Moyer Gusé Entertainment Education
Zitation:
Moyer-Gusé, E. (2008). Toward a Theory of Entertainment Persuasion: Explaining the Persuasive Effects of Entertainment-Education Messages. Communication Theory, 18. 407–425.
Schlagworte: Entertainment Education, Verhaltensweisen, Verhaltensmuster, Lernprozesse
Exzerpt
Entertainment education bezeichnet die Methode, soziale Botschaften im Rahmen großer Unterhaltungsmedien erzählerisch zu verbreiten.
Nachrichten oder Verhaltensanweisungen, welche durch entertainment education vermittelt werden haben unter Umständen einen stärkeren Einfluss als klassische Lehrmethoden, da sie unterbewusst aufgenommen und dadurch ggf. besser ins eigene Verhalten adaptiert werden.
Darüber hinaus fließt durch den erzählerischen Charakter von entertainment education eine emotionale Komponente in den Lernprozess mit ein.
Dadurch werden Lernbarrieren im Einzelfall möglicherweise leichter überwunden.
Voraussetzung für gelungenes entertainment education ist die richtige Form der Einbindung des Adressaten in die Geschichte und/oder Identifikation mit den tragenden Charakteren.
Bei der Identifikation werden folgende Modelle unterschieden:
Die direkte Identifikation mit dem Charakter über die vier Dimensionen Empathie, Perspektivenwechsel, Hineinversetzen in die Motivation des Charakters und die Absorption soll der Adressat schließlich vollends in die Perspektive des Charakters eintauchen.
Die erwünschte Identifikation, durch die positive Inszenierung des Charakters soll der Adressat das Verlangen entwickeln, dem Charakter nachzueifern und dessen Verhaltensweisen zu adaptieren. Die Ähnlichkeit, denn durch Ähnlichkeiten zwischen Charakter und Adressat soll letzterer seine natürliche Distanz zur Geschichte verlieren und sich stärker angesprochen fühlen.
Die parasoziale Interaktion befasst sich mit der Beziehung zwischen Adressat und Erzähler. Durch Sympathie wird Freundschaft suggeriert
Einer konkreten Verhaltensveränderung stehen grundsätzlich natürliche Hindernisse im Weg, welche überwunden werden müssen.
Die folgenden zwei bekannten Theorien befassen sich mit dieser Problematik und bieten Lösungsansätze:
Die sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura besagt, dass neben dem direkten experimentellen Lernen auch Verhaltensweisen, Wissen, Kognitive Fähigkeiten und Werte durch das Beobachten fremder Verhaltensmuster erlernt und ggf. adaptiert werden können. Voraussetzung hierfür sind die folgenden vier Vorgänge: Aufmerksamkeit, Speicherung, Produktion, Motivation.
Ohne die entsprechende Motivation werden Verhaltensmuster zwar als solche erkannt sowie abgespeichert und die Fähigkeit entwickelt, diese umzusetzen, jedoch wird das Verhalten nicht repliziert, wodurch der Lernprozess für den Adressaten vollkommen unnütz bleibt.
Motivation ergibt sich vor allem aus den Erwartungen welche aus diesem Verhalten entstehen. Eine Belohnung für ein bestimmtes Verhalten verstärkt demnach die Motivation dieses zu wiederholen, wohingegen eine Strafe die Motivation abschwächt.
Diese Theorie passt zur „wishful Identification“, da sie an die Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen des Adressaten anknüpft. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Selbstwirksamkeit. Demnach muss der Adressat davon überzeugt werden, selbst in der Lage zu sein, das beobachtete Verhalten leisten zu können.
Hierbei greifen die Mechanismen der „entertainment education“, Ähnlichkeit und direkte Identifikation mit dem Charakter ineinander über. Die Selbstzweifel werden dadurch überwunden, dass der Adressat sich mit dem Charakter über Ähnlichkeiten und die o.g. Dimensionen der Identifikation vollends mit dem Charakter identifiziert und sich dadurch auch zutraut, das gezeigte Verhalten nachzuahmen.
Neben den SCT gilt das E-ELM als bekannte Theorie. Demnach soll der Adressat durch die Geschichte in einen Zustand versetzt werden, in welchem er neuen Verhaltensmustern und Meinungen weniger kritisch gegenübersteht. Dadurch sollen Hindernisse überwunden und der Adressat empfänglicher für Beeinflussungen gemacht werden.
Durch Identifikation mit dem Charakter soll die Distanz zum Erzählten und das eigene Bewusstsein seines Selbst verloren bzw. abgeschwächt werden und dadurch die Kritik gegenüber neuen Botschaften oder Verhaltensweisen vermindert werden.
Der natürliche Widerstand gegen neue Verhaltensmuster wird oft auch als Angst vor Veränderungen wahrgenommen. Eine psychologische Erklärungstheorie spricht hierbei auch von Reaktanz. Reaktanz bezeichnet eine komplexe Abwehrreaktion aus Angst vor Freiheitsverlust. Dies rührt daher, dass der Adressat den indoktrinierenden Charakter der Botschaft erkennt und sich durch Angst vor Fremdbestimmung bewusst gegen das vermittelte (positive) Verhaltensmuster entscheidet.
So wird das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht. So haben Studien gezeigt, dass die Ergebnisse besser werden, desto weniger offensichtlich der lehrreiche und erzieherische Charakter der entertainment education ist. Eine ebenfalls effektive Methode Reaktanz zu vermeiden, ist der Einsatz von Peers oder sympathischen Personen in der Erzählung.
Eine Methode gegen „Argumentation“ ist der Einsatz von vertrauenswürdigen Charakteren. So werden in Werbungen oft Prominente eingesetzt, zu welchen der Adressat durch positive Erlebnisse (z.B. gewonnene WM bei bekannten Fußballern) eine emotionale Bindung aufgebaut hat.
Eine weitere Methode natürliche Hemmnisse zu überwinden ist das bewusste Vermeiden von strittigen Themen. Demnach werden in der lehrreichen Botschaft Aspekte vernachlässigt, welche den Adressaten dazu bewegen, sich mit seiner grundsätzlichen Lebenseinstellung zu befassen.
So werden Veränderungen quasi nur in kleinen Schritten herbeigeführt. Andernfalls könnte der Adressat überfordert sein und die Botschaft direkt grundsätzlich ablehnen.
Es wird grundsätzlich empfohlen, keinen auf Angst basierenden Content zu verbreiten, da der Adressat hierauf in der Regel mit Ignoranz und Verteidigung reagiert. Sollte eine Botschaft dennoch verängstigende Bestandteile haben, sollten diese mit Selbstwirksamkeit gekoppelt sein, um beim Adressat das Gefühl von Kontrolle und Selbstbewusstsein zu indizieren.
Eine Gefahr für entertainment education ist die natürliche Einstellung vieler Menschen, selbst nicht empfänglich für viele Gefahren oder Situationen zu sein. Man spricht hier von einer Art „Unantastbarkeit“ des Adressaten. Dieser adaptiert das gezeigte positive Verhalten nicht richtig, da er sich von der erzählten Geschichte und deren Umständen nicht betroffen fühlt und sich distanziert.
So kann es beispielsweise zu einer ungewollten Schwangerschaft kommen, obwohl die betroffene Person die Gefahr kennt, sich selbst aber ihrer in der Situation nicht bewusst ist. Eine effektive Gegenmaßnahme ist das Aufzeigen der Konsequenzen von konkretem Fehlverhalten in Geschichten.
So wird sich der Adressat seiner eigenen Verletzlichkeit und seiner Schwächen bewusst und kann sich entsprechend verhalten.
Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur entertainment education zeigen die Komplexität der Thematik. Es besteht weiterhin Bedarf die einzelnen Gefahren und Chancen sowie das Zusammenspiel der o.g. Faktoren zu erforschen. Die richtige Balance aus Unterhaltung und lehrreichen Inhalten zu finden stellt eine Herausforderung dar.
Eine weitere Schwierigkeit in der Erforschung dieser Thematik ist die subjektive Wahrnehmung und Einschätzung des Adressaten. So gilt es auch das Spektrum der Adressaten statistisch zu erforschen und diese zu kategorisieren. Darüber hinaus besteht auch eine Form der Interaktion zwischen den Adressaten, welche sich positiv oder negativ auf die Motivation, das Gelernte umzusetzen, auswirken kann.