Universität Osnabrück
Seminar:
Sozialgeographische
Migrationsforschung und Regionalentwicklung
Referentin: Irina Grünheid
Referat zum Thema:
Kultur und
unternehmerisches Handeln
Inhalt:
1. Einleitung. 1
2. Kultur
und unternehmerisches Handeln – Ein theoretischer Einstieg. 2
2.1 Warum
sind Unternehmer mit Migrationshintergrund interessant? – Theoretische
Erklärungsansätze unternehmerischer Selbständigkeit der MigrantInnen. 2
2.1.1
„Opportunitäten“-Modelle. 3
2.1.2
„Ressourcen“-Modelle. 4
2.2 Das
Verständnis von Kultur in der Erforschung der ethnischen Ökonomie. 4
3 Der neue
Kulturbegriff – Vorschlag einer Betrachtungsweise. 6
3.1 Hybride
Kulturen. 6
3.2 Kultur
als diakritische Praxis 8
3.3
Transkulturalität als Praxis 8
4.
Zusammenfassung. 9
5.
Literaturverzeichnis. 11
1. Einleitung
In Deutschland leben zurzeit über 7 Mio. Menschen als Ausländer
und deutlich mehr mit einem Migrationshintergrund. Eine genaue Bestimmung des unternehmerischen Engagements von
MigrantInnen in Deutschland stößt auf erhebliche statistische Mängel. Zum einen
wird die Nationalität als statistisches Merkmal nicht in jeder Branche aufgenommen,
so z.B. bei Kapital- und Personengesellschaften. Zum anderen tauchen in den Statistiken
wenn, dann nur Ausländer auf. Dabei wird in den großer Teil der aus dem Ausland
kommenden MitbürgerInnen statistisch nicht als AusländerIn erfasst – entweder
weil die betreffenden Personen schon mit deutscher Staatsangehörigkeit nach
Deutschland einreisten (so die Gruppe der Aussiedler) oder weil sie
mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. Trotz der
Unzulänglichkeit der statistischen Daten wird im Folgenden versucht, einen
knappen Überblick über die (ungefähre) Situation der MigrantInnen in der
deutschen Unternehmerlandschaft in Zahlen zu geben.
Im Mai 2003 waren in Deutschland, nach Angaben des statistischen Bundesamtes, 3,7 Mio. der Erwerbstätigen MitbürgerInnen in
einem eigenen Unternehmen als Selbstständige beschäftigt. Rund 300.000 von
ihnen waren AusländerInnen. Sie beschäftigen etwa eine Million Menschen in
nahezu allen Branchen, darunter besonders stark im Lebensmittelhandel,
Speditionsgewerbe, Gastronomie sowie Touristik. 38,4% der von AusländerInnen
betriebenen Unternehmen sind ausbildungsberechtigt. (Deutsche: West rund 60,5
%; Ost rund 54,8 %). Der Anteil der selbstständigen AusländerInnen ist vor
allem im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich angestiegen. 1970 waren noch
weniger als 2% der erwerbstätigen AusländerInnen selbstständig 1998 waren es
schon 8,8%. Heute liegt der Anteil der ausländischen Selbstständigen bei etwa
9%, dieser liegt jedoch immer noch unter dem von Deutschen (10,1%). Unter den
selbstständigen AusländerInnen machten im Jahr 2002 die Italiener die größte
Gruppe aus gefolgt von MitbürgerInnen aus der Türkei und Griechenland. Bei
Gewerbetreibenden
führten 2003 jedoch deutlich die türkischen MitbürgerInnen. Für die Zukunft
rechnen die Experten mit einem bleibenden Anstieg der Selbstständigenquote bei
den MigrantInnen für Deutschland. Die Prognosen zeigen eine verstärkte
Gründungsneigung der Frauen sowie sich noch entwickelnde Gründungsaktivität der
noch nicht sehr lange in Deutschland lebenden Asylberechtigten und MigrantInnen
aus Osteuropa.
2. Kultur und unternehmerisches Handeln – Ein
theoretischer Einstieg
Zur Unternehmeraktivität von MigrantInnen gibt es inzwischen
zahlreiche empirische Aufnahmen, Untersuchungen und auch einige Theorien die
das „Phänomen“ des Immigrant Business zu beschreiben und zu erklären
versuchen. Auffällig ist bei all dem wissenschaftlichen Interesse, dass die
Betonung nicht auf dem Business sondern auf dem Immigrant, dem „Ethnic“
(Business) liegt. Geforscht und diskutiert wird unter den Fragestellungen: Ob
MigrantInnen auf Grund ihres kulturellen Hintergrunds anders als die einheimischen
Unternehmen gründen und führen – sowie: Welche Rolle die Kultur bei dem unternehmerischen
Handeln der MigrantInnen spielt. Im Folgenden wird ein kurzer Einblick in die
aktuelle Diskussion in Hinblick vor allem auf die zweite Fragestellung gewährt
2.1 Warum sind Unternehmer mit
Migrationshintergrund interessant? – Theoretische Erklärungsansätze
unternehmerischer Selbständigkeit der MigrantInnen
Migration als soziales Phänomen ist ein ganzer Komplex an für
die Forschung interessanten Themen und Fragestellungen: Migrationsentscheidung,
Migrationsbewegung, Situation der MigrantInnen vor, während und nach der
Migration, sowie ihre Beziehung zu den relevanten Herkunfts- und
Aufnahmeländern. Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Menschen als „homo
migrant“ ist die Tatsache, dass nun jemand die Grenzen eines Staates auf dem
Weg zum anderen überwindet erst einmal keine Besonderheit. Erst die Annahme,
dass dabei irgendwelche Schwierigkeiten entstehen könnten, lenkt den Blick der Forscher
in diese Richtung. Interessant wird Migration erst dann, wenn eine Differenz
zwischen den MigrantInnen und Ansässigen angenommen werden kann. (Wandert heute
jemand von Hannover nach Hamburg aus, wird dessen Spur nur selten verfolgt.)
Als relevant wird die Fremdheit der Aufnahmegesellschaft für die ImmigrantInnen
betont, wobei hier ihre kulturelle Andersartigkeit und die damit vermuteten
Schwierigkeiten bei der Adaption fokussiert werden.
Die ökonomische Selbständigkeit von MigrantInnen wird für die
Forschung aus zwei Blickwinkeln interessant. Zum einen mit der Frage, welche
Rolle die unternehmerische Tätigkeit im Prozess der Integration spielt. Zum
anderen interessiert, was MigrantInnen, die ja Fremde in der Aufnahmegesellschaft
sind, anders machen, als die Einheimischen und was ihren Erfolg ausmacht. In
beiden Fällen scheint die Ethnizität und damit die ethnisch geprägte „andere“
Kultur eine Rolle zu Spielen.
Interesse an kulturellen und ethnischen Aspekte in Bezug auf
unternehmerische Aktivitäten war und ist jedoch nicht nur in Verbindung mit
Migration spannend.
Die ersten Theorien zur Erklärung des unternehmerischen Handelns der
MigrantInnen entstanden jedoch in den späten 1950er Jahren in Folge der
Untersuchungen zur gesellschaftlichen Positionierung ethnischer Minderheiten in
den USA. Man unterscheidet inzwischen die Erklärungsansätze nach zwei
Schwerpunktkategorien. Auf der einen Seite gibt es die kulturellen
Ansätze, die die ethnischspezifischen Eigenschaften, wie z. B. eine besondere
Neigung einer bestimmten Ethnie zur Selbstständigkeit, oder die Aktivierung von
besonderen ethnischen Ressourcen untersuchen. Auf der anderen Seite heben die strukturell
orientieren Erklärungsansätze vor allem die gesellschaftliche und strukturellen
Rahmenbedingungen als Einflussgrößen für die unternehmerischen Aktivitäten der
MigrantInnen hervor.
Waldinger, Aldrich und Ward legen ihrer Untersuchung diese
beiden Kategorien zugrunde und bezeichnen sie als „Opportunitäten“-Modell im
Falle des strukturellen Ansatzes und als „Ressourcen“-Modell im Fall der
kulturellen Ansätze. (Siehe dazu Pütz
2004c: 15 ff)
2.1.1 „Opportunitäten“-Modelle
„Opportunitäten“-Modelle beinhalten Theorien, die in ihren Erklärungsansätzen
auf die Möglichkeiten des Marktzugangs fokussieren. Sie heben zum einen
die Nischenmärkte und die rechtlichen Rahmenbedienungen als relevante
Einflussgrößen für die Unternehmensgründung der MigrantInnen hervor und zum
anderen die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes. Das Nischenkonzept
beschreibt eine Unternehmensstrategie zur Bedarfsdeckung innerhalb der eigenen
ethnischen Gruppe. Durch die Nachfrage nach bestimmten Konsumgütern einer
Ethnie eröffnet sich für deren Mitglieder, auf Grund ihrer kulturellen
Kompetenzen, eine günstige Möglichkeit zur Selbstständigkeit. Durch rechtliche
Rahmenbedienungen wird der Umfang und sektorale Struktur der ethnischen
Ökonomie beschrieben. Hier nehmen die rechtlichen Bestimmungen bezüglich der
formal geforderten Qualifikationen zur Genehmigung der Unternehmensgründung (wie
z.B. Meisterbrief u.ä.) Einfluss auf die Selbstständigkeit der MigrantInnen.
Mit Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes beschreiben entsprechende
Konzepte Benachteiligungen und Diskriminierungen von AusländerInnen auf dem
Arbeitsmarkt, durch welche die Selbstständigkeit der MigrantInnen z.B.
verhindert oder als einzige Möglichkeit erzwungen wird.
2.1.2 „Ressourcen“-Modelle
Die Ressourcenmodelle beziehen sich auf Eigenschaften Menschen
gleicher Herkunft. Es wird versucht, mit spezifischen kulturellen Ressourcen,
die unterschiedlichen Selbstständigkeitsquoten verschiedener Migrantengruppen
zu erklären. Diese Ansätze beziehen sich auf die Annahme, dass die
„Selbstständigkeit ein Ergebnis spezifischer kultureller Prädispositionen einer
Gruppe sei“ (Pütz 2003: 56).
Zur Erklärung von ethnischen Ressourcen werden die Konzepte
von Embeddednes und von Sozialem Kapital herangezogen. Das
Embeddednes-Konzept geht auf Granovetter
zurück dessen zentrale Annahme ist, dass ökonomisches Handeln immer auch
soziales Handeln ist und damit in Systeme sozialer Beziehungen eingebettet.
Das Konzept des sozialen Kapitals wird mit Rückgriff auf Bourdieu entwickelt. Das Zentrum dieses
Konzeptes ist die Auffassung von sozialem Kapital als Ressource. Ökonomisches
Handeln ist in diesem Sinne auch soziales Handeln und somit soziales Kapital produzier
und auch nutzt. Im Denkmodell ethnischer Ressourcen und einer ethnischen Ökonomie
wird die Argumentation allerdings umgedreht: Soziale Ressourcen werden hier zu
ethnischen. Aus dieser Perspektive wird „dem Unternehmer als ethnisch
prädisponiertem Wesen eine spezifische Art […] sozialen Kapital[s]
zugesprochen, die sich aus seiner Abstammung ergibt“. (Pütz 2003b: 78)
2.2 Das Verständnis von Kultur in der Erforschung
der ethnischen Ökonomie
Kulturelle/ethnische Ressourcen, kulturelle Dispositionen und
kulturelle Kompetenzen weisen vor allem in den kulturellen Konzepten zur
Erklärung der sog. ethnischen Ökonomie
auf eine fundamentale Bedeutung der Kultur für das unternehmerische Handeln der
MigrantInnen hin. In der themenspezifischen Literatur werden diese Konzepte,
nicht zuletzt aufgrund der Globalisierungsdebatten und einer zunehmenden
Infragestellung einer homogenen Kultur, kontrovers diskutiert. Im folgenden
wird ein Versuch unternommen zum einen das kulturellen Konzepten innewohnenden
Kulturverständnis herauszuarbeiten und zum anderen die Argumente der Kritiker
der kulturellen Konzepte vorzustellen.
In der kritischen Auseinandersetzung mit den kulturellen
Konzepten unterstellt man deren Vertretern die Verwendung eines holistischen
Kulturbegriffs. (Pütz 2004: 20)
Der weit gefasste holistische Kulturbegriff wird in der Kulturanthropologie und
Soziologie so definiert:
“Kultur (...) im soziologischen Sinne meint (...) das gesamte
soziale Erbe, bestehend aus dem Wissen, den Glaubensvorstellungen, den Sitten
und Gebräuchen und die Fertigkeiten, die ein Mitglied einer Gesellschaft übernimmt.“ ( Reinhold
1991 zit. nach Mintzel 1997: 72).
“Ein weiter soziologischer Begriff von Kultur umfasst a) die
ideelle Kultur, d. h. einen Komplex von Vorstellungen, Werten und Normen, b)
die symbolische Kultur, die sowohl verbale als auch nonverbale Symbolsysteme
beinhaltet und c) die materielle Kultur, zu der Objekte wie Werkzeuge,
Maschinen, Gebäude, Gemälde etc. zu rechnen sind. Es bestehen vielfache
Beziehungen zwischen diesen Kulturbereichen.“ ( ebd.).
Der enger gefasste Kulturbegriff versteht Kultur als ein Symbolsystem einer
Gesellschaft. Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft ist dieses Symbolsystem in Institutionen
kodifiziert, welche die grundlegenden Werte und Normen, Verfahrens- und
Verhaltensregeln des Menschlichen Zusammenlebens beinhalten. Werte und Normen,
Verfahrens- und Verhaltensregeln sind ein Teil des „Wissensvorrates“ aus dem
das Individuum bei der symbolischen Konstruktion der Welt und bei Bewältigung
von Problemen schöpfen kann. Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche
„Wissensvorräte“ und interpretieren unterschiedliche Welten. Ein geteilter
Wissensvorrat ermöglicht den Individuen ihre Kommunikation, Verständigung und
das Zusammenleben. Kultur gibt, nach dieser Interpretation Orientierung,
vermittelt Identität, Gemeinsamkeit, Zusammengehörigkeit, Geborgenheit,
Sicherheit. (nach Hoffman Nowotny:103-116)
Dieses Kulturverständnis wird dahingehend kritisiert, dass es
hier zum einen eine Tendenz der Ethnisierung, d.h. der Fremdzuschreibung
kollektiver Identitäten auf Grundlage der Vorstellung einer
Abstammungsgemeinschaft gebe und zum anderen ein essentialistisches
Kulturverständnis damit verbunden sei. (Pütz
2004: 20) Das essentialistische Kulturverständnis ist, so Pütz, durch drei
Annahmen definiert: Man wird erstens in eine Kultur hineingeboren, die
eigene Lebensform ist somit bestimmt durch eine Abstammungsgemeinschaft. Zweitens:
Die Kultur prägt das Leben einer Gemeinschaft und des Einzelnen so, dass man an
die kulturellen Merkmale gebunden ist und diese auch nicht ablegen kann. Die
Kultur einer Gemeinschaft muss sich schließlich drittens, von der
Kultur einer anderen Gemeinschaft (eines Volkes, einer Ethnie) unterscheiden.
Neue Ansätze verstehen unter Kultur symbolischen
Deutungsschemata über die Menschen verfügen, um sich Gegenstände und Handlungen
als sinnhaft erschließen zu können. Kultur ist in dieser Sichtweise dennoch
kollektiv geteilt, sie wird jedoch als ein nicht abgeschlossenes System
verstanden und ist nicht territorial gebunden. Es gibt in diesem Verständnis
dennoch die Kategorie der national etikettierten Kultur (bspw. als Türke oder
Deutscher). Diese Kategorisierung jedoch wird als ein Konstrukt im Wechselspiel
zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung verstanden.
3. Der neue Kulturbegriff – Vorschlag
einer Betrachtungsweise
Nach der Diskussion des Kulturbegriffs und der Kritik des
holistischen Verständnisses soll im nächsten Abschnitt die Modelle der Kritiker
dargestellt werden. Dazu zählen Kultur als hybride Form, als diakritische
Praxis und die Theorie der Transkulturalität als Praxis. Sie
orientieren sich an den Konzepten des cultural turn und sind von den Ideen
des Postkolonialismus
beeinflusst. Gemeinsam ist ihnen ein bedeutungs- und symbolorientiertes
Verständnis von Kultur. Die „<Welt> existiert für den Menschen nur als
symbolische, auf der Grundlage von kollektiv geteilten Regelsystemen und
Wissensordnungen, die es ermöglichen, sie mit Bedeutung und Sinn zu verstehen.
“ (Pütz 2003a:60) Außerdem haben
sie ein nicht territorialisierte Konzept von Kultur. „Orte und deren
soziale, materielle, maßstäbliche oder flächenextensionale Begrenzung werden
als mögliches, flüchtiges Ergebnis fortwährender kultureller
Aushandlungsprozesse betrachtet.“ (Boeckler,
1999:179)
Im Folgenden werden die angesprochen Konzepte im Einzelnen
vorgestellt.
3.1 Hybride Kulturen
Der Begriff „Hybride Kulturen“ ist ein von den Vertretern des
Postkolonialismus wie Bhabha und Said geprägtes Verständnis von Kultur,
das eine Art Entkoppelung territorialer Bezüge zum einen und
identifikatorischer Elemente zum anderen enthält. Boeckler stellt den Begriff auf der Grundlage seiner
Überlegungen zur theoretischen
Bedeutung der Globalisierung in dem Aufsatz „Entterritorialisierung,
„orientalische“ Unternehmer und die diakritische Praxis der Kultur“ vor. Er
stellt fest, dass der veränderte Blickwinkel auf die Welt, der mit der
Globalisierung einhergeht, mit seinem Begriff der Entterritorialisierung
besser beschrieben werden kann. Globalisierung habe die Unterscheidungen in der
Welt und „die gesicherte sozialräumliche Ordnung der Welt“ in Frage gestellt.
Durch die Veränderte Perspektive können räumliche Sortierungen der Welt
(Zivilisationen, Nationen, Kulturen, Regionen) entschlüsselt werden.
Unhinterfragte feste Unterscheidungen als Konstruktionsergebnisse
machtgeladener Prozesse müssen hinterfragt werden. (Orient-Okzident, West-Ost
u.ä.) Entterritorialisierung verändert die Perspektive auf Orte und Grenzen.
Sie werden als flüchtige Ergebnisse in einem fortschreitenden kulturellen Aushandlungsprozess
betrachtet. Die Vielfalt und Spezifität werden aus dieser Position durch
bestimmte Konstellationen sozialer Beziehungen konstituiert. Entterritorialisierung
als methodologische Haltung soll helfen Fragen nach Prozessen sozialer Ab- und
Ausgrenzung zu beantworten.
Der entterritorialisierte Blick auf die Welt und ihre
räumliche und soziale Ordnung fordere, so Boeckler,
einen Neuentwurf des Kulturkonzepts sowie eine kritische Betrachtung der
Homogenität und Gesinnungsgleichheit. Mit der Perspektive, es gäbe keine
homogene Kulturen erläutert er das Konzept der „hybriden Kulturen“.
In seiner Auffassung von kultureller Hybridität vertritt BOECKLER dezidiert die
Position, dass Hybridität auf keinen Fall die Vermischung kultureller Elemente
meint, sondern vielmehr die Nicht-Identität mit irgendeiner Kultur. Die
Innen/Außen Differenz (sog. kulturelle Differenz) wird in dem Konzept auf die
Vielfalt interner Differenzen verlagert. Interne Differenzen bezeichnen die
Parallelität unterschiedlicher Bedeutungssysteme. Die kulturelle Praxis solcher hybriden
Identitäten erlaubt es „…verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften zur
gleichen Zeit anzugehören. Menschen, die sich weigern ausschließlich das eine
zu sein und sich unterschiedlichen Orten, Geschichten und Identitäten verbunden
fühlen, können die willkürlichen und damit veränderbaren Grenzen zwischen den
Kulturen und Nationen mit ihrer Uneindeutigkeit sukzessiv auflösen.“ (Ha 2000: 394)
Das Konzept der kulturellen Hybridität wird, wie Boeckler selbst einräumt, u.a. auf
Grund der fehlenden empirischen Einbindung eingehend kritisiert. Ein weiterer
Kritikpunkt ist, dass die Theorie scheinbar die permanente Reproduktion von homogenen Kulturen
in der alltäglichen Praxis und Diskursen der Akteure vernachlässigt. Aus diesem
Grund schlägt Böeckler vor, die Theorie eher als eine
kritische Lesart der Realität, für einen sensibilisierten Blick beim
empirischen Zugang zu kulturellen Prozessen, zu nutzen.
3.2 Kultur als diakritische
Praxis
Zur praktischen Beschreibung des Verhältnisses der Kultur und
unternehmerischen Handeln schlägt Boeckler
ein Kulturverständnis vor, das auf eine bloße Metapher – Kultur als diakritische
Praxis – herunter gebrochen wird. Kultur wird als Praxis der permanenten
Unterscheidungen in die prinzipiell nicht getrennte Welt verstanden. Als
Unterscheidungen werden hier die sozialen Ab- und Ausgrenzungsprozesse gemeint.
Diese sind immer auch machtgeladene Prozesse der Aushandlung unterscheidender
Bedeutungen, Werte und Normen, die zugleich Machtungleichgewichte
hervorbringen. (Wer hat die Macht Unterscheidungen, festzulegen oder Norme und
Werte durchzusetzen? – Klassische soziale Ungleichheit) Diese
Aushandlungsprozesse beschreibt Boeckler
als kulturelle Aushandlungsprozesse, die nicht an Räume oder Orte
gebunden sind, sondern auch diese zum Ergebnis von Konstitutionen der
Wirklichkeit in dem beschriebenen Prozess sind. Der Akteur ist in diesem Konzept
ein autonomes Subjekt, das „die symbolische Ordnung der Welt
fortwährend in einem kontinuierlichen Fluss des Handelns produziert,
reproduziert und modifiziert.“
In seinem Aufsatz veranschaulicht Boeckler das erarbeitete
Konzept von Kultur an der Figur des syrischen Unternehmers. Er beschreibt die
syrischen Unternehmer im Sinne hybrider Kulturen als Individuen, die ihre
Verortung zwischen den Welten gefunden haben. Durch die
Unternehmensgründung spannen sie mit ihren betriebsorganisatorischen Modellen
aus Japan, Maschinen aus Deutschland und syrisch-französischem Kapital eine „multiple“
„translokale“ Landschaft auf. Das in die Alltagspraxis eingebrachte translokale
biographische Handlungswissen destruiert die Homogenität lokaler Kultur.
3.3 Transkulturalität als Praxis
Ähnlich wie in den Modellen der „hybriden Kulturen“ und
„Kultur als diakritische Praxis“ geht auch das von Wolfgang Welsch entwickelte
Modell der Transkulturalität von einem globalisierten Blick auf die Welt, in
der es keine homogene Kulturen (mehr) gibt, aus. Wie schon oben erwähnt
vertreten die Verfechter dieser Konzepte die Nichtübereinstimmung zwischen
Kultur und Territorium. Ebenfalls, wie auch schon im Konzept der „hybriden Kulturen“,
erläutert wird die kulturelle Differenz auf die intrapersonale Ebene (die der
einzelner Individuen) verlagert. „Das Individuum ist gleichzeitig Mitglied
verschiedener Gemeinschaften.“ (Beck
zit. nach Pütz 2003a: 63)
Transkulturalismus greift den Widerspruch zwischen der theoretischen Position
der Nicht-Existenz von homogenen Kulturen und der Alltagspraxis des handelnden
Akteurs, der fortwährend Vorstellungen von homogenen Kulturen reproduziert auf.
Grenzziehungen entlang kultureller Zugehörigkeit sollen mit der von Pütz erweiterte Theorie der Transkulturalität
als Praxis entschlüsselt und analysiert werden. Pütz bemerkt, dass sein Konzept nicht nur eine Analysemethode
beschreibt, sondern zugleich als eine konkrete Handlungspraxis konkreter
Subjekte gelesen werden kann. (Pütz
2003a:64) Nach seiner Auffassung können Menschen sich in Form einer
„alltäglichen Transkulturalität“ in unterschiedlichen Deutungsschemata verorten
und diese absichtsvoll und strategisch z. B. für das Unternehmerische Handeln
einsetzen. (ebd.)
4. Zusammenfassung
Die globalen Veränderungen der Mobilität, des Informationsflusses,
des Transfers von Kapital und Gütern sowie der weltweiten Migration fordern
nach einer Neukonzeption der Weltsicht. Regional verankerte Wissensbestände und
somit auch durchgehend regional definierbare sozial-kulturelle Welten existieren
nicht mehr. (Werlen zit. nach Pütz 2003c 77) Regional verankerte
Kulturvorstellungen in der Forschung laufen Gefahr, so Pütz (ebd.), durch die Konstruktion des Anderen Ausgrenzung
und Diskriminierung zu befördern.
Die Konsequenz ist, das Kulturverständnis neu zu entwerfen.
Der Ansatz der kulturellen Hybridität vermag hier vielleicht
ein Modell anzubieten, doch bleibt er die Antwort schuldig, wie er die
alltägliche Diskriminierung und soziale Ungleichheit erklären kann. Für die
Analyse der unternehmerischen Aktivität der MigrantInnen ist er gänzlich
ungeeignet. Ein in der empirischen sowie alltäglichen Praxis nicht haltbares
Konzept. Auch Fragen nach den Muster und Einflüssen der hybriden Identität/Kultur
bleiben unbeantwortet. Boeckler
und Pütz versuchen in ihren
Konzepten der Kultur als diakritische Praxis und die Transkulturalität
als Praxis die Veränderte globale Realität mit der alltäglichen Welt zu
verknüpfen. Gemeinsam entwerfen sie ein Verständnis von Kultur als einen
dynamischen Prozess. In diesem Prozess entwirft der Akteur durch seine Praxis
und seine Verortung in verschiedenen symbolischen Ordnungen aktiv und situativ
in der Konstellation zu anderen Akteuren immer wieder die Kultur neu. Für eine
Erklärung des unternehmerischen Handelns als kultur- bzw. ethnospezifisch
scheinen diese Konzepte wenig fruchtbar. Es können jedoch mit Hilfe dieser
Theorien Muster der Grenzziehungen und Platzierungen von Individuen erkannt,
sowie Bedeutungsrelevanz bestimmter kultureller Symbole innerhalb einer
Unternehmerischen Praxis analysiert werden.
5. Literaturverzeichnis
Boeckler, Marc: 1999:Entterritorialisierung,
„orientalische“ Unternehmer und die diakritische Praxis der Kultur. In:
Geographische Zeitschrift 87. Jg. Heft 3+4, Seite 178-193
Kein Ngi Ha 2000: Ethnizität, Differenz und
Hybridität in der Migration: eine poskoloniale Perspektive. In: Zeitschrift für
kritische Sozialwissenschaft: Ethnisierung und Ökonomie, 30. Jahrgang Nr. 3
Mintzel, Alf: 1997: Multikulturelle Gesellschaften
in Europa und Nordamerika - Konzepte Streitfragen Analysen Befunde. Passau:
Wissenschaftsverlag Rothe.
Pütz,
Robert
2003 a: Kultur und unternehmerisches Handeln. In: Berichte zur deutschen
Landeskunde 77.Band Heft 1: 53-70
Pütz, Robert 2003 b: Kultur und unternehmerisches Handeln. Perspektiven
der
"Transkulturalität als
Praxis". In: Petermanns Geographische Mitteilungen 147(2): 76-83.
Pütz,
Robert
2003 c: Berliner Unternehmer türkischer Herkunft: „Ethnic“ Business? In: Die
Erde, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 134. Jahrgang, Heft
3: 257-275
Pütz, Robert 2004: Transkulturalität als Praxis. Unternehmer türkischer
Herkunft in Berlin Bielefeld: Transcript-Verl.