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Seminararbeit / Hausarbeit

Kunst- und Künst­ler­ver­ständnis in `Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse` von Franz Kafka

4.912 Wörter / ~20 Seiten sternsternsternsternstern_0.5 Autorin Nina E. im Okt. 2011
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Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Universität Leipzig

Note, Lehrer, Jahr

2009

Autor / Copyright
Nina E. ©
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Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.5
ID# 9456







Kunst- und Künstlerverständnis in Kafkas „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“


M.A. Germanistik / Kulturwissenschaften

9. Fachsemester


Inhaltsverzeichnis

1.   Einleitendes3

2.   Selbstverständnis und Doppelleben. 4

2.1.    Zwischen Zionismus und Antisemitismus5

2.2.    Schreiben – unersetzliches Versagen. 8

3.   Einzelner vs. Gemeinschaft11

3.1.    Josefine. 11

3.2.    Das Volk der Mäuse. 12

4.   Musik und Weiblichkeit15

5.   Fazit17

6.   Literaturverzeichnis18


1.     Einleitendes

Kafkas Erzählung „Josefine die Sängerin oder das Volk der Mäuse“ beschäftigt sich in reflektierter Weise mit dem Verhältnis von Künstler, seiner Kunst und seinem Publikum. Der Autor stellt in diesem letzten Text die zentralen Fragen, seine Kunstauffassung betreffend: Was ist Kunst? Was kann sie leisten? Kann sie verstanden werden? Welchen Platz hat der Künstler in der Gesellschaft? Kann er ernst genommen werden?

Kafka nimmt seine Künstlerfiguren selten ernst – sie werden als Tiere oder tierähnlich dargestellt (wie beispielsweise der Hungerkünstler oder natürlich Josefine), sind jedenfalls kein Teil der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Kunst als solches erscheint nicht als wertvoller Beitrag zur Gemeinschaft, höchstens kann das Ereignis des musikalischen Vortrags für eine Volksversammlung genutzt werden, bei dem kaum jemand noch wirklich zuhört.

Der Künstler ist lächerlich, er bildet sich einen Kunstanspruch ein, den er nicht erfüllen kann, der zumindest nicht verstanden werden kann, er bleibt für sich und findet keinen echten Anschluss. Josefine wirkt überzeichnet, geradezu hysterisch, sie wird zwar geduldet und genießt auch einen gewissen Status, der aber ungewiss ist, und letztendlich führen ihre kapriziösen Forderungen dazu, dass sie untergeht und vergessen wird.

Was sagt diese Gestaltung also über Kafkas Selbstverständnis als Künstler, wie ist seine Wahl einer weiblichen, tierischen, singenden Protagonistin zu bewerten und wie sind die Andeutungen auf das Judentum zu verstehen?

2.     Selbstverständnis und Doppelleben

Kafka selbst ist sich immer sicher, die Schriftstellerei nicht als Brotberuf betreiben zu wollen, es hätte seinem „Selbstverständnis des Schreibens widersprochen“[1] davon leben zu müssen, es also ganz offiziell zu seinem Lebensinhalt zu erklären. Dennoch ist ihm der Gedanke, seinen Posten in der Versicherungsanstalt irgendwann einmal gänzlich aufzugeben, nicht völlig fremd[2].

Er hat oft das Gefühl, die Arbeit im Büro würde ihm Zeit und Muße rauben, die er zum Schreiben und Reflektieren nötig gehabt hätte[3]. Seine Anstellung ist somit einerseits hinderlich, Kafka fühlt sich eingeengt und abgelenkt von seiner eigentlichen, eigenen Arbeit, als die er das Schreiben teilweise auch bezeichnet,[4] und dennoch benötigt er eben diesen gesellschaftlich anerkannten Beruf, um seine Existenz vor sich und seiner Umwelt zumindest scheinbar zu rechtfertigen.

Obwohl er also, anders als die stolze Josefine, niemals ernstlich darum bemüht ist, sein Leben durch die Schriftstellerei zu finanzieren, ist es ironischerweise, gerade in seiner finanziellen Notlage zum Lebensende, Josefine, die „ein bisschen helfen muss“, indem ihre Geschichte verkauft wird.[5]

Dieses „Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt“[6] wirkt demnach auf Kafka genauso identitätsstiftend wie -zerstörend und es ist nicht verwunderlich, dass sich dieses dialektische Verhältnis auch in seiner Kunst wiederfinden lässt – so erscheint die Hauptfigur Josefine als ambivalent, einerseits wird sie bewundert, andererseits verständnislos belächelt.

Der  Erzähler der Geschichte, ebenfalls vermutlich einer aus dem Volk der Mäuse, ist bemüht, ihre Komplexität einzufangen und kann sie doch nicht fassen, nur ihre „niemals ganz geklärte Stellung“[7] feststellen, Josefine muss unverstanden bleiben. Untypisch für Kafka, dass ein Ich-Erzähler auftritt, und doch bezeichnend für die Reflektiertheit seine Spätwerks und dessen „unaufdringliche, zurückhaltende“[8] Art, die im Gegensatz zu stehen scheint zu der „dramatischen Intensität“[9] .....[Volltext lesen]

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Er gibt diesen Klischees innerhalb des Textes sehr viel Raum, greift sie immer wieder auf und betrachtet sie fast liebevoll von allen Seiten. Immer wieder werden Fragen gestellt, die die Natur des Volkes und seine Beziehung zu Josefine klären sollen, und immer wieder werden sie verworfen und neue Fragen kommen auf, der Erzähler wird nicht müde, sich damit auseinanderzusetzen und ergeht sich in den bereits thematisierten Reflexionen.

Hierin kann man vielleicht den Autor erkennen, der seine eigene Unsicherheit immer wieder durch Diskussionen[16], und im Text durch geschickte Frage- und Antwortspiele auszumerzen versucht. Er fühlt sich einerseits dem Judentum zugehörig, andererseits möchte er ihm entkommen[17], es zeigt sich wie so oft die für ihn typische ambivalente Haltung. Kafka ist demnach nie ein „programmatischer oder gar parteipolitischer Zionist“[18], erwägt allerdings gerade im Zuge seiner fortschreitenden Krankheit, nach Palästina auszuwandern[19].

Auch mit der Assimilation der vorherigen Generation und natürlich auch seiner eigenen beschäftigt er sich, wirft einerseits dem Vater seine „Traditionsvergessenheit“[20] vor, andererseits muss er die eigene Anpassung akzeptieren – und mit ihr das Schreiben in seiner Muttersprache Deutsch. Kafka bewegt sich zwischen den Polen dieser „kulturellen Orientierungssysteme“[21], entwickelt neben den „gesicherten Positionen von Assimilation und Zionismus“[22], also im weitesten Sinne zwischen der deutschen und der jüdischen Kultur, einen anderen, dritten Standpunkt, der allerdings von Unsicherheit geprägt ist.

Er beinhaltet die Notwendigkeit der Überwindung der Assimilation, genauso wie die Unmöglichkeit dessen[23], kann also zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Kafka selbst bezeichnet die deutsch-jüdische Literatur als „eine von allen Seiten unmögliche Literatur, eine Zigeunerliteratur“[24]. Demnach ist Kafka eben auch nicht vor dem oft zitierten „jüdischen Selbsthass“ gefeit, den auch schon Weininger, wohlgemerkt selbst aus jüdischer Familie und zum Protestantismus konvertiert, als typisch jüdisch verstanden haben will[25].

Auch Kafka äußert sich in ähnlicher Weise[26] und in mehreren Briefen, unter anderem an Max Brod und Milena Jesenská, kommt ein unverhohlener Antisemitismus zum Ausdruck, geprägt von Selbstgeißelung und Masochismus, in Aussprüchen wie „Um uns wächst der Antisemitismus, aber das ist gut“[27].

Für Kafka ist natürlich besonders die Sprache wichtiger Ausdruck der eigenen Identität und genau an diesem Punkt setzt unter anderem auch Wagner wieder an, wenn er schreibt, das typisch jüdische Sprechen wäre ein „zischender, schrillender, summsender und murksender Lautausdruck“[28] – ein fast tierischer also.

Die Verwendung der Tiermetapher in einem jüdischen Kontext ist für Kafka keine neue Methode der Verschlüsselung, aber gerade Mäuse, Ratten und anderes Ungeziefer wurden als „unterirdische Krankheitsüberträger“[29] im antisemitischen Diskurs oft mit Juden assoziiert. In den Lautäußerungen der Mäuse kann darüber hinaus der Bezug zum Jiddisch-Deutschen gesehen werden, das als „Mauscheln“ bezeichnet wurde.

Ursprünglich „wie Moses sprechen“[30] erinnert dieses Wort aber wohl nicht zufällig an das Volk der Mäuse und ihre Sprache, ein „Mäusedeutsch“.[31] Nimmt man eine solche Deutung für die Josefine-Erzählung an, könnte hier eher ein Bezug zur jüdisch-deutschen Bevölkerung als zum Judentum im Allgemeinen gesehen werden.[32] Kafka ist sich der besonderen Bedeutung dieser Sprachform sehr wohl bewusst und auch hier zeigt sich einmal mehr sein gespaltenes Verhältnis zum Deutsch-Jüdischen: so bezeichnet er das „Mauscheln“ in einem Brief an Brod als „die laute oder stillschweigende oder auch selbstquälerische Anmaßung eines fremden Besitzes, dem man nicht erworben, sondern durch einen (verhältnismäßig) flüchtigen Griff gestohlen hat“[33], vielleicht kann das „Mäusedeutsch“ der Geschichte also auch symbolisch für sein eigenes jüdisch-deutsches Sprechen stehen und das Gefühl, nirgends wirklich dazuzugehören.


2.2.  Schreiben – unersetzliches Versagen

Kafkas ambivalentes Verhältnis zur eigenen westjüdischen Identität lässt sich auch auf seine Schriftstellerexistenz übertragen – beide Problemfelder sind gekennzeichnet durch große Selbstreflexion und dennoch vor allem durch Verunsicherung. Vielleicht kann das instabile Verhältnis zu seiner Kunst aus den eben erläuterten Zweifeln an seiner Zugehörigkeit zu einer „deutschen“ Kul.....

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Der Künstler ist letztendlich die vollendete Version eines „paradigmatischen Einzelnen“[44], andere Figuren, wie Josefines Namensverwandter Josef K. aus dem „Prozess“ vielleicht eine Vorstufe. Es steckt wohl in allen Figuren Kafkas der unverstandene, jüdische Schriftsteller, anfangs zum Teil noch verborgener als zum Schluss.

Kafkas Hauptfiguren sind die Individuen im Gegensatz zur Macht der Gemeinschaft, die sich behaupten müssen, undurchdringlichen Strukturen gegenüber stehen. Sie versuchen, diese zu überwinden, zu durchschauen und scheitern daran.   Seine Texte behandeln dementsprechend oft den Gesetzesbegriff in seiner ganzen Unverständlichkeit und „anonymisierten Gewalt“[45], die Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber den äußeren Strukturen.

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass es Kafka in seinem Kampf um die eigene Daseinsberechtigung ganz ähnlich ging, nicht umsonst kann gerade in seiner frühen Erzählung „Das Urteil“ der übermächtige, unterdrückende Vater als Vertreter dieser Gewalt angesehen werden.[46]

Wenn das Gesetz-Thema aber vor allem als Variation von Legitimierungsbemühungen einer Einzelnen verstanden werden kann, so ist das in den späteren Erzählungen auftauchende Problem der Kunst vielleicht „nur“ eine Erweiterung, Weiterführung des ersten[47]. Auch in diesem Bereich geht es um die zweifelhafte Möglichkeit einer „rechtmäßigen“ Existenz inmitten von Unsicherheit, hier ist sie – für den Künstler – vielleicht sogar zu erreichen, aber es bleibt unklar, wie.

Denn was Kunst wirklich ist, was sie auszeichnet und ob sie verstanden werden kann, ist rätselhaft. Sie verfügt, wie das Prinzip des Gesetzes,  über ein großes Machtpotential, das sich entfaltet, wenn man vor Josefine steht und sie sieht, während sie singt (Josefine, S.125). Das Gesetz und seine Funktionsweise sind schleierhaft, beängstigend und so verhält es sich auch mit der Kunst – sie scheint, gerade in der Josefine-Erzählung, nicht weniger  unerklärbar, zumindest dem Ich-Erzähler.


3.     Einzelner vs. Gemeinschaft

3.1.  Josefine

Für Josefine bietet die Kunst die Möglichkeit der Daseinsberechtigung, sie ist durch und durch Künstlerin und stellt das nicht in Frage, auch der Erzähler konstatiert im ersten Satz: „Unsere Sängerin heißt Josefine“ (Josefine, S.112). Für sie, die Einzelne, kann die Kunst hier als Schutzraum dienen, weil sie sich ihres Gesanges sicher ist.

Sie kann die anderen sehen lassen, wie sich das „Nicht-Verstehen“ anfühlt, Kunst ist hier ist neben Weiterentwicklung auch Gegenentwurf zum Gesetz der Gesellschaft, Möglichkeit zur Sicherung der eig.....

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Sie muss sich dem Willen des Mäusevolkes beugen steht damit nicht „außerhalb des Gesetzes“ (S. 134), aber dennoch außerhalb der Gesellschaft. Weder  kann sie integriert werden, weil ihre Lebensweise und Attitüde dies nicht zulassen würden, noch wirklich den Sonderstatus genießen, den sie eigentlich beansprucht, und so muss sie zu Grunde gehen, oder zumindest doch verschwinden, weil sie weder ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen kann (ein „wahres“ Verständnis ihrer Kunst), noch die der Gesellschaft.

Die Vorstellung von Josefine und ihrem Gesang müssen Kafka sowohl anziehend als auch beängstigend erschienen sein. Dies verarbeitet er in einer Figur, die so von sich selbst überzeugt ist, dass sie den Blick für die Realität verliert und sich lächerlich macht. Ein Absolutheitsanspruch, wie Josefine ihn verkörpert, ist für Kafka nicht denkbar und er führt in der Erzählung aus, wozu ihr Hochmut führt.

Trotzdem gesteht er ihr schließlich ein rettendes Vergessen zu, das vielleicht auf sein eigenes Lebensende und den Wunsch nach Erlösung hindeutet.


3.2.  Das Volk der Mäuse

Erstmals entwickelt Kafka eine Erzählung auch aus der Perspektive einer ganzen Gemeinschaft – mit dem Erzähler als ihrem Sprachrohr. Nicht umsonst fügt er dem ursprünglichen Titel „Josefine, die Sängerin“ noch den bekannten Zusatz hinzu, mit der Notiz „Solche Oder-Titel sind zwar nicht sehr hübsch, aber hier hat es vielleicht einen besonderen Sinn. Es hat etwas von einer Waage.“[48]

Genau diesen besonderen Sinn kann man auch der Geschichte entnehmen – alle wichtigen Fragen werden mindestens von zwei Seiten betrachtet. Josefines Verständnis ihrer Kunst wird beleuchtet, belächelt, aber der Erzähler versucht besonders, deren Bedeutung aus Sicht des Volkes zu schildern, vermag es aber nur näherungsweise und steht schließlich immer wieder vor den selben Fragen nach der Existenz und Wirkung ihres Gesanges.

Ihr Verdienst scheint gerade darin zu bestehen, eben in der „Sprache des Volkes“, „entfesselt von den Zwängen des alltäglichen Lebens“ (Josefine, S. 134) zu den Mäusen zu sprechen. Ihr dünnes Pfeifen (im Gegensatz zu einem möglichen klaren Gesang) verwendet das Publikum als Allegorie für seine „armselige Existenz […] mitten im Tumult der feindlichen Welt“ (S. 130) – die Kunst wird um ihre soziale Funktion erweitert.

Nicht nur Selbstverwirklichung für Josefine soll oder kann sie sein, sondern auch Möglichkeit für ihr Publikum, sich zu versammeln, zu entspannen[49] und Wohlgefallen (S. 130) herbeizuführen. Sie erst kann das das Gefühl der Gemeinschaft konstituieren, so dass  das Volk sich auf sich selbst besinnen kann[50] und Ruhe findet, die eigene Kindlichkeit und Sorglosigkeit (wieder)entdeckt (S. 133), während es sonst fortwährend beschäft.....

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Ob sie also wirklich gut oder schlecht singt oder pfeift ist gar nicht entscheidend, sondern, dass sie es mit Überzeugung tut und ihr Publikum zum Zuhören auffordert.

Allerdings: wenn der Sachverhalt, dass Josefine etwas produziert, das als Gesang oder Pfeifen bezeichnet werden kann und außerdem, dass sie dafür eine Zuhörerschaft findet, eigentlich schon ausreicht, um ihre Existenz zu rechtfertigen, bleibt natürlich offen, weshalb der Erzähler beständig bemüht ist, die Substanz ihrer Kunst aufzudecken.

Hier widmet sich Kafka noch einer dritten Perspektive, er bezieht auch die Kunstkritik in seine Reflexionen mit ein. Die erzählende, „gelehrt-grämliche“[55] Maus fungiert als Kritiker[56] und kann trotzdem außer einer „vagen Ahnung, was Gesang ist“ und dem Berufen auf Meinungen aus „einem vertrauten Kreis“, die Josefines Gesang als nicht außerordentlich beschreiben (S. 123), kaum etwas vorweisen, dass ihn zum Bewerten von Kunst oder Nicht-Kunst berechtigen würde.

Er kann sich ihre Wirkung nicht, oder nur schwer erklären und stellt so ihren Gesang in Frage – „das eigene Unverständnis wird dabei zum faktischen Maßstab der Kunst erhoben.“ [57]  Aus dieser Sichtweise kann die Erzählung sogar als Karikatur inkompetenter Kunstkritik  gesehen werden und mit dieser Lesart eröffnen sich natürliche neue Perspektiven auf Josefines Schaffen.

Wenn jemand kritisiert, der selbst unzureichend informiert und  daher nicht ernst zu nehmen ist, können dann seine Äußerungen anders als ironisch rezipiert werden?[58]  Dementsprechend könnte Josefine tatsächlich die große, unverstandene Künstlerin sein, für die sie sich selbst hält.

Auch hier kommt einmal mehr das Problem der Subjektivität, sowie der Legitimation der Ansprüche des Einzelnen auf – wer entscheidet, was Kunst ist? Künstler? Publikum? Kritik?

4.     Musik und Weiblichkeit

Offen blieb bisher die Frage, weshalb Kafka sich neben den offensichtlichen verbindenden Elementen zu seiner Hauptfigur (Judentum, Kunst) ausgerechnet eine weibliche, singende Protagonistin für sein letztes Werk wählt, immerhin bezeichnet er sich selbst wiederholt als unmusikalisch,[59] er sei durch seine völlige Konzentration aufs Schreiben nicht mehr in der Lage, anderen Genüssen wie denen des „Geschlechtes, Essens, Trinkens,“ und „der Musik zuallererst“[60] zu frönen.

Dennoch spielt gerade das Thema der der Musik bei Kafka immer wieder eine Rolle, hier in Josefines Gesang und in ihrer Negation in der Unmusikalität der Mäuse. Auch in früheren Werken hat Kafka sich damit befasst und es ist auffällig, dass in diesem Zusammenhang oft von Tieren die Rede ist. So beispielsweise ist Gregor Samsa nach seiner Verwandlung in einen Käfer ganz überwältigt vom Violinenspiel seiner Schwester und fragt sich: „War er ein Tier, dass ihn Musik so ergriff?“[61] Offensichtlich verbindet Kafka also diese beiden Elemente miteinander, und hinzu kommt, gerade in der „Verwandlung“, auch die sexuelle Konnotation mit der die Schwester, und damit i.....

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Josefine behält bis zum Schluss ihren kindlichen Egoismus bei, wird fast infantilisiert in ihren übertriebenen Ansprüchen und Wutausbrüchen („sie beißt sogar“, S. 127). Doch auch ihre Körperlichkeit, und damit ihr weibliches Wesen, stehen damit in Zusammenhang. Wiederholt wird ihre „auffallend zarte Gestalt“ (Josefine, S. 124) erwähnt und nicht zuletzt ist dieser Aspekt auch für die Rezeption ihrer Kunst von entscheidender Bedeutung.

Bevor sie ihren Gesang beginnt, begibt sie sich in die geeignete Stellung „mit zurückgelegtem Köpfchen, halboffenem Mund, der Höhe zugewandten Augen“ (S. 126). Denn wenn auch ihr Singen nicht uneingeschränkt überzeugt, „wenn man vor ihr sitzt, versteht man sie“ (S. 125) und so wird im Laufe der Erzählung ihr Vortrag immer mehr zu einem Schauspiel, ihre Körperlichkeit ist entscheidender Teil davon.  Die Koketterie, mit der sie versucht, ihre Forderungen durchzusetzen und die anscheinend vorgetäuschten Ohnmachtsanfälle, sowie ihre ständigen Stimmungsschwankungen erinnern an frauenfeindliche Klischees der Jahrhundertwende (Stichwort: Hysterie).

Die Musik scheint für Kafka eine vor allem weibliche Domäne zu sein, auch mit der Verführungskraft der  Sirenen der griechischen Mythologie beschäftigt er sich –  lässt sie allerdings die größte Wirkung durch ihr Schweigen entfesseln, so wie teilweise auch von Josefine behauptet wird, „entzückend“ wäre vor allem „die feierliche Stille, von der das schwache Stimmchen umgeben ist“ (S.125).

5.     Fazit

Die singende Maus symbolisiert in ihrer stolzen Kindlichkeit eine Facette von Kafkas Wesen und Streben, die er auch in sich selbst wiederfindet und gleichzeitig verachtet.  So komplex wie diese letzte Geschichte ist auch Kafkas Verständnis seiner Kunst – es funktioniert auf unterschiedlichen Ebenen. Wie ersichtlich geworden ist, steht er von Anfang an zwischen verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Welten, deren Ansprüchen er genügen will oder muss.

Und so gespalten wie sein Verhältnis zu Josefine und ihrem Publikum ist auch das zu seiner eigenen Kunst. Er verschlüsselt die eigenen Ängste und Reflexionen gleichzeitig in dem Verhalten der Sängerin, des Volkes und nicht zuletzt natürlich auch in dem des Erzählers, thematisiert einerseits die Selbstverwirklichung des Einzelnen und kritisiert gleichzeitig den damit einhergehenden Egoismus.

Er kann sich weder auf die Seite des Einzelnen, noch die der Gemeinschaft retten, versucht, zwischen den Ansprüchen zu vermitteln. Beide Positionen erscheinen nachvollziehbar und verständlich – Was ist ein Künstler, der nicht an seine Kunst glaubt? Was ist Kunst ohne Publikum? – und so will er beiden genügen.

Die letzten Zeilen sind einerseits durch Befreiung, andererseits von Trauer gekennzeichnet, und es wirkt so, als würde sich Kafka mit diesem Text von der Kunst und ihrer Unmöglichkeit verabschieden. Die Kunst scheint in ihrer Rätselhaftigkeit den entgegengesetzten Ansprüchen des Einzelnen und der Gemeinschaft nicht standhalten zu können, sie wird zwischen ihnen zerrieben und .....

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Quellen & Links

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