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Seminararbeit
Deutsch

Freie Universität Berlin - FU

1,7, Prof. Dr. Claudia Albert, 2014

Jörg S. ©
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ID# 82237







Lachen, wo man weinen sollte? Heinrich Manns Roman 'Lidice' im Kontext von Henri Bergsons Auseinandersetzung mit dem Komischen


„Wer genug geweint hat, lacht.“

Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt, S. 537

    1. Einleitung

Der Satiriker, so Walter Benjamin in seinem 1931erschienen Essay über Karl Kraus, ist abhängig von der historischen Krise, die sich er illusionslos zu Eigen macht und gegenüber den Rezipienten in einer überbietenden Darstellung entlarvt. Bessere Voraussetzungen „als mitten in einem Geschlecht, das sich anschickt, Tanks zu besteigen und Gasmasken überzuziehen, einer Menschheit, der die Tränen ausgegangen sind, aber nicht das Gelächter“1, hat es laut Benjamin für die Satire nie gegeben.

Die Erfahrungen, die die Menschheit aus den Gräueltaten der Weltkriege sammeln musste, widersprechen jeglicher Vernunft und entziehen sich einer nachvollziehbaren Erklärung. So bleibt lediglich festzustellen, dass in einer Zeit der Kriege, in der die Welt und ihre Normen aus den Fugen geraten sind, das Unrecht allem Anschein nach zum Alltag gehört. Eine solche Unrechtstat offenbart sich in dem brutalen Massaker an der Zivilbevölkerung des tschechischen Dorfes Lidice am Abend des 09. Juni 1942. Die Zerstörung Lidices ist Teil der Repressalien der deutschen Besatzer im Reichsprotektorat Böhmen-Mähren.

Als Vergeltungsmaßnahme für das Attentat am 27. Mai 1942 auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich, der am 04. Juni 1942 seinen Verletzungen erlag, wurden alle Männer des Dorfes, die über 15 Jahre waren, durch Angehörige der Schutzpolizei aus Halle erschossen.2 Die Frauen wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und die Kinder nach rassischen Kriterien ausgesondert und germanisiert oder in das Vernichtungslager Chełmno gebracht.

Angesichts der Vielzahl komödiantischer Ausdrucksformen im Zusammenhang mit dem Faschismus des 20. Jahrhunderts, scheint die dem Lachen auferlegte bürgerliche Moralität als Maßstab für die Unangemessenheit obsolet geworden zu sein. Gleichwohl stehen sich die Betroffenheit im Hinblick auf die entmenschlichte Gesellschaft und die kathartische Funktion des Lachens diametral gegenüber.

Bereits 1940 persifliert Charles Chaplin in der Verwechslungskomödie The Great Dictator (USA) Adolf Hitler und den europäischen Faschismus. Ernst Lubitsch, ein weiterer Emigrant, parodiert 1942 in To Be or Not to Be (USA) ebenfalls die Nationalsozialisten, auch er erzählt eine Vertauschungsgeschichte. Heinrich Mann, 1940 vom Faschismus aus Europa vertrieben, begann unmittelbar unter dem Eindruck der Massenliquidierung von Lidice im Sommer 1942 die Arbeit an seinem gleichnamigen Roman Lidice.3 Mann beschreibt in seinem Roman jedoch nicht das Massaker, sondern verlagert den Fokus auf eine Imitationsgeschichte, die den Widerstand der tschechischen Bevölkerung zum Ausdruck bringen sollte.

Diese Beobachtung, für die als frühes Beispiel bereits der „Schulaufsatz“ Hitler und Goethe aus der Feder Kurt Tucholskys gelten kann, ist Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen und führte zu der Frage: Wieso ist das Komische, insbesondere das Mittel der Vertauschung, in Bezug auf das nationalsozialistische Regime bzw. dessen Protagonisten ein so oft genutztes Mittel? Selbst jüngere Beispiele nutzen das Mittel der Imitation.

In der Hitler-Parodie Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (D, 2007) von Dani Levy, muss Hitler, durch eine starke Heiserkeit unfähig eine Rede zu halten, durch den jüdischen Weltschauspieler Adolf Grünbaum synchronisiert werden, auch hier wird auf den Topos des Schauspielens und auf das Lächerliche zurückgegriffen.

Die Arbeit stellt einen Versuch dar, einen Einblick in die Mechanismen des Komischen zu erlangen4 und soll exemplarisch die Funktion der Komik in Heinrich Manns Szenenroman Lidice untersuchen. Dabei will sie indes keinen Überblick über die Theorie des Humors schaffen. Man stünde vor einer nicht leicht zu bewältigenden Aufgabe, würde man alle Theorien über das Komische zusammentragen wollen.

Neben Immanuel Kant, der 1790 in seiner Kritik der Urteilskraft dem Menschen in seinem bedrängten Dasein durch Schlaf, Hoffnung und Lachen Erleichterung finden lässt, hat sich der französische Philosoph und spätere Literaturnobelpreisträger Henri Bergson die Frage nach dem Wesen der Komik gestellt. Diese Theorie soll in Bezug auf Heinrich Manns Roman überprüft werden.

Dazu wird Bergsons Auffassung des Komischen im folgenden Kapitel kurz dargestellt und der Roman im dritten Kapitel durch die erarbeiteten Merkmale exemplarisch untersucht. Die Frage, ob es angemessen ist über den Nationalsozialismus zu lachen, soll mit Verweis auf die Autonomie der Kunst ungefragt bleiben.

    1. Das Lachen – Das Wesen der Komik bei Henri Bergson

Im Jahr 1900 veröffentlichte Henri Bergson in der französischen Literaturzeitschrift Revue de Paris den in mehreren Folgen erschienenen Essay Le rire.5 Noch im gleichen Jahr werden im Verlag Félix Alcan die drei Essays in Buchform veröffentlicht. Das kleine Heft wurde schnell ein Erfolg. Bereits 1924 erschien die 23. Ausgabe mit einem neuen Vorwort, Literaturangaben und einem Nachwort Bergsons.

Unter dem Titel Das Lachen brachte 1914 der Verlag Eugen Diederichs die Abhandlung in der Übersetzung der zweiten Auflage von Julius Frankenberger und Walter Fränzel heraus. Eine zeitgemäßere Neuübersetzung wurde 1972 auf Grundlage der 23. Auflage durch Roswitha Plancherel-Walter für den Arche Verlag durchgeführt.6 Es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass Heinrich Mann Henri Bergson gekannt hat, nicht nur wegen seiner Frankophilie und seiner Zeit im französischen Exil.

In seinen im kalifornischen Exil entstandenen und 1946 in Stockholm erschienenen Memoiren Ein Zeitalter wird besichtigt erwähnt er Bergson, der 1927 den Literaturnobelpreis verliehen bekam, in Bezug auf die deutsche Besatzung Frankreichs:

„Die Deutschen kamen in die Lage, ihre armselige Weltanschauung, die antisemitisch und sonst nichts ist, zum Gesetz zu erheben. […] Bergson starb, nachdem er ein tapferes Bekenntnis abgelegt hatte. Sehr übel konnte es dem überlebenden Träger der Charakterkomödie ergehen. Gemeinhin sieht man in ihm den furchtbarsten Witzbold. Aus Gleichgültigkeit hat er es geschehen lassen, daß Scherze mit Bärten so lang wie seiner ihm zur Last gelegt wurden. […] Unter vier Augen hat er mir geklagt über den Verfall, noch nicht der Literatur, aber der Liebe für sie, der Kenntnis ihrer Schätze.“7

Am Anfang des 20. Jahrhunderts war neben Friedrich Nietzsche wohl kaum ein Philosoph populärer als der von 1859 bis 1941 lebende Bergson.8 Stand die Bergsonsche Philosophie vor dem Ersten Weltkrieg rasch „im Brennpunkt des öffentlichen intellektuellen Lebens“9, so wurde sie genauso schnell von Gegnern verächtlich als pathetische Philosophie und Modephilosophie diffamiert.10 Obgleich Bergson keine konkrete Ästhetik hinterlassen hat, lassen sich dennoch zahlreiche Korrespondenzen zwischen seiner Philosophie und der Kunst des 20. Jahrhunderts feststellen.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rückt zunehmend die Frage nach gesellschaftlichen Bedingungen und „den sozialen Implikationen und Funktionen des Lachens“ in den Fokus der philosophischen Auseinandersetzung über das Lachen, „weil in ihr [dieser Diskussion, Sch.] die Historizität des Komischen bzw. dessen Determiniertheit von soziokulturellen Kontexten wenigstens angeschnitten wird.“12 Bergson war neben Friedrich Nietzsche und Wilhelm Dilthey einer der führenden Vertreter der Lebensphilosophie, die sich unter anderem als Gegenentwurf zum naturwissenschaftlich-rationalen Positivismus verstand.

Laut Martin Weinmann stimmt der Beginn des Bergsonismus im Jahr 1889 mit dem Zusammenbruchs Nietzsches überein, „dem Verstummen jener anderen, so viel glückloseren Lebensphilosophie“13. Mit seiner im Jahre 1907 erschienenen Schrift L’évolution créatrice prägt Bergson den Begriff des élan vital und positioniert sich so gegen die herrschenden Richtungen des philosophischen Positivismus und gegen den philosophischen Materialismus.

„Hinter der gesellschaftlichen Wirklichkeit steht die nur intuitiv erfaßbare, überschäumend-spontane, schöpferische Aktivität des Lebens, der élan vital, der nur subjektiv in der Dauer des erfüllten Moments erlebt werden kann.“14

Henri Bergson widmet sich in seiner Komiktheorie dem Komischen im Allgemeinen, den komischen Formen und Bewegungen sowie des Weiteren der Situations- und Wortkomik und Charakterkomik. Hier soll vorerst das Interesse auf seinem ersten Kapitel liegen.

    1. Vom Komischen im Allgemeinen - Die drei Eigenschaften des Komischen

Henri Bergson konstatiert drei allgemeine Eigenschaften des Komischen. Zum einen ist Komik eine spezifisch menschliche Eigenschaft. „Es gibt keine Komik außer in der menschlichen Sphäre.“ (8) Die Natur allein ist nur schön, hässlich oder etwas anderes. Zweifelsohne erzählt Bergson hier nichts Neues, insbesondere da er Kant in seinen Anführungen erwähnt.

„Manche haben den Menschen definiert als ein Tier, welches lacht.“ (8)15

Ein zweiter Punkt ist, dass das Lachen mit einer Gefühllosigkeit bzw. Empfindungslosigkeit verbunden ist. „Das Komische scheint seine durchschlagende Wirkung nur äußern zu können, wenn es eine völlig unbewegte, ausgeglichene Seelenoberfläche vorfindet. […] Das Lachen hat keinen größeren Feind als jede Art von Erregung.“ (8) Daraus resultiert, dass zum Lachen eine Distanz notwendig ist, folglich wirkt jede Identifizierung der Rezipienten mit den Figuren entgegen dem Lachen.

Aus der Bedingung des reinen Intellekts ist die dritte Schlussfolgerung zu erklären. Das Lachen ist ein soziales Phänomen, da der Intellekt immer mit anderen in Verbindung stehen muss (vgl. 9). Das Lachen einer Gruppe von Intellekten besitzt demnach auch eine konkrete kommunikative bzw. soziale Funktion (vgl. 10), wird also zur „soziale[n] Geste“ (16). „Das freieste Lachen setzt immer ein Gefühl der Gemeinsamkeit, fast möchte ich sagen, der Hehlerschaft mit anderen Lachern, wirklichen oder nur vorgestellten, voraus.“ (10) Einer Gemeinschaft sind immer spezifische Normen und die Erwartungen an diese vorauszusetzen, das Lachen wird demnach in einer normbestimmten Gruppe einen entsprechenden Normverstoß als Ursache haben.

Das Komische geschieht unbewusst (vgl. 15), worauf das Lachen folgt. Doch welche Aufgabe hat das Lachen innerhalb der Gemeinschaft, bzw. welche Auswirkungen hat das Lachen? Vorerst begnügen wir uns mit der Schlussfolgerung, dass nach bisherigen Überlegungen das Lachen ein Normkorrektiv ist und gruppenstabilisierend wirkt, „es macht alles geschmeidig, was an mechanischer Starrheit auf der Oberfläche des sozialen Körpers noch vorhanden ist.“ (16)

Als Gegensatz zum élan vital ist für Bergsons Theorie die mechanische Steifheit (11) bzw. Starrheit konstitutiv, dazu zählen insbesondere Automatismen. Unfreiwillige Stellungswechsel, Ungeschicklichkeit, sowohl körperlich wie geistig, setzt Bergson der Beweglichkeit und flexiblen Anpassungsfähigkeit entgegen. Scheitert die Anpassung entsteht eine künstliche Mechanisierung, die Anlass des Lachens ist.

Mit Weinmann ist daher festzuhalten, dass das Komische bei Bergson als Negation des beweglichen Lebendigen zu sehen ist, wohingegen das Lachen als eine Bestrafung für Trägheit (vgl. 17) „eine lebenserhaltende und perpetuierende Qualität“16 besitzt.

Das Lachen ist dazu da, seine Zerstreutheit zu korrigieren und ihn aus seinem Traum zu reißen.“ (75)

Wenn Bergson das Lachen als eine dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit versteht, die innerhalb von Gruppen durch die Benutzung des Verstandes entsteht, dann geht damit gleichzeitig eine Desintegration bzw. Exklusion Dritter einher und verbindet die Lachenden zu einer Komplizenschaft. Streng genommen bleibt in Bergsons Untersuchung der Fokus auf dem Phänomen des Auslachens und seine Funktion als soziales Korrektiv; weitere Funktionen des Lachens, zum Beispiel kommunikative, bleiben unberücksichtigt, wenngleich Klaus Schwind bei Bergson neben dem „aggressive[n], oppositionsschaffende[n] Verlachen nach außen, aber zugleich ein werbendes Mitlachen nach innen“ sehen will, „das Solidarität und Konsens stiftet“17.

Was jedoch in dieser Form bei Bergson so noch nicht gedacht ist. Da für die poetologische Grundstruktur Lidices der Verwechslungsmoment konstitutiv ist, müssen wir noch etwas tiefer gehen.

  1. Das Komische an der Imitation

Das Lachen als „soziale Geste“ (16) als strafendes Korrektiv geht nach Bergson auf ein Verhaltensdefizit zurück und ist demnach ein soziales Instrument zur Ermahnung und Bewahrung der geistigen Flexibilität, da der Ursprung des Komischen im Automatischen, in der Steifheit liegt. Zwar verweist Bergson auch auf den fehlenden flexiblen Geist als Auslöser des Lächerlichen, indem er Gesten als Haltungen, Bewegungen und Reden versteht, die zugleich Ausdruck des seelischen Zustands sind (vgl. 80).

Dabei ist die Rolle der Wiederholung besonders hervorzuheben, da Repetitionen nach Bergsons Verständnis im lebendigen Leben in der Regel nicht vorkommen (vgl. 24). Der Nationalsozialismus bzw. militärische Strukturen im Allgemeinen teilen in ihrer Strenge und Disziplin viele künstlich versteifte, mechanische und automatisierte Momente. Darunter kann unter anderem die mechanische Begrüßung durch die Armbewegung während des Hitlergrußes gefasst werden, aber auch die Aufstellung im Militär und bei Zeremonien sowie die starren Hierarchien innerhalb der Armee und der zentralen Reichsordnungen bzw. -strukturen.

Das ganze Führerprinzip steht in seiner künstlichen Konstruktion der lebendigen (Un-)Ordnung entgegen. Daher bietet dieses System viele Anknüpfungspunkte für das Komische, womit, um mit Bergson zu sprechen, „eine individuelle und kollektive Unvollkommenheit ausgedrückt [wird], die unmittelbare Korrektur verlangt.“ (50) Gleichzeitig wird die faschistische Gesellschaft eben dadurch zur Ausgangslage für Nachahmungen, da etwas erst nachahmbar wird, wenn es nicht mehr es selbst ist (vgl. 23).

„Wer Komik empfindet, richtet seine Aufmerksamkeit nur aufs Komische und blendet `Zweck´ wie `Materie´ aus.“18 Vorerst schließen wir die theoretischen Betrachtungen und widmen uns dieser Interpretationsleistung in Heinrich Manns Roman, dabei müssen wir, wenn wir das Komische in Lidice untersuchen wollen, zum einen zwischen dem Körper und dem Geist als Ursache für die Komik differenzieren und gleichzeitig aufmerksam zwischen Heydrich und Pavel als Auslöser des Lachens, als zu Verlachende trennen.

  1. Lidice

Heinrich Mann, der 1936 selbst die tschechische Staatsbürgerschaft erhalten hat (vgl. ZA 346f.), schrieb seinen Roman in Reaktion auf den Terror gegen die tschechische Bevölkerung.19 Es ist sein einziger Roman, bei dem ein solcher tagespolitischer Bezug offensichtlich ist und gleichsam hat er viele Rezipienten in ihren Erwartungshaltungen enttäuscht und blieb daher lange Zeit in der Rezeption Heinrich Manns unbeachtet bzw. verschwiegen.20 Dies resultierte letztlich aus den Schwierigkeiten im Exilverlag El Libro Libre21, der fehlenden Anerkennung des Publikums und die demütige Zurückhaltung Manns aufgrund der kritischen Aufnahme des tschechischen Volkes.

Das Massaker war für Mann eine Übertreibung der Besessenheit der Deutschen bis zum Unglaubhaften, welche die „unselige[…] Verderbtheit dieser Deutschen“ (ZA 437) offenlegte. Aus seinen Erlebnissen heraus meint Heinrich Mann, dass das tschechische Volk, die tschechische Unschuld mit der ihr eigenen Art auf diese ungerechte Gewalt reagiere, „mit Witz, Klugheit, geistiger Frömmigkeit“ (ZA 437).

Ebenso pauschalisiert Mann zu Beginn des Szenenromans. In dem Epilog, der den einhundertundeins durchnummerierten Szenen vorangestellt ist, skizziert er eine „kleine Welt, wie sie dastand, bevor sie unterging, ein böhmisches Dorf, […]. Es enthält die menschlichen Leidenschaften, dazu den einheimischen Witz.“(L 6) Die markante Betonung des einheimischen Witzes, ist gleichsam generalisierend wie gruppen- und identitätsbildend.

Berücksichtigt man Bergsons Bemerkung, dass „[e]in witziges Volk […] unbedingt ein geborenes Theatervolk“ (59) sei, so verwundert es nicht, dass sich der weitere Verlauf vor allem im dem Theater-Milieu ereignet und mit Pavel Ondracek und Milo Schatzova zwei wichtige Figuren als Schauspieler charakterisiert werden. Die geopolitische Lage Lidices, direkt im ersten Satz thematisiert25, führt die Okkupanten auf dem Weg zur Hauptstadt Prag zwangsläufig in eine unmittelbare Begegnung mit dem tschechischen Volk und deren Witz.

In Erwartung des neuen Protektors, mit dem „nicht zu spaßen sein“ (LI 9) soll, schlägt Pavel, der Sohn Jaroslav Ondraceks, eine Inszenierung vor: „Holen wir die Frauen! Machen wir bunte Volksmenge, festlichen Empfang! Eine Fahne!“ (9) Die Hauptfigur Pavel wird durch eine Bemerkung seiner Geliebten Lyda als neugierig charakterisiert, “du läßt dich zu dummen Streichen hinreißen, früher als die anderen.“ (LI 8f.) Dass Pavel für die Rolle des Komikers oder Imitators prädestiniert ist, erschließt sich auch aus der Reaktion eines Bergarbeiters auf Pavels Vorschlag.

„Ein Spaßvogel, der junge Doktor Pavel.“ (9) Dieser war vor der Besetzung Medizinstudent und stand bei der Schließung der Universität durch die Deutschen vor seinem Abschluss (vgl. S. 30). Er verlor zum einen offiziell den Status des Studenten und darüber hinaus, da er sich nicht an den blutigen Studentendemonstrationen beteiligte, die soziale Identität, vielmehr das Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Gruppe, wodurch er letztlich die Rolle des Schauspielers, des Imitators einnehmen kann.

Heinrich Mann schreibt später, dass er, „wie ich bin, was ich weiß, nichts anderes daraus machen [konnte] als den traurigen Hohn auf lebende Leichname“ (ZA 537), wobei es „allerdings vom Hohn das Äußerste [ist], was ich konnte.“ (ZA 537) Lidice ist nach dieser Äußerung zufolge, wie Ute Welscher richtig feststellt, als ein Roman zu lesen, „der Anfang der vierziger Jahre die Möglichkeiten einer satirisch-ästhetisierten Verarbeitung des Nationalsozialismus erprobte.“27 Welscher analysiert in ihrer gelungenen Arbeit die Topoi des Sprechens, Spielens und Erinnerns als signifikante Merkmale des Mannschen Spätwerks, wobei diese die Parallelität der Wirklichkeitkonstruktionen deutlich machen.

Sie sieht eine Entwicklung, die sie durch eine „Abkehr von der ästhetizistischen Kunst-Leben-Polarisierung der frühen Werke und von den politisierend-realistischen Erzählverfahren, welche die mittlere Schaffensperiode Heinrich Manns charakterisieren“28, beschreibt. Die Poetologie des Spätwerks zielt nach Welschers dekonstruktivistischer Sicht auf die Demonstration der Unzulänglichkeit der Interpretation und eröffnet mehrere Bedeutungshorizonte, die letztlich auf einen scheiternden Leser hinauslaufen.29 Die Unverständlichkeit der grausamen Realität spiegelt sich in der unverständlichen Verfremdung der Kunst wider und zeichnet sich durch eine Selbstreferenzialität des Dargestellten aus.

Hier ist der Absprung in die Fabel das Abstruse, dann folgt die im Grunde vernünftige Szenenreihe, abenteuerlich machen sie die Umstände.“32 Doch was genau ist der komische Gegenstand dieser Szenenfolge?

    1. Missverstandene Komik - Verlachen

Bei der Suche nach dem komischen Gegenstand ergibt sich, dass bei der Lektüre von Lidice auf mehreren Ebenen der Diegese gelacht werden kann. Zum einen bietet der Text, verstanden als Dialogtext, der eine filmische oder dramatische Lesart präferiert, paratextuelle Hinweise wie die klingenden Namen der Deutschen. Das Personal des deutschen Herrenvolks, die glauben, was sie glauben sollen (vgl. LI 142), erhält seine satirischen Namen aus eher komischen Bereichen: Oberst Schalk, Geheimrat Rumfutsch, Blumentopf sowie Hauptmann Krach werden durch den weniger witzigen Sturmbannführer Jelinek und den Führer, womit Hitler gemeint ist, ergänzt.

Elke Emrich zeigt die durchaus vorhandenen gesellschaftspolitischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen auf, indem sie Oberst Schalk als Repräsentant des Militärs, Geheimrat Rumfutsch als Beamten und den Geheimkommissar Blumentopf als idiologietreuen Parteigänger und Gestapo-Mann identifiziert.33

Der Mann ist dick und fett und schlägt um sich, wenn man ihn aufheben will.“ (LI 13) Eine weitere verspottende Schilderung des deutschen Militärs entsteht aus der Flucht des Hundes, da er von den „rachsüchtigen Feinden“ (LI 12) in das Tal hinab verfolgt wird, „die Zwecklosigkeit leuchtet ihnen übrigens ein“ (LI 12). Dem Soldatenstand, genauer Oberst Schalk, so stellt der selten auftretende extradiegetische Erzähler35 fest, fehlt die „innere Überzeugung“ (LI 16), der Gestapokommissar kann sogar „nicht völlig ernst genommen“ (LI 17) werden.

Die Suche nach dem Besitzer des Hundes und Heydrichs Debüt in Lidice manifestieren sich als Posse. Die Vorstellung, dass zweihundert Soldaten einen Hund suchen (vgl. LI 12), verhöhnt die Erzählinstanz mit der Bemerkung „da kann es am Endsieg nicht fehlen“ (LI 12). Der Text ist sehr präzise komponiert. Als Heydrich das Volk betrachten will, schaltet sich der Kommissar der Geheimen Staatspolizei sprichwörtlich „ein“ und schlägt sinnentleert Leibesvisitationen der gesamten Dorfbevölkerung vor (vgl. LI 14).


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