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Seminararbeit
Psychologie

Helene-Lange Schule Mannheim

2015/2016

Nina S. ©
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ID# 65575







Naturreligiöse Vorstellungen zentralasiatischer Bergvölker am Beispiel des Schamanismus im Altai-Gebirge und Ursachen seiner Faszination für Bewohner von Industrieländern

Seminarkurs Hochgebirge

Schuljahr 2015/16

Verfasser:



Inhalt

1. Einleitung 1

2. Altai-Gebirge 2

2.1. Geographische Lage und Klima 2

2.2. Bevölkerung und Sprachen 3

2.3. Spirituelle Bedeutung des Altai-Gebirges für die Bevölkerung 4

3. Schamanen und Schamanismus 5

3.1. Definition Schamanismus 5

3.2. Ursprung des Schamanismus 6

3.3. Das Weltbild der Schamanen 7

3.3.1. Spirituelle Helfer und Geister 8

3.4 Aufgaben und soziale Funktionen eines Schamanen 9

3.4.1. Das Heilen 10

3.4.1.1. Das Heilritual 11

4.1. Schamanismus und Psychologie 11

4.1.1. Der psychologische Status des Schamanismus 11

4.1.2. Psychologie und Schamanismus im Vergleich 12

4.1.2.1. Veränderte Bewusstseinszustände 14

4.1.2.2. Das Unbewusste 17

4.2. Gründe für die Faszination der Industrieländer 18

6. Literatur und Quellen 20

7. Bildquellen 21

1. Einleitung

Schamanismus gilt als älteste religiöse und heilkundliche Disziplin der Menschheit.1 Obwohl Schamanismus in unserer westlichen Welt besonders in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, kann die Mehrheit unserer Bevölkerung diesen Begriff nicht wirklich definieren oder nur vage zuordnen. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass schamanische Praktiken noch heute in vielen Bereichen der Erde vollzogen werden und überhaupt eine sehr wichtige Rolle in der Kultur vieler Völker spielen und gespielt haben.

Vor wenigen Jahren aber fürchtete man noch das Aussterben solcher Kulturen, die Schamanismus praktizierten, da sie in der menschlichen Geschichte immer wieder unterdrückt und verboten worden waren. Aus diesem Grund kommt die Frage auf, weshalb der Schamanismus in der heutigen Zeit von unserer sehr materialistisch geprägten Gesellschaft wiederentdeckt und ihm immer mehr Interesse zuteilwurde.

Was sind also die Gründe für die Faszination der Industrieländer für Schamanismus?

Besonders in Hochgebirgen gibt es noch viele Kulturen, die diese Weltanschauung haben und im Einklang mit ihrer Natur und Umwelt leben. Zu diesen zählt auch das Gebirge des Altai, welches eine der wichtigsten Regionen für den Schamanismus darstellt. Deswegen wird in dieser Arbeit zunächst das Gebirge mit seiner geographischen Lage und seinen Besonderheiten vorgestellt.

Da der Untersuchungsgegenstand Schamanismus bis heute Diskussionen aufwirft, wie er denn nun genau zu definieren sei, wird in dieser Arbeit genauer darauf eingegangen.

Um Schamanismus allgemein besser zu verstehen, soll im weiteren Verlauf die Weltanschauung eines Schamanen genauer erläutert werden. Insbesondere das Bild, welches Schamanen von dem Universum haben und welche Rolle die Rituale und Bräuche in ihren Praktiken spielen.

Tatsächlich hat auch die Wissenschaft besonderes Interesse, Heilpraktiker und Psychologen versuchen schamanische Praktiken in ihre Behandlungen zu integrieren. Diese zunehmende Hinwendung zu nichtwestlichen Kulturen und ihren Heil- und Meditationspraktiken ist sehr auffallend. Diese Arbeit sucht gemeinsame Berührungspunkte und Aspekte zwischen dem Schamanismus und den Erkenntnissen der modernen Psychologie.

2. Altai-Gebirge

2.1. Geographische Lage und Klima

Das Wort Altai bedeutet übersetzt „Ort, an dem Gold zu finden ist“. Das Altai-Gebirge hat eine besondere geographische Lage, denn es befindet sich in einem Grenzgebiet zwischen russischer Föderation, Kasachstan, der Volksrepublik China und der Mongolischen Republik. Da hier sehr viele Bevölkerungsgruppen aufeinander treffen, stellt es eine Nahtstelle von Christentum, Lamaismus, Buddhismus und Schamanismus dar und bildet das Zentrum Eurasiens.2 Seine geologische Entstehungsgeschichte reicht 2 Mrd.

Jahre zurück. Die 2000 m lange Gebirgskette gliedert sich in den Oberen Altai, der im russischen Gebiet liegt, den Mongolischen Altai und den Gobi-Altai. Der höchste Berg ist die Belucha mit einer Höhe von 4506 m und liegt in der Altairepublik. 

Die Winter sind im Altai-Gebirge streng und lang, die Sommer dagegen sehr trocken, kurz und warm. Dies ist auf die hochkontinentale Lage zurückzuführen. Dementsprechend sind hier Temperaturschwankungen nicht selten, im Winter registriert man bis zu -60°C, im Sommer können bis zu 40°C erreicht werden.3

Der Altai zählt etwa 1.300 Gletscher, die eine Eisdicke von bis zu 150 m haben können. Der höchste Berg Belucha und der Berg Aktru (4.035 m) sind beide vergletschert. Seit 1998 gehören die „Goldenen Berge des Altai“ zum UNESCO-Weltnaturerbe. Entscheidend dafür ist die große Vielfalt von Flora und Fauna in den Ãœbergangsbereichen zwischen Steppen, Waldsteppen, Mischwäldern, subalpiner und alpiner Stufe sowie das Vorkommen vieler seltener Arten wie zum Beispiel des Schneeleoparden.4 Zu der Tier- und Artenvielfalt des Altai gehören über 250 Vogelarten und andere Tierarten wie Wölfe, Bären, Luchse, Kleintiere wie Ziesel, Murmeltiere, Pfeifhasen und viele mehr. 

Das Altai-Gebirge wird häufig „Mittelpunkt der Ozeane“ genannt, da es einerseits zentral in Mittelasien und weit entfernt von großen Wassermassen und Meeren liegt, andererseits weil im Altai sehr viele Flüsse entspringen. Tiefe Flusstäler mit reißenden kalten Gebirgsflüssen und Gebirgsketten mit dazwischen liegenden Hochebenen mit vielen kleinen Seen sind für das Altai-Gebirge typisch.

Der Fluss Bija entspringt dem See Telezkoje Ozero, dem größten See des Altai welcher zu den 15 tiefsten Seen der Welt gehört. Zusammen mit dem Fluss Katun bildet der Fluss Bija den Ob und fließt über diesen durch ganz Sibirien nach Norden ab. Eine weitere Quelle hat der sibirische Fluss Irtyisch im Altai und auch dieser fließt später mit dem Fluss Ob zusammen. Der See Aja ist ein See in der Nähe von Gorno Altaisk, der Hauptstadt der Altai Republik.5

In den nach Norden angrenzenden Ebenen des Altai liegen industrielle Ballungsräume Sibiriens wie Nowosibirsk, Barnaul und das Kusnezk-Becken. Im Süden grenzen die Steppen und Halbwüsten Kasachstans, der Dsungarei und der Mongolei an.6

Abbildung 1: Quelle: Hergert; Thurmann, (2011), S. 38

2.2. Bevölkerung und Sprachen

Im Altai-Gebirge treffen viele verschiedene Bevölkerungsgruppen aufeinander. Laut archäologischen Funden fand bereits vor über fünfhunderttausend Jahren eine Besiedlung statt. Um 1500 v.Chr. muss die Herausbildung des Altaivolkes erfolgt sein.7 Hier lebten vor allem Nomaden. Die Altai-Skythen waren ein Reiternomadenvolk, die den Hochaltai und die Steppen dieser Umgebung besiedelten.

Grabfunde belegen, dass sie um 500 v.Chr. gelebt haben müssen. Eines der Gräber erlangte 1993 mit dem Fund der sogenannten „Eisprinzessin“ Berühmtheit. Diese wurde in einem Kurgan - einem Grabhügel der skythischen Stammeshäuptlinge - hochkonserviert im Permafrost des Ukok-Hochplateaus gefunden.8 Dieser Fund brachte der Ethnie der Skythen besondere Aufmerksamkeit, vor allem in wissenschaftlichen Kreisen.

Alte skythische Steingräber erlaubten eine Zuordnung der Herkunft des Altaivolkes, welches zu der großen Gruppe der Turkvölker gehört.

Anfang des letzten Jahrhunderts unternahm der russische Maler und Schriftsteller Nicholas Roerich mehrere Forschungsreisen in den Altai. Laut ihm ähnelt der Altai aus historischer und prähistorischer Sicht einer bislang ungeöffneten Schatzkamer, zu welcher unter anderem die Kurgane gehören. Desweiteren schrieb Roerich in seinen Tagebüchern, dass der Altai zur Zeit der Völkerwanderung eine bedeutende Rolle spielte.

Viele Nomadenvölker passierten das Gebirge, als sie über den Kontinent zogen.10

Im 18. Jahrhundert wurde das Altai-Gebirge dem Russischen Reich angegliedert, welches unter anderem die Republik Altai umfasste. Die Republik Altai gehört auch heute territorial zur Russischen Föderation, allerdings verwaltet sie sich politisch weitgehend unabhängig. In der Republik Altai leben rund 205000 Einwohner, von denen nur ein Drittel Altaier sind. Andere Nationalitäten sind Russen und Kasachen, die den Großteil der Bevölkerung ausmachen.11 Somit sind hier die Russische und kasachische Sprache von Bedeutung.

Die Sprache der Altaier, bei welcher es mehrere Dialekte gibt stammt von den Turksprachen ab. Die Mehrheit der in der Republik lebenden Altaier spricht Altaisch als Muttersprache. Man zählt etwa 40 Sippen oder Seoken.

In der Sowjetzeit wurden die rituellen Bräuche, das Schamanentum und die Sprache stark unterdrückt. Schamanen waren die Hüter der Traditionen, des alten Glaubens und der Mythologie. Sie betrieben ihr Handwerk trotz der Verfolgung und Unterdrückung fast täglich, weshalb es ihnen gelang die alten Bräuche zu bewahren. Aus diesem Grund überstanden die alten Rituale die Sowjetherrschaft und heute besinnt man sich wieder auf die Traditionen und auch die altaische Sprache wird wieder in den Schulen unterrichtet.12

2.3. Spirituelle Bedeutung des Altai-Gebirges für die Bevölkerung

„Asien ist die Wiege der Religionen. Und die Seele und das Herz Asiens ist der Altai.“

(Aus dem Vermächtnis Roerichs)13

Gebirge waren für die Menschheit schon immer eine Besonderheit, sie galten als heilige Orte. Denn Berge waren Kraftorte, an denen sich die Energie der Schamanen ihrem Glauben nach richtig entfalten konnte.

Manche Sprachforscher und Esoteriker meinen sogar, dass die altaische Sprache und Bevölkerung ihren Ursprung im untergegangenen Kontinent von Atlantis hatte. Eine weitere Legende besagt, dass im Altai-Gebirge das Tor zu dem verborgenen Königreich „Shambhala“ liegt. Dieses spielt im Buddhismus eine besondere Rolle und ist der Name eines mystischen, materiellen oder immateriellen Königreichs, welches sich irgendwo in Zentralasien befinden soll, vorzugsweise im Himalaya.

Es gibt der Überlieferung nach viele Wege und Tore die in dieses Reich führen, eines davon soll das Altai-Gebirge sein, möglicherweise in einem Tal nicht weit von dem höchsten Berg Belucha, welcher von den Angehörigen des Altaivolkes als heilig verehrt wird.14

3. Schamanen und Schamanismus

3.1. Definition Schamanismus

Heutzutage gibt es keine genaue Übereinstimmung darüber, wie der Begriff Schamanismus genau zu definieren ist. Besonders steht zur Diskussion, ob es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um eine Religion handelt oder nicht. Der Begriff selbst stammt von dem tungusischen Wort saman ab, welches übersetzt „jemand der erregt, bewegt, erhoben ist“ bedeutet.

Schamanismus stellt einen Sammelbegriff für Heiler, Medizinmänner, Hexendoktoren Zauberer, Magier und Seher in den verschiedensten Kulturen dar.15 Er entwickelte sich tatsächlich in vielen Bereichen der Welt parallel, allerdings mit einigen Abweichungen und Unterschieden. Ein Schamane gilt als Mittler zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Geister. Diese kann er willentlich in sich hineinrufen, und sich dieser zu eigenen Zwecken bedienen, hauptsächlich um anderen Menschen zu helfen, indem er stets für das Allgemeinwohl sorgt und versucht, Krisenlösungen zu finden.

Vermutlich waren Schamanen auch die Ersten, die überhaupt mit solchen Techniken arbeiteten. Schamanismus gilt somit laut dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade als Technik der Ekstase, im Sinne von einem Heraustreten des Ich aus seinen Grenzen mit starker Affektbeteiligung.16 Schamanen erleben während der Ekstase eine außerkörperliche Erfahrung, die sie als eine Art „Reise“ beschreiben.

In diesen Reisen versucht ein Schamane, Informationen zu erlangen, die seinem Volk helfen könnten.

Zu jeder Definition des Schamanismus gehören laut dem Anthropologen und Psychiater Roger N. Walsh also drei Schlüsselelemente, darunter zum einen, dass ein Schamane willentlich in veränderte Bewusstseinszustände eintreten kann. Zum anderen erlebt er sich selbst als „Reisender“ in andere Welten und zuletzt benutzt er diese Reisen um seiner Gemeinschaft zu dienen, etwa indem er sie als Mittel verwendet, um Wissen oder Macht zu erwerben.

Eine sehr passende Definition wäre:

„Schamanismus läßt sich definieren als Familie von Traditionen, deren Ausübende sich darauf konzentrieren, willentlich in veränderte Bewußtseinszustände einzutreten; in diesen Bewußtseinszuständen haben sie das Empfinden, daß sie selbst oder ihr Geist (oder ihre Geister) nach Belieben in fremde Reiche reisen und mit anderen Wesenheiten interagieren, um ihrer Gemeinschaft zu dienen.“17


Ob Schamanismus nun zu den Religionen zählt, kann ebenfalls nicht gesagt werden. Er wird oftmals als eine „Glaubensvorstellung“ bezeichnet.

3.2. Ursprung des Schamanismus

Die Entstehung des Schamanismus kann zeitlich nicht genau eingegrenzt werden. Archäologen fanden Anzeichen dafür, dass er seit Zehntausenden von Jahren existiert. Auch wenn weder der Zeitraum der Entstehung noch der Entstehungsort bekannt ist, muss sich der Schamanismus sehr schnell über die Erde ausgebreitet haben.18 Denn er fand sich über die Jahrhunderte hinweg auf so gut wie jedem Kontinent in den verschiedensten Kulturen und Gemeinschaften.19 Auch heute findet man ihn in geographisch weit auseinanderliegenden Regionen der Welt wie Sibirien, welches als klassische Gegend des Schamanismus gilt, Australien, Afrika und Nord- und Südamerika.

Besonders auffallend sind dabei die Ähnlichkeiten der schamanischen Traditionen und Techniken trotz komplett unterschiedlicher geographischer Räume. Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie sich der Schamanismus verbreitet haben könnte. Eine Möglichkeit wäre, dass sich dieser von einem Ursprungsort aus verbreitet haben könnte, durch Wanderung und Weitergabe von Tradition und Wissen.

Dies ist sehr wahrscheinlich, denn schamanische Bewusstseinszustände werden als lustvoll, sinnvoll und heilend erlebt, sodass Menschen in Zeiten von Not und Krankheit aktiv danach gesucht, sie bewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben haben könnten. Auch heute gibt es den Schamanismus noch fast auf der ganzen Welt, jedoch stellt sich die Frage, weshalb er in manchen Kulturen praktiziert wird und in manchen nicht.

Schamanische Praktiken kommen besonders in einem Gesellschaftstypus vor, in einfachen, nomadischen Sammler- und Jägerkulturen, die kaum Landwirtschaft betreiben, keine politische Organisation oder differenzierte gesellschaftliche Schichtung besitzen. Der Schamane hat dort eine besondere Stellung und übernimmt mehrere soziale Aufgaben.

3.3. Das Weltbild der Schamanen

Die Ekstasetechnik ist nicht das einzige wesentliche Merkmal eines Schamanen. Schamanen haben eine eigene Kosmologie, vertreten also eine eigene Vorstellung davon wie die Welt aufgebaut und strukturiert ist. Sie glauben, dass alles um uns beseelt ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch oft von Animismus. Aus diesem Grund sind Schamanen der Auffassung, dass alles Respekt und einen rücksichtsvollen Umgang verdient, um dafür Gesundheit und Frieden zu erreichen.

Die mittlere Welt dagegen ist unsere vertraute Lebenswelt, stellt also die alltägliche, physikalisch-materielle Realität dar.22

Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade schreibt dazu:

„Die schamanistische Technik par excellence besteht im Übergang von einer kosmischen Region zu anderen: von Erde zum Himmel oder von der Erde zur Unterwelt. Der Schamane kennt das Geheimnis des Durchbrechens der Ebenen. Dieser Verkehr zwischen den kosmischen Zonen ist durch die Struktur des Universums möglich gemacht. Dieses wird, … im Großen aus drei Stockwerken - Himmel, Erde und Unterwelt - bestehend gedacht, die untereinander durch eine Mittelachse verbunden sind.“23

Die Ober-, Mittel- und Unterwelt sind also durch eine Mittelachse, die sogenannte axis mundi oder auch Weltenachse miteinander verbunden. Diese kann je nach Kultur und Gesellschaft verschiedene Formen annehmen, wie beispielsweise einen Berg, eine „Weltsäule“, oder „Weltenbaum“.24 Ein Schamane nutzt die Mittelachse, um zwischen den verschiedenen Ebenen zu wandeln.

So glaubten die sibirischen Schamanen an einen Baum, der ihnen die Vermittlung zwischen den Welten ermöglichte. Die untere Welt, die Wurzeln des Baumes, waren mit der mittleren Welt durch den Baumstamm verbunden. Dieser wiederum führte zur Krone, also in die obere Ebene, den Himmel.25 Der Baum stellte ein sehr anschauliches Symbol dar, da mit ihm sich der ganze Kosmos erklären ließ.

In der unteren Abbildung sind die Bewusstseinsebenen, wie sie in der modernen Psychologie vorkommen, der schamanischen Weltanschauung gegenübergestellt:

Abbildung 2: Quelle: Gagan, (2000), S. 38

3.3.1. Spirituelle Helfer und Geister

Eine weitere Besonderheit der schamanischen Kosmologie ist die Arbeit mit spirituellen Helfern, die bei uns in der abendländisch-christlichen Tradition mit Engeln oder Heiligen vergleichbar wären. Schamanen vertreten den Glauben, dass diese Wesen und spirituellen Helfer, die sie auf ihren Reisen treffen, Geister sind. Die spirituellen Helfer treten meist in Tierform auf.

Diese können entweder stammesspezifisch sein, sodass jeder Stamm einen eigenen Helfer besitzt, oder auch persönlich und einzigartig, also vom Individuum, seinem Glaubenssystem und Erfahrungen abhängig.26 Sie werden dabei von Schamanen als ebenso real empfunden wie alles in der alltäglichen Welt und haben einen großen Einfluss auf viele Stammeskulturen. Ein Schamane hat die Kontrolle über die Geister oder Helfer und weiß wie er sie für sich nutzen kann.

Die Existenz von Geistern und weiteren solchen Phänomenen ist nicht zu beweisen, viel mehr versucht man sie psychologisch zu erklären.

Eine Erklärung könne sein, dass Schamanen die Bilder, die sie während eines Trancezustandes sehen, organisieren und interpretieren lernen. Dabei können diese in den veränderten Bewusstseinszuständen klarer werden und von größerer Bedeutung sein.27

3.4 Aufgaben und soziale Funktionen eines Schamanen

Schamanen haben mehrere soziale Aufgaben zu erfüllen. Sie fungieren als Heilkundige, Wahrsager, Leiter von Opferzeremonien, Seelenführer, die die Seele des Verstorbenen ins Jenseits geleiten,

Dichter und Sänger, Traumdeuter und vieles mehr. 

Die Weissagung ist ein Funktionsbereich der sibirischen Schamanen, welcher für die Gemeinschaft unentbehrlich ist. Sowohl die Suche nach Antworten auf ungeklärte Fragen und verlorenen Gegenständen als auch Vorhersagen über die Zukunft können Gründe für die Notwendigkeit einer Weissagung sein.

Ein Schamane auch hat die Aufgabe eines Seelenführers. Er ist dafür zuständig, die Seele eines Verstorbenen ins Jenseits zu geleiten. Nur er kann diese Aufgabe übernehmen, da er als Einziger zwischen der oberen, unteren und mittleren Welt wandeln kann und somit in der Lage ist, die Verstorbenen in das Reich der Toten führen. 

Schamanen brauchen mehrere Jahre, um sich die Schamanenkunst anzueignen, da sie viele lange Texte wie Gebete und Gesänge lernen müssen. Des Weiteren müssen sie sich Deklamations- und Gesangstechniken aneignen. Ältere Schamanen müssen die jüngeren oder zukünftigen Schamanen einweihen, die Traditionen also weitergeben. 

Schamanen nehmen in vielen Gruppen und Gemeinschaften auch eine Führungsrolle ein und treten unter anderem als politische Führungspersönlichkeit auf.28  

Die Hauptaufgabe eines Schamanen und somit der am häufigsten erwähnte Tätigkeitsbereich ist die Heilung. Da die Kulturen, in denen Schamanismus üblich ist, oft ohne Technologie, Naturwissenschaft, Chirurgie oder Medizin leben, liegt die medizinische Behandlung ausschließlich in den Händen des Schamanen. Besonders wichtig ist neben den physisch-ärztlichen Methoden wie beispielsweise Wundsäuberung und Verabreichung von Kräuterarzneien die psychische Heilung.29

3.4.1. Das Heilen

Zwar sehen Schamanen ihre Heilkraft als spirituell bedingt, allerdings sind ihre Heilerfolge weitgehend auf psychologische Faktoren zurückzuführen. Nicht umsonst werden Schamanen als „die ersten Psychotherapeuten der Welt“ bezeichnet. Einige ihrer Praktiken sind tatsächlich geschickte psychotherapeutische Techniken. Vieles, was Schamanen tun, stimmt mit der Psychotherapie überein.

In vielen Stammeskulturen lagen vielfach psychische Symptome wie beispielsweise Angst und Schuldgefühle vor, es herrsche häufig ein Kampf um das Überleben. Ein Schamane stellte die einzige Hoffnung zur Heilung dieser Symptome dar. Walsh bezieht sich dabei auf den sogenannten Placebo-Effekt, bei welchem der Patient an den Heiler, in diesem Fall an den Schamanen, und an den Heilungsprozess selbst glaubt.

Tatsächlich kann der Placebo-Effekt die Heilung eines Betroffenen beschleunigen und unterstützen, wie viele Studien bereits gezeigt haben.30

Für Schamanen sind solche psychologischen Erklärungen nicht von Bedeutung, denn für sie ist die Heilung spirituell bedingt. So werden Krankheiten aus ihrer Sicht vor allem durch spirituelle Probleme verursacht, wie das Befallensein von Geistern. Danach richten sich dementsprechend ihre Heiltechniken.31

3.4.1.1. Das Heilritual

Vor einer Heilung oder vor einem Heilritual muss der Schamane sowohl sich selbst als auch den Ort der Behandlung gut vorbereiten. Zum einen müssen viele heilige Objekte und Arzneien bereitgestellt werden, zum anderen kann der Schamane vor der Zeremonie noch fasten und beten, um sich auf die Heilzeremonie einzustimmen. Nicht nur das Heilritual an sich, sondern auch die vorausgehende Präparation sind von großer Bedeutung, da sie von einer tiefen Symbolik und Ritualistik durchzogen sind, die Glauben und Ehrfurcht wecken sollen.


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