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Referat
Soziologie

Universität Osnabrück

2006, Dozent: Tim Elrik

Monique M. ©

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ID# 6456







Universität Osnabrück

 

Seminar: Sozialgeographische Migrationsforschung und Regionalentwicklung

 

Referentin: Irina Grünheid

 

Referat zum Thema:

Kultur und unternehmerisches Handeln

 

Inhalt:

 

1. Einleitung. 1

2. Kultur und unternehmerisches Handeln – Ein theoretischer Einstieg. 2

2.1 Warum sind Unternehmer mit Migrationshintergrund interessant? – Theoretische Erklärungsansätze unternehmerischer Selbständigkeit der MigrantInnen. 2

2.1.1  „Opportunitäten“-Modelle. 3

2.1.2 „Ressourcen“-Modelle. 4

2.2 Das Verständnis von Kultur in der Erforschung der ethnischen Ökonomie. 4

3 Der neue Kulturbegriff – Vorschlag einer Betrachtungsweise. 6

3.1 Hybride Kulturen. 6

3.2 Kultur als diakritische Praxis 8

3.3 Transkulturalität als Praxis 8

4. Zusammenfassung. 9

5. Literaturverzeichnis. 11

 

 


1. Einleitung

 

In Deutschland leben zurzeit über 7 Mio. Menschen als Ausländer und deutlich mehr mit einem Migrationshintergrund[1]. Eine genaue Bestimmung des unternehmerischen Engagements von MigrantInnen in Deutschland stößt auf erhebliche statistische Mängel. Zum einen wird die Nationalität als statistisches Merkmal nicht in jeder Branche aufgenommen, so z.B. bei Kapital- und Personengesellschaften. Zum anderen tauchen in den Statistiken wenn, dann nur Ausländer auf. Dabei wird in den großer Teil der aus dem Ausland kommenden MitbürgerInnen statistisch nicht als AusländerIn erfasst – entweder weil die betreffenden Personen schon mit deutscher Staatsangehörigkeit nach Deutschland einreisten (so die Gruppe der Aussiedler) oder weil sie mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. Trotz der Unzulänglichkeit der statistischen Daten wird im Folgenden versucht, einen knappen Überblick über die (ungefähre) Situation der MigrantInnen in der deutschen Unternehmerlandschaft in Zahlen zu geben[2].

 

Im Mai 2003 waren in Deutschland, nach Angaben des statistischen Bundesamtes, 3,7 Mio. der Erwerbstätigen MitbürgerInnen in einem eigenen Unternehmen als Selbstständige beschäftigt. Rund 300.000 von ihnen waren AusländerInnen. Sie beschäftigen etwa eine Million Menschen in nahezu allen Branchen, darunter besonders stark im Lebensmittelhandel, Speditionsgewerbe, Gastronomie sowie Touristik. 38,4% der von AusländerInnen betriebenen Unternehmen sind ausbildungsberechtigt. (Deutsche: West rund 60,5 %; Ost rund 54,8 %). Der Anteil der selbstständigen AusländerInnen ist vor allem im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich angestiegen. 1970 waren noch weniger als 2% der erwerbstätigen AusländerInnen selbstständig 1998 waren es schon 8,8%. Heute liegt der Anteil der ausländischen Selbstständigen bei etwa 9%, dieser liegt jedoch immer noch unter dem von Deutschen (10,1%). Unter den selbstständigen AusländerInnen machten im Jahr 2002 die Italiener die größte Gruppe aus gefolgt von MitbürgerInnen aus der Türkei und Griechenland. Bei Gewerbetreibenden[3] führten 2003 jedoch deutlich die türkischen MitbürgerInnen. Für die Zukunft rechnen die Experten mit einem bleibenden Anstieg der Selbstständigenquote bei den MigrantInnen für Deutschland. Die Prognosen zeigen eine verstärkte Gründungsneigung der Frauen sowie sich noch entwickelnde Gründungsaktivität der noch nicht sehr lange in Deutschland lebenden Asylberechtigten und MigrantInnen aus Osteuropa.

 

2. Kultur und unternehmerisches Handeln –      Ein theoretischer Einstieg

 

Zur Unternehmeraktivität von MigrantInnen gibt es inzwischen zahlreiche empirische Aufnahmen, Untersuchungen und auch einige Theorien die das „Phänomen“ des Immigrant Business zu beschreiben und zu erklären versuchen. Auffällig ist bei all dem wissenschaftlichen Interesse, dass die Betonung nicht auf dem Business sondern auf dem Immigrant, dem „Ethnic“ (Business) liegt. Geforscht und diskutiert wird unter den Fragestellungen: Ob MigrantInnen auf Grund ihres kulturellen Hintergrunds anders als die einheimischen Unternehmen gründen und führen – sowie: Welche Rolle die Kultur bei dem unternehmerischen Handeln der MigrantInnen spielt. Im Folgenden wird ein kurzer Einblick in die aktuelle Diskussion in Hinblick vor allem auf die zweite Fragestellung gewährt

 

2.1 Warum sind Unternehmer mit Migrationshintergrund interessant? – Theoretische Erklärungsansätze unternehmerischer Selbständigkeit der MigrantInnen

 

Migration als soziales Phänomen ist ein ganzer Komplex an für die Forschung interessanten Themen und Fragestellungen: Migrationsentscheidung, Migrationsbewegung, Situation der MigrantInnen vor, während und nach der Migration, sowie ihre Beziehung zu den relevanten Herkunfts- und Aufnahmeländern. Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Menschen als „homo migrant“ ist die Tatsache, dass nun jemand die Grenzen eines Staates auf dem Weg zum anderen überwindet erst einmal keine Besonderheit. Erst die Annahme, dass dabei irgendwelche Schwierigkeiten entstehen könnten, lenkt den Blick der Forscher in diese Richtung. Interessant wird Migration erst dann, wenn eine Differenz zwischen den MigrantInnen und Ansässigen angenommen werden kann. (Wandert heute jemand von Hannover nach Hamburg aus, wird dessen Spur nur selten verfolgt.) Als relevant wird die Fremdheit der Aufnahmegesellschaft für die ImmigrantInnen betont, wobei hier ihre kulturelle Andersartigkeit und die damit vermuteten Schwierigkeiten bei der Adaption fokussiert werden.

 

Die ökonomische Selbständigkeit von MigrantInnen wird für die Forschung aus zwei Blickwinkeln interessant. Zum einen mit der Frage, welche Rolle die unternehmerische Tätigkeit im Prozess der Integration spielt. Zum anderen interessiert, was MigrantInnen, die ja Fremde in der Aufnahmegesellschaft sind, anders machen, als die Einheimischen und was ihren Erfolg ausmacht. In beiden Fällen scheint die Ethnizität und damit die ethnisch geprägte „andere“ Kultur eine Rolle zu Spielen.

 

Interesse an kulturellen und ethnischen Aspekte in Bezug auf unternehmerische Aktivitäten war und ist jedoch nicht nur in Verbindung mit Migration spannend[4]. Die ersten Theorien zur Erklärung des unternehmerischen Handelns der MigrantInnen entstanden jedoch in den späten 1950er Jahren in Folge der Untersuchungen zur gesellschaftlichen Positionierung ethnischer Minderheiten in den USA. Man unterscheidet inzwischen die Erklärungsansätze nach zwei Schwerpunktkategorien. Auf der einen Seite gibt es die kulturellen Ansätze, die die ethnischspezifischen Eigenschaften, wie z. B. eine besondere Neigung einer bestimmten Ethnie zur Selbstständigkeit, oder die Aktivierung von besonderen ethnischen Ressourcen untersuchen. Auf der anderen Seite heben die strukturell orientieren Erklärungsansätze vor allem die gesellschaftliche und strukturellen Rahmenbedingungen als Einflussgrößen für die unternehmerischen Aktivitäten der MigrantInnen hervor.

Waldinger, Aldrich und Ward legen ihrer Untersuchung diese beiden Kategorien zugrunde und bezeichnen sie als „Opportunitäten“-Modell im Falle des strukturellen Ansatzes und als „Ressourcen“-Modell im Fall der kulturellen Ansätze. (Siehe dazu Pütz 2004c: 15 ff)

2.1.1  „Opportunitäten“-Modelle

 

„Opportunitäten“-Modelle beinhalten Theorien, die in ihren Erklärungsansätzen auf die Möglichkeiten des Marktzugangs fokussieren. Sie heben zum einen die Nischenmärkte und die rechtlichen Rahmenbedienungen als relevante Einflussgrößen für die Unternehmensgründung der MigrantInnen hervor und zum anderen die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes. Das Nischenkonzept beschreibt eine Unternehmensstrategie zur Bedarfsdeckung innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe. Durch die Nachfrage nach bestimmten Konsumgütern einer Ethnie eröffnet sich für deren Mitglieder, auf Grund ihrer kulturellen Kompetenzen, eine günstige Möglichkeit zur Selbstständigkeit. Durch rechtliche Rahmenbedienungen wird der Umfang und sektorale Struktur der ethnischen Ökonomie beschrieben. Hier nehmen die rechtlichen Bestimmungen bezüglich der formal geforderten Qualifikationen zur Genehmigung der Unternehmensgründung (wie z.B. Meisterbrief u.ä.) Einfluss auf die Selbstständigkeit der MigrantInnen. Mit Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes beschreiben entsprechende Konzepte Benachteiligungen und Diskriminierungen von AusländerInnen auf dem Arbeitsmarkt, durch welche die Selbstständigkeit der MigrantInnen z.B. verhindert oder als einzige Möglichkeit erzwungen wird.

2.1.2 „Ressourcen“-Modelle

 

Die Ressourcenmodelle beziehen sich auf Eigenschaften Menschen gleicher Herkunft. Es wird versucht, mit spezifischen kulturellen Ressourcen, die unterschiedlichen Selbstständigkeitsquoten verschiedener Migrantengruppen zu erklären. Diese Ansätze beziehen sich auf die Annahme, dass die „Selbstständigkeit ein Ergebnis spezifischer kultureller Prädispositionen einer Gruppe sei“ (Pütz 2003: 56).

 

Zur Erklärung von ethnischen Ressourcen werden die Konzepte von Embeddednes und von Sozialem Kapital herangezogen. Das Embeddednes-Konzept geht auf Granovetter zurück dessen zentrale Annahme ist, dass ökonomisches Handeln immer auch soziales Handeln ist und damit in Systeme sozialer Beziehungen eingebettet.

Das Konzept des sozialen Kapitals wird mit Rückgriff auf Bourdieu entwickelt. Das Zentrum dieses Konzeptes ist die Auffassung von sozialem Kapital als Ressource. Ökonomisches Handeln ist in diesem Sinne auch soziales Handeln und somit soziales Kapital produzier und auch nutzt. Im Denkmodell ethnischer Ressourcen und einer ethnischen Ökonomie wird die Argumentation allerdings umgedreht: Soziale Ressourcen werden hier zu ethnischen. Aus dieser Perspektive wird „dem Unternehmer als ethnisch prädisponiertem Wesen eine spezifische Art […]   sozialen Kapital[s] zugesprochen, die sich aus seiner Abstammung ergibt“. (Pütz 2003b: 78)

 

2.2 Das Verständnis von Kultur in der Erforschung der ethnischen Ökonomie

 

Kulturelle/ethnische Ressourcen, kulturelle Dispositionen und kulturelle Kompetenzen weisen vor allem in den kulturellen Konzepten zur Erklärung der sog. ethnischen Ökonomie[5] auf eine fundamentale Bedeutung der Kultur für das unternehmerische Handeln der MigrantInnen hin. In der themenspezifischen Literatur werden diese Konzepte, nicht zuletzt aufgrund der Globalisierungsdebatten und einer zunehmenden Infragestellung einer homogenen Kultur, kontrovers diskutiert. Im folgenden wird ein Versuch unternommen zum einen das kulturellen Konzepten innewohnenden Kulturverständnis herauszuarbeiten und zum anderen die Argumente der Kritiker der kulturellen Konzepte vorzustellen.

 

In der kritischen Auseinandersetzung mit den kulturellen Konzepten unterstellt man deren Vertretern die Verwendung eines holistischen Kulturbegriffs. (Pütz 2004: 20) Der weit gefasste holistische Kulturbegriff wird in der Kulturanthropologie und Soziologie so definiert:

 

“Kultur (...) im soziologischen Sinne meint (...) das gesamte soziale Erbe, bestehend aus dem Wissen, den Glaubensvorstellungen, den Sitten und Gebräuchen und die Fertigkeiten, die ein Mitglied einer Gesellschaft übernimmt.“ ( Reinhold 1991 zit. nach Mintzel 1997: 72).

“Ein weiter soziologischer Begriff von Kultur umfasst a) die ideelle Kultur, d. h. einen Komplex von Vorstellungen, Werten und Normen, b) die symbolische Kultur, die sowohl verbale als auch nonverbale Symbolsysteme beinhaltet und c) die materielle Kultur, zu der Objekte wie Werkzeuge, Maschinen, Gebäude, Gemälde etc. zu rechnen sind. Es bestehen vielfache Beziehungen zwischen diesen Kulturbereichen.“ ( ebd.).

 

Der enger gefasste Kulturbegriff versteht Kultur als ein Symbolsystem einer Gesellschaft. Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft ist dieses Symbolsystem in Institutionen kodifiziert, welche die grundlegenden Werte und Normen, Verfahrens- und Verhaltensregeln des Menschlichen Zusammenlebens beinhalten. Werte und Normen, Verfahrens- und Verhaltensregeln sind ein Teil des „Wissensvorrates“ aus dem das Individuum bei der symbolischen Konstruktion der Welt und bei Bewältigung von Problemen schöpfen kann. Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche „Wissensvorräte“ und interpretieren unterschiedliche Welten. Ein geteilter Wissensvorrat ermöglicht den Individuen ihre Kommunikation, Verständigung und das Zusammenleben. Kultur gibt, nach dieser Interpretation Orientierung, vermittelt Identität, Gemeinsamkeit, Zusammengehörigkeit, Geborgenheit, Sicherheit. (nach Hoffman Nowotny:103-116)

 

Dieses Kulturverständnis wird dahingehend kritisiert, dass es hier zum einen eine Tendenz der Ethnisierung, d.h. der Fremdzuschreibung kollektiver Identitäten auf Grundlage der Vorstellung einer Abstammungsgemeinschaft gebe und zum anderen ein essentialistisches Kulturverständnis damit verbunden sei. (Pütz 2004: 20) Das essentialistische Kulturverständnis ist, so Pütz, durch drei Annahmen definiert: Man wird erstens in eine Kultur hineingeboren, die eigene Lebensform ist somit bestimmt durch eine Abstammungsgemeinschaft. Zweitens: Die Kultur prägt das Leben einer Gemeinschaft und des Einzelnen so, dass man an die kulturellen Merkmale gebunden ist und diese auch nicht ablegen kann. Die Kultur einer Gemeinschaft muss sich schließlich drittens, von der Kultur einer anderen Gemeinschaft (eines Volkes, einer Ethnie) unterscheiden.

 

Neue Ansätze verstehen unter Kultur symbolischen Deutungsschemata über die Menschen verfügen, um sich Gegenstände und Handlungen als sinnhaft erschließen zu können. Kultur ist in dieser Sichtweise dennoch kollektiv geteilt, sie wird jedoch als ein nicht abgeschlossenes System verstanden und ist nicht territorial gebunden. Es gibt in diesem Verständnis dennoch die Kategorie der national etikettierten Kultur (bspw. als Türke oder Deutscher). Diese Kategorisierung jedoch wird als ein Konstrukt im Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung verstanden.

3. Der neue Kulturbegriff – Vorschlag einer            Betrachtungsweise

 

Nach der Diskussion des Kulturbegriffs und der Kritik des holistischen Verständnisses soll im nächsten Abschnitt die Modelle der Kritiker dargestellt werden. Dazu zählen Kultur als hybride Form, als diakritische Praxis und die Theorie der Transkulturalität als Praxis. Sie orientieren sich an den Konzepten des cultural turn und sind von den Ideen des Postkolonialismus[6] beeinflusst. Gemeinsam ist ihnen ein bedeutungs- und symbolorientiertes Verständnis von Kultur. Die „<Welt> existiert für den Menschen nur als symbolische, auf der Grundlage von kollektiv geteilten Regelsystemen und Wissensordnungen, die es ermöglichen, sie mit Bedeutung und Sinn zu verstehen. “ (Pütz 2003a:60) Außerdem haben sie ein nicht territorialisierte Konzept von Kultur. „Orte und deren soziale, materielle, maßstäbliche oder flächenextensionale Begrenzung werden als mögliches, flüchtiges Ergebnis fortwährender kultureller Aushandlungsprozesse betrachtet.“ (Boeckler, 1999:179)

Im Folgenden werden die angesprochen Konzepte im Einzelnen vorgestellt.

3.1 Hybride Kulturen

 

Der Begriff „Hybride Kulturen“ ist ein von den Vertretern des Postkolonialismus wie Bhabha und Said geprägtes Verständnis von Kultur, das eine Art Entkoppelung territorialer Bezüge zum einen und identifikatorischer Elemente zum anderen enthält. Boeckler stellt den Begriff auf der Grundlage seiner Überlegungen zur theoretischen Bedeutung der Globalisierung in dem Aufsatz „Entterritorialisierung, „orientalische“ Unternehmer und die diakritische Praxis der Kultur“ vor. Er stellt fest, dass der veränderte Blickwinkel auf die Welt, der mit der Globalisierung einhergeht, mit seinem Begriff der Entterritorialisierung besser beschrieben werden kann. Globalisierung habe die Unterscheidungen in der Welt und „die gesicherte sozialräumliche Ordnung der Welt“ in Frage gestellt. Durch die Veränderte Perspektive können räumliche Sortierungen der Welt (Zivilisationen, Nationen, Kulturen, Regionen) entschlüsselt werden. Unhinterfragte feste Unterscheidungen als Konstruktionsergebnisse machtgeladener Prozesse müssen hinterfragt werden. (Orient-Okzident, West-Ost u.ä.) Entterritorialisierung verändert die Perspektive auf Orte und Grenzen. Sie werden als flüchtige Ergebnisse in einem fortschreitenden kulturellen Aushandlungsprozess betrachtet. Die Vielfalt und Spezifität werden aus dieser Position durch bestimmte Konstellationen sozialer Beziehungen konstituiert. Entterritorialisierung als methodologische Haltung soll helfen Fragen nach Prozessen sozialer Ab- und Ausgrenzung zu beantworten.

 

Der entterritorialisierte Blick auf die Welt und ihre räumliche und soziale Ordnung fordere, so Boeckler, einen Neuentwurf des Kulturkonzepts sowie eine kritische Betrachtung der Homogenität und Gesinnungsgleichheit. Mit der Perspektive, es gäbe keine homogene Kulturen erläutert er das Konzept der „hybriden Kulturen“. In seiner Auffassung von kultureller Hybridität vertritt BOECKLER dezidiert die Position, dass Hybridität auf keinen Fall die Vermischung kultureller Elemente meint, sondern vielmehr die Nicht-Identität mit irgendeiner Kultur. Die Innen/Außen Differenz (sog. kulturelle Differenz) wird in dem Konzept auf die Vielfalt interner Differenzen verlagert. Interne Differenzen bezeichnen die Parallelität unterschiedlicher Bedeutungssysteme. Die kulturelle Praxis solcher hybriden Identitäten erlaubt es „…verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften zur gleichen Zeit anzugehören. Menschen, die sich weigern ausschließlich das eine zu sein und sich unterschiedlichen Orten, Geschichten und Identitäten verbunden fühlen, können die willkürlichen und damit veränderbaren Grenzen zwischen den Kulturen und Nationen mit ihrer Uneindeutigkeit sukzessiv auflösen.“ (Ha[7] 2000: 394)

 

Das Konzept der kulturellen Hybridität wird, wie Boeckler selbst einräumt, u.a. auf Grund der fehlenden empirischen Einbindung eingehend kritisiert. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Theorie scheinbar die permanente Reproduktion von homogenen Kulturen in der alltäglichen Praxis und Diskursen der Akteure vernachlässigt. Aus diesem Grund schlägt Böeckler vor, die Theorie eher als eine kritische Lesart der Realität, für einen sensibilisierten Blick beim empirischen Zugang zu kulturellen Prozessen, zu nutzen.

 

3.2 Kultur als diakritische[8] Praxis

 

Zur praktischen Beschreibung des Verhältnisses der Kultur und unternehmerischen Handeln schlägt Boeckler ein Kulturverständnis vor, das auf eine bloße Metapher – Kultur als diakritische Praxis – herunter gebrochen wird. Kultur wird als Praxis der permanenten Unterscheidungen in die prinzipiell nicht getrennte Welt verstanden. Als Unterscheidungen werden hier die sozialen Ab- und Ausgrenzungsprozesse gemeint. Diese sind immer auch machtgeladene Prozesse der Aushandlung unterscheidender Bedeutungen, Werte und Normen, die zugleich Machtungleichgewichte hervorbringen. (Wer hat die Macht Unterscheidungen, festzulegen oder Norme und Werte durchzusetzen? – Klassische soziale Ungleichheit) Diese Aushandlungsprozesse beschreibt Boeckler als kulturelle Aushandlungsprozesse, die nicht an Räume oder Orte gebunden sind, sondern auch diese zum Ergebnis von Konstitutionen der Wirklichkeit in dem beschriebenen Prozess sind. Der Akteur ist in diesem Konzept ein autonomes Subjekt, das die symbolische Ordnung der Welt fortwährend in einem kontinuierlichen Fluss des Handelns produziert, reproduziert und modifiziert.“

 

In seinem Aufsatz veranschaulicht Boeckler das erarbeitete Konzept von Kultur an der Figur des syrischen Unternehmers. Er beschreibt die syrischen Unternehmer im Sinne hybrider Kulturen als Individuen, die ihre Verortung zwischen den Welten gefunden haben. Durch die Unternehmensgründung spannen sie mit ihren betriebsorganisatorischen Modellen aus Japan, Maschinen aus Deutschland und syrisch-französischem Kapital eine „multiple“ „translokale“ Landschaft auf. Das in die Alltagspraxis eingebrachte translokale biographische Handlungswissen destruiert die Homogenität lokaler Kultur.

 

3.3 Transkulturalität als Praxis

 

Ähnlich wie in den Modellen der „hybriden Kulturen“ und „Kultur als diakritische Praxis“ geht auch das von Wolfgang Welsch entwickelte Modell der Transkulturalität von einem globalisierten Blick auf die Welt, in der es keine homogene Kulturen (mehr) gibt, aus. Wie schon oben erwähnt vertreten die Verfechter dieser Konzepte die Nichtübereinstimmung zwischen Kultur und Territorium. Ebenfalls, wie auch schon im Konzept der „hybriden Kulturen“, erläutert wird die kulturelle Differenz auf die intrapersonale Ebene (die der einzelner Individuen) verlagert. „Das Individuum ist gleichzeitig Mitglied verschiedener Gemeinschaften.“ (Beck zit. nach Pütz 2003a: 63) Transkulturalismus greift den Widerspruch zwischen der theoretischen Position der Nicht-Existenz von homogenen Kulturen und der Alltagspraxis des handelnden Akteurs, der fortwährend Vorstellungen von homogenen Kulturen reproduziert auf. Grenzziehungen entlang kultureller Zugehörigkeit sollen mit der von Pütz erweiterte Theorie der Transkulturalität als Praxis entschlüsselt und analysiert werden. Pütz bemerkt, dass sein Konzept nicht nur eine Analysemethode beschreibt, sondern zugleich als eine konkrete Handlungspraxis konkreter Subjekte gelesen werden kann. (Pütz 2003a:64) Nach seiner Auffassung können Menschen sich in Form einer „alltäglichen Transkulturalität“ in unterschiedlichen Deutungsschemata verorten und diese absichtsvoll und strategisch z. B. für das Unternehmerische Handeln einsetzen. (ebd.)

4. Zusammenfassung

 

Die globalen Veränderungen der Mobilität, des Informationsflusses, des Transfers von Kapital und Gütern sowie der weltweiten Migration fordern nach einer Neukonzeption der Weltsicht. Regional verankerte Wissensbestände und somit auch durchgehend regional definierbare sozial-kulturelle Welten existieren nicht mehr. (Werlen zit. nach Pütz 2003c 77) Regional verankerte Kulturvorstellungen in der Forschung laufen Gefahr, so Pütz (ebd.), durch die Konstruktion des Anderen Ausgrenzung und Diskriminierung zu befördern.

Die Konsequenz ist, das Kulturverständnis neu zu entwerfen.

 

Der Ansatz der kulturellen Hybridität vermag hier vielleicht ein Modell anzubieten, doch bleibt er die Antwort schuldig, wie er die alltägliche Diskriminierung und soziale Ungleichheit erklären kann. Für die Analyse der unternehmerischen Aktivität der MigrantInnen ist er gänzlich ungeeignet. Ein in der empirischen sowie alltäglichen Praxis nicht haltbares Konzept. Auch Fragen nach den Muster und Einflüssen der hybriden Identität/Kultur bleiben unbeantwortet. Boeckler und Pütz versuchen in ihren Konzepten der Kultur als diakritische Praxis und die Transkulturalität als Praxis die Veränderte globale Realität mit der alltäglichen Welt zu verknüpfen. Gemeinsam entwerfen sie ein Verständnis von Kultur als einen dynamischen Prozess. In diesem Prozess entwirft der Akteur durch seine Praxis und seine Verortung in verschiedenen symbolischen Ordnungen aktiv und situativ in der Konstellation zu anderen Akteuren immer wieder die Kultur neu. Für eine Erklärung des unternehmerischen Handelns als kultur- bzw. ethnospezifisch scheinen diese Konzepte wenig fruchtbar. Es können jedoch mit Hilfe dieser Theorien Muster der Grenzziehungen und Platzierungen von Individuen erkannt, sowie Bedeutungsrelevanz bestimmter kultureller Symbole innerhalb einer Unternehmerischen Praxis analysiert werden.

5. Literaturverzeichnis

 

 

 

Boeckler, Marc: 1999:Entterritorialisierung, „orientalische“ Unternehmer und die diakritische Praxis der Kultur. In: Geographische Zeitschrift 87. Jg. Heft 3+4, Seite 178-193

 

Kein Ngi Ha 2000: Ethnizität, Differenz und Hybridität in der Migration: eine poskoloniale Perspektive. In: Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft: Ethnisierung und    Ökonomie, 30. Jahrgang Nr. 3

 

Mintzel, Alf: 1997: Multikulturelle Gesellschaften in Europa und Nordamerika - Konzepte Streitfragen Analysen Befunde. Passau: Wissenschaftsverlag Rothe.

 

Pütz, Robert 2003 a: Kultur und unternehmerisches Handeln. In: Berichte zur deutschen Landeskunde 77.Band Heft 1: 53-70

 

Pütz, Robert 2003 b: Kultur und unternehmerisches Handeln. Perspektiven der

"Transkulturalität als Praxis". In: Petermanns Geographische Mitteilungen 147(2): 76-83.

 

Pütz, Robert 2003 c: Berliner Unternehmer türkischer Herkunft: „Ethnic“ Business? In: Die Erde, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 134. Jahrgang, Heft 3: 257-275

Pütz, Robert 2004: Transkulturalität als Praxis. Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin Bielefeld: Transcript-Verl.

 

 

 



[1] Damit werden hier z. B. eingebürgerte Ausländer und Aussiedler gemeint

[2] Da die zur Verfügung stehende Daten nur Aktivitäten von AusländerInnen zeigen wird hier daher auch den Terminus „AusländerInnen“ benutzt

[3] Gewerbe ist jede selbstständige Tätigkeit, mit der man Geld verdient und Gewinne erzielen will (Ausnahme: Freie Berufe, Land- und Forstwirtschaft).

[4] vgl. Max Weber: die protestantische Ethik; Werner Sombart: Bedeutung des Judentums für die entwicklung des modernen Kapitalismus und Georg Simmel: Exkurs über den Fremden

[5] Unter ethnischer Ökonomie wird die selbstständige Erwerbstätigkeit von Personen mit Migrationshintergrund und die abhängige Beschäftigung in von Personen mit Migrationshintergrund geführten Betrieben verstanden, die in einem spezifischen Migrantenmilieu verwurzelt ist. (Schuleri-Hartje/Floeting/Reimann:21)  Von der ethnischen Ökonomie unterscheidet man im Weiteren die Migrantenökonome, als ethnisch besetzte Arbeitsbereiche, die auf der Grundlage ökonomisch bedingter Umschichtungsprozesse entstanden sind (z.B. Arbeitsbereiche in denen Deutsche nicht mehr tätig sein wollen). ebd.

[6] Postkolonialismus ist eine geistige Strömung seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus der Zeit nach dem Kolonialismus, die sich auf diesen bezieht. Postkolonialismus ist eine geistige Strömung seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus der Zeit nach dem Kolonialismus, die sich auf diesen bezieht. Theoretiker des Postkolonialismus sind u.a.: Homi K. Bhabha und Edward Said

 

[7] einer der kritischen Betrachter der kulturellen Hybridität.

[8] diakritisch <aus gr. diakritikós "zum Unterscheiden geeignet" zu diakrínein "trennen, (unter)scheiden": Duden - Das große Fremdwörterbuch: Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2003.


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