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Christian-Albrechts-Universität zu

Proseminar: Foto/Hyper/Realismus – Der scharfe Fokus in der Kunst

Dr.

Sommersemester 2015 – Abgabedatum: 31.08.2015


Die Intermedialität der Arbeiten

Richard Phillips

71

Frisistik 5. Fachsemester

Kunstgeschichte 3. Fachsemester

Profil FE

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung S. 3


2 Kurzbiographien der Protagonistinnen S. 5


3 Arbeitsweise S. 6


4 Vorstellung der Filme S. 7


5 Inszenierung des Ausstellungskatalogs S. 11


6 Die Filme

6.1 Betrachtung der Filme im medialen Vergleich S. 12


6.2 Private und öffentliche Rolle S. 17


6.3. Die Filme in medialem Zusammenhang zu den Malereien S. 19


7 Fazit – Über Wahrheit und Realität S. 20


8 Literatur- und Quellenverzeichnis S. 23


9 Abbildungsverzeichnis S. 26


1 Einleitung


Die Porträtmalerei verfolgte neben dem Wunsch, den Porträtierten möglichst realistisch darzustellen, eine Erinnerung an ihn zu schaffe, die über dessen Leben hinausgeht, auch das Ziel die Existenz desjenigen zu beweisen und sie in eine größere Ordnung einzubetten. – Einmal also die bloße Darstellung des Menschen als bloße Abbildung und auf der anderen Seite die Darstellung als Mittel um in ein übergeordnetes Thema einzuleiten, an universelle Fragen heranzuführen.


Es stellte sich allerdings mit der Erfindung der Fotografie die Frage und diese ist in der heutigen bildüberfluteten Welt nicht weniger aktuell, was die Malerei noch zu leisten vermag.1

Zu Beginn der Fotografie, die zunächst nur schwarz-weiß, bzw. in Grautönen abbilden konnte, was durch die Linse auf eine Lichtempfindliche Platte projiziert wurde, war die Malerei noch im Vorteil, was Philip Hamerton in seinem Aufsatz „Die Beziehung zwischen Fotografie und Malerei“ (1862) erörtert.2 Für ihn war die Fotografie nicht mit Emotionen verbunden, sie bilde ab, was da ist, aber nur in der Malerei würden Gefühle vermittelt, die der Fotografie nicht erschlossen seien.

Doch durch die Fotografie konnte die Malerei in der Mitte des 20. Jahrhunderts zur Abstraktion finden, statt dem Diktat realistischer Darstellungen unterworfen zu sein.3 War auch für Delaroche die Fotografie die „Mörderin der Malerei“ so bedienen sich Künstler heute an ihr als wichtigste Quelle für ihre Arbeiten.4 Künstler fertigen nach Fotovorlagen Gemälde an, die damit Kopie und Original zugleich sind und so das bestehende Wechselspiel der Medien wiederspiegeln.

Durch das Internet haben Künstler Zugang zu einem geradezu unendlichen Pool von Bildern.


Auch Richard Phillips Arbeiten sind vom Einfluss des medialen Konsums geprägt – seine früheren Arbeiten zeigen Inspiriert durch Pornographie und Modezeitschriften unter anderem nackte Frauenkörper in aufreizenden bis provokativ obszönen Posen. Die Darstellungen der Frauen sind überlebensgroß, dadurch wirken sie aber auch unwirklich und verzerrt. Sie spielen mit einer Erotik, die durch die schiere Größe beinah lächerlich wirkt.

2011 fertigte Phillips seine Werkreihe „Most Wanted“5, in der er Porträts zehn Prominenter malte. Schon der Titel der Serie muss zu einem Vergleich mit Warhols „Thirteen Most Wanted Men“ von 19646 führen. Phillips bedient sich hier tatsächlich einer Ästhetik, die eher an Steckbriefe erinnert, als an Künstlerporträts.


Ebenfalls 2011 schuf Phillips die Reihe von Arbeiten, um die es in dieser Hausarbeit gehen wird.

In großformatigen Malereien von drei prominenten Frauen führte Phillips die Tradition des männlichen Malers der „liegende Frauen in aufreizenden […] Posen malt[e]“7 fort und stilisierte Adriana Lima, Sasha Grey und Lindsay Lohan zu modernen Musen. Als Vorlage für die Gemälde dienten Fotografien, bzw. Filmstills von Kurzfilmen.

Durch diese Intermedialität wird eine tiefere Ebene hinzugefügt: Mittels der Filme und Fotos, die Phillips selbst drehte, bzw. schoss und der gesamten Inszenierung der Arbeiten wird der Betrachter auf die Frage nach Identitäten, nach Rollen und Wahrnehmung gelenkt.

Neben der bloßen Darstellung der drei Frauen, existieren also universellere Fragen, mit denen sich diese Hausarbeit beschäftigen soll.


2 Kurzbiographien der Protagonistinnen


Adriana Lima

Adriana Lima wurde 1981 in Brasilien geboren und ist als internationales Supermodel bekannt. Mit 18 bekam sie einen Vertrag bei der Modelagentur Elite Models und arbeitete seitdem für viele namhafte Designerlabels. 2000 schloss sie einen Vertrag mit dem Dessous-Label Victoria’s Secret ab.8


Sasha Grey

Sasha Grey, 1988 in Kalifornien geboren, ist ein ehemaliger Pornostar und heute Schauspielerin, Sängerin und Autorin. Mit 18 zog sie nach Los Angeles um Pornodarstellerin zu werden. 2011, nach fünf Jahren und 270 Filmen, verließ sie die Pornoindustrie und arbeitet seitdem als Schauspielerin.9


Lindsay Lohan

Lindsay Lohan, 1986 in New York geboren, ist ein ehemaliger Kinderfilmstar, Schauspielerin und Model. Bekannt wurde sie durch Disney-Produktionen, heute ist sie jedoch eher in den Boulevardmedien vertreten statt auf der Kinoleinwand. Drogen- und Alkoholeskapaden, Inhaftierungen und Aufenthalte in Entzugskliniken bestimmen die Berichte der Presse. Ihre letzte Hauptrolle spielte sie in dem Film THE CANYONS (2013).10


3 Arbeitsweise


Hat sich Phillips schon früher an fotografischen Vorlagen bedient, geht er mit diesen Arbeiten einen Schritt weiter und schuf auch die Vorlagen selbst.

Die Fotografien, die als Vorlage zu den Malereien von Adriana Lima entstanden in einem Fotoshooting für das Visionaire Magazine. Die Bilder zeigen Lima vor drei typischen brasilianischen Hintergründen, der Cathédral de Brasília, dem Gehweg an der Copacabana und vor verschwommenen Favelas.

Die Porträts von Sasha Grey und Lindsay Lohan entstanden nach Filmstills, die Phillips den eigens produzierten Kunstfilmen LINDSAY LOHAN und SASHA GREY (beide 2011), sowie FIRST POINT (2012) entnahm.11


Adriana Lima wird in typischen Modelposen dargestellt, nur mit einem schwarzen Bikini bekleidet stellt sie sich zur Schau. Ihren Blick richtet sie direkt in die Kamera, bzw. auf dem Betrachter. Sie scheint zu wissen, dass sie angeschaut wird und fordert das durch ihren Blick geradezu.

Die gemalten Porträts von Lindsay Lohan sind überwiegend Close-ups, ebenso wie die Darstellungen Sasha Greys.

In allen Gemälden sind die Frauen idealisiert dargestellt. Lindsay Lohans Sommersprossen beispielsweise sind komplett zum Zweck der makellosen Darstellung weggenommen, auch bei Sasha Grey wirkt der Teint ebenmäßiger. Zu erkennen ist das vor allem im direkten Vergleich von Malerei und Vorlage in Form des Filmstills.12


Die vorgegebene Perfektion wird unterstrichen durch den Stil Richard Phillips. Die mit Ölfarben gemalten Bilder lassen keine Pinselstriche erkennen.


Im Ganzen umfasst die Werkserie 15 Gemälde, die in der Gagosian Gallery vom 11. September bis zum 20. Oktober 2012 ausgestellt wurden. Die 2011 entstandenen Filme, die mehr als bewegte Porträts zu verstehen sind, wurden auf der Biennale di Venezia 2011 im Zuge des Filmprojekts Commercial Break erstmals gezeigt. Der zweite Film mit Lindsay Lohan FIRST POINT (2012) wurde auf der Art Unlimited 2012 in Basel zum ersten Mal gezeigt.


4 Vorstellung der Filme


Richard Phillips bezeichnet die Filme mehr als moving portraits13 denn als eigentliche Filme. Die Bezeichnung ist differenzierter als die Bezeichnung als Film oder Kunstfilm. In der Tat handelt es sich um Filme, die keine narrativen Elemente besitzen und es dem Betrachter so zunächst schwer fällt, sie zu begreifen. Begreift man die Filme als Erweiterungen zu gemalten Porträts fällt das Verständnis als Kunstwerk einfacher.


LINDSAY LOHAN (2011)14

Der 1:37 Minuten lange Film hat keine eigentliche Handlung. Es gibt keine Kamerabewegungen und auch keine Perspektivwechsel der Kamera, es bewegt sich nur die Darstellerin. Insgesamt gibt es drei Settings: vor einem hellen Hintergrund, in und an einem Infinity Pool und an einem Strand. Der Film besteht aus zehn Kameraeinstellungen, welche durch harte Schnitte aneinander gereiht sind.

Die Einstellungsgrößen wechseln zwischen Close-up und medium wide shot.

Unterlegt ist der Film mit Instrumentalmusik, bis zur Einblendung des Titels am Ende gibt es keinen eigentlichen Bildton. Sobald die Hintergrundmusik verklingt, geht die Filmakustik nahtlos in Meeresrauschen über. Hat die Instrumentalmusik die Wahrnehmung bis dahin unterstütz, kommt das Rauschen aus dem Off und kontrastieren mit der letzten Einstellung: Lindsay in Großaufnahme vor einem hellen Hintergrund.

Die Länge der Einstellungen unterstützt die ruhige Stimmung, die die Bilder vermitteln. Auch die musikalische Untermalung passt zu der Atmosphäre des Films.


SASHA GREY (2011)15

Der zweite Film, den Richard Phillips drehte, ist der 1:32 Minuten lange Film mit Sasha Grey. Auch dieser Film kommt ohne ausgesprochen Handlung, sowie ohne Bildton aus. Die Darstellerin wird zwei Settings gezeigt, auf einer Straße und in der Umgebung eines Gebäudes, wobei die Einstellungen auch hier hart aneinander geschnitten sind. Im Gegensatz zu dem ersten Film, gibt es Kamerabewegungen und Perspektivwechsel.

Die Einstellungen wechseln sich häufiger ab, insgesamt sind es achtzehn Stück. Die Größen variieren zwischen Close-ups und medium close ups, die erste Einstellung ist ein medium long shot, in dem das Haus zu sehen ist.

Auch wird die Weite des Ausblicks deutlich. In einer Einstellung setzt Grey sich auf ein Sofa um dann aus einer großen Fensterfront hinunter ins Tal zu blicken. Los Angeles ist die Stadt, in die sie mit 18 zog, um in der Pornoindustrie Karriere zu machen, die meisten ihrer Filme drehte sie im San Fernando Valley, auf das sie in diesen Einstellungen hinuntersieht. 16

FIRST POINT (2012)17

Der Film FIRST POINT von 2012 ist in mehreren Trailern von einer Länge von 0:34 Minuten bis 1:16 Minuten zugänglich, was es allerdings schwer macht, wie vorangegangen den Film zu beschreiben. Phillips kombinierte hier Elemente eines Surf-Films, also Strand, Meer, Surfboard usw. mit Szenen, die einem Film noir entnommen sein könnten.18 Das bedeutet auf der einen Seite Strand- uns Surfszenen bei Tageslicht, auf der anderen Einstellungen, die in der Dunkelheit aufgenommen wurden, bei der das Setting nicht definitiv ausgemacht werden kann.

Lindsay Lohan wird beim Surfen gefilmt19, mit dem Surfboard am Strand, am Strand liegend und von einer Lichtquelle angeleuchtet in der Nacht. Bei den am Tag gedrehten Einstellungen wirkt sie besonnen und in sich gekehrt, dieser Eindruck lässt sich nicht für die Nachtszenen übernehmen. Lindsay wirkt hier gewissermaßen gehetzt und verletzlich. Zusätzlich zu Lindsay Lohan als Darstellerin, treten weitere auf: Paparazzi stehen in den Wellen und stören die Harmonie.

Mit dem Auftritt der Fotografen hat Phillips eine Unstimmigkeit eingebaut, die ich in einem späteren Kontext erläutern will.

Die Synthese aus Tag und Nachtszenen, die durch den Schnitt noch weiter verstärkt wird, schafft die Stimmung des Films – Tagtraum und Albtraum wechseln sich ab. Die minimalistische Instrumentalmusik, die die Bilder begleitet, dient der Wirkung.


Wie schon in früheren Arbeiten, bedient sich Phillips auch in den Filmen einer Ästhetik 60er und 70er Jahre. Die Filme erinnern stark an Hollywoodfilme dieser Zeit. Assoziationen mit James-Bond-Filmen werden hervorgerufen, gleichzeitig zitiert Phillips mit der Motivwahl Sequenzen aus Filmen von Ingmar Bergman oder Jean-Luc Godard. Auch diese These werde ich im Verlauf erläutern.


Das Gebäude, in dem das Porträt von Sasha Grey gefilmt wurde, ist das Cemosphere House. Das in den 1960er Jahren erbaute Haus steht auf einer einzelnen Säule in den Hollywood Hills mit Blick über das San Fernando Valley. Über einen Lift, aber auch über Stufen erreichbar, gelangt man über eine Plattform in das achteckige Haus, das von John Lautner entworfen wurde.

Lautner designte neben dem Cemosphere House auch andere Häuser, die sehr futuristisch anmuten. Oft sind diese Häuser als Setting für Filme übernommen worden. Der Film DREI ENGEL FÜR CHARLIE (USA, 2000, Reg: Joseph McGinty Nichol) übernimmt eine Nachbildung des Hauses als Set, eine Szene aus JAMES BOND – DIAMANTENFIEBER (UK, 1971, Reg: Guy Hamilton) spielt ebenfalls in einem Launter Haus.20

5 Inszenierung des Ausstellungskatalogs


Bevor ich auf die Filme und ihre Rezeption und einzelne Motive eingehe, will ich an dieser Stelle den Ausstellungskatalog besprechen, der 2013 anlässlich der Ausstellung in der Gagosian Gallery publiziert wurde.


Der Bildband enthält nicht nur die 15 einzelnen Malereien, es werden auch die Filme integriert. Die ersten 34 Seiten bestehen aus Fotografien, die wie ein Film aneinandergesetzt sind. Die Abbildungen überragen die Buchpfalz oder sie leiten auf die nachfolgende linke Seite über, sodass der Eindruck eines Filmstreifens entsteht. Anschließend sind die Malereien jeweils auf der rechten Seite abgedruckt.

Danach folgt ein Aufsatz von Adam Lindemann. Die restlichen 44 Seiten sind ebenfalls mit Fotografien bedruckt.21

Die Filmstills folgen einer anderen Ordnung als die Filme vorgeben, aber insgesamt in der Reihenfolge angelegt, in der die Filme erschienen. Sie sind nach Setting sortiert, wenn die Szenen in den Filmen auseinandergeschnitten wurden, sind sie im Bildband nach Szenen sortiert. So beginnt beispielsweise der Filmstreifen mit den Bildern aus dem Film LINDSAY LOHAN (2011) mit einem Dreiviertelporträts Lohans, es folgt ihr Profil und dann ihr Gesicht frontal vor einem hellen Hintergrund.22

Die restlichen Stills sind ähnlich aufgebaut. Die Bilder aus dem Film mit Sasha Grey wurden ebenfalls anders angeordnet, als der Film sie vorgibt, dadurch ändert sich an der Rezeption jedoch nichts. Die Filmstills aus FIRST POINT (2012) sind durch das Erscheinen des eigentlichen Films in Form von Trailern schwieriger zu beschreiben. Aber auch hier erfolgt die Anordnung der Einstellungen in Szenen.

Die Stills enden in Darstellungen von Wellen in einer immer schwärzer werdenden Umgebung.

Der Bildband spielt durch seinen Aufbau auf die gesamte mediale Spanne der Werkserie an. Indem Phillips die Stills, die ja im Wesentlichen Fotografien sind, wie einen Film aneinander reiht, verbindet er drei Medien innerhalb des Mediums Buch. Durch die Abbildung der Paparazzi wird diese These noch unterstützt. Sie stehen fotografierend im Wasser, bereits im Film FIRST POINT (2012) erscheinen sie wenngleich nicht unbedingt deplatziert, unerwartet.

Ihr Auftritt bedeutet eine Störung des Bildflusses und wirft Fragen auf, die sich der Betrachter ohne sie nicht gestellt hätte: Woher weiß der Betrachter, wer die Frauen sind? Woher kommt das Bild, das der Betrachter von den Protagonistinnen hat? Und stimmt dieses Bild eigentlich? Was für eine Rolle spielt der Betrachter selbst?


6 Die Filme


6.1 Betrachtung der Filme im medialen Vergleich


Vor allem in den Filmen führt Phillips ein Spektrum an Frauenrollen an, für deren Inszenierung er sich an mehr und weniger offensichtlichen Motiven aus Filmen der 1960er und 1970er Jahre bedient und diese für sich interpretiert.

Wenngleich die Filme kein ausgesprochenes Narrativ aufweisen, erzählen sie mehr, als auf den ersten Blick auszumachen ist. Durch Assoziationen lenkt Phillips den Betrachter gezielt auf die eigentliche Thematik seiner Arbeiten.

In LINDSAY LOHAN (2011) wird die Darstellerin in verschiedenen Umgebungen gezeigt. Zum einen in Großaufnahme, einmal ihr Gesicht im Profil, in Dreiviertelansicht und frontal, in einem Pool, stehend, tauchend und auftauchend, neben dem Pool liegend und stehend vor einer Wellenfront.

Teilweise sieht es aus, als ob sie einen Ton über ihre Lippen bringen wolle, doch sie bleibt stumm. So stumm wie Liv Ullmann in Ingmar Bergmans PERSONA (S, 1966, Reg: Ingmar Bergman). Liv Ullmann spielt hier die Schauspielerin Elisabeth Vogler, die während einer Theateraufführung zu sprechen aufhört. Elisabeth Vogler wird im Film von der Krankenschwester Alma (gespielt von Bibi Anderson) betreut, zusammen ziehen sie auf Anraten der Ärztin Elisabeths für einige Zeit in ein Sommerhaus.

Was dort geschieht, ist als eine Art Psychogram zu verstehen: Alma offenbart Elisabeth ihre tiefsten Geheimnisse und Sehnsüchte, die Frauen kommen sich nahe, obwohl Elisabeth nicht antwortet. Alma erkennt währenddessen immer mehr von sich selbst in ihrem Gegenüber und macht Anspielungen, Elisabeths Rolle komplett übernehmen zu können. Als Alma herausfindet, dass sie als Studienobjekt Elisabeths dient, verschließt sie sich, ist jedoch zerrissen von dem gleichzeitigen Wunsch nach Nähe und Distanz zu der Schauspielerin.

Die Situation artet zunehmend in psychische und physische Gewalt aus.

Die sprechende Alma steht der schweigenden Elisabeth hilflos gegenüber, nachdem sie den Verrat durch Elisabeth festgestellt hat, verändert sich ihre Wahrnehmung, sie wird misstrauischer.

Berühmt ist PERSONA auch für die diffuse Anfangssequenz, die in einer Szene endet, die auch Richard Phillips nachinszeniert hat. Ein Junge, der zuvor auf einer Bahre gelegen hat, streckt zunächst die Hand in Richtung Kamera auf, die Einstellung wechselt, nun ist der Junge von hinten zu sehen, wie er seine Hand über die auf eine Wand projizierten Bilder der Protagonistinnen streifen lässt.

Das Motiv des Jungen setzt Phillips mit Lindsay Lohan ebenfalls um: Die Schauspielerin streckt ihre Hand nach ihrem eigenen anscheinend projizierten Gesicht aus. (Abbildungen 6, 7, 8) In Phillips Film ändert sich die Sequenz dahingehend, dass Lohan in der Position des Jungen ausgeblendet wird und ihr zuvor projiziertes Gesicht als Close-up zu sehen ist. In PERSONA hingegen wird der Junge noch für einen kurzen Augenblick gezeigt, bevor der eigentliche Film beginnt.

Motivische Ähnlichkeit besteht auch zu Szenen aus DIE VERACHTUNG (F/I, 1963, Reg: Jean-Luc Godard). Brigitte Bardot spielt Camille, die Frau des Autors Paul Javal, der engagiert wird, das Drehbuch eines Films zu überarbeiten. Der Produzent des Films macht ihr Avancen und da ihr Mann tatenlos zusieht, fühlt sie sich von ihm verraten und verkauft. Der Film spielt in Frankreich und Italien, das mediterrane Flair trägt stark zur Ästhetik des Films bei, häufig wird das Meer eingeblendet, sowie Bardot, die sich in der Sonne räkelt.

Sie dient als Oberfläche, hinter der ein vielschichtiger Themenkomplex zum Vorschein kommt: DIE VERACHTUNG (1963) gilt als Godards Kritik am Filmgeschäft, reflexiv beleuchtet er die Kollision von Kunst und Kommerzialisierung, der sich Javal ausgesetzt sieht. Der Titel bezeichnet nicht nur die Verachtung, die die Camille für ihren Mann empfindet, er wird auch als Godards Empfindung gegenüber der Filmindustrie interpretiert.


Sasha Grey wirkt insgesamt aktiver, als Lohan, sie tritt bestimmter auf. Ihre assoziierte Rolle ist nicht die des Bond-Girls sondern eher die des Bond selbst. Sie geht sich ihrer selbst bewusst durch das Haus, das über dem Tal thront, in dem sie einen Großteil ihrer Pornofilme gedreht hat. Wie das Haus, das nur auf einer Säule steht, wirkt sie gewissermaßen unnahbar, wenngleich sie mit sich selbst im Reinen scheint.

Zum Zeitpunkt des Drehs war sie bereits nicht mehr aktiv in der Pornoindustrie tätig, bis heute wird sie in den Medien als ehemaliger Pornostar kommuniziert. In dem Film von Richard Phillips ist von diesem Image nichts zu bemerken.

Doch auch hier werden Assoziationen zu DIE VERACHTUNG (1963) wach: Das Styling Sasha Greys erinnert an Bardot, die schwarze Jacke, vor allem aber ein schwarzes Haarband tragen beide Darstellerinnen. Zudem sehen sie sich im Profil sehr ähnlich. (Abbildung 9, 10)


Für FIRST POINT (2012) kombinierte Phillips Elemente zweier Filmgenres miteinander um eine Tagtraum/Albtraum-Stimmung zu erzeugen. Durch den Einfluss des Surf Noir und des Film Noir werden die Einstellungen bestimmt, aber auch in diesem Film besteht die Möglichkeit, von der Ebene der Darstellung tiefer zu gehen.

Die Mutter tritt als Matriarchin auf, sie bestimmt nicht nur über ihr eigenes Leben, sondern auch übe das ihrer drei Töchter. Als auf einmal etwas passiert, das sie nicht kontrollieren kann, gerät ihre Welt ins Wanken. Sie fällt in einen Kreislauf aus Depressionen und Selbstmordversuchen, bis es ihr schlussendlich gelingt. Am Tag der erneuten Hochzeit des Vaters, ertränkt sie sich in den nächtlichen Fluten.

Kurz noch ist ihr Kopf zu sehen, dann hat die See sie verschluckt und es bleibt das Bild der aufgepeitschten Wellen zurück. Lohans Rolle des Surfergirls in FIRST POINT bekommt dadurch allerdings keine suizidalen Tendenzen – ihre Rolle ist nicht die der Mutter ähnlich, sondern die der einen Tochter, die ihrer sterbewillligen Mutter in die Wellen hinterher zu laufen versucht um sie zu retten.

Die Rolle der Tochter ist den ganzen Film über eine eher die einer hilflosen, verletzlichen Frau, die durch die Gunst einer anderen Person existiert und ohne deren Zustimmung es ihr schwerfällt, Entscheidungen zu treffen – diese Beschreibung passt besser auf Lohan. In den Nachtszenen scheint sie gehetzt, von einem Scheinwerferlicht angestrahlt wirkt sie wie ein Reh in demselben.


Das Spektrum der von Phillips gezeigten Frauenrollen ist also größer, als es zunächst den Anschein hat. Dargestellt sind die Frauen zwar als Ikonen von makelloser Schönheit, die im Augenblick der Aufnahme so fokussiert wurde, dass sie dem Betrachter als erstes auffällt. Doch im Kontext ist die Reduzierung auf das Aussehen sehr trivial.

Lohan als Elisabeth Vogler aus PERSONA (1966), als Camille aus DIE VERACHTUNG (1963), als Flyn aus INNENLEBEN (1978) und als BondgirlHoney Ryder aus JAMES BOND JAGT DR. NO (1962). Sasha Grey ebenfalls als Camille, allerdings nicht in der Pose der sich in der Sonne räkelnden Schönen, sondern als verletzliche Person, gleichzeitig steht sie für jegliche bestimmende Frauenrolle, sie tritt wesentlich ausdrücklicher auf, als Lohan.


6.2 Private und öffentliche Rollen


Mit Adriana Lima, Sasha Grey und Lindsay Lohan hat Phillips drei prominente Frauen ausgewählt, die jede auf ihre eigene Weise in der Öffentlichkeit polarisieren.

Adriana Lima als Laufstegschönheit, ist eines der bestbezahltesten Models der Zeit und zierte bereits unzählige Magazincover. In ihrem Beruf zeigt sie sich oft freizügig und wenig bekleidet, sie ist aber streng katholisch erzogen worden. In einem Interview 2006 erklärte sie, jungfräulich in die Ehe gehen zu wollen. Ihr Status als Sexsymbol steht in Kontrast zu ihrem Privatleben.

Noch während ihrer aktiven Pornokarriere, spielte sie in die Hauptrolle in THE GIRLFRIEND EXPERIENCE (USA, 2009, Reg: Steven Soderbergh). 2011 beendete sie ihre Karriere. Heute arbeitet sie als Schauspielerin in regulären Produktionen.23 Bei Sasha Grey fand ein Wechsel innerhalb ihres öffentlichen Lebens statt, vom Pornostar zum Filmstar.

Lindsay Lohans Karriere begann bereits im Alter von drei Jahren. Nach einigen Werbeauftritten spielte sie 1996 in einer TV Produktion mit, dann folgten Hauptrollen in Walt Disney Produktionen. 1998 gab sie ihr Leinwanddebüt in EIN ZWILLING KOMMT SELTEN ALLEIN (USA, 1998, Reg: Nancy Meyers). Seitdem sie ungefähr 20 Jahre alt ist, macht sie allerdings weniger durch ihre Filme auf sich aufmerksam, sondern mehr durch Berichte in der Boulevardpresse. 2007 wurde sie zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt, auch 2010 kam es zu einer Verurteilung.

Alkohol- und Drogeneskapaden, Diebstahl und Fahrerflucht überschatten ihre Schauspielkarriere. Wie bei Sasha Grey hat sich ihre Rolle verändert, allerdings ins Negative.


Vor allem die Darstellung von Sasha Grey und Lindsay Lohan reizt den Betrachter, weil er mit einer solche Darstellung nicht rechnet. In dieser Haltung liegt eine Ambivalenz, auf deren Erklärung durch die Paparazzi hingewiesen wird: Auf der einen Seite versteht er die Malereien als ikonenhafte Abbildungen, auf der anderen Seite hat er nicht erwartet die Frauen so zu sehen.

Lindsay Lohan, gerade zu einem erneuten Hausarrest verurteilt, erscheint als unnahbare Ikone – ein Bild, das mit ihrem Image als Partygirl kontrastiert. Auch bei Sasha Grey wird der Betrachter andere Bilder im Kopf haben, bevor er die Filme und Malereien von ihr sieht.

Die Paparazzi greifen die Wechselwirkung von Betrachter und Betrachtetem auf. Ohne den Betrachter wäre der Prominente nicht prominent, gleichzeitig macht der Prominente den Betrachter zu dem was er ist. Paparazzi liefern dem Betrachter den Ausgangspunkt auf der er seine Idee der Rolle der jeweiligen Person gründet. Mit dem Einfügen des Motivs der Paparazzi in den Film FIRST POINT (2012) und den Ausstellungskatalog, wird der Rezipient angehalten, seine eigene Rolle innerhalb der medialen Welt zu ergründen.





Die 15 nach den Filmen bzw. dem Fotoshooting angefertigten Gemälde sind allesamt großformatige Porträts, von drei in der Öffentlichkeit stehenden Personen. Die Assoziationen und Bilder, die der Betrachter hat, wenn er sich die Namen der Frauen ins Gedächtnis ruft, sind wahrscheinlich andere, als Phillips ihm präsentiert. Wie schon erläutert kontrastiert die Vorstellung des Rezipienten, wie der Betrachtete sei, mit der tatsächlichen privaten Rolle desjenigen.

Das Publikum projiziert eine Idee der Person, die es durch die Medien erhält, auf die Person selbst und ist gewissermaßen enttäuscht, wenn diese Idee nicht erfüllt wird. Zugleich ist es sich seiner Macht in der medialen Welt nicht gänzlich bewusst. Der in der Öffentlichkeit stehende Mensch, kann nur dort bleiben, solange es die Öffentlichkeit überhaupt gibt.


Die Ölgemälde schaffen einen weiteren Wert. Phillips hat mit der Übersetzung des Films in das Medium Malerei die Tradition der Porträtmalerei aufgegriffen, auch durch die klassische Technik von Öl auf Leinwand. Eine Malerei zu erstellen ist zeitaufwendig, der Künstler ist gezwungen, sich mit dem Objekt über längere Zeit auseinanderzusetzten und es zu kreieren. Phillips isolierte Momente aus den Filmen und fing ihre Flüchtigkeit mit Ölfarben ein.


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