Reflexionspapier
Platons
Höhlengleichnis
Das
Höhlengleichnis Platons, welches aus dem 7. Buch seines Hauptwerkes Politeia
stammt, stellt einen der bekanntesten Texte aus dem Bereich der antiken
Philosophie dar. Platon entwickelt dieses Gleichnis im Rahmen eines Dialoges
zwischen Sokrates und Glaukon und thematisiert darin im Schwerpunkt den
Bildungsweg des Philosophen. Dieses Thema gelangt in drei wesentlichen
Abschnitten zur Entfaltung. Zunächst erfolgt die Darstellung einer bestimmten
Wahrnehmungskontextes, über den Gefangene verfügen, die in einer unterirdischen
Höhle angekettet sind. Als nächstes wird die Entfesselung eines Gefangenen
skizziert, der nun die Höhle verlässt, die Sonne erblicken kann und nun mit
einer für ihn bisher fremden Realität konfrontiert wird, die jedoch auch mit
einem neuen Wahrnehmungspotential verbunden ist. Schließlich werden Vermutungen
angestellt, wie die Rückkehr des Gefangen in die Höhle zu seinen früheren
Mitgefangenen erfolgen könnte und in welcher Art und Weise sie wohl auf die
Schilderung seiner Erlebnisse reagieren würden (vgl. Köller 2004: 169). Die
Ausgangssituation in der Höhle stellt sich jedenfalls derart dar, dass einige
Menschen bereits von Kindheit an eine mittelhohe Mauer gefesselt und so
fixiert sind, dass sie lediglich eine sich vor ihnen befindende Wand erblicken
können. Hinter der Mauer, an der die Gefangenen angekettet sind, brennt ein
Feuer. Zwischen Mauer und Feuer werden nun allerlei Gegenstände so
vorbeigetragen, dass das Feuer den Schatten der Gegenstände an die sich vor den
Gefangenen befindliche Wand wirft.
„Was
die Gefangenen faktisch sehen, ist nämlich weder die natürlich gegebene Welt
noch die Schattenwelt von Originalen der natürlichen Welt, sondern nur die
Schattenwelt von künstlich hergestellten Produkten mit Hilfe eines künstlichen
Lichts, also die Abbildung einer Abbildung mit Hilfe eines artifiziellen Lichts.
Die faktische Desorientierung wir außerdem noch dadurch gesteigert, dass die
Träger der Artefakte zum Teil sprechen und zum Teil schweigen und das die
Gefangenen das Echo dieser Reden fälschlicher Weise als Reden von einzelnen
Schattenbildern verstehen.“ (Köller 2004: 170)
Diese
Welt der Schatten stellt sich für die Gefangenen somit als die wirkliche Welt
dar, weil sie nicht über die Kenntnis einer anderen Welt verfügen. Ihre Sinneswahrnehmungen
sind nicht in der Lage, ihnen ein zutreffendes Bild der eigentlichen
Wirklichkeit außerhalb der Höhle zu vermitteln. Sie nehmen die umher wirbelnden
Schatten einfach und unreflektiert als das Wirkliche hin (vgl. Fink 1970: 46). Die
bisher geschilderte Problemlage wird sich allerdings zwangsläufig verschärfen,
wenn man nun einen der Gefangenen befreit und ihn zunächst dazu zwingt, sich
umzudrehen und hinter sich zu blicken.
„Die
Befreiung ist kein Entschluss, kein Vorhaben, keine Einzeltat; man kann es
paradox formulieren: sie wird erlitten“ (Fink 1970: 46).
Der
Gefangene wird zunächst kaum orientieren können. Seine gewohnte Welt wird
völlig durcheinander geraten und ihn dazu zwingen, neue und ungewohnte Elemente
in seine Wahrnehmung aufzunehmen. Seine Wahrnehmungssicherheit geht verloren,
da er nicht mehr über seinen ursprünglichen starren Blickwinkel verfügt. Noch
weiter zuspitzen wird sich die Situation, sofern der Gefangene außerdem
gezwungen wird, die Höhle zu verlassen und in das das Licht der Sonne zu
blicken und somit mit der realen, eigentlichen Welt konfrontiert wird. Nun
erscheinen seine bisherigen Wahrnehmungen in der Höhle in einem ganz anderen
Licht. Erst jetzt ist der Gefangene in der Lage, seine bisherigen defizitären
Wahrnehmungen als solche zu erkennen und zwischen der Höhlenwelt und der
eigentlichen Welt zu unterscheiden. Wenn er nun wieder in die Höhle
zurückkehrt, wird es ihm wohl nicht mehr möglich sein, seine alten Perspektiven
der Wahrnehmung einzunehmen, da er mittlerweile auch durch die Wahrnehmung der
Welt außerhalb der Höhle geprägt ist. Darüber hinaus werden seine Mitgefangenen
in der Höhle kaum Verständnis für seine neuen Eindrücke aufbringen können,
sofern er sich dazu entschließen sollte, ihnen davon zu berichten. Sie werden nicht
neugierig sein und seinen Schilderungen aufmerksam folgen, sondern werden ihn
vielmehr für verrückt erklären oder gar versuchen, ihn ganz zum Schweigen zu
bringen, indem sie ihn töten. Nun hat man also unter größten persönlichen
Anstrengungen gelernt, richtig zu sehen und muss sich nun paradoxerweise den
Vorwurf gefallen lassen, mit verdorbenen Augen in die Höhle zurückgekehrt zu
sein (vgl. Köller 2004: 171). Aus Sicht der Mitgefangenen wird es sich
keinesfalls lohnen, den Weg nach oben aus der Höhle heraus zu gehen.
„Es stellt sich also heraus, dass der
Wissende unter den Bornierten in eine soziale Isolation gerät, weil er allein
schon durch seine bloße Existent und seine bloßen Erfahrungen die
Selbstsicherheit der anderen Gefangenen stört bzw. die traditionell
stabilisierten Wahrnehmungsperspektiven, die dieser Gruppe Zusammenhang
verleihen“ (Köller 2004: 171).
Der
Vorgang der Entfesselung kann als ein philosophischer Bildungsweg verstanden
werden, der von den vorläufigen Wahrnehmungen als Sinneserfahrung zu einer Welt
voller Begriffe und Ideen führt, die erst im Lichte der Sonne, die die Idee des
Guten verkörpert, gedeutet werden können. Der Weg zurück in die Höhle birgt
nicht unerhebliche Risiken, jedoch ist er von einer enormen Bedeutung.
„Jeder,
der die Sonne erblickt hat, muss von ihr künden. Auch auf die Gefahr hin,
ausgelacht und getötet zu werden, muss die Wahrheit allen Seins gegenüber dem
Schein der Höhle wieder und wieder gelehrt werden“ (Blum/Rupp/Gawlina 1997: 19).
Vermutlich
möchte Platon durch dieses Höhlengleichnis auch an Sokrates als seinen
ehemaligen Lehrer erinnern und – durch mehr oder weniger deutliche Anspielungen
- sein Leben und Werk rechtfertigen (vgl. Szelák 1985: 221). Sokrates war im
Jahre 399 v. Chr. wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend zum Tode
durch den Schirlingsbecher verurteilt worden.
Literaturverzeichnis
Blum, Wilhelm/Rupp, Michael/Gawlina,
Manfred (1997): Politische Philosophen.
München: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 3. erw. Aufl.
Fink, Eugen
(1970): Metaphysik der Erziehung: Im Weltverständnis von Plato und Aristoteles.
Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann.
Köller, Wilhelm
(2004): Perspektivität und Sprache: Zur Struktur von Objektivierungsformen in
Bildern, im Denken und in der Sprache. Berlin: de Gruyter.
Szlezák, Thomas A.
(1985): Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie: Interpretationen zu den
frühen und mittleren Dialogen. Berlin: de Gruyter.