word image
Seminararbeit / Hausarbeit

Musik und Kosmos. Die Spiel­leute im Urteil des Klerus

6.762 / ~32 sternsternsternsternstern Ellen S. . 2019
<
>
Download

Seminararbeit
Geschichte / Historik

Universität Trier

1.3, 2017

Ellen S. ©
8.50

0.48 Mb
sternsternsternsternstern
ID# 79073







Musik und Kosmos

Die Spielleute im Urteil des Klerus

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung. 3

2.Hauptteil 6

2.1 Musik im harmonikalen Kosmos 6

2.1.1 Musik als Weltprinzip: Ein Diskurs über spätantike Musikdefinitionen. 7

2.1.2 Musik als Ãœberweltprinzip. 11

2.2 Die Spielleute im Urteil des Klerus 14

2.2.1 Der Spielmann als Definitionsproblem 16

2.2.2 Die Spielleute in christlichen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts 18

3. Schlussbetrachtung. 27

4. Anhang. 29

4.1.    Quellenverzeichnis 29

4.2.    Literaturverzeichnis 29

1. Einleitung

Die Musikausübung war seit der Frühgeschichte magischen Zwecken zugeordnet und ihr Klang fungierte als Beschwörung der natürlichen Umgebung wie auch der Geisterwelt. Zudem gehörte sie zum Kultbereich und war bestimmten Riten unterworfen. Musik stand also schon in der Antike im Zeichen der Zauberlieder, die heilend gegen Krankheit und Tod wirken sollten.[1] Der Begriff der musiké bezeichnete dabei das Singen, Rezitieren, Spielen und Tanzen in einem. Ton, Wort und Gestik bildeten eine poetische Einheit, die gegen Ende des klassischen Zeitalters zerfiel und bald vornehmlich zur Götterverehrung diente.[2] Jene auf den Lobpreis Gottes bezogene Musik realisiert sich im Früh- und Hochmittelalter in der himmlischen Liturgie, die hauptsächlich im una voce sowie im alter ad alterum ihre Anwendung findet.[3] Daneben steht eine Vorstellung von Musik als Theorie, die den Kosmos durch Zahlen zusammenhält.

Ganz gleich, ob wir uns der Musik aus theologisch-liturgischer oder naturwissenschaftlicher Perspektive nähern, es wird in der Forschung immer wieder auf die Gemeinsamkeit der Abwertung der praktischen weltlichen Musik hingewiesen, die die hochmittelalterliche Musikanschauung des 12. und 13. Jahrhunderts zu bestimmen scheint. Diese Abwertung realisiere sich am ehesten in der oft von Musiktheoretikern und Kirchenvätern als verteufelt verschrienen Randgruppe der Spielleute.[4] So werden sie in  kirchlichen Quellen wie beispielsweise bei Honorius Augustodunensis im 12. Jahrhundert auch als „ministri Satanae“[5] bezeichnet.

Für Berthold von Regensburg stehen sie im 13. Jahrhundert sogar in direkter Beziehung zu den abtrünnigen Engeln. Auch die ältere geschichtswissenschaftliche Forschung präsentiert uns ein Bild des Spielmanns als Außenseiter. Wolfgang Hartung berichtet aus Perspektive der sozial- bzw. wirtschaftsgeschichtlichen Forschung von der normverletzenden Mobilität[6] der Leute und der damit einhergehenden Unmöglichkeit der Eingliederung in die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur.

So können auch zahlreiche weitere ältere musik- und geschichtswissenschaftliche Arbeiten die Ablehnung der Spielleute und ihrer praktischen Musik als Referenz für eine lange Zeit einheitliche Forschungsmeinung angeführt werden.[7] Erst Antonie Schreier-Hartung wirft in den frühen 1980er Jahren einen differenzierten Blick auf die Traktate, Dekrete und zahlreichen weiteren mittelhochdeutschen Texte des 12. und 13. Jahrhunderts und gesteht den Spielleuten zumindest eine Art stille Akzeptanz in klerikalen Kreisen zu.

Zudem ist nach der neueren musikwissenschaftlichen Forschung auch keine grundsätzliche Ablehnung der praktischen Musik nachzuweisen.[8]

Diese Arbeit beschäftigt sich, ausgehend von einer detaillierten Analyse zwei spätantiker Musik-Definitionen, mit mittelalterlichen Musikanschauungen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, ob die Abwertung der weltlichen Musik durch den Klerus wirklich historische und musikalische Realität darstellt. Dies gilt es an einschlägigen Quellen zu klären, die in der Forschung lange Zeit zum Beweis für eine Ablehnung der Spielleute gedient haben: Quellen des IV.

Laterankonzils Innozenz III. aus dem Jahr 1215, überlieferten Orationen aus Paris des 13. Jahrhunderts und Berichte aus dem 12. Jahrhundert über die Mehrstimmigkeit in der Musik in Gotteshäusern werden dazu im Fokus meiner Arbeit stehen.


2.Hauptteil

2.1 Musik im harmonikalen Kosmos

Die mittelalterliche Musikanschaung beruht auf antiken Vorstellungen, denn die sogenannte ars musica war bereits im Altertum in die septem artes liberales eingebunden.[9] Diese werden im Karolingerreich vor allem als Bildungsideal eingeführt[10] und waren nur „eines freien Mannes würdig“[11]. Die Musik befindet sich innerhalb der septem artes liberales zusammen mit der Arithmetik, Geometrie und Astronomie im Quadrivium und steht folglich im unmittelbaren Zusammenhang zu Zahlen, die den gesamten Makro- und Mikrokosmos durchwalten.[12] Reinhold Hammerstein, als Vertreter der älteren musikwissenschaftlichen Forschung,  bezeichnet jene Zahlen durchdrungene Welt auch als Weltprinzip, in welchem nur derjenige ein wahrer Musiker ist, der Musik als Theorie betreibt.[13] Doch bleibt die Musik im Mittelalter keineswegs auf ihre Theoriefähigkeit beschränkt.

Sie ist in der abendländischen Kultur auch nicht nur auf ihre abstrakt numerische Struktur zu reduzieren. Die neuere musikwissenschaftliche Forschung (z. B. Achim Diehr und Christian Kaden) stellt sich bewusst gegen ein solch einseitig übermitteltes Weltbild und präsentiert uns mit einem vertiefenden Blick auf spätantike Musik-Definitionen eine differenziertere Auffassung von Musik im harmonikalen Kosmos.


2.1.1 Musik als Weltprinzip: Ein Diskurs über spätantike Musikdefinitionen

Zwei spätantike Definitionen, auf die sich das mittelalterliche Musikverständnis immer wieder beruft, verweisen auf eine Auffassung von Musik als Theorie. Der Philosoph und Theologe Anicius Manlius Severinus Boethius hat im 6. Jahrhundert in seinem Werk De institutione musica ein wegweisendes „kategoriale(s) Muster“[14] bereitgestellt und teilt die Musik dabei in drei Gattungen ein.[15] Die musica mundana bezieht sich auf das pythagoreische Konzept der Sphärenharmonie, wobei die Abstände und Bewegungen der Planeten in proportionaler Beziehung zueinander stehen und so bestimmte musikalische Intervalle erzeugen.[16] Die zweite Gattung musica humana konzentriert sich hingegen auf die Harmonie im Menschen selbst, „[…] die  aus einer in sich differenzierten Seele und einem ebensolchen Körper besteht [ .]“[17].

Erst die dritte Gattung verweist auf das praktisch Klingende. Man kann jene aber nicht, wie die ältere musikwissenschaftliche Forschung behauptet hat, als Instrumentalmusik bezeichnen[18], sondern muss Boethius' Aussage unter dem harmonischen Verhältnis der einzelnen Elemente zueinander betrachten. Er verweist in seiner Schrift lediglich darauf, „[ .] dass jene dritte Musikrichtung in den Instrumenten „aufgestellt“, „eingesetzt“ oder „beschaffen“ sei.“[19] Das bedeutet, dass die Musik nach Boethius als Gesetz der Zahlenverhältnisse in den Klangkörpern (Weltall, Mensch, Musikinstrument) immer schon vorhanden ist und im Instrumentalspiel nur ausgeführt wird.[20] Wir erhalten demnach eine hauptsächlich theoretische Auffassung von Musik im Kosmos, die sich auf Zahlenverhältnisse und Ordnungsprinzipien stützt.

Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, dass Augustinus sowohl Philosoph als auch ein dem Christentum verpflichteter Theologe war. Seine Musikauffassung muss also immer auch in einem Spannungsverhältnis zwischen ratio und  fides gesehen werden. So lässt sich die übernatürliche Welt, in welche die Musik als metaphysisches Prinzip eingebunden ist, nicht nur durch das Denken, sondern eben auch durch den Glauben erkennen.

Demnach fasst das philosophische Denken des Augustinus Musik aus theologischer Perspektive auch als ein Geschenk Gottes auf.[25] Des Weiteren ist darauf zu verweisen, dass die augustinische Bestimmung in den folgenden Jahrhunderten immer wieder erweitert wird. So heißt es nach Isidor von Sevilla in seiner im 7. Jahrhundert verfassten Schrift Etymologiae III, XV, DE MVSICA ET EIVS NOMINE [1]: Musica est peritia modulationis sono cantuque consistens.[26] Scientia wird nunmehr von Isidor durch peritia ersetzt und kann sowohl „Kenntnis“ als auch „Erfahrung“ bedeuten.[27] Übersetzen wir jenes Zitat mit letzterem, heißt es: Musik ist die Erfahrung der tonalen Ordnung, die sich in Klang und Gesang findet. Jene Erweiterung steht nach Diehr für eine stärkere Akzentuierung der tatsächlich erklingenden Musik, als es noch die spekulative Musiktheorie des Augustinus formuliert hat.[28] Diese Behauptung wird auch dadurch gestützt, dass der Terminus „Erfahrung“ in Anlehnung an die aristotelische Philosophie „[ .] als eine Art der Erkenntnis, die sich nicht auf allgemeine Sätze und Prinzipien, sondern auf einzelne Fälle richtet [ .]“[29] definiert wird.

Wegweisend für die weitere Entwicklung des Erfahrungsbegriffs innerhalb der philosophischen Tradition sei die Tatsache, dass Aristoteles für die Erkenntnis des Einzelnen die Wahrnehmung zuständig mache.[30] Wahrnehmung ist also immer etwas, das mit den Sinnen erfahren wird und somit der Subjektivität untersteht. In einer letzten Definition heißt es im Traktat de musica plana et mensurabili: Musica est ars armonie regulariter canendi[31], welche Christian Kaden als die Kunst des Singens und Spielens übersetzt und die Musik damit mehr und mehr in die Praxis rückt.[32]

Die angeführten Definitionen von Boethius, Augustinus und Isidor dienten der Musik- und Geschichtswissenschaft lange Zeit als Modell für ein im Früh- und Hochmittelalter verbreitetes Weltbild der scientia.[33] Es ist auch am Ende jenes Kapitels zu konstatieren, dass obwohl es Abweichungen in der Übersetzung gibt, die Musica scientia im Mittelpunkt der mittelalterlichen Musikanschauung steht.


2.1.2 Musik als Ãœberweltprinzip

Der Gedanke eines Zahlen durchwalteten Kosmos vertritt allerdings nur eine Seite mittelalterlicher Musikanschauung. Die philosophisch-naturwissenschaftliche Argumentation kann den Kirchenvätern des Mittelalters nicht genügen: Sie ist doch zu sehr ein „innerweltliches Ereignis“[34], welches dem Schöpfer nicht gerecht wird.

Es braucht eine Musik, die den Lobpreis Gottes in einer Überwelt vollzieht, die aber -ähnlich der spätantiken Definitionen- ihre Prinzipien hat. So verweist die Forschung immer wieder auf den Vorrang des gesprochenen Wortes vor dem Klanglichen.[35] Hammerstein behauptet, dass die Kirchenväter des Mittelalters mit Vorliebe an die spätantiken Ideen anknüpften, sodass sie auch für die christliche Ära zu einem Kernstück der Musikwertung werden.

Sie verbinden sich mit den kirchlichen Vorstellungen von einer Engels- und Teufelsmusik und werden dabei in einem Über- und Unterweltprinzip realisiert. Wenn wir danach fragen, wo Musik, Gesang und Lobpreis thematisiert werden, stellen wir fest, dass die Bibel mehr oder weniger häufig, mal explizit, mal zwischen den Zeilen, von Texten geprägt ist, in denen Musik eine wichtige Rolle spielt.

Das längste Buch der Bibel sind die Psalmen, welche vorrangig Preislieder und weniger Klagelieder enthalten, die von ihren unterschiedlichen Inhalten her in allen Lebenslagen zum Lobpreis Gottes anleiten wollen.[36] Insbesondere der 150. und letzte Psalm weist sehr deutlich darauf hin, dass Gott nicht nur mit gesprochenen Worten, sondern auch mit Musik und Gesang gepriesen wird:


„Halleluja! / Lobt Gott in seinem Heiligtum! / Lobt ihn in der Feste seiner Macht! / Lobt ihn wegen seiner Machttaten! / Lobt ihn in seiner gewaltigen Größe! / Lobt ihn mit Harfe und Zither! / Lobt ihn mit Tamburin und Reigen! / Lobt ihn mit Saitenspiel und Flöte! / Lobt ihn mit klingenden Becken! / Lobt ihn mit schallenden Becken! / Alles, was Atem hat, lobe Jah! / Halleluja!“[37]


Die Überweltmusik in der heiligen Schrift präsentiert sich geradezu durch Musikinstrumente wie der Harfe, Zither, Tamburin, Flöte oder dem Becken sowie dem zur Musik verwandten Tanz des Reigens. Auch im Neuen Testament, genauer in der Johannesapokalypse, wird eine „regelrechte Liturgie“[40] zum Lobe Gottes durch das Spielen der ersten vier Posaunen durch die Engel beschrieben.[41] Dass dem Reich der Engel auch ein Reich des Teufels gegenübersteht, wird uns besonders auf klanglicher Ebene veranschaulicht.

Alles Disharmonische, alles Zerrklangliche und Laute und Schrille ist der Höllenmusik zuzurechnen.[42] In diesem Kontext ist es auch nicht verwunderlich, dass die Mehrstimmigkeit nach christlicher Auffassung abgelehnt wurde. Mehrstimmige Stücke stellen einerseits das Klangliche über das Wort, das als Lobpreisung an Gott im Vordergrund zu stehen hatte und andererseits bietet sie mehr Raum für Dissonanzen.

Ein berühmtes Beispiel für die sogenannte Höllenakustik bietet das „Teufelsintervall“, der Tritonus. Die übermäßige Quarte oder auch verminderte Quinte galt im Mittelalter als unerlaubte Dissonanz und wurde von Theoretikern und Klerikern vom 9. bis zum 16. Jahrhundert sanktioniert.[43] Jedoch präsentiert sich die Teufelsmusik nach kirchlichen Quellen wie z. B. bei Honorius Augustodunensis nicht nur in Form von Klängen und Intervallen, sie hat auch ihre menschlichen Helfer.

Es wird sich im Folgenden zeigen, dass gerade diese Gruppe sehr viel differenzierter hinsichtlich ihrer Stellung als Außenseiter im harmonikalen Kosmos betrachtet werden muss. Im Folgenden gilt es, die Position der Spielleute zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert zu bewerten. Die Wahl des Zeitraumes ergibt sich dabei aus der gängigen Forschungsmeinung, jene Gruppe erfahre in jener Zeit ihre schärfste Ablehnung durch den Klerus.

Es gilt die Frage zu klären, ob im Kontext zwischen geistlicher und weltlicher Praxis die Verschreiung der Musikleute als ministri Satanae wirklich musikalische sowie historische Realität dastellen.


2.2 Die Spielleute im Urteil des Klerus

Was Norm und Recht ist entscheidet im Hochmittelalter die Kirche. So belegen es zahlreiche Quellen, in Form von Dekreten und Traktaten. Dementsprechend ist es auch die Angelegenheit der Theologen und Kirchenväter darüber zu entscheiden, wer gesellschaftlich akzeptiert wird und wer nicht. Was die Haltung der Kirche über die Spielleute angeht, war sich die geschichtswissenschaftliche Forschung lange Zeit zumindest darin einig, als dass die Gruppe der joculatores von den Theologen und Kirchenvätern im 12. und 13. Jahrhundert abgelehnt wurde, wenigstens bis zu Thomas von Aquins Schrift Summa der Quaestio 168.

Auch Werner Danckert unterstützt jene These aus musikwissenschaftlicher Perspektive und erklärt sich die Ablehnung des Klerus gegenüber den Spielleuten daraus, dass die Kirche in dem Wirken der joculatores eine Verbindung zu den antiken heidnischen Heldensängern sehe. Die kirchliche Ablehnung beruhe auf Ängsten der Kleriker, dass die sinnenhafte Freude an der weltlichen Musik den Menschen zu sehr in seinen Bann ziehen- und vom Wort Gottes ablenken könne.[49] Diese globale Zurückweisung, die uns ein Teil der Forschung präsentiert, ist jedoch schon aufgrund der Vielfältigkeit der Bezeichnungen und Merkmalszuschreibungen für jene Gruppe kaum zu postulieren.


2.2.1 Der Spielmann als Definitionsproblem

Wenn man sich in der geschichtswissenschaftlichen Forschung auf die Suche nach einer eindeutigen Definition jener Gesellschaftsgruppe begibt, stößt man sogleich auf ein Problem. In mittelalterlichen Quellen begegnet man Bezeichnungen wie Cantores, Histriones, Ioculatores, Scurri, Mimi, Spil- oder Gumpelliute, Ménestrels, Trobadors, Trouvères und Minnesinger.[50] Auch Hartung führt uns in seiner 2003 veröffentlichen Monographie die Schwierigkeit einer Definition vor Augen, stützt sich aber nach Edmond Faral auf eine prägnante Kurzdefinition, die durchaus an der Oberfläche verbleibt: „Wir betrachten als Spielleute alle, die den Menschen berufsmäßig Unterhaltung bieten.“[51] Eine differenzierte Antwort gibt uns Diehr: „„Histriones“ und „mimi“ sind Gaukler und Schausteller, wobei letztere bisweilen auch als die Schauspieler des spätantiken Theaters angesehen werden; „scurrae vagi“ lässt sich mit „Spaßmacher“ übersetzen [ .]“[52].

So führt Hoffmann-Axthelm eine Vier-Stufen-Hierarchie der Gruppe an, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Trobador Guiraut Riquier, der zehn Jahre lang am Hofe Alfonsos X. des Weisen lebte, ins Leben rief:


„ als Basis die Gaukler, „joglars“ - zuständig, wie wir vermuten dürfen, für das niedere Publikum aus dem Volk -, in der Mitte die reproduzierenden Spielleute, die „mensestrels“, die mitunter einen Trobador oder Minnesänger auf dessen Reisen von Burg zu Burg begleiteten und zu seinen Texten mit der Viella spielten, und oben die schöpferischen, meist fest an einem Hof angesltellten „trobadors“, wobei Guiraut ganz an die Spitze Leute wie sich selbst setzt, die gelehrten Dichterkomponisten, die „doctores de trobar“.[58]

Im Kontext der ars- und Theorie-Fähigkeit darf also vermutet werden, dass eine pauschale Ablehnung der Spielleute im mittelalterlichen Weltbild des Abendlandes (Spanien, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum) zumindest aus theoretischer Sicht kaum begründet werden kann. Wie die Stellung der Kirche zu beurteilen ist, wird im folgenden Kapitel anhand von mehreren Quellen untersucht werden.


„Discipulus: 'Habent spem joculatores?'

Magister:       'Nullam: tota namque intentione sunt ministri Satanae, de his dicitur:

                      Deum non cognoverunt; ideo Deus sprevit eos, et Dominus subsanabit eos,

                      quia derisores deridentur'“[59]. -


„Discipulus: 'Haben die Gaukler Hoffnung auf das ewige Leben?'

Magister:      'Nein, keine. Denn aus ganzem Willen sind sie Diener Satans, von denen es

                      heißt: Gott kennen sie nicht, deshalb hat Gott sie verstoßen. Und der Herr

                      wird diejenigen heilen, welche über die Spötter lachen'[60].


Dieser Dialog zwischen Schüler und  Meister entstammt dem lateinischen Elucidarium des Benediktinermönchs Honorius von Autum aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.[61] Jener Lehrdialog ist vielfach in der Forschung zitiert worden, da er nach bisherigem Stand der Geschichtswissenschaft erstmals die joculatores als ministri Satanae bezeichnet.

Es wurde schon im vorherigen Kapitel erläutert, dass unter dem Terminus joculator sowohl Schauspieler, Geschicklichkeitsakrobat als auch spezialisierter Musikant gefasst werden kann.[62] Salmen vergleicht den Begriff auch mit dem heutigen Wort „Künstler“, das sowohl „schöpferische Komponisten, […] interpretierende Musiker, ja selbst Artisten aller Sparten in Varieté und Zirkus umgreift“[63].

So richte sich die Reihenfolge nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit nach dem diese in den Himmel gelangen können.[65] Während die zuerst genannten milites noch eine geringe Chance auf den Einzug ins Paradies besitzen, stellen die joculatores den absoluten „Höhepunkt der Lasterhaftigkeit“[66] dar, die ihnen die Gleichsetzung mit dem Teufel einbringen. Auf rhetorisch- stilistischer Ebene ist zu sagen, dass die Künstler am Ende einer Klimax stehen, die nach ihrer Nennung fast in der Mitte, in Form einer Antiklimax wieder abfällt bis zu den Kleinkindern, die wieder bessere Chancen auf den Einzug in den Himmel besitzen.

Honorius geht in seiner Abfassung also so weit, dass er den Spielleuten an der Spitze des Bösen das absolute Heil abspricht, weil sie die Diener Satans seien. Als ministri Satanae haben sie sich in diesem Kontext gegen Gott gestellt und werden von ihm als logische Konsequenz verstoßen. Eine Begründung warum die Spielleute aus der göttlichen Ordnung zu verbannen sind, liefert die Schrift allerdings nicht.


„Sciendum quod hi qui tragoedias in theatris recidabant, actus pugnantitum gestibus populo repraesentabant. Sic tragicus noster pugnam Christi populo Christiano in theatro ecclesiae gestibus suis repraesentat, eique victoriam redemptionis suae inculcat.“[68]

Diehr führt an, dass jene Parallelisierung von Priester und Schauspieler, von Kleriker und ioculator keine Ausnahme darstellt, sondern weit verbreitetet ist und dies nicht unbedingt in abwertender Weise.[69] Als Quellenbeweis dafür sei das viel zitierte IV. Laterankonzil unter Papst Innozenz III. aus dem Jahr 1215 zu nennen, welches in der geschichtswissenschaftlichen Forschung immer wieder zum Beweis für eine harsche Ablehnung der Spielleute angeführt wurde.[70] Besonderem Interesse gilt dabei den Kapiteln XVI und XVII, da sie in einem inneren Zusammenhang Forderungen und Zustände an die Kleriker stellt:[71]


XVI. De indumentis clericorum

„Clerici officia vel commercia saecularia non exerceant, maxime inhonesta. Mimis, joculatoribus, & histrionibus non intendant, & tabernas prorsus evitent, nisi forte cause necessitatis in itinere constituti.“[72]

„Dolentes referimus, quod non solum quidam minores clerici, verum etiam aliqui ecllesiarum praelati, circa comessationes superfluas & confabulationes illicitas, ut de aliis taceamus, fere medieteatem noctis expendunt: & somno residuum relinquentes, vix ad diurnum concentum avium excitantur, transcurrendo undique continuata syncopa matutinum [ .]“[73]

Die Ermahnung Innozenz III. verweist im ersten Teil auf die Laster der Kleriker, insbesondere auf weltliche Beschäftigungen, was das Folgekapitel näher ausführt. Zu jener Lasterhaftigkeit gehören „nächtliche Schmauserein und unerlaubte Erzählungen“[74], welche nach dem Papst zum innerkirchlichen Zerfall führen und nicht zu dulden sind.

Zu den verbotenen Tätigkeiten gehören in diesem Kontext auch die Bekanntschaft mit den mimi, histriones und joculatores. Was nach Schreier-Hornung jedoch erstaunlich ist, ist die Tatsache, dass die Spielleute hier nicht mit negativen Adjektiven belegt sind - ganz im Gegensatz zu früheren Konzilakten, z. B. der Synode von Karthago 419 oder auch späteren Quellen, z. B. der Synode zu Bremen 1292.[75] Auch Diehr verweist auf die Sachlichkeit mit welcher Innozenz den Spielleuten begegnet.[76] Die Kritik richtet sich ausschließlich an die Kirchenväter selbst, die sich wohl selbst gerne mit den Fahrenden eingelassen haben.


| | | | |
Tausche dein Hausarbeiten

G 2 - Cached Page: Thursday 28th of March 2024 11:30:48 PM