Installiere die Dokumente-Online App

word image
Seminararbeit / Hausarbeit

Foucault vs. Marx: Machtthe­orien im Vergleic­h - Tiefgrei­fende Seminara­rbeit

5.356 Wörter / ~13 Seiten sternsternsternsternstern_0.75 Autor Alexander H. im Jun. 2010
<
>
Download
Dokumenttyp

Seminararbeit
Soziologie

Universität, Schule

Universität Freiburg

Autor / Copyright
Alexander H. ©
Metadaten
Preis 5.50
Format: pdf
Größe: 0.10 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.75
ID# 1548







Albert-Ludwigs-Universität/Sommersemester 96

Seminar zur allgemeinen soziologischen Theorie:

Michel Foucault

Nadja Parpart und Susanne Fohler


vorgelegt von


Macht versus Marx

Zu Foucaults Machtbegriff


I. Einleitung


»Man kann sagen, daß das, was seit 68 geschehen ist - und wahrscheinlich dasjenige, was 68 vorbereitet hat -, zutiefst anti­marxistisch war. Wie werden die revolutionären Bewegungen Euro­pas sich vom 'Marx-Effekt' freima­chen können, von den dem Marxis­mus des 19. und 20. Jahrhunderts eigenen Institu­tionen? Das war die Ausrichtung dieser Bewegung.«[1]


Foucaults theoretisches Schaf­fen läßt sich nicht trennen von Diskussionen der radikalen Lin­ken nach 68 und in den 70er Jah­ren. In der Folge von 68 ent­wickelte sich eine brei­te links­radi­kale Kri­tik an der So­wjet­union, eine Kritik, die sich nicht nur auf das Lagersystem des Gulag bezog, sondern sehr schnell den Mar­xismus als Urvater dieses totalitären Sy­stems auszuma­chen mein­te.

Bei­spielhaft steht ist Andre Glucks­manns Buch »Köchin und Men­schenfresser«, das reiße­risch der Frage nachgeht:

»Warum bauen Marxisten Kon­zen­trations­lager?« (Klap­pen­text). Der Bruch nicht nur mit dem Stalinis­mus, sondern mit dem Marxismus als Großtheo­rie, die - mit dem Zusatz­wort 'Leni­nismus' verbunden - nur noch als Legi­timations­stütze und Staats­ideologie re­pressi­ver Regimes begrif­fen wurde, war vor­aus­zusehen.

Auch weil die rebel­lierenden Subjekte mit dem or­thodoxen Klas­senbe­griff des Marxismus nicht mehr zu fassen waren. Es ent­standen neue Bewegungen und Kämpfe - die Frauen­bewegung, die Anti­knast- und Antipsychiatriebewegung, die Schwulenbewegung. Auch wurde das Land, in dem der »Marxis­mus« Staat geworden war, mit Revol­ten konfron­tiert. Neue revol­tie­rende Subjekte traten auf den Plan: »Ein Zei­chen für unsere eigene Schwierigkeit, das Neue in dem Aufbe­geh­ren des Volkes zu verstehen.

Zeichen unse­rer Ver­stört­heit, wenn all die sich erhe­ben, die der Marxis­mus als Lumpen bezeich­net (das Lumpen­proleta­riat, gewöhnliche Strafge­fangene), als Reak­tionäre oder geistig Zurückgebliebene (die Christen der LIP-Gemeinde oder die Bau­ern), als Deklas­sier­te (vagabun­dierende Intellektuelle, Hip­pies), als labiles, zwei­felhaftes Gesindel (die 'marginali­sier­ten' Jungarbeiter), als Ausländer (die eingewanderten Band­arbei­ter), als 'Entarte­te' (die 'Homos')«[2]

Bei Foucaults Macht­theo­rie ist die­ser antiau­to­ri­täre Im­puls zu spü­ren. Aber auch das bewußt undia­lekti­sche und unsy­stemati­sche Denken. Weil Fou­cault den or­thodoxen Marxismus und Mar­xis­mus-Leninis­mus nicht vom kriti­schen Gehalt des Karl Marx zu unter­scheiden wußte, verzichtete er bewußt auf Dialektik, Stringenz und universalen Gel­tungsanspruch einer »glo­balen Ge­schichte«.


Im folgenden werde ich Foucaults Machttheorie skiz­zie­ren und sie mit Marx konfrontieren. Foucaults Theorie der Disziplinar­gesellschaft soll Marxens Kritik der Subsumtion der Subjekte unter das Kapitalverhältnis entgegengestellt werden.


II. Macht und Staatlichkeit


Der alte Streit im Sozialismus, der unermüdlich zwischen Mar­xi­sten und Anarchisten ausgetragen wurde, drehte sich um die Frage der Macht und des Staates. Während Marx die Diktatur des Prole­tari­ats hochhielt als Schritt in Richtung Kommunismus, wetterten die Anarchisten: »Ich bin kein Kom­munist, weil der Kommunismus des Staates alle Kräfte der Gesellschaft konzen­triert und absor­biert, weil er unvermeidlich das Eigentum in die Hände des Staa­tes konzentriert. - Ich hingegen wünsche die Aufhebung des Staa­tes, die völlige Aufhebung des Autoritäts­prinzips und der Schutzherrschaft des Staates.« (Baku­nin)

Während also der Partei­marxismus die »Eroberung der Staats­macht« anstrebt, trachtet der Anarchismus danach, den Staat als unter­drückende Instanz zu zerschlagen.

Download Foucault vs. Marx: Machtthe­orien im Vergleic­h - Tiefgrei­fende Seminara­rbeit
• Download Link zum vollständigen und leserlichen Text
• Dies ist eine Tauschbörse für Dokumente
• Laden sie ein Dokument hinauf, und sie erhalten dieses kostenlos
• Alternativ können Sie das Dokument auch kаufen

Foucault kritisiert an der marxistischen revolutionären Bewe­gung die Fixie­rung auf den Staatsapparat. Um gegen einen Staat kämp­fen zu können, müsse sich die revolutionäre Bewegung ein Äquiva­lent auf der Ebene politisch-militärischer Kräfte schaf­fen, »also konstituiert sie sich als Partei, von Innen her wie ein Staatsapparat geformt, mit denselben Mechanismen der Dis­ziplin, denselben Hierarchien, derselben Organisation der Gewalt.« [3] Doch Foucault ist weit davon ent­fernt, sich mit Bakunin zu verbrüdern und in der Zerstörung der Staatsmacht das revolu­tionäre Heil zu wäh­nen.

Foucault wendet gegen den Streit zwischen Anarchisten und Marxi­sten - der in der Folge von 68 eine Wiederkehr erfuhr (diesmal mit klarer Sympathie­ver­teilung zugunsten der Anar­chisten) - ein, daß »der Staats­appa­rat eine kon­zentrierte Form (ist) - eine Hilfsstruktur -, das In­strument eines Systems von Mäch­ten, die weit darüber hin­ausge­hen, so daß praktisch gese­hen weder die Kontrolle noch die Zer­störung des Staatsappara­tes ausreichen können, um einen be­stimm­ten Macht­typus zum Verschwin­den oder zur Verände­rung zu bringen« [4]


Für Foucault ist Macht überall, sie durchzieht die Individuen, unterdrückt jedoch nicht nur, weshalb das »antirepressive Lied­chen« zu trällern, ein Verständnis von Macht auszeichne, wo­nach diese »einzig und allein auf die Verkündung des Geset­zes und das Funktionieren des Verbotes ausgerichtet«[5] sei.

Foucault be­schreibt die neuen Formen der Diszipli­nar­macht wie folgt: Macht hat kein Zentrum, liegt nicht in der Hand einer herr­schenden Klasse, Macht hat einen multiplen Cha­rakter: »Die Macht ist niemals monoli­thisch. Sie wird nie völlig von einem Gesichtspunkt aus kontrolliert.«[6] Foucault lehnt die Loka­li­sierung der Macht ab. In den ideolo­gischen Staats­appa­raten (Familie, Par­teien, Kirche) meinte noch Foucaults Lehrer, der Strukturalist und Marxist Althus­ser, die Macht verorten zu kön­nen.

Doch nach Foucaults Ver­ständnis durch­zieht Macht sämt­liche Lebensberei­che, so daß sie nicht in der Staats­macht und ihrer Apparate auf­geht.

Foucault kommt gar zu der wohl vielen paradox anmutenden Fest­stel­lung, daß »die Macht von unten kommt«[7].

Nicht das hierarchische Bild, das Macht nur als Manipulation, Strafe und Unterdrückung von oben kennt, vermag nach Foucault die Machtbeziehungen in der Gesellschaft adäquat zu beschrei­ben, sondern:

»Die Macht ( .) wirkt in der ganzen Dicke und auf der ganzen Oberfläche des sozialen Feldes gemäß einem System von Relais, Konnexionen, Distribu­tionen etc. Die Macht wirkt durch klein­ste Elemente: die Familie, die sexuellen Beziehungen, aber auch: Wohnverhältnisse, Nachbarschaft etc. So weit man auch geht im sozialen Netz, immer findet man die Macht als etwas, das 'durch­läuft', das wirkt, das bewirkt.«[8]

Die Disziplinar­macht darf nicht nur als bloße unterdrückende Instanz betrach­tet wer­den, sie ist auch produktiv: »Man muß aufhören, die Wirkung der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur 'aus­schließen', 'unter­drücken', 'verdrängen', 'zensieren', 'abstra­hieren', 'maskie­ren', 'verschleiern' wür­de.


III. Macht, Strafe und Wissen


Dieses Verständnis von Macht zeigt sich auch in den Ausfüh­run­gen Foucaults darüber, wie sich dem Zusammenhang von Macht und Wissen am Beispiel der Strafgewalt zu nähern sei.

Nach vier Regeln geht Foucault in dieser Untersuchung vor:


Erstens werden die positiven, produktiven Wirkungen der Straf­me­chanismen betrachtet - nicht bloß die unterdrückenden;


zweitens werden die Strafmechanismen nicht als bloße Konse­quen­zen aus Rechts­regeln oder Indikatoren von Gesellschafts­struktu­ren analysiert, sondern vielmehr als Techniken, hinter denen eine politische Taktik steht;


drittens werden die Humanwissenschaften im Zusammenhang mit der Geschichte des Strafens unter die Lupe genommen, da die Entwick­lung beider einen gemein­samen Prozeß darstellt;


viertens untersucht Foucault den Auftritt der »Seele« auf der Tribüne der Ju­stiz, mit dieser Tatsache wird nämlich ein gan­zer Komplex »wissenschaft­li­chen« Wissens in die Geschichts­praxis einbezogen.


Foucault analysiert, wie die Seele zu einem weiteren Ziel der Strafin­ter­vention wird.

Hier arbeitet Foucault auch den Zusamenhang von Produk­tions­weise und Strafmaß­nahmen heraus: mit der Entwick­lung des Kapita­lismus, der einen freien Markt der Arbeitskraft ver­langt, geht der Anteil der Zwangsarbeit zurück und die päd­agogisierende »Besserung« tritt auf den Plan der Strafin­ten­tion.

Einer der zentralen Gedanken Foucaults ist es, daß »in unseren Gesellschaften die Strafsysteme in eine bestimmte 'politische Ökonomie' des Körpers einzuorden sind«.

Der Körper ist nicht zu trennen vom Feld des Politischen, denn die Macht­verhältnisse »legen ihre Hand auf ihn, zwingen ihn zu Arbeiten, verpflich­ten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen.« Dies ist an seine ökonomische Nutzung gebunden - in wechselseitiger Beziehung.

Die Ausbeutung der Arbeitskraft setzt ein Unter­werfungssystem voraus, das - mal subtil, mal mit Gewalt - qua Wissen vom Kör­per eben diesen ausnutz­bar hält. [10]


Trotz dieser Verweise auf einen ökonomischen Hintergrund geht Foucaults Machtbegriff nicht einfach in Staatli­chkeit oder Klas­sen­herr­schaft auf. Die Mikrophysik der Macht durch­zieht die Gesell­schaft und die Beherrschten selbst reproduzieren sie. Macht, obwohl angekoppelt an Öko­no­mie und Ju­stiz, ist als Netz zu den­ken, in das alles und jeder ver­strickt ist.



Die politische Besetzung des Körpers ist nicht durch zen­trale Kategorien wie Eigentum, Ausbeutung oder Ideologie zu erfas­sen. Für Fou­cault ist »Körper« nicht bloß Arbeitskraftbehäl­ter, der mit der Durchsetzung des Kapitalismus nicht mehr Ziel von Marter sein kann, und daher pädagogisierenden Anstren­gungen unter­liegt, wieder in den Verwertungsprozeß einge­speißt zu wer­den.

Der Körper verdient es viel mehr, einer eige­nen Untersu­chung unterzogen zu werden. Daher auch Foucaults Plä­doyer für eine Ana­to­mie des politi­schen Kör­pers, die den weitver­zweigten Macht/Wissens­bezie­hungen nach­geht, wel­che den Körper zum Wis­sensobjekt ma­chen, ihn beset­zen und un­ter­wer­fen.

Ein zentrales Element in der Verschränkung von Macht und Wis­sen ist die »Seele«, um die herum sich eine Reihe von Wissens­gegen­ständen und Macht­techniken gruppieren. Obwohl ohne Sub­stanz, ist sie dennoch real, da sie in der Zurichtung und Kontrolle ver­schiedenster Subjekte (Wahnsinnige, Kinder etc.) hergestellt wird. Auf sie richten ganze Wissenschaften wie die Psycho­logie ihr Interesse.


IV. Foucault zwischen anti-ökonomistischer Proklamation und Rekurs auf Marx


Dieser Machtbegriff von Foucault bestreitet, daß Macht funktio­nal zur Herr­schaftssicherung eingesetzt wird. Weder ist Macht bloßes Re­pressionsverhältnis, noch Ausbeutungsverhältnis. Macht steht außerhalb der Kritik der politi­schen Ökonomie, da sie nicht ableitbar ist, sondern - unerklärlich - immer da ist, deshalb Foucaults Skepsis gegenüber »jenem berühm­ten Nach-Hege­lianer«.

Fou­cault geht sogar soweit zu be­haupten, die Analyse der Macht muß eine »nicht-öko­nomische Ana­lyse«[11] sein. Diese Hal­tung ist bei Fou­cault jedoch auch stark gebro­chen. In eini­gen Aufsätzen scheint die Produktivi­tät von Macht sehr wohl funktional zur Ökonomie sich zu ver­hal­ten. So schreibt er in sei­ner Analyse des Panopti­con:

In direktem Rekurs auf Marx gesteht Foucault auch ein, daß »die technologi­schen Verände­rungen des Produktions­apparats, die Ar­beitsteilung und die Ausarbeitung von Diszi­plinarproze­duren sehr eng mitein­ander verflochten« waren.[13]

Während jedoch Marx und die Marxisten die besondere Ware Ar­beit als Zentrum der Gesell­schaft setzten und auch Ideologie und Denkfor­men als von der Warengesell­schaft produzierte anse­hen (als »notwendig fal­sches Bewußtsein«), bestrei­tet Fou­cault überhaupt Kategorien wie Zentralität oder Totalität.

Darüber hinaus ließt Foucault Marx wie die Marxisten-Leninisten ihn gelesen haben. Als Arbeitstheoretiker, nicht als Arbeitskritiker.

»Es ist falsch, 'mit jenem berühm­ten Nach-Hegelianer' zu sagen, daß die konkrete Existenz des Men­schen die Arbeit ist.«

Marx selbst läßt sich unterschiedlich lesen. Foucault polemisiert hier zu Recht gegen den »Nach-Hegelianer«, der an zentralen Stellen von »Das Kapital« eine Ontologisierung der Arbeit betreibt, Arbeit wird so ähnlich dem Hegelschen Weltgeist zu einer Kategorie, die die Emanzipation des Menschen in sich tragen würde.

An diese Ontologisierung der Arbeit konnten die Marxi­sten-Leninisten mit ihren Vorstellungen einer Arbeitsdiktatur andocken. Genauso lassen sich allerdings wichtige Stellen im »Kapital« finden, die Marx als Ar­beitskritiker ausweisen. Unbestritten aber ist die Tatsache, daß Marx das Kapitalverhältnis, das auf Lohnarbeit beruht und auch Denkformen als »notwendig falsches Bewußtsein« produziert, als Zentrum und Totalität von Gesellschaftlichkeit zu fassen ist.

Foucault führt weiter aus, daß das Leben und die Zeit des Men­schen sind nicht von Natur aus Arbeit sein. Das das Kapitalverhältnis als Totalität aber gerade die Eigenschaft hat sämtliche Bereiche des Lebens zu erfassen. Foucault zählt indes die scheinbar autonomen Sphären auf: »Lust, Unste­tigkeit, Fest, Ruhe, Bedürf­nisse, Zufälle, Begierden, Gewalt­tätigkeiten, Räubereien etc.

Und diese ganze explosive, augen­blickhafte und diskon­tinuierli­che Energie muß das Kapital in kon­tinuierliche und fort­laufend auf dem Markt angebotene Ar­beitskraft trans­formie­ren. Das Kapi­tal muß das Leben in Ar­beitskraft synthetisieren, was Zwang impliziert: den des Sy­stems der Beschlagnahme.« [14]


Marx würde dahingegen einwenden, daß Zwang und Gewalt in der Geburts­stunde des Kapitalismus die entscheidende Rolle spie­len. Die »ursprüngliche Akkumulation«, die gewaltsame Trennung der Produzenten von ihrem Boden und Eigentum, be­wirkt, daß eine doppelt freie Arbeiterklasse geschaffen wird, die nichts besitzt außer ihre Ware Arbeitskraft. »Das Kapital­verhältnis setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigentum an den Ver­wirklichungs­bedingungen der Arbeit voraus.

Jetzt wirkt der »stumme Zwang der Ver­hält­nisse«. Die Ar­bei­ter, von Sub­sistenzmitteln entbunden, werden aus Re­produktions­zwang in die Fa­brik getrieben. Dort er­hält der Arbeiter exakt den Gegen­wert für die von ihm angebo­tene Ware Arbeits­kraft. Der Skandal liegt nicht in einem »unge­rechten Tausch«, auch nicht in Gewalt, son­dern in der Aus­beutung, die sich in der Form des Ver­trags vollzieht.

Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft, ihre praktische Anwendung im Arbeitsprozeß, schafft mehr Wert, als zu ihrer eigenen Reproduktion notwendig ist. Diese spezi­fische Differenz zwischen Tauschwert (also den zur Wiederher­stellung der Arbeitskraft notwendigen Gütern) und Gebrauchs­wert (ihrer Fähigkeit, neue Werte zu schaffen), wird vom Kapi­tal in der Form des Mehrwerts angeeignet.

Foucault ahnt die Dialektik des Kapitalismus: »Hinter der großen Ab­straktion des Tausches vollzieht sich die minutiöse und konkrete Dressur der nutzbaren Kräfte.«[17] Genau darin besteht das dialektische Doppelgesicht des Kapitalismus:

Sein Augen­merk liegt auf der »Dressur«.


Auffallend ist außerdem Foucaults Ignoranz gegenüber dem entscheidenden Bruch zwi­schen vor­kapitali­sti­scher und kapitalisti­scher Ge­sellschaft. Zeich­nen sich vorkapita­listi­sche Ge­sellschaften durch Abhängigkeit, direkte Gewalt und Zwangs­arbeit aus, so zeichnet sich der Kapitalismus gerade dadurch aus, daß er in seiner entwickelten Form auf direkten Zwang und Gewalt zu ver­zich­ten weiß.


Foucault prüft leider nicht historisch nach, ob die oben skiz­zierte Tendenz des Übergangs von der unfreien Arbeit zur freien Lohn­arbeit (und der damit verbundenen Modernisierung im institu­tionellen wie ideo­logischen Rahmen) überhaupt real ist. Fou­cault hätte unter Umständen herausgefun­den, daß die »Abstrak­tion des Tausches« der Ware Arbeitskraft, also die »freie Ar­beit«, aus weltge­schichtlicher Perspektive eher die Ausnahme als die Regel ist.

Eine sozialhistorische und wissenschafts­historische Untersuchung hätte darauf aufmerksam machen kön­nen, daß die Durchsetzung des Kapitals immer begleitet war von neuen Technologien, neuen Straf-, Ausschluß- und Diszi­plinie­rungsmechanismen und Ideologien, und das der Prozeß hin zur Unterwerfung der Individuen unter das Kapitalverhältnis ein langer, steiniger, von Klassenkämp­fen gepflasterter Weg war.

In dem Auf­satz »Die Macht und die Norm«, in dem dann doch öfters eine Zen­trali­tät der Ökono­mie ank­lingt, ist Macht auch wieder metaphy­sisch vorhan­den, ohne daß Foucault erklären würde, wer oder was Macht kon­stituiert. Auch wenn dem Zusam­menhang von Macht und Ökonomie nachgegangen wird, so sind Macht und Ökono­mie für Foucault doch zwei ge­trennte Sphären: »Die Beschlag­nahme entspricht hinsichtlich der Macht dem, was auf Seiten der Ökonomie Akku­mulation des Kapitals heißt.« [18]


Hier führt Fou­cault auch aus, daß nach seiner Sichtweise das Ziel der Macht als Dis­zi­plinar­sy­stem die »Kon­stitution von Ar­beits­kraft« ist.[19] Die Kon­stitution ist kein einmaliger Akt der Tren­nung der Produ­zen­ten von ihren Pro­duk­tionsmitteln, um sie zu Lohn­arbei­tern zu machen, wie Marx es im Kapitel über die ursprüng­liche Akkumu­lation beschreibt, son­dern die »Macht« konstituiert - nach Foucault - fortlaufend die Nutz­barmachung der Arbeitskraft.

Denn Macht ist nicht nur Garant einer Produk­tions­weise, son­dern eines der kon­stitu­ti­ven Ele­mente der Pro­duk­tionsweise: »tat­sächlich ist die Macht eines der kon­stitu­tiven Ele­mente der Produktions­weise, sie funktio­niert im Her­zen der Produk­tions­weise.« Eine Viel­zahl von »In­strumenten der Be­schlagnahme« - die von Fou­cault histo­risch untersuchten In­stitutionen wie Gefängnis, Psycha­trie, Asyle, Sparkassen, aber auch die Fabrik sind hiermit gemeint - sind nach Foucault konstitutiv für eine Produktions­weise.

»1. Fixierung des Individuums an den Ablauf der Produktions­mechanik; 2. Unterwerfung unter den Zyklus der Produktion: Krisen, Arbeitslosigkeit; das Sparen wird zum Mittel dieser Unterwerfung werden; 3. System der Verschuldung und der loka­len Kontrolle, durch das die Arbeiter so lange an eine Stelle des Produktionsapparates gebunden werden, bis die Arbeitskraft rentabel wird.« [20]


Foucault widmet sich dann dem Verhältnis von Macht und Wis­sen. Macht könne nicht in dem Gegensatz von Gewalt und Ideologie begriffen werden, viel­mehr erfolgte Macht­ausübung und Wissens­bil­dung immer an einem Ort zur gleichen Zeit: »Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem, was getan, und dem, was gesagt wird.«[21]

In der historischen Nachzeichnung schildert Foucault nun, wie Überwachung, Wissen, Macht und Strafe sich entwickelten: Im 17./18. Jahrhun­dert sind in Frankreich »Verwal­tungs­wissen«, »Ermittlungs­wissen« »und Inquisitionswissen« ent­standen, das der Überwa­chung der Bevölkerung diente.

Be­steuerung und Re­kru­tierung erforderten dieses »Verwaltungs­wissen«. »Er­mitt­lungs­wis­sen« widmete sich der Demographie, landwirtschaftlichen und handwerklichen Techniken und dem Gesundheitszustand der Bevöl­kerung. Untersuchungen, die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Hand des Staates lagen. Zum dritten ent­wickelte sich ein »Inquisitionswissen«, Berichte über ein Individuum führen zur Arrestierung.

Foucault will den Blick auf die Vermittlungsebenen zwischen Produktion und Individuum richten, weil in Begriffen allein der Ökonomie das Strafrechts­system beispielsweise nicht zu analy­sie­ren sei. Im modernen Strafrechtssystem geht es um die Dis­zi­plinie­rung der Individuen, indem Zwänge auferlegt und Ge­wohn­hei­ten ausgebildet werden. »Statt vom Strafsystem müßte man eigent­lich vom Disziplinarsystem sprechen, das heißt von einer Ge­sellschaft ausgestattet mit einem Apparat, dessen Form die der Beschlagnahme ist, dessen Ziel das der Konstitution von Ar­beitskraft und dessen Instrument das der Erwerbung von Diszi­plin und Gewohnheiten ist.« [22]

Diese Anordnung von Macht- und Disziplinierungsmechanismen ist für Foucault charakteristisch für die heu­tige Gesellschaft. Wäh­rend im 18. Jahr­hun­dert die Macht in Ge­stalt der Souveräni­tät und der Hier­archie wirk­te, vollzieht sich ab dem 19. Jahr­hun­dert in Ge­stalt der Humanwis­sen­schaften Diszipli­nierung vor allem durch Norma­lisierung.

Vermittels eines »Spiels von Zwängen, Lehren und Strafen« wird Gewohn­heit unter denen, die nicht durch Besitz verbunden sind, pro­du­ziert.

»Konstitu­tion der Ar­beitskraft - Apparat der Beschlagnah­me: Disziplinargesell­schaft, permanente Funktion der Normali­sie­rung. Das ist die Serie, die unseren Gesell­schaftstyp cha­rak­teri­siert.« [23]

Ob­wohl Foucault angetreten ist, nicht in das »an­tirepressive Liedchen« miteinzustimmen und er auch direkt mit den Repressions­theoretikern (im Bereich der Sexualitäts­diskus­sion mit Wilhelm Reich oder abgeschwächt auch mit Her­bert Marcu­se) bricht, indem er die Produktivität und Normierung von Macht betont, bleibt Foucault dem Bild von Gesell­schaft verhaftet, die in erster Linie einer ständigen Diszi­plinie­rung un­terworfen ist.


V. Stummer Zwang der Verhältnisse oder ständiger Kampf und all­gegenwärtige Revolten ?


Da für Foucault überall Macht ist, gibt es auch allgegenwärtig Widerstand. Die Disziplinarmacht muß »die Wirkungen der Gegen­macht neutralisieren, die der beherrschenden Macht Widerstand entgegensetzten: Unruhen, Aufstände, spontane Organisationen, Zusammenschlüsse - alle Formen horizontaler Verbindung.« [24]


Swop your Documents

G 2 - Cached Page: Thursday 28th of March 2024 07:05:10 PM