Literarische Traditionen 4
Nachkriegszeit
·Null-Punkt
·Bedürfniss nach sprachlichem Neuanfang
·Papierknappheit → Theater (kulturelle Gier)
·Zeitschriftengründungen (Der Ruf: Richter, Hocke; Die Wandlung: amerik. Besatz.; Das goldene Tor: Döblin, franz. Besatz, Der Aufbau: sowj. Besatz.)
·Thomas Mann Streit: gegen innere Emigration
·Wolfgang Weyrauch: Kahlschlagliteratur, Knappheit im Ausdruck
·Gruppe 47 (Ilse Aichinger, Günter Eich, Hans Werner Richter, Wolfdietrich Schnurre, Günter Grass, Heinrich Böll, Wolfgang Hildesheimer) → verknappter Realismus, Neoverismus, Favorisierung der Kurzgeschichte
· Wolfdietrich Schnurre „Das Begräbnis“ → satirisch, voller Rätsel, enorme Knappheit (Ausdruck)
· Wolfgang Hildesheimer „Die zwei Seelen“ → Steigerung des Rätselhaften, absurd, Satire, teilweise Parabel, Einfluss Kafkas
· Günter Eich „Inventur“: Deutsch neu lernen, Sprache korrumpiert durch Nazis, neue Benennungsversuch, keine großen Sprachbilder (Ideologie), Vokabular aus der Alltagssprache
· Heinrich Böll „Das Brot der frühen Jahre“: Trümmerliteratur, christliche Nächstenliebe, Kritik der sozialen Verhältnisse
50er Jahre
· Verdrängung der NS-Zeit
· Wirtschaftswunder
· Heimat-Ideologie
· Kalter Krieg; Wiederbewaffnung
· Technik-Skepsis
· Restauration/“Adenauer-Zeit“: Aggresionstabu und Sexualtabu
· Heimkehrer-/Trümmerliteratur
· Albert Vigoleis Thelen „Die Insel des zweiten Gesichts“: nicht chronologisch, Schelmenepos, Grausamkeiten, gesteigerter Lebenswille, Kritik am Christentum, bildreiche Sprache, barocke Züge
· Hans Bender „Eine Sache wie die Liebe“: konservativer Roman, Vertreibungsgeschichte
· Wolfgang Koeppen „Das Treibhaus“: moderner Bewusstseinsroman, autobiographisches, Grausamkeit der Ehe, Entlarvung der Verlogenheit, Schreibstil: klassisch psychologischer Realismus, kein kontinuierlicher Plotaufbau (katastrophale Ereignisse)
· Friedrich Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“: Macht des Geldes, groteske Szenen (Kastration), Komödie mit tragischen Elementen, Sprachkritik: Selbstentlarvung durch Sprache, Sprache mit doppeltem Boden, Parabel (Panther), Chor: Parodie (keine Orientierung), Lobgesang auf das Wirtschaftswunder u. den Wohlstand, Verhaltensweisen des Mitläufertums
· Günter Grass „Die Blechtrommel“: Schelmenroman, Geburtenszene: Parodie Goethes (Künstlerroman), Kritik an Mitläufern des Nationalsozialismus, Kritik an der sexuellen Moral, Metanarrative, Ironie, unpathetische Erzählart, Blasphemie, amoralische Figur Oskars, kultureller Wandel: Druchbrechung der der literarischen Normen der Nachkriegszeit, grotesker Roman
· Arno Schmidt „Mare Crisnum“: gespr. Sprache wird in Schriftzeichen umgesetzt, Entlarvung der Sexualmoral, akkustisches u. visuelles beim lauten Lesen präsent, Figuren aus dem Nibelungenlied (Cream-hilled, Brown-hilled, H.C. Trunnion)
· Martin Walser „Ehe in Philippsburg“: Bewusstseinsroman, Brüchigkeit der Fassade des bürgerl. Lebens, Ehe = ökonomische Zwangsgemeinschaft; „Halbzeit“: Mensch = Funktion
· Rolf Hochhut „Der Stellvertreter“: polit-moralisches Stück, Politkalküt des Papstes Pius XII. Während der NS-Zeit, Ziel = Erneuerung der katholischen Moral
· Hans Magnus Enzensberger „An alle Fernsprechteilnehmer“: apokalyptische, skeptische Stimmung, Wirtschaftswunder in Gedichtform, unsichtbare Bedrohung
60er Jahre
· Peter Weiss „Die Verfolgung und die Ermordung Jean Paul Marats“: Theater im Theater, Angriff auf Restauration Bundesrepublik, surreale Handlunge, Poetik de Erinnerung: GS ist GS der Sieger
· Gerhard Fritsch „Faschingg“: episodischer Roman, NSMentalität besteht in Ö noch immer, Satire auf den latenten öster. Antisemitismus und Faschismus, „Punschkrapfen“ aus „Katzenmusik“
· 60er: 1. Schritte der Hinterfragung der Geschehnisse in der NS-Zeit
· Hermann Broch „Massenpsychologie“: Massenverhalten=reduz. Menschlichkeit, Angst vor Vereinsamung – nicht allein mit der Angst, Uniformiertes der Masse – Ich-Grenzen aufgelöst, Massenverhalten = irrational, verachtungswürdig
· Elias Canetti „Masse und Macht“: antropologisches Essay, Wie war der Nationalsozialismus möglich? Massen durch Feindbilder instrumentalisiert, Mensch = Massenwesen, Urgesellschaft: Machthaber = Überlebender, Überleben erhöht die Macht, Faschismus hat etwas Erhabenes, Individuum möchte a. d. Energie teilhaben, Führer folgen die Massen
· Marlene Haushofer „Die Wand“: Frau reflektiert über ihr unfreies Leben, selbstbestimmtes Leben, Kulturkritik, Depressionsromen
· Albert Drach „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“: passiver Held als Werkzeug missbraucht, Protokollstil: soziale Instanzen, scheinbar neutral, aber mit Wertung, satirische Elemente, Darstellung der Gefühlslosigkeit des Antisemitismus, kein positiver Ausblick/Moral, Darstellung der Welt: chaotisch u. Zusammenhangslos, abstruse sprechende Namen
· DDR-Autoren eingebunden in den gesellschaftlichen Prozess
· sehr konservativ: Prosa und Dramatik vermittelte eine Literatur in die man sich einfühlen kann; Antimodernistisch; Antisubjektivistisch → Ablehnung des Subjektivismus
· strenge Literaturproduktionsprogramme: antifaschistischer Konsens, Schreibstil: sozialistischer Realismus: Lebensechtheit und Volksverbundenheit; Darstellung des sozialen Kampfes, sozialer Optimismus, positiver Held, keine Experimente (Brechts Verfremdungstechnis wird teils abgelehnt)
· DDR Kulturpolitik: Ablehnung des Formalismus, Ablehnung alles Moderenen (Kafka, Joyce)
· Ästhetischer Richtungsstreit: Brecht vs. Stanislawski
· Programm: Aufbauliteratur (ab 1952; Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft) Bitterfelderweg
(„Greif zur Feder Kumpel“: Bräunig - die, die in der Arbeitswelt stehen sollen schreiben), Ankunftsliteratur (Entwicklungsromane - Läuterung - Entwicklung einer soz. Identität), Dorfroman
· Uwe Johnson „Mutmaßungen über Jakob“: thematisiert Teilung Dts., keine Gesamtvision, gegen Realismusgebot, Bewusstseins- Erinnerungsroman, präzise Atmosphärenbeschreibung der DDR, kein Erzähler (Polyphonie), Figuren mutmaßen über Jakobs Tod
· Christa Wolf „Der geteilte Himmel“: Trennung Dts. wird durch eine Trennung symbolisiert „Nachdenken über Christa T.“: Leiden am Totalitarismus in der DDR wird dargestellt „Kindheitsmuster“: Kindheit in einer autoritären Umgebung, Entstehung der DDR aus Nazidts.
· Das Insistieren auf persönlichen, radikalen Ereignissen ist tendenziell in der DDR-Literatur den Frauen zuzuschreiben.
· Brigitte Reimann „Franziska Linkerhand“: Emanzipationsbestrebungen (sozial, beruflich, privat) der Protagonistin, vieles ist autobiographisch, gibt kein Glück in einer soz. Ges., Tabus werden durchbrochen (sibirische Zwangslager, Selbstmord, Vergewaltigungen durch die Rote Armee
1968
· Enttabuisierung der NS-Vergangenheit: gesamtgesellschaftlich; auch an den Universitäten; es waren immer noch ehemalige Nationalsozialisten im Amt
· aktuelle politische Situation der 60er Jahre (Mord an Benno Ohnesorg: Demo gegen den Schah von Persien), Attentat auf Rudi Dutschke, Feind: Die Springer Presse
▪ lebensweltliche Restriktionserfahrung: Nachkriegsgeneration: höherer Lebensanspruch als die soziale Gegenwart bietet (Satisfaction: Rolling Stones)
▪ Situation an den Universitäten: Unzufriedenheit an den Universitäten in der Phase des Wirtschaftswunders: Was nicht der Wirtschaft gedient hat war unterrepräsentiert → Priorität der Wirtschaftspolitik; Massenuniversitäten
▪ Funktion der Literatur: politischer Agitations-Sound; Thematisierung der Befreiung; „Kursbuch“: Hg. Enzensberger: Organ der 68er, in Nr. 15 von 68 ging es um die Funktion der Literatur → Nachruf auf die Literatur; Trennung von Kultur und Politik; Kritik an der bürgerlichen Literatur: die Kultur ist Valium fürs Volk; Kultur ins Leben holden → Ästhetisches Leben → man braucht keine Kultur mehr; Antiautoritäre Bewegung Herbert Marcuse: zur Orientierung braucht man die Literatur weiterhin
▪ Sexuelle Revolution: Begriff wurde in den 1930er Jahren von Wohelm Reich geprägt; Anti-Baby-Pille-Debatte; Verkupplungsparagraph: unter 21jährige zusammenleben zu lassen war verboten; 68er: erste Mediengeneration → Aufklärungsfilme; Großkommunen: Aufhebung des persönlichen Besitztums, keine Paarbildung, Wochenkopulationsplan (BBO) → Überwindung der Eifersucht als bürgerlicher Missstand; Unterdrückung der Sexualität bei Jugendlichen
Konkrete Poesie
· etablierte sich in den 50er Jahren, Vorläufer: Dadaismus
· die Sprache mit anderen Medien hinterfragen (Reflexion der medialen Situation → im Krieg wurden neue mediale Kommunikationsformen etabliert: Film, Telegraph) → „The medium is the message“
· Zurückweisung des Genie-Gedankens: Dichtung beruht auf Regeln, die man erlernen kann; Dichtung soll nicht Gefühlswelten oder Gedanken darstellen, sondern die Dichtung soll brauchbar sein → Zurückweisung des emphathischen Bildungsbegriffes → Dichtung wird demokratisiert
· Spielcharakter der Poesie: Sprache ist nicht da um Weltanschauungen/Ideologien zu vermitteln
· Eugen Gomringer „Schweigen“: extreme Konzentration auf Lexem „schweigen“ erzeugt Bild
· Helmut Heißenbüttel „Sprach-, Weltanschauungs- und Realitätskritik - Realität wird durch Sprache konstruiert - Sprachkritik ist revolutionäre, weil die Welt als solche hinterfragt wird
· H.C Artmann „Blaubort“: Gothik-Motiv, barocke Motive, thematisch: Groteske
· Thomas Kling „gschrbertes idyll“: Sprachzerhackung, Stoppung des Sprachflusses, kein Bild
· Oswals Wiener „die verbesserung von mitteleuropa“: anarchistische Literatur (Selbstreuerung der Sprache), Sprache überwinden um zur Wirklichkeit zu gelangen, Spachkritik=Gesell.kritik
· Ernst Jandl „Stanzen“: subversive Dichtung, gegen Sprachreinheit und Hochsprache
· Peter Handke „Publikumsbeschimpfung“:Antitheater, keine Handlung nur Sprechakte, Gegenstand des Theaters = Zuschauer, Sprache wird thematisiert, Worte werden zum Thema, Einzug der Popkultur in die Hochkultur, keine fiktionale Welt, Absage an das traditionelle Medientheater, Negativbezugnahme auf Inszenierungs- und Rezeptionskonventionen
Neue Subjektivität
· auch neue Innerlichkeit, neue Sensibilität, Befindlichkeitsliteratur
· Beschäftigung mit dem Individuum, Rückzug ins Private, private Bedürfnisse werden nicht länger durch gesellschaftliche verdrängt
· Gewinnung von Authentizität
· Einfangen von Echtheit von Erfahrungen (Tagebücher, Autobiographien)
· immer gescheiterte Beziehungen, Beziehung nicht möglich
· melancholischer Grundton der Texte
· Spiegelung der eigenen Probleme in fremden Lebensgeschichten
· Peter Schneider „Lenz“: spiegelt seine eigenen Erfahrungen der Entfremdung in jenen des frühbürgerlichen Außenseiters Lenz; weist kollektive Ansprüche zurück; Orientierungslosigkeit; Rückzug auf sich selbst
· Peter Handke „Der kurze Brief zum langen Abschied“: Thema: Selbstfindung; Sprache als Mittel zur Auffindung von Empfindungen; Sprache als Form der Schärfung von Empfindungen; Training genauer Wahrnehmung; Protagonisten sind passive Charaktere (wie überhaupt in den 70er Jahren); Referenz zu Karl Ph. Moritz „Anton Reiser“ und Gottfried Keller „Der grüne Heinrich“; melancholisch
· Maxie Wander „Guten Morgen, du Schöne“: 17 Gesprächsprotokolle, Lebensläufe von Frauen auf Tonband, Wie können sich Frauen emanzipieren?
Entwicklungen in der Lyrik (70er): Alltagslyrik; melancholischer Erzählton; Ausdruck von Perspektivenlosigkeit, Immobilität; „Neue Einfachheit“: oft ohne Figuren, Tropen, Metaphorik, .
· Martin Walser „Ein fliehendes Pferd“: Zentrale Frage: Darf man so leben, wie man lebt? (Probleme der Identität); Pferd=Symbol für das galoppierende Leben, galoppierende Lebenszeit, Flucht; Scheinexistenz von Halm und Buch – beide sind fliehende Pferde; Rolle der Frauen: Frauen sind nicht so plastisch dargestellt; Ende: Halm – Neubelebung seiner eigenen Lebensweise, nicht Übernahme von Buchs Lebensweise
· keine kontinuerlichen, chronologischen Lebensschilderungen
· Momentaufnahmen
· bruchstückhaft (außer bei Canetti)
· es geht um das Individuum
· Max Frisch „Montauk“: Skizzen, Autobiographisches, erzählerische Phasen; Geschichte ist die Interpretation von Erinnerungen; Vita ist nur Interpretation; Spiel mit „Ich“ und „Er“
· Thomas Bernhard „Autobiographie 1975-1981“: Abrechnung mit der Welt, Öster., NS, Katholizismus; Erforschung der eigenen Herkunft; Behauptung des Individuums gegenüber übermächtigen Instanzen (Schule, Kirche, Ärzte, .)
· Elias Canetti „Die gerettete Zunge“, „Die Fackel im Ohr“, „Das Augenspiel“: Ausnahme von den ausschnitthaften Biographien: chronologisch; es geht um Sprachfindung; Canetti stellt sein Leben erst einmal als Sprachentwicklung dar: Motiv des „Rettens der Zunge“ (Sprache)