Eberhard
Karls Universität Tübingen
Philosophisches
Seminar
Sommersemester
2011
Proseminar: Normative Ethik: Geschichte und
Grundprobleme
Dozenten:
Prof. Dr. phil. Sabine Döring
Dr. phil. Eva-Maria
Düringer
Referent:
Aristotelische
Ethik = Normativ?
Glück,
davon kann man sehr viel wissen und noch viel mehr verstehen. Was
ist Glück? Kann man es messen? Kann man es vermehren und wenn ja,
sollte man dies tun?
Viele
Fragen und die moderne Forschung bietet über empirische Studien auch
Antworten. Und während man im Gehirn gewisse Prozesse ausmacht,
welche direkt mit einem glücklichen Zustand der Person zusammen zu
stehen scheinen, sind die Ergebnisse der Umfragen eindeutig
schwieriger zu interpretieren. Sind die Menschen glücklicher? Was
macht sie glücklich? Viele Fragen und die Antworten sind nur rar
vorhanden, denn auch die empirische Studie besticht mit einem
einfachen Problem: Allein weil man ein paar Tausend Einzelfälle sich
vor Augen hält, muss man deswegen noch lange nicht auf ein
allgemeingültiges Prinzip, welches alle Menschen betrifft, treffen.
An
dieser Stelle wird dann am besten gleich Churchill zitiert „Ich
glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“
Tatsächlich bieten solche Untersuchungen immer einen großen
Spielraum für Manipulationen. Man hat eine hohe Anzahl an
Datensätzen, die man nicht so schnell überprüfen kann, denn
veröffentlich wird nur ein Bruchteil und der ist dann wiederum
längst ausgewertet und vielleicht vorsortiert ist. Und Wer legt
fest, welcher gemessene Einfluss auf welche Ursache zurück zu führen
ist? Wenn Menschen aus sozial benachteiligten Schichten eine
schlechtere Bildung erhalten und mit höherer Wahrscheinlichkeit
kriminell werden, kann man dann sagen, dass Empfänger von
staatlicher Hilfe viel wahrscheinlicher kriminell werden?
Doch
bevor wir uns zu sehr auf die Statistik versteifen, zurück zum
eigentlichen Thema, dem Glück. Was wir besitzen sind viele
Ergebnisse. Das was glücklich macht sei es nun die Arbeit das
Gehalt oder die soziale Anerkennung und der Freundeskreis, alles
läuft auf ein Problem hinaus: Wollen wir überhaupt Glück? Sollte
es tatsächlich das Ziel der Gesellschaft sein, möglichst viele
Menschen möglichst glücklich zu machen?
Es
ist das Märchen der modernen Ökonomie, welche versucht, den
Menschen das Glück zu suggerieren. Die Wertung ist bewusst gewählt,
auch wenn die Intention dahinter vielleicht im ersten Moment
verwirren könnte. Wie kann ich gegen Glück sein? Ja, ich kann
tatsächlich gegen das Glück sein. Und der Grund? Glück ist eine
Emotion, eine wunderbare und natürlich angenehme Emotion. Durch die
Zeit der Philosophie hindurch war Glück, Glückseligkeit, Eudaimonia
das höchste Ziel. Viele Menschen sollten glücklich werden, am
besten alle am meisten. Und was die Philosophen seit Jahrtausenden
suchen haben wir dank moderner Forschung endlich in ausreichenden
Daten vorliegen: Was
bringt Glück.
Und wenn man noch ein weniger weiter forscht, wissen wir auch gleich
noch, was wie viel Glück bringt und welche Gesellschaftsform am
meisten Glück verspricht.
Nach
dieser kleinen Einführung zum Hauptthema, will ich nun zur
Aristotelischen Ethik hinführen.
Aristoteles
entwickelt in der Nikomachischen Ethik eine Art Handlungsanweisung,
durch deren Befolgen es dem Menschen ermöglicht werden soll, ein
glückliches und tugendhaftes Leben zu führen. Das höchste
Glück (eudaimonia) und Tugend oder
Bestzustand (aretê) sind
zentrale Begriffe in der Ethik von Aristoteles. Aristoteles vertritt
die These, dass das Ziel aller absichtlichen Handlungen das im „guten
Leben“ verwirklichte Glück ist. Die Ausbildung von Tugenden ist
nach seiner Ansicht wesentlich dafür, dieses Ziel zu erreichen.
Die aristotelische Ethik beschäftigt sich primär mit der Frage nach
dem Erwerb von Tugenden oder tugendhaften Haltungen und der damit
verbundenen Erlangung von eben jener ‚eudaimonia’,
der höchsten Glückseligkeit. Aristoteles erläutert in diesem
Zusammenhang, dass das Ziel, ein tugendhaftes Leben zu führen, nur
dann erreicht werden kann, wenn man den richtigen Umgang mit seinen
Affekten beherrscht. Mit Affekten wird jener Ausdruck
beschrieben ‚pathos’, welcher meist mit ‘Leidenschaft’ oder
‚Emotion’ übersetzt wird, und zunächst ganz allgemein als das
Empfangen einer äußeren Einwirkung definiert. Nach
Aristoteles wird dieser Begriff ausführlicher als ein ‚Zustand’
oder eine ‚Eigenschaft’ und schließlich als ein ‚Erleiden’
oder als ein ‚Zustand der Seele’ oder der gleichen Dinge mehr,
angesehen. Des
Weiteren versteht Aristoteles unter Affekten jede Art einer
zielgerichteten Gemütsbewegung, die von Lust und Unlustempfindung
begleitet ist und ohne die Vermittlung von rationaler Ãœberlegung und
Entscheidung auftreten und tätig werden kann.
Nun Stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage inwiefern die
Aristotelische Ethik denn eine normative Ethik sei? Die Aufgabe
dieses Essays soll es sein, zu versuchen genau diese Frage zu
beantworten. Daher halte ich es für angebracht zunächst den Begriff
normativ
etwas näher zu erläutern.
Die normative
Ethik widmet sich der Definition von allgemeingültigen Normen auf
Grund von rationalen, uneigennützigen und überparteilichen
Betrachtungen der Gesellschaft. Dabei hat sie den Anspruch, dass
jeder moralisch Handelnde also Individuen, die in der Lage sind,
frei aus einer Menge von Möglichkeiten eine Alternative zu wählen,
unter denselben Umständen zum selben Ergebnis gelangt.
Nachdem ich nun
geklärt habe was Normative Ethik ist will ich den Bezug zu
Aristoteles und seiner Ethik herstellen und gleichzeitig auch die
Frage beantworten inwiefern denn die Aristotelische Ethik eine
normative Ethik ist
. In
den Worten von Protagoras ist es der Mensch der das Maß aller Dinge
ist. Eine Ethik ist also normativ wenn sie uns Menschen
vorgibt, wie wir leben "sollten". Die Aristotelische Ethik
ist eine Normative Ethik Aristoteles, der den obigen Ausspruch kannte
und den normativen Charakter von Ethik sehr wohl in seine
Argumentation mit aufnahm, genau das tut. Er gibt den Menschen eine
Art Anweisung wie sie ihr Leben zu leben haben um Glückseligkeit zu
erlangen. Die Ethik als ein großes Thema begann mit Sokrates,
der aus dem obigen Satz eine ethische Konsequenz zog. Wenn der Mensch
es ist der das Maß aller Dinge ist, dann auch bei ethischen Werten.
Die Gegenreaktion ist die Idee es könne universelle Werte geben,
oder aber auch Normen für ein gutes, beziehungsweise Tugendhaftes
Leben.
Für die Normative
Ethik ist es also das Ziel, allgemeingültige Normen für die
Gesamtheit aller festzulegen, die in der Lage sind moralisch zu
handeln. Die Aristotelische Ethik hat als höchstes Ziel die
„eudanomia“ die höchste Form von Glückseligkeit. Manch einer
würde nun Argumentieren, dass Glück oder Glückseligkeit doch ein
Begriff ist der sehr individuell anpassbar und für jede Person
unterschiedlich zu erreichen ist, also keiner bestimmten oder
festgelegten Norm entsprechen kann. Für Aristoteles aber der sich
unteranderem
mit
der Frage beschäftigte, wie man in konkreten Situationen handeln
soll, ist es genau das, was man unter einer normativen Ethik
versteht.
Es ist in der Tat der Fall, dass der Begriff Normativ,
wohl
von der "Norm" also einem standardisiertem Vorgehen,
abgeleitet worden ist. Wenden wir doch mal einen genaueren Blick auf
die Aristotelische Ethik um ein besseres Verständnis für den
Zusammenhang beider Ethiken zu bekommen.
In
der nikomachischen Ethik spricht
er ja häufig von einem idealen Maß, welches eben jenes Maß ist,
welches wir als die „Norm“ deklariert haben. Es ist das, was laut
Aristoteles stets angestrebt werden soll.
Viele
andere große Gebiete der Ethiken wie zum Beispiel die Methaethik,
welche sich damit beschäftigt, woher Moral überhaupt kommt und wie
eine Ethik allgemein
funktioniert und vielleicht noch spezielle Ethiken (auf bestimmte
Handlungsfelder bezogen), sind nicht allgemein für alle Menschen
gleichermaßen verbindlich ,im Gegensatz zur normativen.
Da Aristoteles diese
Fragen zu mindestens in der nikomachischen Ethik nicht
angeht bleibt quasi nur die normative übrig,
die, wie bereits im Eingang gesagt, eben auch von der Beschreibung
her genau das trifft, was er tut und verlangt. Man kann also pauschal
sagen, dass tatsächlich weder Glückseligkeit für jeden Menschen
etwas anderes ist, noch dass Aristoteles dies genauso sähe.
Ganz
im Gegenteil würde ich mich in diesem Falle enorm zurück halten,
denn die nikomachische Ethik baut
eben gerade auf einen absolut allgemeingültigen Normenkatalog auf.
Es
kommt also drauf an, wie genau man hinschaut. Faktisch suchen alle
Menschen nach der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Verschiedene
Bedürfnisse erfordern natürlich verschiedene Vorgehensweisen, um
diese zu befriedigen. Manche wollen ein gesichertes Einkommen mit
Haus und Kind, andere wollen sich ausleben, dritte wollen etwas
Besonderes finden oder verbreiten und der gleichen Dinge mehr.
Das
alles erscheint natürlich verschieden, rührt aber aus denselben
Prinzipien her. Und selbst wenn man nicht so grob schauen will, so
werden doch die meisten Menschen mit annähernd gleichen Zielen sehr
ähnliche Wege bestreiten. Man kann alles haarklein in einzelne
Partikel zerkleinern oder grobschlächtig betrachten und daraus sein
Urteil fällen, inwiefern das Glücksstreben der Menschen nun
verschieden sei oder nicht.
Laut
Aristoteles ist es die Tugendhaftigkeit, welche den Menschen zur
Glückseligkeit führt, den Menschen an sich, nicht nur Horst, Peter
oder Sybille, sondern alle Menschen. Natürlich machen nicht alle
Menschen genau dieselben Sachen, aber der Schuster soll
beispielsweise den gleichen Tugenden folgen, wie der Maurer, wie die
Schreinerin oder die Schneiderin. Ganz gleich was genau Menschen tun,
allgemein sollen alle den Tugenden die Aristoteles beschreibt folgen,
um zur Glückseligkeit zu gelangen. Wenn alle den allgemeingültigen
Tugenden folgen, kommen alle zur Glückseligkeit. Und jeder der nicht
den Tugenden folgt, kommt eben nicht zur Glückseligkeit. Und während
es für den Schwachen tugendhaft ist, weg zu rennen, kann es eben
auch für den Starken noch untugendhaft sein, zu bleiben. Denn das
Kriterium des "lobenswert sein", das Aristoteles anlegt,
geht ja von einer beurteilenden Instanz aus, die einen totalen
Überblick hat, die also nicht des Irrtums fähig ist, die genau
Motive und Fähigkeiten einschätzen kann. Anders kann sie nämlich
ihre Aufgabe nicht erfüllen. Und eben wegen dieses notwendigen
Einblickes, kann sie einschätzen, ob die Person zu schwach war, um
die Handlung aus zu führen und deswegen ihre Vermeidung dessen doch
angemessen und damit tugendhaft war.
Im
gewissen Sinne ist bei Aristoteles die
'Mitte' also weder Mangel, noch Übermaß, eine Norm. Nun stellt sich
die Frage wie
kommt man dahin? Laut Aristoteles durch 'rechte Einsicht', die sich
aus Wahrnehmung, Vernunft und Streben zusammensetzt, wobei der
Verstand mit seinen Ãœberlegungen auf wertvolle Ziele gerichtet sein
sollte, im Sinne von dem, was gut oder schlecht für einen Menschen
wäre.
Man
kann es sich natürlich individuell für sich aussuchen wie man
Tugenden folgt oder wie man sein Leben lebt aber alles in einem ist
doch das Ziel jedes einzelnen die von Aristoteles beschriebene
Glückseligkeit. Die Aristotelische Ethik ist also in dem Sinne eine
normative, in dem sie uns dem Menschen an sich versucht eine Art
Anleitung zu sein wie wir als Individuen die Individuen, die in der
Lage sind, frei aus einer Menge von Möglichkeiten eine Alternative
zu wählen, diejenige auszusuchen welche uns Glückseligkeit bringt.
Das Ziel dieses Essays war es diesen Unterschied oder vielmehr die
Gemeinsamkeiten beider Ethiken klarzustellen. Der Einwand dass alle
Menschen unterschiedliche Auffassungen von Glück oder Glückseligkeit
haben mit der Erläuterung die meiner Meinung nach Aristoteles auf
diesen Einwand geantwortet hätte stärkt mich in der Annahme, das
Ziel, welches die Fragestellung hatte inwiefern die Aristotelische
Ethik eine normative sei, erfüllt zu haben.