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Hausübung

Kommenta­r zum pädagogisc­hen Selbstve­rständnis der Offenen Arbeit

1.420 Wörter / ~6 Seiten sternsternsternsternstern_0.25 Autor Christoph S. im Nov. 2011
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Hausübung
Erziehungswissenschaf­t

Universität, Schule

Friedrich-Schiller-Universität Jena - FSU

Note, Lehrer, Jahr

2011, Anne Stiebritz

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Christoph S. ©
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Ohne Kopierschutz
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sternsternsternsternstern_0.25
ID# 10258







Kommentar zum pädagogischen Selbstverständnis der Offenen Arbeit

 

 

 

1. Einleitung

 

Wie in den vorangegangenen Texten bereits beschrieben, ist Offene Arbeit[1] ein heterogenes Phänomen der kirchlichen Bildungsarbeit in der DDR. Das besondere an der OA war, dass sie sich jeglicher zentralen Autorität- sowohl seitens des Staates als auch der Kirche- weitestgehend entzog.  So waren jeweils die einzelnen ,,Leiter“[2] der Jugendgruppen verantwortlich für deren konkrete pädagogische Ausgestaltung; wobei aber nicht übersehen werden darf, dass sich die Gruppen durch Selbstorganisation auszeichneten und die Vielfältigkeit ihrer Erscheinung daher auch auf die unterschiedlichen Orte und Interessen der Jugendlichen zurückzuführen ist.[3] Auch der geringe Bestand an wissenschaftlicher Forschungsliteratur zum pädagogischen Tätigkeitsbereich der OA verdeutlicht, dass es schwer ist ein einfaches und geschlossenes Bild hierzu zu entwerfen.[4] Der Umstand, dass sich die OA ,,in ständiger Bewegung auf der Grenze zwischen einem unterdrückten Staat und einer reglementierenden Kirche sowie zwischen diakonischen Engagement und Opposition befand“[5], zeigt auf, dass sie sich in einer Grauzone bewegte und erklärt die schwere Fassbarkeit ihrer Erscheinung.

Diese vorangegangenen Überlegungen zeigen, wie wichtig es ist das pädagogische Forschungsfeld zur OA zu beleuchten und voranzutreiben. Daher soll nachfolgend, mittels Bezugnahme auf einen Vertreter der Offenen Arbeit, eine Annäherung an die Beantwortung der Frage, was die Tätigkeit dieser Form von kirchlicher Jugendarbeit ausmachte, versucht werden.

 

 

 

 

2. Hauptteil

 

Auf der 2. Tagung der 2. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, wurde festgehalten, dass (Selbst-)Orientierung durch persönliches Lernen der Lehren Jesus', integraler Bestandteil des Christseins ist und erst dies Glauben bilden lässt. Weiterhin wird u.a. auch auf den Lernanspruch Jugendlicher und den damit verbundenen Verantwortungsbereich der Kirche eingegangen. So wird postuliert, dass die Bildung Jugendlicher- ebenso wie die jeder anderen ,,Altersgruppe“- besondere Anforderungen stellt. Beim Jugendlichen ginge es grundlegend um die Ausformung und Entwicklung der Persönlichkeit.[6] Daher solle der Jugendliche ,,nicht so sehr mit Kenntnissen gefüttert oder in die feste Ordnung einer vorgegebenen Welt eingeübt werden[, denn er] muß lernen, personale Verantwortung übernehmen und tragen zu können.“[7] Die Formulierung eines Vertreters der OA dazu, was OA sei und weshalb es sie geben müsse, greift ein ähnlich geartetes Argument auf. So schreibt Wolfgang Thalmann:

 

Für eine Neuorientierung braucht jeder Mensch ein Gegenüber, der Anstösse gibt. Diese Anstösse müssen, um eine neue Orientierung zu erlangen in einem Freiraum geschehen. Dieser Freiraum ist notwendig zur Selbstfindung. Erst wenn ich weiß, wo ich stehe, kann ich meinen Weg weitergehen, korrigieren, verändern. Insofern ist Selbstfindung die Voraussetzung für alles folgende.[8]

 

Wolfgang Thalmann wurde 1951 in Weimar geboren. 1977 begann er in Gera als Jugendwart zu arbeiten und war dort für die Geraer JGs verantwortlich. In Gera fing er an erste Grundzüge der OA zu fördern und zu etablieren. So stellte auch dort ,,der Schritt, kirchliche Räume Jugendlichen zu öffnen, die zunächst keinen Bezug zu Kirche hatten“[9] den Beginn der OA dar. 

Thalmann gehört als späterer ,,Leiter“[10] der OA zu derjenigen Generation, welche selbst kirchliche Jugendarbeit miterlebte.[11]

Das oben angeführte Zitat stammt aus einem Brief Thalmann an den Superintendenten Otto Heinrich Müller. Dieser stand er OA ablehnend gegenüber, sodass sich mit seinem Amtsantritt 1980 ,,das Klima in der Geraer Kirche [ ] erheblich [veränderte]“[12] und es schließlich 1981 zur Kündigung Thalmanns kam.

Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel anzunehmen, dass in dem Brief von 1981 gezielt Stellung und Rechtfertigung seitens Thalmanns zur OA genommen wird. Aus dieser Situation und dem gegebenen Kontext heraus, zeichnet sich zwar ein stark emotional gefährdetes Bild, zum Sinn und Charakter der OA, nach. Doch lassen sich darin auch gezielte Aussagen und Argumente für ihr Bestehen finden. Natürlich muss aufgrund des Adressaten, zu welchem eine gespannte- wenn nicht gar feindselige- Beziehung herrschte, davon ausgegangen werden, dass keine uneingeschränkt offene Mitteilungsbereitschaft seitens Thalmanns vorlag und bestimmte Tatsachen keine direkte Erwähnung fanden.

Das betreffende Zitat ist in der Fachliteratur häufig anzutreffen. Als Beispiele lassen sich ,,Mythos Offene Arbeit“ von Anne Stiebritz[13] oder ,,Artikulationsraum Kirche? Die Geraer Offene Arbeit 1978-1981“ von Reiner Merker[14] nennen. 

 

In dem Zitat plädiert der Verfasser dafür, im Umgang mit Jugendlichen einen Selbstfindungsprozess zu fördern. Zunächst ist auffällig, dass mit Wörtern wie ,,Neuorientierung“, ,,Freiraum“ und ,,Selbstfindung“ vorgeprägte Termini verwendet wird, welche an die westlichen Emanzipationsbestrebungen der damaligen Zeit erinnert. Damit wird auch die Nähe zu neuen Konzepten, welche sich bereits in der BRD zu verwirklichen begannen, deutlich. Und in der Tat ist in der OA ein ,,emanzipatorisches Selbstverständnis“ verankert.[15]  So schreibt Thalmann zwar von einem ,,Gegenüber“ welches verantwortlich ist ,,Anstöße“[16] zu geben, aber selbst diese ,,Anstöße“ müssen in einem ,,Freiraum“ stattfinden ,,um eine neue Orientierung zu erlangen“. Damit wird sogar das ,,Anstoß geben“ als aktive Handlung des Pädagogen auf eine Ebene reduziert, die es fraglich macht, wann und wie überhaupt Impulse bzw. Anstöße zu geben sind, wenn sich der Adressant jeglicher Verbindlichkeit entziehen kann und das Verhältnis von Lerner zum Lehrer zunehmend aufweicht.[17] Das Zitat macht außerdem deutlich, dass das pädagogische Hauptanliegen der OA unter Thalmann die Selbstfindung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen war. Denn, dem Argumentationsmuster Thalmanns folgend, ist ,,Selbstfindung die Vorraussetzung für alles folgende“. Unter diesem Aspekt betrachtet, strebte OA eine Öffnung des traditionellen Bildungsauftrages der evangelischen Kirche an, wonach missionarische Ziele vernachlässigt werden sollten, zugunsten einer ,,Kirche für andere“[18].

Auch wenn Thalmann in dem Brief an Superintendenten Müller seine persönliche Meinung wiedergab, so lassen sich dennoch zahlreiche Äußerungen von Vertretern der OA finden, welche diese Sichtweise bekräftigen und damit ein relativ allgemeinen Eindruck des pädagogischen Selbstverständnisses der OA zulassen. So spricht Uwe Koch von der anfänglichen Intension den Jugendlichen ,,Frei-Raum“ und ,,Gesprächsmöglichkeit“ zur Verfügung zu stellen.[19] Auch Thomas Auerbach erwähnt, dass sich die OA an den Jugendlichen orientierte und das thematisch behandelt wurde, was die Adressaten interessierte.[20] Auch wenn, ,,der bewusste Verzicht auf Missionsziele [ ] eine Thematisierung christlicher Fragen nicht ausschloss“[21], so ging es dennoch vordergründig darum eine freie Entfaltung der Persönlichkeit der Jugendlichen zu unterstützen- egal ob diese sich für die Kirche und den christlichen Glauben interessierten oder nicht. Thomas Auerbach sieht auch antiautoritäre Strukturen in der OA als wesentlich und verweist auf das gleichberechtigte Verhältnis zwischen kirchlichem Mitarbeiter und Jugendlichem.[22] Ebenso ist Uwe Kochs Verständnis von OA weit entfernt von einer klassischen Lehrer-Lerner Beziehung, denn er versteht Bildungsarbeit unter der Prämisse eines ,,dialektischen Menschenbildes“.[23]

Für Thalmann, wie einige andere Mitarbeiter in der OA, bestand kein großer Altersunterschied zu den Jugendlichen, was eine Identifizierung mit den Adressaten begünstigte und wiederum zur Auflösung des klassischen Rollenverständnisses von Lehrer und Schüler beitrug. Diese Tatsache ist nicht zu unterschätzen, denn als ,,Szeneanghöriger“ war es schwer eine gewisse Distanz zu den Jugendlichen aufzubauen.[24]  Abschließend sei noch erwähnt, dass sich auch in dem Positionspapier von 1974 ähnliche Auffassungen widerspiegeln. So werden unter dem dritten Punkt Ziele der OA, wie ,,Erprobung des Modells einer offenen Gemeinde“ und ,,Hilfe zum Menschsein und Christsein“[25], formuliert.[26] Auch der weitere Inhalt des Positionspapieres, wie z.B. der zweite Punkt ,,Gesellschaftliche Hintergründe für die Arbeit“, weißen auf ein ,,emanzipatorisches Selbstverständnis“ der OA, und darüber hinaus auf die starke Identifikation der Verantwortlichen mit ihren Adressaten, hin.[27]

 

 

Fazit

 

Die Sichtweise, dass es beim Lernen im Jugendalter auf die Bildung der Persönlichkeit ankommt und nicht auf die Eingliederung in eine ,,vorgegebene Welt“- wie auf der 2. Synode des Bundes der evangelischen Kirchen festgehalten wurde- erinnert stark an die Selbstwahrnehmung des Bildungsauftrages der OA und scheint damit ein Argument für deren Daseinsberechtigung geliefert zu haben.

Die Offene Arbeit entwickelte sich teilweise vor dem Hintergrund eines Generationswechsels, sodass zwischen jugendlichen Adressaten und ,,Leitern“ oftmals kein großer Altersunterschied bestand. Dies begünstige eine gesteigerte Motivation (im internistischen Sinne) der kirchlichen Mitarbeiter, da sie sich mit den Jugendlichen und deren Interessen besser identifizieren konnten. Dadurch verschwand zunehmend eine starre Distanz zwischen Lehrer und Lerner. So kam es vermehrt zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften, Organisationsteams oder auch alternativen Wohngemeinschaften welche sich selbst organisierten. Die OA kann daher beschrieben werden als, an die Pädagogischen Prinzipien der sogenannten 86er anlehnende und beeinflusste, Jugendbewegung, welche ihren Ausgang im kirchlichen Bereich nahm. Trotzdem scheint eine gesonderte und detaillierte Betrachtung einzelner Jugendgruppen der Offenen Arbeit notwendig, um ein differenzierteres Bild dieser schwer fassbaren und mystifizierten Bewegung zu entwerfen.  

 

 

 

Quellen:

 

Pietzsch, H.: Opposition und Widerstand. Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit „Offene Arbeit“ Jena 1970-1989. Berlin, 2004

 

Stiebritz, Anne: Mythos „Offene Arbeit“. Studien zur kirchlichen Jugendarbeit in der DDR. Jena: IKS Garamond, 2010.

 

Kirche als Lerngemeinschaft, Vgl. Referat auf der 2.Tagung der 2. Synode des Bundes der Evangelischen Krichen in der DDR, Potsdam 28.9.1974.

 

Internetqullen:

 

Merker, R.: Artikulationsraum Kirche? Die Geraer Offene Arbeit 1978–1981 (Abrufbar unter: Zugriff am 15.6.2011)

 

 

 

 

ThürAZ:    Bestand Wolfgang Thalmann P-T-K-1.02

 

 



[1]    Im weiteren Verlauf wird für Offene Arbeit die Abkürzung OA benutzt.

[2]    Vgl. Stiebritz, A., S. 97-101

[3]    Ebd., S. 64

[4]    Ebd., S. 8; S. 22

[5]    Ebd., S. 22

[6]    Kirche als Lerngemeinschaft, S. 212

[7]    Ebd., S. 212

[8]             Thalmann: Brief an Sup. Müller, Gera 11.05.1981. ThürAZ, P-T-K-1.02, unpag.

[9]              ,,Artikulationsraum Kirche? Die Geraer Offene Arbeit 1978-1981“

[10]  Vgl. Stiebritz, A., S. 97-101

[11]  Ebd., S. 43

[12]            ,,Artikulationsraum Kirche? Die Geraer Offene Arbeit 1978-1981“

[13]  Vgl. Stiebritz, A., S. 63

[14]  Vgl. ,,Artikulationsraum Kirche? Die Geraer Offene Arbeit 1978-1981“

[15]  Vgl. Stiebritz, A., S. 65

[16]  Bereits an dieser Wortwahl wird der abgeschwächte Charakter des Erziehers erkennbar. Erziehen heißt im Kontext der Offenen Arbeit also nicht mehr nur vorgeben und bestimmen, sondern vielmehr begleiten und erfahren.

[17]  So thematisiert z.B. Thalmann, ,,dass es normal war, viel miteinander zu rauchen und zu trinken“. (Stiebritz, A., S. 128) 

[18]  Koch, zit. in Pietzsch, H., S. 31

[19]  Pietzsch, H., S. 36

[20]  Vgl. Stiebritz, A., S. 65

[21]  Stiebritz, A., S. 65

[22]  Stiebritz, A., S. 99

[23]  Ebd.

[24]  Vgl. Stiebritz, A., S. 47, 53

[25]  Auffällig hieran ist, dass ,,Menschsein“ explizit an erster Stelle genannt wird, was darauf verweist das religiöse Anliegen gesellschaftlichen nachstanden. 

[26]  Siehe ,,Positionspapier von 1974“ in eigene Materialien

[27]  Vgl. Stiebritz, A., S. 80


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