Hausübung – Friedrich Gymnasium Wien
Rainer Maria Rilke - „Leise Begleitung“
Interpretation
Rilke gehört zu den
bekanntesten deutschsprachigen Dichtern der literarischen Moderne. Geboren
wurde er 1875 in Prag, später lebte er in Paris, Triest, München und zu seinem
Lebensende in der Schweiz. Die hier analysierte Kurzgeschichte stammt aus
seinem frühen Schaffenswerken, seine erste Geschichte veröffentlichte er 1894.
Rilke starb 1926 bei Montreux in der Schweiz.
„Leise Begleitung“ ist eine
Kurzgeschichte von Rainer Maria Rilke (1898), und der Epoche des Expressionismus
zuzuordnen. Sie handelt von einer Mutter-Sohn Beziehung, die Mutter hat dabei
Angst ihren Sohn zu verlieren, da dieser nach Freiheit strebt, weshalb die Mutter
ihm dies verbieten will.
Hauptprotagonist der
Geschichte ist der Sohn Miroslav, der auch „Miro“ genannt wird. Er ist ein
blonder, 18-jähriger Mann, der sich nach Freiheit sehnt und nun von seiner
Mutter unabhängig ein eigenes Leben möchte. Im Gegensatz hierzu ist die Mutter eine
ruhige und ängstliche aber zugleich geschickte Frau, denn sie erzählt ihrem
Sohn im Handlungsablauf eine fiktive Geschichte.
Der blonde Junge sucht Freiheit vor einer sorgenvollen Mutter im expressionistischen Wien.
Die Mutter sitzt am Anfang der
Geschichte an einem Fenster und stickt. „Gestern und heute und morgen und auch
alle Tage.“ (Z.1). An dieser Stelle wird bereits deutlich gemacht, dass die
Mutter eine typische, alltägliche Lebensroutine führt. „Der Läufer ist noch
kaum zur Hälfte fertig und schon welk.“ (siehe Z.1f). Die Arbeit der Mutter
scheint, wenn sie auch noch sehr unvollständig ist, bereits jetzt schon zu
verwelken. Bei dieser Metapher wird sehr früh ein Bezug zur Mutter-Sohn
Beziehung hergestellt, zwar ist die Beziehung zwischen Ihnen noch nicht
komplett ausgereift, aber bereits am verwelken. Dies wird im Verlauf der
Geschichte zunehmend verdeutlicht.
„Aber die Hände sind einfach
müd und bleiben liegen mitten im Weg.“ (Z.3f). Die Hände der Mutter stehen hier
für das harte Leben allgemein und die Beziehung der Mutter zu ihrem Sohn: die
Mutter ist nun müde und das Heranwachsen der Beziehung zu ihrem Sohn blieb
mitten im Weg stehen. Der Satz „Und Schiffe sollten doch in Freiheit fahren
über die vielen Flüsse, ins Meer, in alle Meere.“ (Z.5f) veranschaulicht, dass
die Mutter nun denkt, ihr Sohn möchte in die Freiheit segeln. Sie weiß auch,
dass Schiffe, so wie ihr Sohn, in die Freiheit segeln sollten, hinaus in das
große weite Meer. Das Meer steht hierbei als ein Symbol für das Ungewisse.
Die bereits entstandene
Distanz zwischen Mutter und Sohn wird im weiteren Verlauf verdeutlicht an
folgenden Sätzen: „Sie sieht auch nicht auf, als ihr Sohn eintritt.“ (Z.9) oder
„Man kann nicht zu ihr flüchten, man läuft an ihr vorbei.“ (Z.12f).
Miro erklärt
uns hier schon, dass er nicht zu seiner Mutter flüchten kann, er kann nicht mit
ihr reden, weder über seine Probleme und erst recht nicht über seine Gefühle. „Es
gibt also keine Aussprache mit ihr.“ (Z.14). Miro verlässt daraufhin das
Zimmer. (siehe Z.16). Die Mutter erschrickt in diesem Moment und „breitet schnell
ihre Seele aus“. (Z.17). Nur dies bemerkt Miro gar nicht mehr, denn er geht
hinaus und denkt sich: „Ich bin frei, ich bin frei...“ (Z.19)
Die Mutter
denkt in diesem Moment noch, dass Miro immer noch im Zimmer sei und mit ihr
reden würde. Bis zu diesem Zeitpunkt der Geschichte (Z.21) wird diese von einem
auktorialen Erzähler erzählt, aber nun ändert sich die Erzählperspektive zum
personalen Erzähler und wir lesen weiter aus der Sicht der Mutter.
Die Mutter fragt nun ihren
Sohn, ob er „Ihr“ schon in die Seele geschaut habe (siehe Z.23). Das „Ihr“
lässt den Leser jetzt erstmals vermuten, dass Miro eine Geliebte hat. Sie
erzählt Miro jetzt, dass es so sein wird, wie die viele Male zuvor. „Erst
werden sie durch die Gassen gehen, mit Frohsinn und Übermut, bis sich ihre
Augen fragen: „Wann?“ Und sie wissen beide „nicht hier.“ (Z.24 ff). Die Mutter
bestätigt unsere vorherige Annahme, da sie nun klar ausspricht, dass Miro eine
Freundin hat: Die beiden gehen zu zweit durch die Gassen, und fragen sich wann
ihre Zeit gekommen ist.
Sie finden aber
noch keine Antwort darauf, denn sie wissen, dass der Zeitpunkt als auch der Ort
für diesen Augenblick nicht stimmen. Nun ändert sich das Szenario, das junge
Paar befindet sich zuerst in einem Gasthausgarten, und gleich daraufhin
wiederum in einer Kirche, in welcher der Weihrauchduft welk wird und das Paar
sich erneut frägt „Wann?“ (Z.24ff).
Die beiden
können weder den richtigen Ort noch die richtige Zeit für sich finden. Die
Mutter erzählt uns eine traurige Liebesgeschichte, die jedoch zugleich fiktiv
ist. Die Liebe zwischen dem Paar ist darin unmöglich, da die Mutter selbst die
Liebesgeschichte kontrolliert.
Der Rezipient
kann daraus schließen, dass die Mutter sehr an ihrem Sohn hängt, obwohl ihr nun
schon bewusst ist, dass Miro inzwischen alt genug ist, um sein eigenes Leben zu
führen. Sie möchte ihn nicht hergeben und versucht vor falschen Entscheidungen
zu warnen.
Ein Symbol für die Beziehung
zwischen dem Sohn und seiner Geliebten ist der welke Weihrauchduft. Die Mutter
projiziert das Welken ihrer eigenen Beziehung zum Sohn auf die Liebesbeziehung
zwischen dem Sohn und seiner Geliebten. Dadurch wird deutlich, wie bereits
schon etwas früher erwähnt, dass die Mutter sich weigert vonm Sohn verlassen zu
werden. Die Frau klammert sich im wahrsten Sinne des Wortes an ihn und versucht
dem in der Geschichte fiktiven Sohn die Liebhaberin auszureden.
Nun folgend ändert sich wieder
das Szenario in der Geschichte: „Da ist der Wind bald vor euch, bald hinter
euch und nimmt euren Worten den Glanz.“ (Z.28f). Der Wind ist eine starke Naturgewalt,
er stellt sich hier zwischen das Liebespaar und hindert diese daran, sich richtig
zu verstehen. Im Anschluss fragen die beiden sich „Was?“ und „Hast du etwas
gesagt?“ (Z.29).
An dieser Stelle wird verdeutlicht,
dass die Mutter ihre eigenen,persönlichen Kommunikationsprobleme mit dem Sohn,
auf die Probleme des Liebespaares projiziert. Sie gibt dem fiktiven Miro zu
verstehen, dass die Kommunikation zwischen den beiden Menschen sehr schwierig ist,
und später zu einem Teufelskreis werden könnte. Sie meint, die Zeit ist nicht
die Richtige, denn beide kommen von unterschiedlichen Orten und werden sich mit
der Zeit hassen (siehe Z.33f).
Der letzte Teil der
Kurzgeschichte findet auf einem Kirchhof statt. Beide, der fiktive Miro und die
fiktive Freundin finden es plötzlich ganz angenehm. Dies wird dem Leser durch
den Satz „Denn [sie] wollen nichts mehr, als irgendwo ruhig sitzen dürfen vor
lauter Müdigkeit.“ (Z. ) veranschaulicht. Der Kirchhof ist ein Symbol für den
Tod, denn beide sind nach diesem Leben damit einverstanden und haben keine
Angst mehr von dem Tod. Sie sind einfach nur noch müde.
„Und alles was noch dort ist,
ist der Wind“ (siehe Z.30). Ein zweites Mal wird der Wind erwähnt, ein wichtiges
Symbol der Geschichte: Schnell wie die Zeit, verändert der Wind alles und trägt
die Liebenden davon. Er steht für die Kälte und Veränderung in dieser Beziehung.
Der Wind trägt den Liebenden die Zeit davon, so lange bis sie sich zuletzt im
„dunklen Haustor vielleicht noch einmal atemlos fragen: „Wann?“ (Z.43f). Wie früher
gibt es auch dieses Mal wieder keine ausreichende Antwort, sondern nur ein
„Nicht Hier und Angst und Abschied.
Und die Seelen der beiden
jungen Menschen konnten sich nie fassen.“ (siehe Z.50). Genauso wie auch die
Mutter die Seele des Sohnes nicht fassen kann, es noch nie konnte. Mit dem Satz
„und das ist das Ende“ (Z.50) erzählt die Mutter der fiktiven Figur des Miro, wenn
der Vater nicht wäre, sie einmal am Sonntag die Zimmer voll mit weißen Blumen
stellen und fortgehen würde (siehe Z.53f). Die weißen Blumen symbolisieren vermutlich
den Tod. Die Mutter Mutter stellt diese auf und geht fort, da sie es nicht ertragen
kann für immer einsam zu sein. Sie will dem Tod nicht mehr ins Gesicht blicken
müssen und geht fort, trotz der großen Schmerzen. Sie würde dann in die Kirchen
gehen, und in die Landstraßen, und sich dem Wind stellen (Z.55) und es würde
ihr nichts ausmachen, denn sie hat keine Angst. Falls der Sohn sie aber verlässt,
würde ihr ein großer Teil ihres Lebens fehlen, sodass, wenn auch noch der Vater
sie verlassen würde, sie nur noch den Schmerz hätte und ihrem Geliebten in den
Tod folgen würde. In diesen Zeilen wird dem Leser deutlich, wie wichtig ihr
Miro ist und wie schmerzhaft es für sie ist, ihn gehen zu lassen.
Die Mutter, Frau Beate,
beginnt nun ihr Stickwerk wieder zu trennen, ein ganzes Stück Bordüre hat sie
verdorben (Z.60). Sie träumt ununterbrochen, jedoch vergrault sie sich damit
ihre eigene Arbeit. Immer tiefer dringt sie in ihre traurige Gedankenwelt ein, welche
sich auch negativ auf ihre Beziehung zu ihrem Sohn auswirkt. Am Ende träumt sie
nur noch „Und dass sie mich lieb haben könnte glaubst du?“ (Z.63). Sie träumt
jetzt davon, dass der fiktive Miro den Wunsch hat, dass das Mädchen ihn liebt.
Diese Frage beschreibt die Gewissheit der Mutter, dass Miros Traum nach
Unabhängigkeit und Liebe unbegrenzt ist, und dass er die Hoffnung hat, dies
alles in der Zukunft erreichen zu können.
Jedoch antwortet die Mutter
nicht und hört auf zu träumen, sie „bleibt über den Läufer geneigt.“ (Z.65). Zu
diesem Zeitpunkt ändert sich die Erzählperspektive wieder in die des
auktorialen Erzählers. Die Mutter ist weiterhin traurig, während der Vater nun das
Haus betritt und er Frau Beate auf ihre wunden Augen anspricht. Er ist sehr um
seine Frau besorgt, sie versucht jetzt ihren Mann mit Blicken zu besänftigen
(siehe Z.68f). Sie bringt hierzu ihre ganze Kraft und ihren ganzen Willen auf
(siehe Z.70), da sie selber nach alldem was sie erlebt hat keine Kraft mehr
besitzt. Nach längerer Zeit „nimmt der Vater die Zeitung und schreit hinein:
„Wo ist denn der Bub?““ (Z.72f). Dieser Schrei stellt die Hoffnungslosigkeit
des Vaters dar, denn er versteht die Mutter nicht mehr und versucht so die gestörte
Kommunikation im Raum zu durchbrechen. Die Mutter wartet daraufhin im
Treppenhaus auf den Sohn (siehe Z.75). Dies verdeutlicht die Flucht der Mutter
vor dem Ehegatten, als auch der Kommunikation und der bevorstehenden
Aussprache. Am Ende kommt Miro zusammen mit der Mutter die Treppe hinauf „als
wären die beiden zusammen fortgewesen“ (Z.78).
Die Mutter-Sohn Beziehung in dieser
Kurzgeschichte ist zum größten Teil aus der Sicht der Mutter geschrieben. Sie
träumt zumeist davon, dem Jungen zu gestehen, wie wichtig er ihr ist und wie
schwer es für sie ist, ihren Sohn loszulassen. Sie weiß zwar, dass sie Miro
irgendwann gehen lassen muss, da jeder Mensch einmal erwachsen wird, und sie
vergleicht ihren Sohn mit einem Schiff, das irgendwann den Horizont erreichen
wird. Zum anderen will sie dies jedoch nicht tun, da es sie an den Kirchhof
erinnert, welcher für sie wohl den Tod symbolisiert, und an die daraufhin
folgende Tatsache, dass sie am Ende allein bleiben wird.
Die Mutter kann sich einerseits
in die Sichtweise von Miro hineinversetzen, da auch sie so wie ihr eigener Sohn
in Freiheit und Unabhängigkeit leben möchte und neue Wege einschlagen will,
aber sie versucht zugleich ihn fiktiv davon abzuhalten. Miro aber empfindet sein
Familienhaus als sehr kühl, es wird nur wenig miteinander geredet. Das ist ihm
sehr wohl bewusst und dies ist einer der Gründe, warum Miro seine Freiheit
möchte. Er möchte ein neues Leben beginnen und dem Alltag seine Eltern
entfliehen. Am Ende der Geschichte gehen die Mutter und Sohn beide zusammen die
Treppe hinauf. Sie ist froh darüber ihren Sohn noch einen weiteren Tag bei sich
zu haben. Dem Sohn bleiben die Schuldgefühle.