<
>
Upload File

Anleitung
Jugendrecht

Eberhard-Karls-Universität Tübingen

2012, Prof. Kerner

Miguel M. ©

0.40 Mb
sternsternsternsternstern_0.75
ID# 15983







Kriminologie

Konstitutionelle Schuldunfähigkeit

 

1.      Definitionen

Ausgangspunkt: Strafe setzt Schuld voraus! Wer ohne Schuld handelt, kann deshalb nicht bestraft werden („nulla poena sine culpa“)

-          Definition Schuld: Schuld bedeutet die Vorwerfbarkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens. Vorwerfbarkeit bedeutet, dass der Täter rechtswidrig gehandelt hat, obwohl er nach seinen Fähigkeiten und unter den konkreten Umständen der Tat in der Lage war, sich von der im Tatbestand normierten Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten leiten zu lassen. 

-          Definition Schuldfähigkeit: Schuldfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) und nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit).

 

 

2.      Schuldunfähigkeit bzw. verminderte Schuldfähigkeit

 

-          Grundsätzlich wird bei erwachsenen Tätern die Schuldfähigkeit vermutet. Anhaltspunkte für die Schuldunfähigkeit lassen sich oft nur mit medizinischen bzw. psychiatrischen Gutachten bestimmen.

 

2.1   Altersabhängige Schuldunfähigkeit

 

-          Nach § 19 StGB sind Kinder, d.h. Personen, die bei der Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt sind, schuldunfähig. Ausschlaggebend ist allein das Alter.

-          Konsequenz: Keine Strafe für Kind, jedoch können die Eltern nach § 832 BGB (Haftung des Aufsichtspflichtigen) haftbar gemacht werden, wenn die Aufsichtspflicht verletzt wurde.

-          Es besteht aber die Möglichkeit der Billigkeitshaftung: Nach § 829 BGB (gelegentlich Millionärsparagraph genannt) besteht aus Gerechtigkeitsgründen eine Haftung für entstandene Schäden, wenn die Verhältnisse des Schädigers dies zulassen.

-          Jugendliche, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind bedingt schuldfähig (§ 3 JGG) Bei ihnen muss die Schuldfähigkeit nach dem Grad ihrer sittlichen und geistigen Entwicklungsreife jeweils geprüft und im Urteil besonders festgestellt werden. Bestrafung nach Jugendstrafrecht.

-          Für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren kann sowohl das Jugendstrafgesetz als auch das normale Strafgesetz angewendet werden. Die Vorschriften für Jugendliche gelten dann, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich um eine Jugendverfehlung handelt (§§ 105, 106 JGG).

 

2.2   Biologisch und psychologisch bedingte Schuldunfähigkeit

 

-          § 20 StGB: Ohne Schuld handelt derjenige, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankh6aften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

-          Schuldunfähige bleiben straflos. Möglich ist aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Erziehungsanstalt (§§ 63, 64 StGB, § 7 JGG).

-          § 21 StGB: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht  der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

-          Bei der Bestimmung der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) spielen biologische und psychologische Gesichtspunkte eine Rolle, wobei die psychologische Komponente auf der biologischen beruhen muss.

 

 

2.2.1          Biologische Komponente:

 

a)       Krankhafte seelische Störungen:

-          Geisteskrankheiten, deren somatische Ursachen nachgewiesen sind oder postuliert. Diese können sowohl exogen (z.B. Epilepsie) als auch endogen (z.B. Schizophrenie) sein. Hierher gehören hirnorganisch bedingte Zustände, Psychosen und Schizophrenie. Schuldfähigkeit wird im Einzelfall geprüft, jedoch häufig § 20 StGB, da Erfassen der tatsächlichen Verhältnisse für den Täter nicht möglich ist.

-          Die wichtigste Störung stellt der alkohol- und drogenbedingte Vollrausch dar, der vielfach auch zur Fallgruppe der tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen gerechnet wird. Da mit ihm eine toxische Beeinträchtigung der Hirntätigkeit verbunden ist und damit eine körperliche Ursache vorliegt gehört er aber richtigerweise hier her. Für den Schuldspruch ist immer der jeweilige Einzelfall maßgeblich.  Allgemeiner Richtwert des Blutalkoholgehalts zum Tatzeitpunkt:

< 2.0 ‰ – volle Schuldfähigkeit

2.0 – 3.0 ‰ – verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) (bei Tötungsdelikten ab 2.2 ‰)

> 3.0 ‰ – Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) (bei Tötungsdelikten ab 3.3 ‰)

 

b)       Tiefgreifende Bewusstseinsstörungen:

-          Schwere nichtkrankhafte Bewusstseinseintrübungen, die zu einem Verlust der raum-zeitlichen Orientierung führen. Z.B. Schlaftrunkenheit, Erschöpfung, Übermüdung, Hypnose und hochgradige Affekte.

Schuldspruch immer im Einzelfall. Häufig aber wird dem Täter § 21 StGB wegen dessen Nicht-Ausschließbarkeit im Rahmen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zugebilligt.

 

c)       Schwachsinn:

-          Angeborene oder auf seelischer Fehlentwicklung beruhende Intelligenzschwäche. Möglicher Schuldspruch wird im Einzelfall gesprochen. Wichtige Kriterien sind Erkennen von Geboten und Verboten und das alltägliche regelkonforme Verhalten. Außerdem folgende Richtwerte:

IQ 50-69 = leichte Intelligenzminderung

IQ 35-49 = mittelgradige Intelligenzminderung

IQ 20-34 = schwere Intelligenzminderung

IQ < 20 = schwerste Intelligenzminderung

 

d)       Andere seelische Abartigkeit

-          Psychische Abweichungen vom Normalen, die nicht auf einer körperlichen Krankheit beruhen, wie z.B. Psychopathien, Neurosen, und persönlichkeits-verändernden Triebstörungen. Oftmals besitzen diese Menschen einen der folgenden Persönlichkeitsmerkmale: paranoid, schizoid, emotional instabil, antosozial. Schuldspruch stets im Einzelfall.

 

 

 

 

 

2.2.2          Psychologische Komponente:

 

-          Unfähigkeit das Unrecht der Tat einzusehen (mangelnde Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (mangelnde Steuerungsfähigkeit).

 

 

3        Ausnahmen

 

3.1   Actio libera in causa

 

-          Handlung, bei deren Verursachung der Täter noch freiverantwortlich handelte. Der Täter stellt in noch verantwortlichem Zustand eine vorwerfbare innere Beziehung zur späteren Tat her.

 

-          Schuldbeziehung zwischen dem Sich-Berauschen und der späteren Tatbestandsverwirklichung.

 

-          Voraussetzung: Doppelvorsatz bezüglich 1. der Herbeiführung des Zustands des § 20 StGB sowie 2. der Defektbegründung hinsichtlich des später im Defektzustand zu verwirklichen Tatbestands. Tatvorsatz und Tatablauf müssen sich in  den wesentlichen Grundzügen decken. à Vorsätzliche a. l. i. c.

 

-          Der Täter denkt vor Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit pflichtwidrig nicht daran denkt, dass er in diesem Zustand eine bestimmte vorsätzliche Straftat begehen könnte und dies in der Folge tut.         à fahrlässige a. l. i. c.

 

 

3.2   Strafbarer Vollrausch

 

-          Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. (§323a, I)

 

-          Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. (§323a, II)

-          Unter Strafe gestellt ist nach § 323a StGB nicht direkt das Verhalten des Schuldunfähigen (die Rauschtat), sondern das Verhalten, welches zur Schuldunfähigkeit geführt hat (das Sich-Berauschen).

-          Es ist sowohl das vorsätzliche als auch das fahrlässige Sich-Berauschen unter Strafe gestellt.

-          Im Unterschied zur a. l. i. c. besteht zwischen dem Sich-Betrinken  und der Rauschtat kein psychischer Zusammenhang besteht.

 

 

 

 

 

 

 

Literatur:

 

-          Dittman, V: Psychotrope Substanzen und Schuldfähigkeit. In: Haller, R / Jehle, J.-M.: Drogen – Sucht – Kriminalität. S. 79-89.

 

-          Gropp, W.: Strafrecht, Allgemeiner Teil. 2. Auflage. S. 239-258.

 

-          Haller, R.: Die substanzbedingte Einschränkung des freien Willens. In: Stompe, T. / Schanda, H.: Der freie Wille und die Schuldfähigkeit in Recht, Psychiatrie und Neurowissenschaften. S. 165-175.

 

-          Kröber, H.-L. / Wendt, F.: Medizinisch-psychiatrische Befunde und Zusammenhänge. In Bock, M.: Kriminologie. 6. Auflage. S. 85-118.

 

-          Staud, L.: Basiswissen der forensischen Psychiatrie. Eine Anleitung für Juristen, Ärzte, Psychologen, Kriminalbeamte und Sozialarbeiter. 2. Auflage. S. 17-53.

 

Internetquellen:

 

-         

 

-         

 

-         

 

-         

 

 

 

 


| | | | |
Tausche dein Hausarbeiten