inhaltlichen Aspekten des Märchens. Vielmehr geht es um die dualistisch angelegte Märchenstruktur, in der ironischer Perspektivismus praktiziert wird.

In einem weiteren Schritt wird der Ironie in ihrer Funktion als sprachlichem Darstellungsmittel Rechnung getragen. Hier wird gezeigt, wie Hoffmann es auf eine geniale Weise vollbringt, nicht nur auf struktureller sondern auch auf sprachlicher Ebene sein Weltverständnis und gerade auch sein Kunstverständnis mit dem Mittel der Ironie aufzuzeigen.

In einem dritten Gang wird der Figur des Erzählers und seiner Verbindung zu Anselmus11 als „dem poetischen Gemüt“ Beachtung geschenkt. Inwiefern dieser Anselmus am Ende des Märchens spiegelt und als sein Doppelgänger betrachtet werden sollte, ist dortiger Gegenstand. Denn in dieser Beziehung liegt ein Schlüssel zum Verständnis des Textes sowie der Höhepunkt der Ironie in Hoffmanns Märchen.

Auch auf die Erzähler-Leser-Beziehung wird kurz eingegangen. Hoffmann hat schon in Der goldne Topf nicht nur eine Kostprobe, sondern eine fertig konstruierte Form des modernen Erzählens in artistischer Weise gegeben. Dies gilt es vor allen Dingen zu untersuchen.

2. Geschichtsphilosophische Grundlagen und Begriffseingrenzung


Den Begriff der „romantischen Ironie“ vollends zu erfassen und eindeutig zu bestimmen, ist – wie bereits angedeutet – eine hier nicht lösbare Aufgabe. Schon Novalis hat auf die Schwierigkeit hingewiesen, bei Schlegel zwischen Ironie und Humor treffsicher zu unterscheiden, wenn er schreibt: „Schlegels Ironie scheint mir echter Humor zu sein. Mehrere Namen sind einer Idee vorteilhaft.“12

Wie die romantische Ironie in Deutschland jedoch zustande kam, wo ihr Ursprung liegt, wer sie maßgeblich geprägt hat und welche Vorstellungen und Einstellungen mit ihr verbunden sind, soll nun vorgestellt werden. Der Begriff der Ironie lässt sich ohne Schwierigkeiten bis in die griechische Antike zurückverfolgen. Hier lassen sich aus dem Eironeia-Verständnis zwei wesentliche Traditionslinien verfolgen, die später beide in die moderne Theorie der romantischen Ironie fließen.

Die Sokratische Ironie, wie sie in den Dialogen Platons zu finden ist, bildet eine Wende hin zu einer positiven Auffassung von Ironie. Hier ist die Ironie Mittel der Erkenntnis und hilft als bewusst eingesetztes gesprächstechnisches Mittel, Selbsterkenntnis über die eigene Unwissenheit zu erlangen und Unsicherheit bei vermeintlich gesichertem Wissen des Dialogpartners zu evozieren.

Damit ist eine philosophisch geprägte Geisteshaltung verbunden, dessen Prototyp Sokrates ist und deren Ziel das Auffinden von echtem Wissen und Wahrheit ist.14

Der rhetorische Ironiebegriff geht zurück auf eine Definition von Quintilian, in der er diese Ironie als das Gegenteil des Gesagten versteht. In dieser uneigentlichen Redewendung wird das eigentlich Gemeinte durch einen semantisch entgegen gesetzten Ausdruck substituiert. Das Gemeinte wird demnach durch sein Gegenteil ausgedrückt.

Diese Form der Ironie kann sich auch in einer durchgängigen Erzählhaltung zeigen. Oesterreich gibt dafür als Beispiele Wielands Agathon, Goethes Wilhelm Meister und Thomas Manns Zauberberg an.15

Um die romantische Ironie aus ihrem epochalen Verständnis heraus zu begreifen, ist ein kurzer Blick auf Schlegels Vorstellung der progressiven Universalpoesie nicht nur frucht- sondern unabdingbar, da er innerhalb dieser die romantische Ironie geprägt und zu einem künstlerischen Prinzip erhoben hat. Vor allem in den Lyceums- und Athenäumsfragmenten16 finden sich Schlegels Vorstellungen der Ironie wieder.

Progressiv heißt sie, weil sie stets im Werden ist und nie ganz vollendet sein kann, vielmehr geht es dabei darum, Identitäten und Sicherheiten in Frage zu stellen, um sich durch diesen Prozess der Wahrheit zu nähern. Bei der Universalpoesie ist die Idee maßgebend, die im Sinne der Romantiker ein Gesamtkunstwerk anstrebt und welche die Vereinigung aller Künste und Formen umschließt.

Da es den Romantikern um das Sprengen von Systemen und Gattungen ging und um das Infragestellen von Gegebenem, verfolgt diese Poesie das Ziel der Verbindung von grundsätzlich Gegensätzlichem: „Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen.“17

Im berühmten 42. Lyceums-Fragment bestimmt Schlegel die Ironie als aus der Philosophie stammend, aber in die Poesie übergehend. Damit geht die Ironie ein in das System Kunst und wird ausdrücklich gefordert. Ihrem Wesen nach besitzt die Ironie zwei Seiten; eine innere, die ernst und erhaben ist und eine scherzhafte äußere, hinter der sich das kritische Bewusstsein des Dichters verbirgt18.

Ironie ist somit Mittel künstlerischer Mitteilung und hat erkenntnisfördernden Wert: „Die Philosophie ist die eigentliche Heimath der Ironie, welche man logische Schönheit definiren möchte: denn überall wo in mündlichen oder geschriebenen Gesprächen [ .] philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern [ .] es giebt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie athmen.

Es lebt in ihnen eine wirkliche transcendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über die eigene Kunst, Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.“19 In dem Zitat deutet sich an, was Schlegel im 87. und 37. Lyceums-Fragment weiter spezifiziert, nämlich das Verhältnis von Künstler und Kunst.

Dabei gibt es wenigstens drei Momente, die dieses Verhältnis bestimmen sollen. Zum einen ist dies Schlegels Freiheitsbegriff, wenn er schreibt: „Es giebt Künstler, welche [ .] nicht frey genug sind, sich selbst über ihr Höchstes zu erheben“,20 zum anderen ist dies die Vorstellung der ironischen Distanz zum eigenen Kunstgegenstand, die geknüpft ist an die Idee der Selbstbeschränkung und Selbstvernichtung: „Um über einen Gegenstand gut schreiben zu können, muß man sich nicht mehr für ihn interessieren. [ .] So lange ein Künstler erfindet und begeistert ist, befindet er sich für die Mittheilung wenigstens in einem illiberalen Zustande.

Das Mittel, das dem Künstler dazu zu Gebote steht, bezeichnet Schlegel im 238. Athenäums-Fragment als die „künstlerische Reflexion und schöne Selbstbespiegelung“ innerhalb der Tranzendentalpoesie, die „in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie seyn“ soll. Diese kunsttheoretischen Überlegungen Schlegels zu der Ironie als künstlerischem Darstellungsmittel werden dann von Solger aufgegriffen und systematisiert.

Er hat maßgeblich den Begriff der „künstlerischen Ironie“ geprägt. Dabei definiert er Ironie als die Voraussetzung von Kunst überhaupt und knüpft Schlegels Idee der Selbstschöpfung und Selbstvernichtung eindeutig an das künstlerische Selbstbewusstsein, wenn es im 2. Band des „Erwin“ heißt: „denn ohne Ironie gibt es überhaupt keine Kunst. Soll sich die Idee in die Wirklichkeit verwandeln, so muß das Bewußtsein in uns wohnen, daß sie zugleich in die Nichtigkeit eingeht.“22 Demzufolge geht es sowohl Schlegel als auch Solger in Zusammenhang mit der Ironie als künstlerischem Darstellungsmittel um die poetische Reflexion,die in Zusammenhang steht mit dem Schaffen und dem Vernichten des Geschaffenen und deren Ziel Erkenntniszuwachs und Wahrheitsannäherung ist.

Wie Hoffmann diese Welterfahrung mit dem Mittel der Ironie dichterisch umsetzt, und wo er schafft, wo er vernichtet, soll nun am Beispiel Der goldne Topf untersucht werden. Dabei wird gezeigt, wie diese Spannungen sich bei Hoffmann in struktureller und sprachlicher Dimension niederschlagen. Auch wird gezeigt, wie Hoffmann die künstlerische Reflexion in seinem Märchen geschickt an die Figur des Erzählers knüpft, zudem wie Hoffmann Ironie als Darstellungsmittel gebraucht und Schlegels und Solgers theoretische Ausführungen in sein Märchenüberführt; denn Hoffmann hat mit dem Dergoldne Topf nicht nur ein Kunstmärchen geschaffen, sondern in erster Linie ein Märchen über Kunst.


3. Der ironische Perspektivismus: Struktur und Inhalt des Märchens


Der strukturelle Aufbau des Märchens Der goldne Topf ergibt sich vor allem aus dem Inhalt. Je nach inhaltlicher Schwerpunktsetzung liefern die Forschungsbeiträge eine große Bandbreite an möglichen Struktur- und Aufbauschemata für das Märchen. Mehr oder minder ist jedoch allen Forschungsbeiträgen gemein, dass sie im Hinblick auf die Erzählstruktur von der durchgehenden Polarität des Phantastischen und des Gewöhnlichen bei Hoffmanns Märchen sprechen.

Das in der Einleitung erwähnte Zitat Hoffmanns, in dem er davon spricht, die Dinge des gewöhnlichen Lebens in der Abstraktion des Humors wie in einem Spiegel zu reflektieren, kann ergänzt werden durch seine Äußerung, in der er seinem Verleger Kunz 1814 über das Märchen mitteilt: „[ .] Mich beschäftigt vorzüglich ein Mährchen das beinahe einen Band einnehmen wird – . – Feenhaft und wunderbar, aber keck ins gewöhnliche Leben tretend und seine Gestalten ergreifend soll das Ganze werden.“27 Aus dieser Polarität, dem Hin- und Herschweben zwischen faktisch gegebener Wirklichkeit und Märchenhaft-Wunderbarem, ergibt sich die „im Grunde genial einfache Struktur des „Goldenen Topfes“28.

Preisendanz zufolge ergibt sich die Struktur aus dieser Duplizität von Phantastischem und Alltäglichem, das das irdische Sein bestimmt. Diese Struktur entwickelt Hoffmann im Besonderen an der Figur des Anselmus, der in diesem Dualismus in einem „tollen Zwiespalt“ lebt und der den Konflikt von Künstlertum und Bürgerlichkeit austrägt. In Anselmus zeigt sich die menschliche Zerrissenheit, er möchte seiner dichterischen Bestimmung folgen und wird getrieben von der Sehnsucht nach dem höheren Sein.

Aus diesem Grund bezeichnet Preisendanz – aus dem „Erwin“ zitierend – denn auch das eigentliche Thema des Märchens als „die ewige und vollkommene Begrenzung der Phantasie durch das Wirkliche, in welchem sie sich selbst vernichtet, um es ganz in sich aufzunehmen“31.

Durch diese Schaffens- und Vernichtungsprozesse, durch die Darstellung sich stets gegenseitig negierender Sehweisen, die ganz der Entsprechung des ironischen Erzählens folgen, leitet sich das Schema des Märchens ab. Somit verhindert Hoffmann in Der goldne Topf eine objektive Darstellung von innerer und äußerer Welt. Durch zwei simultan gültige Wirklichkeitsbereiche, die einer Doppelstruktur folgen, hält Hoffmann die „Spannung und Konzentration“ aufrecht.32 In dieser dualistisch angelegten Struktur, die geprägt ist von der ironischen Perspektive, werden Doppelungen, Spiegelungen, Schwellenmotive und Doppelfiguren vorgeführt, die permanente Brechungsverhältnisse schaffen und Eindeutigkeit vermeiden.33


4. Der ironische Ton: Sprache und Phantasie


Im Weiteren wird nun Hoffmanns sprachschöpferische Produktion untersucht, denn in der Anwendung der Ironie – im ständigen Wechsel von Phantasiewelt und Bürgerwelt – gelingt ihm in sprachlicher Hinsicht ebenfalls eine Darstellung von sinnlicher Welt und übersinnlicher Welt, die sich gegenseitig aufheben.

Ausgangspunkt vieler Forschungsbeiträge ist das berühmte Fragment des Novalis, der von der Romantisierung der Welt als poetischer Tätigkeit spricht: „Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den urspr[ünglichen] Sinn wieder. [ .] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es [ .]“.35

Was Novalis hier beschreibt, ist die Romantisierung der faktischen Wirklichkeit zu einer poetischen Wirklichkeit, die der Dichter mit Hilfe seiner dichterischen Einbildungskraft schaffen kann. Er potenziert die ihm gegebene Welt und verleiht ihr künstlerische Anmut und einen edlen Wert.36

Was Hoffmann damit bewirkt, ist keine Romantisierung der Welt, sondern eine Ironisierung oder Humorisierung, denn erst im Humor zeigt sich der Dualismus, die Zerrissenheit und Zwiespältigkeit.

Vitt-Maucher spricht von einer „sprachlichen Dialogführung“38 in Der goldne Topf , in der alle Figuren in verschiedenen sprachlich-rhetorischen Kategorien miteinander kommunizieren. Zum einen finden sich – vor allem durch die Vertreter des Bürgertums – biedere Alltagsidiome, zum anderen birgt das Hoffmann-Vokabular wunderbare Zaubersprüche, rätselhafte Ausdrücke, mythische Beschreibungen und naturhafte Mitteilungen.

Daraus entstehen Trennungen und Mischungen, die keine klare sprachliche Beschreibung der Begebenheiten zulassen, da sie je nach Perspektive sprachlich verschiedenartig ausfallen und sich gegenseitig negieren.39

Als Beispiel für die Wechsel der sprachlichen Register und die damit verbundene Verwirrung genügt ein Blick auf den Anfang des Märchens: Dresden, der Ort der Märchenhandlung, wird in einem erstaunlichen – darüber hinaus für ein Märchen untypischen40 – Detailrealismus dargestellt. Ebenso untypisch erfolgt eine konkrete Zeitangabe. Es handelt sich dabei um eine konkrete Alltagssituation, die auch sprachlich realistisch gehalten wird:


Dem tolpatschigen Studenten ist ein Missgeschick widerfahren, weil er rannte, es wird ein zeterndes Weib beschrieben, die gierig auf sein spärliches Geld ist. Dies ist die schlichte Ausgangssituation der ersten Vigilie. Das Ende hingegen stellt sich sprachlich wie inhaltlich als Kontrastsituation dar. Anselmus ist seines Vergnügungsgroschens entledigt, er flieht vor die Stadt an das Elbufer, wo er unter einem Holunderbaum ruht.

Dort in melancholischer Stimmung seines Unsterns gedenkend, erfährt er erstmalig etwas wunderbar Anmutendes.42 Dort hat er die erste Ahnung seiner Bestimmung zum Dichter, die fortan seine Sehnsucht nach einem höheren Sein bestimmt. Hoffmann gestaltet diese Naturszene sprachlich mit Synästhesien43 die Anselmus zunächst als unbestimmte Geräusche wahrnimmt, die sich aber dann zu halb verwehten Worten bilden:

Zwischendurch – zwischenein – zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten schwingen, schlängeln, schlingen wir uns – Schwesterlein – Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer – schnell, schnell herauf – herab – Abendsonne schießt Strahlen, zischelt der Abendwind [ .]“44


Doch auch die als (vermeintliche) optische Täuschung angebotene Lösung schlägt fehl. Als er in die dunkelblauen Augen eines der Schlänglein blickt, ist er wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Kurz darauf werfen ihm der Holunderbusch, der Abendwind und die Sonnenstrahlen vor, dass er nicht empfänglich für ihre Gesten und ihre Sprache war:

Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloss dich, aber du verstandest mich nicht. Der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.“46


Nun ereignet sich ein Naturspektakel, indem die Natur um ihn herum lebendig wird, während er in die Augen des Schlängleins versunken ist.

Die Naturszenerie beschreibt Hoffmann mit poetischen Ausdrücken, die die Sinne ansprechen: „Blumen und Blüten dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend Flötenstimmen, und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen vorüberfliegenden Abendwolken in ferne Lande.“47 Hier hat Anselmus für einen Augenblick Einsicht in die Naturharmonie.

Im Sinne von Novalis kann dies gewiss als eine „Romantisierung“, eine ästhetische Überhöhung verstanden werden. Diese wird aber von Hoffmann augenblicklich auf das Maß der Rationalität reduziert, wenn die zweite Vigilie mit der ordinären Sehweise einer Bürgerfrau beginnt: „Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste! [ .] Der [Anselmus] hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes umfasst und rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: [ .] Und dabei seufzte und ächzte er aus der tiefsten Brust recht kläglich und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld den Holunderbaum [ .]“48


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